Infrastrukturen städtischer Intimität

Einladung zu einem Gedankenspiel

Jan Hutta, Nina Schuster

„Intimacy builds worlds.“

Lauren Berlant (1998: 282)

Wie sähe eine kritische Stadtforschung aus, die von Anbeginn nicht Anonymität, sondern Intimität zum Dreh- und Angelpunkt ihres Stadt­ver­ständnisses gemacht hätte? Wie sprächen wir dann über das Recht auf Stadt und über Differenz, wie über städtische Infrastrukturen? Auch wenn Fragen rund um die Privatsphäre und um Intimität die Stadtforschung immer schon begleitet haben, wurde insbesondere Öffentlichkeit als charakteristisch für das Städtische betrachtet, also all das, was als Gegenteil des Privaten konstruiert worden ist. Leitend dafür war die Bedeutung, die dem öffentlichen Raum der Stadt zugeschrieben wurde als Raum verbindungsarmer, doch zugleich politisch potenter Heterogenität (siehe Häußermann/Siebel 2004). Diese Sichtweise ist für die Kritik an Entfremdungsprozessen in der kapitalistischen Moderne ebenso prägend gewesen wie für Visionen radikaler Demokratie. Treffen sich unterschiedliche Menschen hier an zentralen „Orte[n] der Begegnung und des (Aus)tauschs“ (Lefebvre 2016 [1968]: 196), so zumeist in der Form, dass sie „sich gegenseitig auf die Füße treten“ (Lefebvre 1972: 46, zit. in Schmid 2011: 32) – sie stolpern mithin eher über ihre Differenzen, als dass aus ihnen intime Verbindungen entstünden.

Befasst sich die kritische Stadtforschung also mit dem Umgang mit Differenz und mit Begegnungen im öffentlichen Raum, so fragen viele Ansätze nach wie vor in erster Linie nach der Entstehung, Transfor­ma­tion und dem Verschwinden der öffentlichen Räume in diesem Sinne. Eher nebenbei, etwa um bedrohte Öffentlichkeit zu beschreiben, werden damit auch Neuformierungen des Privaten und des Intimen in den Blick genommen – markant auf den Punkt gebracht von Richard Sennetts (1986) Diktum einer „Tyrannei der Intimität“. Demgegenüber bietet die feministische Kritik an der machtvollen Trennung öffentlicher und privater Räume in kapitalistischen Gesellschaften einen wichtigen Ausgangspunkt für die Untersuchung moderner, vergeschlechtlichter Urbanisierungsprozesse (Sandercock/Forsyth 1992). So weist die feministische Stadtforschung darauf hin, dass das Narrativ einer Öffentlichkeit, die durch die Bildung intimer Enklaven eingeschränkt und bedroht wird, zu kurz greift, und kritisiert die Dualisierung von Öffentlichkeit/Privatheit (Terlinden 1990). Sie widerspricht damit einem Denken in Dichotomien wie außen/innen oder öffentlich/privat, aber auch Arbeit/Freizeit, das die Geschlechterverhältnisse und diesbezüglichen Räume prägt sowie hie­rarchische Machtverhältnisse widerspiegelt, befördert und aufrechterhält (Schuster 2012; Fraeser/Schuster/Vogelpohl 2021). Diese Interventionen stehen auch in Verbindung mit der Kritik an der Geschlechts-, Klassen- und Rassis­mus-Blindheit vorherrschender Öffentlichkeitskonzepte (Fra­ser 1990; Datta 2016; Alves 2018).

Wird das Öffentliche als Garant für Demokratie verklärt, so transportiert die Vorstellung einer progressiven Öffentlichkeit, die durch regressive Intimität bedroht ist, ein verkürztes Verständnis des Intimen als Rückzug aus städtischer Heterogenität. Dabei haben Beiträge der Queer Studies, der Geographien der Sexualität, der feministischen Stadtforschung und der Black Studies gezeigt, dass Formen der Intimität „öffentliche“ Räume immer schon mitgestaltet haben (Wilson 1992; Brown/Browne 2016; Hart­man 2019; Kern 2020). So war auch die Herausbildung der von Haber­mas (1995 [1962]) untersuchten Sphäre bürgerlicher Öffentlichkeit an „klassengemischte semiformelle Institutionen wie den Salon und das Café, zirkulierende Printmedien und den industriellen Kapitalismus“ gebunden, wodurch „kollektive Intimität zu einem öffentlichen und sozialen Ideal […] von grundlegendem politischen Interesse“ wurde (Berlant 1998: 283).[1] Intime Praktiken und „Beziehungsweisen“ (Adamczak 2017) bringen damit auch selbst immer wieder gelebte Formen von Demokratie und sozialem „(Aus)tausch“ (Lefebvre) in der Differenz hervor (Berlant/Warner 1998; Hutta 2013). Dies haben nicht zuletzt Arbeiten zu feministischen, queeren, migrantischen und schwarzen Gegenöffentlichkeiten gezeigt.[2] Ebenso haben diese Arbeiten Potenziale und Ambivalenzen von Räumen wie gay und Black neighbourhoods erörtert, die um kollektive Identitäten organisiert sind und in denen Formen von Intimität, Zugehörigkeit, Solidarität und gesellschaftlicher Teilhabe entstehen. Sie weisen darauf hin, dass diese zugleich im Kontext ungleicher Stadtentwicklungsprozesse betrachtet werden müssen (Manalansan IV 2005; Oswin 2008; Doan/Higgins 2011; Reynolds 2013).

