Der Beitrag skizziert die Perspektive einer angewandt-kritischen Wohnungsforschung, welche auf (1) die kooperative Entwicklung von Fragestellungen mit außeruniversitären Akteuren, (2) partizipative Forschungsprozesse mit zivilgesellschaftlichen Initiativen, (3) die Verbindung von wissenschaftlichem Erkenntnisstreben und politischer Praxis im Sinne einer Aktions- beziehungsweise Transformationsforschung sowie (4) breit aufgestellte Publikationsstrategien abzielt. Argumentiert wird dabei, dass ein solcher Zugriff eine gegenstandsangemessene Forschung insbesondere in Hinblick auf prekäre Wohnverhältnisse und wohnungspolitische Kämpfe erlaubt, die praxisorientierte und gesellschaftspolitisch relevante Ergebnisse zu liefern verspricht. Zudem kann ein solcher Ansatz spezifische forschungsethische Probleme vermeiden und in methodischer Hinsicht die Qualität der Datenerhebung verbessern. Die Überwindung der Distanz zwischen Theorie und Praxis sowie die transparente normativ-politische Positionierung ermöglichen es darüber hinaus, Forschungsprozesse stärker auf die Transformation bestehender Machtverhältnisse auszurichten.
An English abstract can be found at the end of the document.
„Each with one foot in academia and one foot in local communities (in a form of situated solidarity), we jointly consider the obligation of the academic world to place its insights at the disposal of communities its members have studied.“ (Herzfeld/Lees 2021: 291)
Angesichts der Rückkehr der Wohnungsfrage gewinnen prekäre Wohnverhältnisse und soziale Kämpfe um das Wohnen gegenwärtig als Forschungsthemen an Bedeutung. Methodische Zugriffe der empirischen Sozialforschung, die sich diesen Themen mit quantitativen oder qualitativen Methoden „von außen“ zuwenden, sind dabei – wie wir im Weiteren konkreter darlegen – mit verschiedenen forschungspraktischen Problemen und forschungsethischen Herausforderungen konfrontiert. Davon ausgehend, möchten wir in diesem Beitrag unter Rückgriff auf Ansätze einer „Angewandten Kritischen Geographie“ (Kuge et al. 2020) die Perspektive einer angewandt-kritischen Wohnungsforschung umreißen und aufzeigen, warum und inwiefern ein solches methodisches Vorgehen insbesondere im Kontext prekärer Wohnverhältnisse und wohnungspolitischer Kämpfe eine gegenstandsangemessene Forschungspraxis erlaubt, die durch ihre Perspektive „von innen“ zugleich praxisorientierte und gesellschaftspolitisch relevante Ergebnisse zu liefern verspricht.
Als Angewandte Kritische Geographie (AKG) haben Kuge et al. (2020) eine Forschungsperspektive skizziert, die – ausgehend von den Interessen und der Lebenswirklichkeit subalterner sozialer Gruppen – Probleme aus der Praxis zivilgesellschaftlicher Akteure aufgreift und in einer dialogisch ausgerichteten Form der Wissensproduktion mit wissenschaftlichen Theorien und Methoden bearbeitet, um Handlungsoptionen aufzuzeigen und Ergebnisse hervorzubringen, die wiederum auch für eine breitere Öffentlichkeit relevant sind. Der Begriff „kritisch“ bezieht sich dabei auf den Anspruch, Wissen für und mit Akteuren und Initiativen zu produzieren, die innerhalb bestehender gesellschaftlicher Machtverhältnisse nicht von einer dominanten Position aus sprechen können, sondern als subaltern zu bezeichnen sind. Als subaltern werden gesellschaftliche Gruppen benannt, die in ihren Möglichkeiten, sich öffentlich politisch zu artikulieren und ihre Interessen kollektiv zur Geltung zu bringen, stark eingeschränkt sind. Bezogen auf Fragen der Wohnungs- und Gentrifizierungsforschung sind dies in erster Linie Menschen und Haushalte in prekären Wohnverhältnissen, die von Verdrängung bedroht sind, in Substandardwohnungen leben und allgemein von Wohnungsnot betroffen sind. Diese gesellschaftlich marginalisierten Gruppen stehen in der Regel außerhalb des herrschenden Diskurses und können im Gegensatz zu gesellschaftlichen Eliten, Lobbyverbänden der Immobilienwirtschaft und anderen ressourcenstarken Akteuren auf wohnungspolitische Entscheidungen meist kaum Einfluss nehmen. Im Kontext der gegenwärtigen Wohnungskrise nimmt eine derartige Perspektive Problemstellungen in den Blick, die insbesondere an den Erkenntnisinteressen mietenpolitischer Bewegungen und stadtpolitischer Initiativen ansetzen. Beispielsweise geraten dadurch Fragen in den Fokus, wie einkommensarme Haushalte Verdrängungsprozesse und prekäre Wohnverhältnisse erleben, welche konflikthaften Bleibestrategien Verdrängung verhindern können oder inwiefern es einer Wissensproduktion „von unten“ gelingen kann, wohnungspolitische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen oder die politische Organisierung subalterner Gruppen zu stärken. Angewandt ist eine solche Forschung somit, weil sie „wissenschaftliches Erkenntnisstreben unmittelbar mit Problemstellungen und Relevanzen der Praxis“ (Nuissl 2012: 13) verknüpft.
