Editorial

Redaktion sub\urban

Liebe Leser_innen,

nach zwei Jahren intensiver Diskussion und Vorbereitung veröffentlichen wir mit s u b \ u r b a n eine neue deutschsprachige, wissenschaftliche und frei zugängliche Zeitschrift für kritische Stadtforschung.

Ein Forum für kritische Stadtforschung

Während es in der internationalen Forschungslandschaft eine große Anzahl an Zeitschriften mit einem Fokus auf Stadt, Raum und Urbanes gibt, finden sich im deutschsprachigen Stadtforschungs-Kontext bisher wenige Zeitschriften, die wissenschaftliche Qualität, kritische Ansätze und transdisziplinäre Perspektiven vereinen (eine große Ausnahme bildet die bereits im 13. Jahr in Wien erscheinende Zeitschrift dérive). Mit dem Thema Stadtforschung beschäftigen sich unterschiedliche Disziplinen: Geographie, Soziologie, Planung, Architektur, Ethnologie, Geschichte, Philosophie oder Kulturwissenschaft. Wissenschaftler_innen aus diesen Bereichen publizieren aber überwiegend in Fachzeitschriften ihrer jeweiligen Disziplin.­ Zudem werden akademische Diskussionen nicht nur disziplinär getrennt, sondern meist auch jenseits von politischen, aktivistischen oder künstlerischen Positionierungen geführt. Dies hat oftmals verkürzte und einseitige Diskussionen zur Folge. Produktive transdisziplinäre Auseinandersetzungen finden zu selten statt, und wenn, dann in Form einzelner Tagungen oder Buchprojekte.

Allerdings zeichnet sich auch im deutschsprachigen Raum ein wachsendes Interesse an städtischen Phänomenen und ihrer Ausdeutung ab, erkennbar an der Vielzahl neuer Forschungsprojekte, Studienprogramme und Internetseiten. Ein Großteil der neueren Beschäftigungen ist jedoch aus unserer Sicht durch unpolitische und/oder wenig reflektierte Aneignungen städtischer Themen gekennzeichnet. Darauf reagiert s u b \ u r b a n mit der Schaffung eines wissenschaftlichen Forums, das deutschsprachigen Diskussionen im heterogenen Feld kritischer Stadtforschung mehr Kontinuität und Sichtbarkeit verleihen soll.

Warum liegt uns die kritische Stadtforschung am Herzen? Als Maßstabsebene sozialer (Un-)Ordnungen und Feld unterschiedlicher Kämpfe ist das Städtische nach wie vor Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Während zu „Stadt“ kaum ein einheitliches Konzept existiert – ein solches wünschen wir uns auch gar nicht – eröffnet „Stadtforschung“ ein facettenreiches diskursives Feld, das zu historischen und gegenwartsbezogenen Auseinandersetzungen einlädt. Dabei stellen sich spezifische Fragen – etwa, ob womöglich eine Kritik existiert, die sich besonders in städtischen Kontexten entwickelt oder inwiefern, umgekehrt, die alte (westliche) Idee von der Stadt als Ort der Emanzipation aufrechterhalten werden kann. Wir wollen dabei das Städtische weder auf einen vollständig kontrollierten Raum der Macht noch auf einen notwendigen Ort des Konfliktes oder auf einen idealen Raum kritischer Alternativen reduzieren. Das Städtische ist aus unserer Sicht vor allem ein immer wieder zu stellendes Problem, das mit anderen raumbezogenen Konzepten verknüpft ist.

Wir sehen die Gründung von s u b \ u r b a n als politische Intervention. Wir widersetzen uns einem unkritischen und „postpolitischen“ Stadtbegriff und verlagern die Schwerpunkte. Wir suchen einen kritischen Umgang unter anderem mit Aufwertungsprozessen in Städten, mit der Privatisierung von Gemeingütern, mit räumlich vermittelten Formen ungleicher Entwicklung, mit der Ökonomisierung sozialer Beziehungen sowie mit Ausgrenzung, Normierung und Kontrolle von Menschen. Wir bieten solchen Ansätzen der Stadtforschung ein Forum, die das Politische in den Vordergrund rücken und sich als kritisch verstehen. Dabei verorten wir unser Verständnis von Kritik in unterschiedlichen Traditionen und Debatten. Marx’sche und foucauldianische Ansätze sind uns ebenso wichtig wie queer/feministische, postkoloniale, antirassistische, humanismuskritische Ansätze – mit ihren vielfältigen Verbindungen zu post/materiellen, de/konstruktivistischen, postfundamentalistischen und handlungsorientierten Auseinandersetzungen. Wir streben danach, die Besonderheiten verschiedener Theorien und die konkreten Arten der Kritik, die sie erlauben, zur Geltung kommen zu lassen und zur Debatte zu stellen. Kritische Stadtforschung bedeutet für uns dabei auch, die Verortungen und Bedingungen von Wissensproduktion – und von Kritik – immer aufs Neue zu thematisieren und in Frage zu stellen.