Anknüpfend an diese Forderung eröffnet dieser sub\urban-Debattenaufschlag ein vielstimmiges Gedankenspiel, das die kritische Stadtforschung gegen den Strich bürstet. Dabei geht es um das, was Ayona Datta bereits 2015 in ihrem programmatischen Vortrag zur „intimen Stadt“ gefordert hat: die Trennung des Öffentlichen und Privaten in der Geographie neu zu denken (Datta 2016). Wir wählen dafür hier einen doppelten Fokus auf Intimität und Infrastruktur (siehe auch Datta/Ahmed 2020). Ziel ist es, den Blick für intime Praktiken und Raumbezüge sowie deren materielle Bedingungen zu schärfen und so Aspekte zu rezentrieren, die in bisherigen Diskussionen ausgeblendet werden, lediglich als negative Kontrastfolie dienen oder nur fragmentarisch auftauchen. Dabei nimmt diese Debatte speziell minoritäre Erfahrungen und Praktiken städtischer Intimität in den Blick. Denn bei näherer Betrachtung erweisen sich Infrastrukturen wie etwa Systeme gesundheitlicher Versorgung oder Dispositive des sozialen Austauschs als heteronormativ, rassistisch sowie durch Interes­sen der Kapital­akku­mu­lation und das, was Robert McRuer (2016) „compul­sory able-bodied­ness“ nennt, strukturiert. Gerade queere, be-hinderte, migrantische und von Obdach­losigkeit betroffene Menschen sowie BIPoC bekommen daher die hegemoniale Ausrichtung von Infrastrukturen tagtäglich zu spüren – bringen durch ihre gelebte Praxis aber zugleich auch widerständige und subalterne Infrastrukturen der Intimität hervor, wenn auch oft nur fragmentarisch. Derartig „sub-urbane“ Fragmente des Intimen sollen hier verdichtet und spekulativ zu einer Rekonzeptualisierung des Städtischen genutzt werden.

Um diese spielerisch-theoretische Bewegung in Gang zu setzen, greifen wir im Folgenden zunächst die aktuelle Diskussion rund um städtische Infrastrukturen auf (z. B. Simone 2004; Amin 2014; Graham/McFarlane 2015; Flitner/Lossau/Müller 2017; Gupta/Appel/Anand 2018). Diese Arbeiten untersuchen städtische Prozesse ausgehend von ihren materiell-semiotischen Möglichkeitsbedingungen und eröffnen so neue Perspektiven auf die multiskalare Verknüpfung von technologischen, politischen, körperlich-affektiven und intimen Dimensionen. Wir beleuchten diese Verknüpfungen anschließend näher mit Bezug auf die queertheoretische Beschäftigung mit Intimität (z. B. Berlant 1998; Povinelli 2006; Wilson 2016).

1.Lebendige Infrastrukturen

Es ist wohl kein Zufall, dass städtische Infrastrukturen gerade zu einer Zeit verstärkt in den Blick genommen werden, in der die Bedingungen von Wertschöpfung und sozialer Reproduktion zunehmend prekär werden. Jahrzehntelange Austeritätspolitik, auch im Globalen Norden, in Kombination mit oft selektiven und mangelhaften Investitionen infolge von Privatisierungen hat eine höchst ungleichmäßige Landschaft von Inseln mit privilegierten Versorgungsstrukturen einerseits und ausgedehnten Gebieten mit maroden Transport-, Gesundheits-, Versorgungs- und Frei­zeit­systemen andererseits hervorgebracht. Der „infrastruc­tural turn“ (Amin 2014: 138) in den Gesellschaftswissenschaften eröffnet neben einer The­ma­ti­sierung dieser Effekte des politisch-ökonomischen Krisen­ge­schehens rund um Wertschöpfungsketten und soziale Reproduktion zugleich neue Blicke auf die technologisch-materiellen Bedingungen des gesellschaftlichen und ökologischen Zusammenlebens. Wenn die häufig ausgeblendeten Infrastrukturen – verstanden als „Netzwerke, die den Fluss von Waren, Menschen oder Ideen befördern und deren Austausch über den Raum hinweg ermöglichen“ (Larkin 2013: 328) – analytisch zentriert werden, zeigt sich, welch grundlegende Bedeutung ihnen in der Gestaltung von Ökonomie und Politik, von Kultur und Gesellschaft zukommt. Besonders eindrücklich hat uns Covid-19 die Bedeutsamkeit der „Netzwerke des Lebens“ (Hark 2020) vor Augen geführt.