Im Folgenden werden wir die Perspektive der Angewandten Kritischen Geographie, die auf partizipativen Forschungstraditionen der Sozialwissenschaften aufbaut (Flick/Herold 2021), methodisch für Fragen der Wohnungsforschung konkretisieren. Eine solche Herangehensweise erachten wir aus dreierlei Gründen für hilfreich: Erstens ist in jüngerer Zeit eine Zunahme an empirischen Forschungsprojekten zu Verdrängung zu beobachten, die den Fokus auf die Betroffenen richten beziehungsweise von subjektiven Perspektiven und Erfahrungen subalterner Bewohner*innen ausgehen (Künstler/Schipper 2021; Meuth/Reutlinger 2021; Rinn/Wehrheim/Wiese 2022). Eine angewandt-kritische Wohnungsforschung setzt genau an diesem Erkenntnisinteresse an und eröffnet Wege, sich gegenstandsangemessen derartigen Fragestellungen zu nähern. Die Forschung auf die Erkenntnisinteressen von Mieter*innen und die politischen Kämpfe und Artikulationsbegehren wohnungspolitischer Initiativen auszurichten, macht es, so unsere These, wahrscheinlicher, Forschungsfragen von gesellschaftlicher Relevanz zu stellen, einen tatsächlichen Erkenntnisgewinn für die politische Praxis zu erzielen und zum Kern des betrachteten Problems vorzudringen (Gibbons et al. 2020).
Zweitens kann eine angewandt-kritische Forschungsperspektive auf prekäres Wohnen und die damit verbundenen politischen Kämpfe dem forschungsethischen Problem begegnen, Betroffene – oft: marginalisierte Haushalte – als Wissensträger*innen für die eigene akademische Karriere auszubeuten. Durch die kooperative Bezugnahme auf und die gelebte Solidarität mit subalternen Akteuren stellt eine angewandt-kritische Wohnungsforschung vielmehr Reziprozität her, indem zum Beispiel Ergebnisse produziert werden, die auch für die Beforschten selbst von Interesse sind und in deren politischer Praxis unterstützend wirken (Herzfeld/Lees 2021).
Drittens wird die bis dato relativ vernachlässigte Rolle von Studien zu prekären Wohnverhältnissen im Kontext der Gentrifizierungsforschung auch auf forschungspraktische Herausforderungen zurückgeführt (Baeten et al. 2021; Helbrecht 2016). Erfahrungsgemäß beteiligen sich insbesondere marginalisierte soziale Gruppen, die am unmittelbarsten von Verdrängungsprozessen, Wohnungsnot und prekären Wohnverhältnissen betroffen sind, deutlich weniger an quantitativen Befragungen oder qualitativen Interviews empirischer Sozialforschung. Die Bereitschaft, für Forschungszwecke Auskunft über die eigene Lebens- und Wohnsituation zu geben, ist hier tendenziell gering, sodass die Perspektiven der entsprechenden Gruppen in den Ergebnissen meist unterrepräsentiert bleiben. Eine angewandt-kritische Perspektive bietet diesbezüglich produktive Anknüpfungsmöglichkeiten, um derartigen Herausforderungen auf methodischer und forschungspraktischer Ebene zu begegnen (Thurber et al. 2020).