Zum Konzept der Zeitschrift

s u b \ u r b a n soll kritische inter- und transdisziplinäre Debatten über ein frei zugängliches Online-Format befördern. Die Gliederung der Zeitschrift in die vier Rubriken „Aufsätze“, „Debatte“, „Magazin“, „Rezensionen“ sowie eine interaktive Kommentarfunktion ermöglicht unterschiedliche Formate und Formen des Austauschs.

Wissenschaftliche Aufsätze bilden einen Schwerpunkt der Zeitschrift und erfordern von uns eine intensive redaktionelle Betreuung. Wir haben uns zur Unterstützung der inhaltlichen Betreuung für das Verfahren der anonymisierten Begutachtung (double blind peer-review) entschieden. Der Begutachtungsprozess soll die wissenschaftliche Qualität der Aufsätze erhöhen, indem er die Texte hinsichtlich ihrer argumentativen Stringenz, ihrer Darstellung und ihrer (auch gesellschaftskritischen) Relevanz prüft. Zugleich sehen wir in der Begutachtung auch die Möglichkeit eines direkten Austauschs über wissenschaftliche Ideen, der aufgrund der Anonymisierung jenseits statusbezogener Hierarchien stattfinden kann. Wir streben einen produktiven und reflektierten Umgang mit dem peer-review-Verfahren an, welches immer auch das Risiko einer Verfestigung hegemonialer Sprechpositionen birgt.

Da wir in s u b \ u r b a n ein Medium des kritischen Austausches sehen, bieten wir für Debatten zu wissenschaftlichen Texten einen gesonderten Raum an, den wir aktiv kuratieren. In den drei Bereichen der Debattenrubrik laden wir (1.) Autor_innen ein, originale, für s u b \ u r b a n verfasste Texte anderen Autor_innen zur Diskussion zu stellen („Autor_in trifft Kritiker_in“); wir bitten (2.) Autor_innen um Kommentare zur Relevanz und Aktualität älterer Texte („Altes neu gelesen“); und wir laden (3.) zu Kommentaren, Kontextualisierungen oder Einführungen zu Texten ein, die für s u b \ u r b a n ins Deutsche übersetzt werden („Übersetzt und übertragen“). Daneben veröffentlichen wir in „Debatte“ Interviews, Streitgespräche und ähnliche Formate in Text, Ton oder Film.

Noch offener ist unser Magazin-Teil angelegt, in dem wir zur Nutzung der vielfältigen Möglichkeiten elektronischen Publizierens einladen – also von Formaten wie etwa Bild, Ton, Text, Film oder Animation. In dieser Rubrik ist Raum für Essays, Forschungsberichte und künstlerische Arbeiten; für Stimmen und Gespräche aus verschiedenen Bewegungen und Strömungen; sowie für Reflexionen und Aufrufe zu Arbeits-, Forschungs-, Studien- und Publikationsbedingungen.

Darüber hinaus erscheinen in s u b \ u r b a n Rezensionen, deren Stellenwert mit der Weiterentwicklung der Zeitschrift steigen soll.

Ein kollektives Publikationsprojekt

s u b \ u r b a n ist ein Projekt, das sich auf Initiative von Wissenschaftler_innen aus verschiedenen Disziplinen und mit unterschiedlichen Themengebieten entwickelt hat; was uns eint, ist die kritische Perspektive auf städtische, räumliche und gesellschaftliche Prozesse. Die Redaktion führt das gesamte Projekt gemeinsam durch: von der Diskussion erster Ideen zu Beiträgen oder Heften, über die Kommunikation mit Autor_innen und Gutachter_innen bis zur Erstellung der Website und der elektronischen Veröffentlichungen sowie der Öffentlichkeitsarbeit und Förderanträgen. Wir freuen uns, dabei von einem internationalen und disziplinär vielfältigen Beirat unterstützt und beraten zu werden.

Zur Entwicklung dieser Zusammenarbeit haben wir uns in die administrativen Untiefen der open-access-Veröffentlichung begeben und uns wissenschaftspolitischen Herausforderungen etwa hinsichtlich des peer-review-Verfahrens gestellt. Wir mussten darüber hinaus die Möglichkeiten und Grenzen unseres weitgehend ehrenamtlichen Engagements ausloten, denn neben gemeinsamen Interessen teilen wir auch die Erfahrung prekärer Formen der Beschäftigung und akademischen Integration. Unsichere Arbeitsbedingungen an Hochschulen und anderswo bedeuten daher auch unsichere Bedingungen für Zeitschriftenprojekte wie dem unseren – nicht zuletzt aufgrund des von uns gewählten open-access-Konzepts.