Damit machen die Arbeiten zu Infrastrukturen deutlich, dass auch die scheinbar „rein technischen“ Systeme von Leitungen, Trassen, Funknetzen oder Gebäuden in enger Verbindung mit gelebter Alltagspraxis stehen – also mit Wohnen, Bildung und Arbeit, Politik, mit Diskursen und Re­prä­sen­tationen, mit Körpern und Affekten. Infrastrukturen ermöglichen einerseits gesellschaftliche Produktion, Reproduktion und vieles, was sonst noch auf der Welt geschieht, und sind andererseits von menschlicher Instandhaltung und Pflege abhängig. Werden sie nicht regelmäßig gewartet, droht ihnen bald der Verfall. Und mehr noch: Im Zuge der gesellschaftlichen Sorge um Infrastruktur entwickeln sich zur Materialität von Stahl und Beton, von Carbon und Silikon und um sie herum affektive und intime Beziehungen – sei es im Hinblick auf ihre Versprechen von „Entwicklung“ und „Modernität“, sei es hinsichtlich des von ihnen geforderten Arbeitseinsatzes. So rufen die mit industrieller Produktion assoziierten Schornsteinanlagen, wie Christina Schwenkel am Beispiel des vietnamesischen Vinh zeigt, eine Reihe intensiver Empfindungen hervor, „vor allem bei denjenigen, die an der Entwicklung derartiger technologischer Zukünfte gearbeitet haben: Sie fesseln und stoßen ab, verkörpern Hoffnung und Verzweiflung, insbesondere, wenn sie unbrauchbar werden“ (2018: 105). Und im selbstorganisierten Aufbau informeller Siedlungen in Brasilien zeigt sich die „social force of infrastructure“ (Amin 2014: 145), wenn mit vereinten Kräften die Verlegung von Masten, Kabeln und Röhren geplant wird. „So many cares, feelings and dispositions are arraigned through infrastructural interactions“, notiert Ash Amin (ebd.: 146).

Hat die Diskussion rund um „lebendige Infrastruktur“ (ebd.) die vielfältigen Versprechen, Sorgen und Affekte verdeutlicht, die sich an Leitungs-, Versorgungs- und Transportsysteme knüpfen, möchten wir hier den Blick umkehren und danach fragen, wie wiederum Infrastrukturen das gesellschaftliche Leben gestalten – welche „infrastrukturellen Leben“ (Graham/McFarlane 2015) sie hervorbringen. Denn Infrastrukturen sind zuallererst, wie Ara Wilson schreibt, „in soziale Beziehungen eingebunden und gestalten in vielen Fällen die Bedingungen für das relationale Leben“ (2016: 247). Damit befördern sie nicht nur nationalstaatliche Projekte der Modernisierung, sie organisieren zugleich das tägliche, zwischenmenschliche und intime Leben: „Die Untersuchung der Infrastruktur, die Menschen beherbergt, beleuchtet, beheizt, hygienisch versorgt oder transportiert, bietet eine Möglichkeit, die politische Ökonomie der Intimität zu verstehen.“ (Ebd.: 269) Infrastrukturen können somit als integrale Bestandteile relationaler Subjektivität und Kollektivität untersucht werden. Doch in welcher Weise prägen und gestalten Infrastrukturen dabei das „Intime“? Um uns dieser Frage zu nähern, möchten wir die Diskussion rund um die Bedingungen von Intimität, wie sie aus den Queer Studies hervorgegangen ist, ins Spiel bringen und dabei die infrastrukturellen Dimensionen dieser Bedingungen hervorheben.

2.(Infra-)Strukturelle Bedingungen intimen Lebens

In der Einführung zum Critical-Inquiry-Themenheft Intimacy geht Lauren Berlant einer Vielfalt an „modes of attachment“ (1998: 288) nach und eröffnet damit einen wegweisenden Zugang zur Frage der Intimität. Im postpsychoanalytischen Sinne können modes of attachment als Formen affektiver Bindung an Subjekte und Dinge verstanden werden. Solche Bindungen, die auch mit Ideenwelten, Erwartungen und Wünschen verbunden sind, ermöglichen es Subjekten, der sozialen und materiellen Welt mit einer gewissen Zuversicht zu begegnen. Sie können Halt und Orientierung geben, aber auch Formen von Verantwortung, Sorge und kritisch-reflexivem Engagement anregen. Dabei sind modes of attachment zugleich auf ermöglichende gesellschaftliche Strukturen – und damit verknüpfte Infrastrukturen – angewiesen, die sie wiederum gesellschaftlich und materiell einbetten. Besonders deutlich werden die strukturellen Bedingungen an Intimitätsnarrativen, die Freundschaft, das Paar oder die Familie zentrieren und diese zugleich als gesellschaftliche Institutionen anrufen: „People consent to trust their desire for ‚a life‘ to institutions of intimacy; and it is hoped that the relations formed within those frames will turn out beautifully, lasting over the long duration, perhaps across generations.“ (Berlant 1998: 281) Erlaubt es Intimität zunächst einmal, überhaupt mit Zuversicht „ein Leben“ zu leben – wir könnten ergänzen: ein glückliches, erfülltes, normales, verrücktes … Leben, oder auch: ein Leben als Hetero-Cismann, lesbische Transfrau, schwarze Mutter usw. –, so vertrauen Menschen den Wunsch nach einem solchen Leben zugleich „Institutionen der Intimität“ wie der Ehe und der Familie an. Damit machen die modes of attachment „die Personen öffentlich und kollektiv, und kollektive Szenen zu intimen Räumen“, wie Berlant (ebd.: 288) weiter ausführt. Zwischenmenschliche Liebe erhält etwa den Segen von Staat und Kirche; amtliche Büros, religiöse Feiern oder Kinofilme werden zu Austragungsorten intimer Verbindung – jedenfalls für einen Teil der Menschen und für bestimmte Formen von Intimität. Hier kommt auch bereits die infrastrukturelle Dimension dieser Möglichkeitsbedingungen des Intimen ins Spiel. So übernehmen etwa die technischen Algorithmen sozialer Medien nicht selten hegemoniale Normen bezüglich dessen, was als legitime Intimität in der Öffentlichkeit gilt, beispielsweise hinsichtlich der Sichtbarmachung von Körpern und Begehren (Fux 2008; Paasonen 2018).