Allerdings erfordert eine Wohnungsforschung, die nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen anstrebt, sondern im Sinne einer praxisorientierten Wissenschaft den emanzipatorischen Anspruch formuliert, bestehende Ungleichheiten überwinden zu wollen, eine politisch-normative Positionierung seitens der Forschenden (Pain/Cahill 2022). Die hier skizzierte Perspektive einer angewandt-kritischen Wohnungsforschung leistet genau dies, weil sie den eigenen politisch-normativen Standpunkt transparent macht und explizit von diesem Anspruch ausgehend Forschungsfragen, Forschungsprojekte und Publikationsstrategien entwickelt.
Im Folgenden werden wir, aufbauend auf eigenen Forschungsprojekten in Frankfurt am Main sowie der Rezeption partizipativer Ansätze aus der internationalen Wohnungsforschung, vier methodische und forschungspraktische Implikationen ins Zentrum rücken, die für eine angewandt-kritische Wohnungsforschung zu prekären Wohnverhältnissen sowie zu stadt- und wohnungspolitischen Kämpfen wesentlich sind:
Abschließend werden wir die Potenziale und Herausforderungen, die mit einer angewandt-kritischen Wohnungsforschung einhergehen, diskutieren (Abschnitt 5).
Eine angewandt-kritische Wohnungsforschung zielt erstens darauf ab, wissenschaftliche Fragestellungen zu formulieren und Forschungsprojekte zu konzipieren, die auch für marginalisierte Gruppen und für die mit ihnen verbundenen Akteure sozialer Bewegungen oder zivilgesellschaftlicher Initiativen von Interesse sind und die diese nicht ohne Weiteres selbst zu beantworten vermögen (Kuge et al. 2020; Schipper 2018: 127 ff.; Volmer 2020). Dementsprechend werden Fragestellungen nicht primär entlang wissenschaftlicher Debatten und Forschungslücken formuliert, sondern stärker bezogen auf Erkenntnisinteressen entwickelt, wie sie etwa von stadt- und mietenpolitischen Bewegungen artikuliert werden (Derickson/Routledge 2015; Herzfeld/Lees 2021). Es geht also darum, „that we can produce research agendas and knowledges that do not merely address what is theoretically exciting or trendy here, but also what is considered politically imperative by the communities we work with or are committed to over there“ (Oldfield 2015: 2073). Im Kontext der Wohnungsforschung umfasst dies beispielsweise Problemstellungen
(1) zu den Funktionsweisen einer kapitalistischen Wohnungsversorgung unter Bedingungen von Neoliberalisierung und Finanzialisierung – etwa Untersuchungen zu den konkreten Geschäftspraktiken der finanzialisierten Wohnungswirtschaft (Unger 2018),
(2) zu den Auswirkungen der Wohnungskrise (Mießner 2020) beziehungsweise der Frage, wie einkommensarme Haushalte Verdrängungsprozesse, Prekarität und Wohnungsnot erleben (Rinn/Wehrheim/Wiese 2022; Schipper 2021; Valli 2015),
(3) zu Herausforderungen politischer Mobilisierung und Organisierung von Mieter*innen (Genz 2020; Hurlin et al. 2021; Polanska/Rolf/Springfeldt 2021; Steenblock/Petzold 2021) – also etwa dazu, wie es gelingen kann, dass auch marginalisierte Gruppen, die am unmittelbarsten von Wohnungsnot, Verdrängung und steigenden Mieten betroffen sind, ihre Interessen kollektiv artikulieren (Ferreri 2020; Künstler/Schipper 2021) – oder
(4) zur Reflexion der Wirkmächtigkeit politischer Interventionen – also der Frage, inwiefern Bleibestrategien, die auf konflikthafte Aushandlungsprozesse mit der Vermieterseite abzielen, Verdrängung verhindern können (Vollmer 2018) oder wie es für eine soziale Bewegung möglich ist, „von unten“ Einfluss auf wohnungspolitische Entscheidungsprozesse zu gewinnen (Schipper 2018).