Mangels realer Möglichkeiten einer dauerhaften Finanzierung der Zeitschrift und ihres kostenlosen Zugangs sind wir gegenwärtig auf die Selbstausbeutung aller Beteiligten ebenso angewiesen wie auf Spenden unserer Leser_innen, Autor_innen und Unterstützer_innen. Nur dadurch können Aufträge für Lektorat, Satz und zahlreiche weitere administrative Arbeiten finanziert werden, die wir bislang zum Großteil selbst übernommen haben.

Mit der Veröffentlichung der ersten Ausgabe bitten wir daher alle Leser_innen, Autor_innen und Beiräte um eine Unterstützung durch Spenden und Förderabonnements. Derzeit gründen wir den Verein s u b \ u r b a n e. V., so dass Spenden in Zukunft auch steuerlich absetzbar sein werden.

Zum ersten Heft

Das erste Heft von s u b \ u r b a n leistet einen Beitrag zur Diskussion über die Produktion von Stadt und Raum und füllt die vier Rubriken – Aufsätze, Debatte, Magazin und Rezensionen – mit Leben.

Einen Schwerpunkt der Ausgabe bildet die Frage, wie in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen auf „Stadt“ geschaut wird. Fünf Kommentare von Sybille Bauriedl, Norbert Gestring, Johanna Hoerning, Carsten Keller und Jan Wehrheim zu Hartmut Häußermanns und Walter Siebels hier erneut veröffentlichten „Thesen zur Soziologie der Stadt“ von 1978 setzen sich mit der dort geäußerten Kritik an einer „Stadtplanungssoziologie“ auseinander. Die Kommentare situieren Häußermanns und Siebels Thesen in der Geschichte der deutschsprachigen Stadtsoziologie, erörtern die Aktualität des in den Thesen formulierten Forschungsprogramms und denken sie mit Bezug auf Problematiken wie geschlechts-asymmetrische Reproduktion oder Postkolonialität weiter. Zum (Selbst-)Verständnis einer kritischen Stadtforschung tragen Jan Kemper und Anne Vogelpohl in ihrer marxistisch inspirierten Stellungnahme zum Ansatz der „Eigenlogik der Städte“ bei. Ihre Reflexion führt zurück zu Friedrich Engels und wendet sich dabei gegen einen deterministisch-erklärenden Einsatz des Stadtbegriffs. Der Autor und die Autorin arbeiten mit der Konzeption einer Wechselwirkung zwischen Raum und gesellschaftlichen Verhältnissen und betonen die Bedeutung von Konflikten und Krisen hinsichtlich der gegenwärtigen Veränderungen des Städtischen. s u b \ u r b a n möchte mit diesen Beiträgen eine kritische transdisziplinäre Auseinandersetzung rund um das Städtische anregen. Die Beiträge problematisieren aus verschiedenen Blickwinkeln disziplinäre Vereinfachung und Verkürzungen von „Stadt“ und „Raum“ und verschaffen dabei Ansätzen Gehör, die vielfältige Macht- und Herrschaftsverhältnisse mitdenken.

Ein zweiter Schwerpunkt des Heftes liegt auf geographischen Beiträgen – vor allem aus Frankfurter Forschungszusammenhängen – zur Produktion von Städten und Räumen im gegenwärtigen deutschen Kontext. Die Autor_innen hinterfragen das Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik und von In-Wert-Setzung und Nutzungvorschriften sowie die Rolle unterschiedlicher Akteur_innen der Stadt- und Raumproduktion: Investor_innen, Universitäten, Polizei und nicht zuletzt Bewohner_innen und Nutzer_innen von Städten und Räumen. Diesen Beiträgen ist gemeinsam, dass sie konkrete stadt- und raumbezogene Kräfteverhältnisse analysieren, sei es im Kontext eines „finanzdominierten Akkumulationsregimes“ (Heeg) oder eines repressiven „Staatsapparats“ (Belina et al.). Nadine Marquardt und Henning Füller mit Robert Pütz und Georg Glasze untersuchen am Beispiel von Luxusbauprojekten in Westeuropa und den USA eine Umdeutung von Urbanitätskonzepten, die an konsumorientierte, privatisierte und kontrollierte Innenstadtproduktionen gekoppelt sind. Susanne Heeg analysiert die Auswirkungen der globalen Immobilienspekulation auf die lokalen Wohnungsmärkte mit besonderem Fokus auf „Responsibilisierung“ und Finanzialisierung. Der Text von Bernd Belina, Tino Petzold, Jürgen Schardt und Sebastian Schipper diskutiert am Beispiel von Frankfurt am Main Fragen der organisations- und finanzbezogenen Umstrukturierung der Universitäten, die derzeit in Deutschland mit hoher Geschwindigkeit vorangetrieben wird. Sie sehen in dieser Veränderung einen bedeutsamen Indikator für stadtpolitische Neuausrichtungen und gehen ihr anhand eines materialistischen Ansatzes im Zusammenhang der Begriffe place und space nach.