Die Crux intimer Bindungen liegt jedoch darin, dass modes of attachment den etablierten Skripten auch immer wieder entweichen. Die folgende Passage aus Berlants Text bringt dies auf den Punkt:

„Die Arten von Verbindungen, die auf die Menschen zurückwirken und von denen sie zum Leben abhängen (wenn nicht gar um ‚ein Leben‘ zu haben), halten sich nicht immer an die vorhersehbaren Formen: Nationen und Bürger_innen, Kirchen und Gläubige, Arbeiter_innen bei der Arbeit, Schriftsteller_innen und Leser_innen, Menschen, die Lieder auswendig lernen, Menschen, die jeden Tag zur gleichen Zeit mit ihren Hunden spazieren gehen oder schwimmen gehen, Fetischist_innen und ihre Objekte, Lehrer_innen und Studierende, Serienliebhaber_innen, Sportliebhaber_innen, Zuhörende von Stimmen, die Dinge verständlich erklären (im Radio, auf Konferenzen, auf Fernsehbildschirmen, online, in der Therapie), Fans und Berühmtheiten – ich (oder Sie) könnte(n) die Liste fortsetzen.“ (Berlant 1998: 284 f.)

Intime (Ver-)Bindungen entstehen aus der gelebten Praxis, indem sie sich alle möglichen und unmöglichen Subjekte, Dinge und Orte zunutze machen. Nur einige der resultierenden Verbindungen werden gesellschaftlich institutionalisiert und – wie vor allem „Ehe und Familie“, die laut Artikel 6, Absatz 1 des Grundgesetzes in der BRD „unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ stehen – als Ausdruck der heteronormativen Grundordnung biopolitisch gefördert. In einer historisch durch Kolonialrassismus, Imperialismus und faschistische Bewegungen geprägten Welt ist diese Grundordnung zudem rassistisch und nationalistisch geprägt – denn unter besonderem Schutz stehen zuvorderst die Angehörigen des eigenen Nationalstaats, während migrantische Subjekte, Schwarze und People of Colour hierzulande zu European others werden – wobei ihre Intimitätspraktiken immer wieder als bedrohlich markiert werden (El-Tayeb 2011). Die biopolitische Sorge und Förderung der einen verschränkt sich dann mit der nekropolitischen Ausgrenzung der anderen (siehe z. B. Shakhsari 2014; Alves 2018). Auch bezüglich derjenigen Menschen, die nicht vorherrschenden Normen von Schönheit, geschlechtlicher Binarität oder körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit entsprechen, bedeutet biopolitische Sorge oft Diskriminierung, Pathologisierung und gewaltsame Zurichtung der verkörperten Subjektivität (siehe z. B. McRuer 2016; Liebelt 2018). So werden etwa an Orten queerer Szenen, unter anderem durch räumliche Barrieren wie Treppen oder fehlende barrierefreie Toiletten, be-hinderte Menschen und damit differente homoerotische Kulturen und Körper ausgeschlossen (siehe Raab 2007). Aber auch intime Verbindungen wie Polygamie, Beziehungen zwischen Partner_innen unterschiedlichen Alters oder Freundschaften mit Benefits werden weiterhin als defizitär und eines erfüllten (Liebes-)Lebens unwürdig abgewertet, ebenso wie Verbindungen, die sich im Zusammenhang mit anonymem oder bezahltem Sex, mit BDSM oder Pornographie herausbilden (z. B. Rubin 2003 [1984]; Bauer 2014).

Doch zugleich tragen intime Verbindungen und ihre Verankerung in gesellschaftlichen Strukturen in Form von Institutionen, die durch Gesetze, Normen etc. abgesichert sind, dazu bei, neue Institutionen zu erschaffen, denn es zeigt sich, dass ihre Verfestigung zugleich fragil und verhandelbar ist – denken wir etwa an die aktuelle Diskussion rund um die Ausweitung der Ehe auf mehr als zwei Personen, die queere Kritik am Adoptionsgesetz oder an die Entwürfe transnationaler Bürger_innenschaft oder der Stadtbürger_innenschaft. Ebenso werden minoritäre Intimitäten auch immer wieder in Prozesse kapitalistischer Verwertung eingebunden und selektiv valorisiert, beispielsweise im Tourismusmarketing oder im Bemühen von Firmen wie IKEA oder Netflix um ein zahlungskräftiges queeres Klientel. Auch hier deuten sich bereits zahlreiche infrastrukturelle Aspekte an, die mit der Herstellung und Zirkulation von Waren und Dienstleistungen sowie der architektonischen und planerischen Festschreibung von Normen und Standards bezüglich Wohn- und Begegnungsräumen zu tun haben (siehe etwa Lopes 2017).