Eine Herangehensweise, die derartige und weitere ähnliche Fragestellungen kooperativ entwickelt, erleichtert unserer Erfahrung nach zum einen die Konzeption gegenstandsangemessener Forschungsdesigns. Forschungskonzepte hingegen, die etwa zu den oben genannten Problemstellungen aus einem rein akademischen Kontext heraus formuliert werden, laufen im Vergleich dazu eher Gefahr, gesellschaftspolitisch relevante Fragestellungen zu übersehen. Dies wäre etwa der Fall, wenn die beforschten Akteure die Fragen ohne Weiteres selbst beantworten können oder selbige keinerlei Bedeutung für sie entfalten. Die ernsthafte Einbindung außeruniversitärer Kooperationspartner*innen, die als Expert*innen ihrer Lebensumstände bereits über ein vertieftes Verständnis ihres Gegenstandes (Halder 2018; Kindon/Pain/Kesby 2010) und womöglich über Erfahrungen mit prekären Wohnverhältnissen, den Herausforderungen politischer Organisierung oder Strategien der Gegenmacht verfügen, vermag es dagegen, solche Tendenzen zu korrigieren. Dementsprechend unterstreicht etwa Sophie Oldfield (2015: 2074), ausgehend von ihren Erfahrungen mit bewegungsnaher Forschung in Kapstadt:
„Theory uninformed by and isolated from social movement struggles is more likely to be sterile and less likely to capture the vibrant heart and subtle nuances of movement efforts. Theorists without significant connections to social movements can end up constructing elegant abstractions with very little real insight or utility.“
Zum anderen ist eine kooperative Entwicklung von Forschungsfragen auch in forschungsethischer Hinsicht vorteilhaft. Insbesondere in Kontexten prekärer Lebens- und Wohnverhältnisse, aber auch in der Zusammenarbeit mit stadt- und wohnungspolitischen Initiativen stehen Forschende häufig vor dem Dilemma, ihre beforschten Akteure lediglich als Datenquellen und Forschungsmaterial für die eigenen akademischen Ambitionen einzuspannen (Herzfeld/Lees 2021; Pain 2003; Polanska/Rolf/Springfeldt 2021). Verbunden ist damit ein unter Umständen nicht ganz unbegründetes Unbehagen, Menschen in schwierigen Lebenslagen oder zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen, die in beiden Kontexten erfahrungsgemäß über wenig Ressourcen und wenig Zeit verfügen, dadurch ein Stück weit auszunutzen. Die kooperative Entwicklung von Fragestellungen beugt diesem Phänomen vor, da eine solche Herangehensweise akademische Ressourcen nutzt, um letztlich Ergebnisse zu produzieren, die auch für die Beforschten selbst relevant sind und für sie einen Erkenntnisgewinn versprechen, welcher womöglich sogar in den entsprechenden sozialen Kämpfen unterstützend wirkt (Thurber et al. 2020).
Grundvoraussetzung für die Entwicklung bewegungsnaher Forschungsfragen ist es, die Distanz zwischen akademischer Forschung und zivilgesellschaftlichen Akteuren zu überwinden und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen (Genz 2020; Lees/Robinson 2021; Schipper 2018: 128). Eine sich als dialogisch und reziprok verstehende Wissensproduktion vermag es, Fragestellungen zu generieren, die auch im außerakademischen Kontext von Relevanz sind.
Beispielhaft soll im Folgenden ein solches Vorgehen anhand einer Studie reflektiert werden, in deren Rahmen wir zwei Vonovia-Siedlungen im Frankfurter Stadtteil Gallus im Hinblick auf Sozialstruktur, Mietbelastung und Verdrängungsprozesse untersucht haben (Schipper 2021). In beiden traditionellen Arbeitersiedlungen waren zum Zeitpunkt des Beginns der Studie schon seit mehreren Jahren zwei Initiativen betroffener Mieter*innen sowie die Stadtteilgruppe Solidarisches Gallus aktiv, die sich gegen die vernachlässigte Instandhaltung, drohende Modernisierungsmieterhöhungen und den Verdrängungsdruck durch die Vonovia engagieren. Da beide Autor*innen dieses Beitrags schon seit Längerem in stadtpolitischen Vernetzungen in Frankfurt aktiv sind, bestand bereits ein zumindest loser Kontakt zu den drei genannten Initiativen. Erst angesichts dieser sozialen Nähe konnte die Idee Gestalt annehmen, universitäre Ressourcen zu nutzen, um in den beiden Siedlungen eine wissenschaftliche Untersuchung zu den kleinräumigen Verdrängungsprozessen durchzuführen.