In einem dritten Schwerpunkt debattieren fünf Autor_innen mit der Politikwissenschaftlerin Margit Mayer zur Frage städtischer Bewegungen. In ihrem für diese Ausgabe verfassten Originalbeitrag verortet Mayer aktuelle Bewegungskonflikte im gesellschaftspolitischen Kontext der „neoliberalisierenden Stadt“. Anhand der aktuellen, zunehmend auf kulturelle Branding-Strategien setzenden Bemühungen städtischer Politik (Stichwort: „kreative Stadt“) zeigt Mayer exemplarisch Merkmale und Widersprüche solcher Konflikte auf. In den Kommentaren von Grischa Bertram, Peter Birke, Volker Eick, Samuel Mössner und Lisa Vollmer werden unter anderem die Wahrnehmung von Protest, die Kritik der Kritiker_innen selbst sowie die Möglichkeitsbedingungen für die Bildung von Subjektpositionen thematisiert und kontrovers diskutiert. Im Hauptbeitrag, in den Kommentaren und in der Replik von Margit Mayer wird ein Diskursfeld sichtbar, in dem die wichtige Debatte zu den aktuellen Möglichkeiten und Beschränkungen urbaner sozialer Bewegungen verortet ist.

In der Sparte „Magazin“ bietet Stefanie Bürkle in ihrem Fotoessay „Stereosichten“ einen ungewöhnlichen Blick auf das Städtische. Schließlich rezensiert Matthias Naumann das gerade erschienene Buch „David Harveys urbane Politische Ökonomie“ von Felix Wiegand.

Danke!

Zuletzt möchten wir uns bei allen herzlich bedanken, die uns in der langen Gründungsphase begleitet haben. Ermutigende Diskussionen führten wir erstmals im Sommer 2011 im Rahmen der International Conference of Critical Geography in Frankfurt am Main. Beim s u b \ u r b a n-Gründungsworkshop im Herbst 2012 in Berlin haben wir unsere inhaltlichen und strukturellen Ideen präsentiert, sie mit vielen Interessierten diskutiert und dabei dem Zeitschriftenprojekt eine klarere Kontur verliehen.

Den Autor_innen, den Gutachter_innen sowie allen Beteiligten des ersten Heftes sind wir zu Dank dafür verpflichtet, dass sie uns ihr Vertrauen geschenkt haben.

Darüber hinaus bedanken wir uns bei unseren wissenschaftlichen Beiräten sowie bei den Menschen, die uns bei allen möglichen Fragen des Publikationsalltags – Redaktionsarbeit, Verlagsarbeit, Layout, Website, open-access, Vereinsgründung, Finanzierung, Anträge und Vieles mehr – geholfen haben und weiterhin helfen. Ein Dank geht auch an die großzügigen Spender_innen, die ein professionelles Lektorat des ersten Heftes ermöglicht haben sowie an die Institutionen, die uns finanziell oder materiell unterstützen: Center for Metropolitan Studies, Centre Marc Bloch, Institut für Europäische Ethnologie der HU Berlin, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Netzwerk Selbsthilfe und Belius (Modulorhaus). Nicht zuletzt möchten wir an dieser Stelle Grüße an die Gruppe Kritische Geographie Berlin senden; unser Zeitschriftenprojekt ist im Kontext der damit verbundenen Aktivitäten und Netzwerke entstanden und hat sich durch anhaltenden Erfahrungsaustausch und die Unterstützung der Gruppe weiterentwickelt.

Wir freuen uns über Rückmeldungen, Anregungen und Kommentare, über Zeitschriftenbeiträge und Ideen, über finanzielle Unterstützung sowie über die Verbreitung der in s u b \ u r b a n veröffentlichten Texte.

Viel Spaß beim Lesen und Schauen wünscht

die Redaktion

Laura Calbet i Elias, Mélina Germes, Nina Gribat, Nelly Grotefendt, Jan Hutta, Boris Michel, Kristine Müller, Manfred Oberländer, Carsten Praum, Nikolai Roskamm, Nina Schuster