Damit lassen sich Berlants modes of attachment zugleich als vielschichtige gesellschaftliche „Beziehungsweisen“ im Sinne Bini Adamczaks (2017) verstehen, die innerhalb kapitalistischer Vergesellschaftung entstehen, diese aber auch unterwandern. In ihrer Beschäftigung mit kommunistischen Gesellschaftsvisionen spitzt Adamczak diese Widersprüch­lich­keit zu, indem sie „die mit dem Kapitalismus gleichursprüngliche Bezie­hungs­weise der romantischen Zweierbeziehung“ (ebd.: 273) mit „Modi soli­darischer Kollektivierung“ kontrastiert, „welche die gesellschaftlichen Trennungen etwa zwischen Produktion und Reproduktion, intimer Privatheit und politischer Öffentlichkeit nicht reproduzieren, sie aber auch nicht einseitig auflösen“ (ebd.: 283). Intimität gilt es demnach weder einfach zu affirmieren noch dem Öffentlichen unterzuordnen. Vielmehr geht es Adamczak darum, das Intime und das Öffentliche auf neue Weise zu entwerfen:

„Die revolutionäre Rekonstruktion kann nicht bei den Bezie­hungs­weisen Liebe, Markt und Familie verharren, sondern wird zu­gleich die Beziehungsweisen Staat, Bürokratie, Partei, Verein, Freundin­nen­schaft durchkreuzen, mischen, rekombinieren, kurz queeren wollen.“ (Ebd.: 285)

Dieser queertheoretische Zugang wirft auch Fragen hinsichtlich der räumlichen und infrastrukturellen Bedingungen intimer Verbindungen auf. So notiert Berlant im Anschluss an die oben zitierten Überlegungen zu den vielfältigen Verbindungsarten, dass es stets um „Räume“ geht, die „relational produziert“ werden (1998: 285). Doch handelt es sich dabei um eine eigentümliche Relationalität. Denn entstehen modes of attachment stets in einem materiellen Kontext und nehmen sie auf konkrete Dinge, Körper oder Subjekte Bezug, so lassen sie sich doch kaum auf materielle Räumlichkeiten reduzieren. Natalie Oswin und Eric Olund präzisieren die Relationalität von Intimität daher mit Verweis auf deren schwer fassbaren, „sphärischen“ Charakter:

„Doch auch wenn Intimität [...] weder feste Geografien noch Iden­ti­täten hat, so hat sie doch ihren Gegenstand, ein Gefühl des Selbst in enger Ver­bindung mit Anderen, anderen Selbsten oder anderen Dingen. In diesem Zusammenhang bewohnt das Selbst jenen schwer fassbaren Raum zwischen einem rein solipsistischen ‚Ich‘ und einem gänzlich sub­su­mierenden ‚Wir‘. Intimität ist die Sphäre, in der wir zu dem werden, was wir sind, der Raum, in dem das Selbst entsteht.“ (2010: 60)

Die „Gegenstände“ der Intimität sind für die Autor_innen also zuvorderst affektiv vermittelt, und zwar im Sinne einer verbindenden Affektivität, die eine eigene mehr-als-materielle „Sphäre“ – im Sinne eines Wirk-Bereichs oder einer Einfluss-Sphäre – hervorbringt. Denn ist Intimität konstitutiv für Subjektivität, so stellt sie zugleich Bezüge zu anderen her. Raumtheoretisch kann die Räumlichkeit intimer Relationalität mithin vielleicht am besten im Sinne dessen, was Lefebvre den „gelebten Raum“ nennt, verstanden werden – was an die oben umrissene Beschäftigung mit „lebendigen Infrastrukturen“ anschließt. Dies führt uns zur zentralen Frage dieses Gedankenspiels, die wir nun etwas konturieren möchten.

3.Städtische Infrastrukturen des Intimen

Wenn wir unter Infrastrukturen, wie oben vorgeschlagen, die Netzwerke verstehen, „die den Fluss von Waren, Menschen oder Ideen befördern und deren Austausch über den Raum hinweg ermöglichen“ (Larkin 2013: 328), in welchem Verhältnis stehen gerade die städtischen Infrastrukturen dann zu intimen Beziehungsweisen? Oder anders gefragt: Inwiefern fördern bestimmte infrastrukturelle Rahmenbedingungen – einschließlich ihrer Materialitäten, Bedeutungen und Affekte – intime Verbindungen und Beziehungsweisen oder inwiefern verhindern sie diese? Und welche Infrastrukturen fördern oder behindern welche Intimitäten und mit diesen verbundene gesellschaftliche Praxen? Einige Arbeiten der kritischen Stadtforschung haben bereits verschiedene Facetten dieser Fragen beleuchtet, auch wenn sie – speziell in der deutschsprachigen Stadtforschung – selten auf konsistentere Art und Weise bearbeitet werden.

Einen ersten bedeutsamen Aspekt stellt hier die Frage nach den materiellen, sozialen, kulturellen und symbolischen Ressourcen dar, die die Akteure möglicherweise benötigen, um bestehende Infrastrukturen überhaupt zu nutzen. Eine beharrliche Rolle für die Verfügbarkeit von Ressourcen spielen in Anlehnung an Bourdieu soziale Zuschreibungen, Herkünfte und Lebenslagen. Mit Blick auf intime Verbindungsweisen geht es hier etwa um die räumlichen Bedingungen des Wohnens und Zusammenlebens, aber auch um das Ausgesetzt-Sein gegenüber ungewünschten (oder nicht?) Formen der Intimität, etwa in beengten Transportmitteln (Alaimo 2016; Kemmer et al. 2022). Ebenso geht es um die Verfügbarkeit von Begegnungsorten und Grünräumen – etwa wenn diese im Rahmen queerer Intimitätspraktiken wie schwulem Cruising angeeignet werden (siehe Seymour 2018) – oder auch um Infrastrukturen der Fürsorge, etwa in Gesundheits- oder Bildungsbelangen (Schuster/Volkmann 2019). Wie sind die Ressourcen zur Nutzung und Aneignung derartiger Infrastrukturen gesellschaftlich verteilt? Wie können sie individuell oder kollektiv erlangt, vermehrt und geteilt – und wie gerechter verteilt – werden? Und inwiefern stehen Formen städtischen Regierens einer derartigen Umverteilung entgegen? Werden diese Fragen zentriert, so kann der Blick auf „infrastrukturelle Ungleichheit“ auch dabei helfen, „den Neoliberalismus in der Analyse der strukturierenden Kontexte für intime Beziehungen zu spezifizieren“, wie Ara Wilson (2016: 273) schreibt.

Direkt damit verbunden ist die Frage nach dem Regieren von Intimität und ihren Infrastrukturen. Denn bringt Intimität einerseits gelebte Räumlichkeiten hervor, bei denen Fantasien und Begehren eine wesentliche Rolle spielen, so ist sie andererseits ein „Schauplatz zum Ordnen von Bevölkerungen“ (Oswin/Olund 2010: 62). Zugleich werden auch gerade Infrastrukturen gouvernementalen Rationalitäten unterworfen, sollen sie doch das Regieren und seine Ziele zum Ausdruck bringen (Larkin 2013). Wie Larkin mit Bezug auf Achille Mbembe betont, geht es dabei nicht allein um die Funktionalität von Infrastrukturen, sondern häufig zuvorderst um die mit infrastrukturellen Projekten verbundenen politisch-ökonomischen Netzwerke und symbolischen Effekte. Wie werden also Infrastrukturen der Intimität regiert, und auf welche Netzwerke, Effekte und Beziehungsweisen zielt das Regieren ab?

Die Fragen der Ressourcen und des Regierens stehen auch im Zu­sam­men­hang mit jener nach der Nutzung und Aneignung von Infrastrukturen, also welche Infrastrukturen städtischer Intimität die Akteure in einem durch Ungleichheit strukturierten Kontext vorfinden, welche sie neu anstreben und erschaffen und wie sie diese be-leben, (um-)nutzen, instand setzen oder transformieren.

Interessant sind dabei auch solche Formen von Intimität, die verschiedene Maßstabsebenen, zum Beispiel medial vermittelt, überschreiten und ohne direkte Kopräsenz und körperliche Nähe auskommen. Oswin und Olund (2010) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Dynamisierung (unfixing) von scale für Debatten um Intimität an der Schnittstelle von queeren, feministischen und postkolonialen Diskursen eine bedeutsame Rolle spielt (siehe auch Povinelli 2006; Pratt/Rosner 2012). Intime Beziehungen werden hier nicht einfach als synonym mit dem Körper oder einem geteilten Haushalt verstanden, sondern als Teil weiter gespannter gesellschaftlicher Gefüge. In diesem Sinne kann etwa der mütterliche Schoß als Teil vergeschlechtlichter, multiskalarer „Schoßverhältnisse“ verstanden werden, an die nicht nur mutter-kindliche Intimität, sondern zugleich gesellschaftliche Großprojekte bis hin zur civilising mission des britischen Empire geknüpft sind (Hutta 2019a). Zudem weisen Oswin und Olund die Gleichsetzung von Intimität und physischer Nähe zurück: „Vielmehr können die von Intimität (auch unerwünscht) gebotenen Gefühle der Nähe und Zugehörigkeit auch über große Entfernung erzeugt werden, derweil Isolation und Entfremdung auch sehr nah sein können.“ (Oswin/Olund 2010: 60) Daran anschließend wäre zu fragen, welcher infrastrukturellen Vermittlung es bedarf, um Intimitäten wechselseitig über verschiedene räumliche Ebenen hinweg zu knüpfen und aufrechtzuerhalten und wie Machtverhältnisse mit diesen Prozessen verschränkt sind.

Wie produzieren die Akteure durch ihre Beziehungsweisen aber auch ganz neue, experimentelle Infrastrukturen – und wo und wann gewinnen Materialitäten und Verbindungen überhaupt infrastrukturellen Charakter? Anknüpfend an Berlants Überlegungen zum volatilen Charakter von Intimität wären hier auch die Rückwirkungen auf Infrastrukturen, die von intimen Beziehungsweisen ausgehen, genauer in den Blick zu nehmen: Was fügen die Menschen in ihrem Streben nach intimen Verbindungen hinzu, was entfernen oder ignorieren sie? Welche Affekte – Angst, Scham, Hoffnung, Lust … – befördern oder behindern die Erschaffung von Infrastrukturen und welche Atmosphären werden gemieden oder angestrebt (Ahmed 2014; Hutta 2019b)? Wie werden Infrastrukturen selbst affektiv besetzt? Welche Intimitäten und deren Infrastrukturen weisen die Akteure andererseits zurück, wo kommt es also zu Kollisionen mit dem vorgefundenen infrastrukturellen Inventar?

Dies führt auch zu Fragen rund um die Materialität und Historizität von Infrastrukturen der Intimität. Letztere haben stets eine materielle Komponente, die einerseits vergänglich ist, andererseits aber durch gesellschaftliche Praxis (re-)produziert wird und sie dadurch verfestigt. Zu diesem Verhältnis von Vergänglichkeit zu gesellschaftlichen (Re-)Pro­duk­tions­ver­hältnissen haben Arbeiten rund um verlassene und dys­funk­tio­nale Infrastrukturen interessante Beiträge geleis­tet (z. B. Eden­sor 2005; Pohl 2021). Dabei haben sie etwa auf die „affektive Auf­ladung“ großflächiger Infrastruktur-Ruinen hingewiesen, deren Zukunftsversprechen auch lange nach ihrem scheinbaren Ableben noch fühlbar bleiben – oder aber von neuen Affekten und Gefühlen überlagert werden (Schwenkel 2018).

Auch im Hinblick auf Infrastrukturen der Intimität drängt sich die Frage danach auf, wie die Akteure bestimmte Bruchstücke aus der infrastrukturellen Vergangenheit übernehmen, was sie erinnern und bewahren und welche Elemente sie verdrängen, zerstören und vergessen. Bezüglich der daraus resultierenden Historizität von Infrastrukturen notiert Berlant: „Menschen und/in Institutionen können immer wieder zu ihnen [den Räumen] zurückkehren und etwas produzieren, wenn auch häufig nicht Geschichte in ihrem gewöhnlichen, erinnerungswürdigen oder wertgeschätzten Sinne und nicht immer ‚etwas‘ von positivem Wert.“ (1998: 285) Welchen intimen Verbindungsweisen verhelfen Infrastrukturen also zu erinnerungswürdiger Historizität – welche Geschichten bleiben subaltern?

Diese Fragen laden auch dazu ein, gesellschaftlich-intime Wünsche, Begehren und Bedürfnisse genauer in den Blick zu nehmen. Die Diskussion rund um lebendige Infrastrukturen hat gezeigt, dass etwa „Straßen und Bahnstrecken […] nicht nur technische Objekte [sind], sondern auch auf der Ebene von Fantasie und Begehren operieren“ (Larkin 2013: 333). So verkörpern und vermitteln sie „die Träume von Individuen und Gesell­schaf­ten“, wie Larkin (ebd.) weiter ausführt. Doch um wessen Fantasien geht es hier konkret? Welchen Träumen gelingt es, sich zu materialisieren, welche verbleiben im Reich der Fantasie? Diese Fragen verweisen erneut auf den oft prekären und fragmentarischen Charakter intimer Beziehungsweisen. Wie Ben Campkin (2021) zeigt, sind etwa die Infrastrukturen von Londoner LGBTQ+-Communities immer wieder großmaßstäblichen Infrastrukturprojekten des Straßen- oder Bahnhofsbaus oder des Konsums zum Opfer gefallen. Andererseits „durchkreuzen und unterbrechen“ queere Infrastrukturen immer wieder „internationale Verbindungslinien von Besitz, Erbe und Identität in Prozessen sozialer und kultureller Reproduktion“ (Campkin 2021: 82). Gerade minoritäre Akteure siedeln intime Beziehungsweisen immer wieder in den Nischen kapitalistischer Raumproduktion an – wobei sie hegemoniale Intimitätsräume zugleich beständig irritieren. Besonders deutlich wird dies an Formen queerer Umnutzung, also etwa, wenn öffentliche Toiletten zu Orten des schwulen Cruising werden und damit „die Landschaft für intime Verbindungen“ verändern (Wilson 2016: 273). Wie Gavin Brown (2008) zeigt, wird dabei auch die Materialität von Keramik und Kacheln in neue Gefüge des Begehrens eingewoben. Indem die gegebene Infrastruktur derart umgenutzt wird, ermöglicht sie zugleich die Herausbildung einer neuen kollektiven „Sphäre“, um Oswins und Olunds Beschreibung intimer Räumlichkeit aufzugreifen. Dabei kann die intime Beziehungsweise auch nicht mehr der Anonymität der Stadt entgegengesetzt werden, da Anonymität die intime Verbindung in diesem Fall gerade hervorbringt.

Bei all diesen Aspekten spielen Fragen nach Macht, Ungleich­heit und gesell­schaftlichen Normen eine wesentliche Rolle. So weist Ann Laura Stoler darauf hin, dass die Erkundung von Intimität nicht bedeutet, sich von Herrschaftsstrukturen abzuwenden, „sondern ihre Möglichkeitsbedingungen, Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse neu zu verorten“ (2006: 13). Dies hat auch für die Infrastrukturen der Intimität zu gelten. Sie und ihre unterschiedlichen Beschaffenheiten sind unmittelbar Ergebnis der machtvollen gesellschaftlichen Bedingungen, die es ihnen ermöglichen, Stabilität zu erlangen – oder eben nicht. Der Aufbau der einen und nicht der anderen Infrastruktur steht somit immer in einem Wechsel­­ver­hältnis mit Pro­zessen der Margi­nalisierung und Prekarisierung bestimm­­ter Sub­jekte und Lebens­weisen. Infrastrukturen intimer Ver­bin­­dung können daher auch Formen von Gewalt, Diskriminierung und Bedrohung ermöglichen und intensivieren (Wilson 2016). So haben femi­nis­tische Stadtforscherinnen entgegen der hegemonial gewordenen Erzählung über Angsträume im öffentlichen Raum gerade intime Räume des persönlichen Nahraums wie die Wohnung als besonders gefährlich hervorgehoben, da hier gewaltvolle Beziehungen besonders gut verdeckt werden können (Becker 2004). Lauren Berlant hat diesen Aspekt beim Hinweis auf die politische Dimension im Blick, die Infrastrukturen immanent ist: Sie organisieren die Ungleichheiten und Ambivalenzen, die Gewalt und die Kontingenz der zeitgenössischen Realität (Berlant 2016: 394). Durch die Brille einer infrastrukturbezogenen Analyse können wir auch das, was wir gewöhnlich als strukturell unumstößlich in Zeit und Raum eingeschrieben und damit als gegeben betrachten, anders sehen – nämlich als Verbindung von Macht und Bedeutung in Bewegungsmustern, die nur aus einiger Entfernung stabil ist: „Objects are always looser than they appear.“ (Ebd.) In diesem Sinne lädt das Nachdenken über Strukturen und Infrastrukturen dazu ein, über transformative Perspektiven sozialer Infrastruktur zu reflektieren.

Schließlich möchten wir die Frage nach der Politik von Infrastrukturen der Intimität stellen. Einen Ausgangspunkt zu dieser Frage bietet Donna Haraways Konzept der „attachment sites“ (2007: 41), das die relationale Räumlichkeit intimer Verbindung adressiert. Attachment sites können wir als Menschen, Kollektivitäten, Orte, Spezies, Dinge oder Ökologien verstehen, um die wir uns sorgen, da wir zu ihnen affektive Verbindungen eingehen – wenn auch auf sehr unterschiedlichen Maßstabsebenen. Und indem wir derartige Verbindungen herstellen, werden wir auf die ein oder andere Weise Teil von Veränderungsprozessen: „attachment sites […] redo everything they touch“ (ebd.). Diese Veränderungen werfen ethische und politische Fragen auf: In welches Verhältnis setzen wir uns etwa zu den Ressourcen und Nutzungsformen rund um Infrastrukturen der Intimität, zu deren Historizität und den mit ihnen verbundenen Begehren, zu Formen der Macht und des Regierens? Wenn Infrastrukturen der Intimität einerseits vermachtet sind, andererseits aber aus flüchtigen Raumproduktionen her­vor­gehen, die nur selektiv Eingang in Geschichtserzählungen finden, so sind wir als kritisch Stadtforschende aufgefordert, uns bezüglich dieser politischen Fragen zu verorten.

sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung

2022, 10(2/3), -113

doi.org/10.36900/
suburban.v10i2/3.819

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Debatte zu:

Jan Hutta, Nina Schuster:
„Infrastrukturen
städtischer Intimität“

Kommentare von:

Benno Gammerl, Laura Kemmer, Jenny Künkel, Elisabeth Militz, Lucas Pohl, Sarah Schilliger

Replik von:

Jan Hutta, Nina Schuster

Anhang

Die Technische Universität Dortmund unterstützt die Publikation dieses Beitrags durch eine institutionelle Vereinbarung zur Finanzierung von Publikationsgebühren.

Endnoten

[1] Alle Übersetzungen aus englischen Originalen sind von den Autor_innen dieses Texts.

[2] Diese Gegenöffentlichkeiten können als partikulare öffentliche, nicht private Räume verstanden werden, die sowohl der Meinungsbildung als auch der Herausbildung und Inszenierung sozialer Identitäten dienen. In diesen Gegenöffentlichkeiten werden dabei eigene Regeln, Praktiken und alternative Lebensvorstellungen kultiviert, und es gelten andere Vorstellungen darüber, was sagbar ist und was nicht (Warner 2002: 56).

Autor_innen

Jan Hutta ist Geograph und beschäftigt sich mit räumlichen Formationen von Macht und Citizenship sowie queeren Politiken, u. a. im brasilianischen Kontext.

jan.hutta@uni-bayreuth.de

Nina Schuster ist Soziologin und forscht zu Stadt, Raum und sozialer Ungleichheit, Differenz und Konflikt, oft mit queer/feministischen Methodologien.

nina.schuster@tu-dortmund.de

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