Mit dem Vorgehen war von Anfang an die gemeinsame Perspektive und Hoffnung verbunden, die gewonnenen Ergebnisse später in öffentlichen Auseinandersetzungen als Instrument im Kampf gegen die Verschlechterung der Wohnverhältnisse nutzen zu können. In dem kollaborativen Austausch sind letztlich drei Fragestellungen entstanden:
Die anschließende Konzeption des methodischen Forschungsdesigns, welches eine quantitativ-statistische Befragung mit qualitativen Leitfadeninterviews verbindet, sowie die spätere Auswertung des empirischen Materials erfolgten ausschließlich im universitären Kontext. Die stadtpolitischen Initiativen hatten allerdings erheblichen Anteil am Erfolg der Datenerhebung beziehungsweise an der hohen Rücklaufquote, da sie in den Siedlungen auf die anstehende Umfrage hingewiesen und zur Teilnahme motiviert, Fragebögen vor Ort in Empfang genommen sowie bei der Simultanübersetzung in verschiedene Sprachen geholfen hatten. Für eine Wohnungsforschung, die die Perspektive von Verdrängten und prekär Lebenden in den Blick nehmen möchte, empfiehlt es sich daher in methodischer Hinsicht ungemein, die kooperative Zusammenarbeit mit Mieterinitiativen und anderen lokal verankerten zivilgesellschaftlichen Akteuren zu suchen, da so auch marginalisierte soziale Gruppen erreicht werden können, die sich sonst nur stark unterrepräsentiert an empirischen Erhebungen beteiligen.
Im Ergebnis kann die Studie zeigen, dass die Haushalte in beiden Siedlungen im Hinblick auf die Sozialstruktur der Bewohner*innen existenziell auf den Erhalt von preisgünstigem Wohnraum angewiesen, die Wohnkosten und Mietbelastungsquoten allerdings in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind. Aufgrund umfassender Modernisierungen werden die Mieten auch zukünftig weiter steigen, sodass knapp 60 Prozent der Mieter*innen sich die Wohnkosten nach Abschluss der Bauarbeiten nicht mehr leisten werden können. In Konsequenz müssen die Haushalte in anderen Lebensbereichen deutlich sparen, was einer Verdrängung aus dem schon jetzt oft prekären Lebensstandard gleichkommt, oder ihnen droht eine direkte Verdrängung aus ihrer Wohnung und dem Stadtteil (Schipper 2021). Im Anschluss an die Studie haben wir die Ergebnisse mit Unterstützung der Mieter- und Stadtteilinitiativen im stadtpolitischen Kontext öffentlich gemacht. Konkret sind die Erkenntnisse in Form einer in den Siedlungen verteilten Broschüre kommuniziert, in einer öffentlichen Sitzung des Ortsbeirats vorgestellt sowie mittels einer Pressemitteilung breit publiziert worden. In Reaktion auf Letztere gab es zahlreiche Interviewanfragen von Print-, Radio- und Fernsehmedien, die von uns Forschenden und den Mieterinitiativen genutzt werden konnten, um auf die prekären Wohn- und Lebensverhältnisse der Mieter*innen im Gallus und das Agieren der Vonovia als Eigentümerin aufmerksam zu machen.
Zusammenfassend ist es also gelungen, eine Fragestellung zu formulieren und zu bearbeiten, die auch für die Mieter- und Stadtteilinitiativen relevant ist, und Ergebnisse hervorzubringen, die den zivilgesellschaftlichen Akteuren in ihrem Kampf um öffentliche Anerkennung und gegen Verdrängungsprozesse Unterstützung bieten. Zugleich hat das kooperative Vorgehen in methodischer Hinsicht eine repräsentative Datenerhebung möglich gemacht, da sich auch prekär Wohnende und marginalisierte Haushalte in großem Umfang an der Erhebung beteiligt haben; also auch soziale Gruppen erreicht werden konnten, die in der empirischen Sozialforschung ansonsten häufig unterrepräsentiert sind.
Als ambivalent ist jedoch die politische Wirkmächtigkeit einer solchen Forschungspraxis zu bewerten, was wiederum Potenzial für Enttäuschungen birgt. Denn obschon die gesellschaftliche Sprecherposition der Wissenschaft es erlaubt, in öffentliche Diskurse hörbar zu intervenieren, dort die Narrative der (potenziell) Verdrängten mit empirischen Erhebungen zu untermauern und Aufmerksamkeit für die Lebensverhältnisse subalterner Gruppen zu generieren, ist der Einfluss der Wissenschaft auf politische oder betriebswirtschaftliche Entscheidungen doch marginal. Anders ausgedrückt, kann eine angewandt-kritische Wohnungsforschung Öffentlichkeit herstellen und in Kämpfe um Hegemonie eingreifen, aber sie kann Verdrängungsprozesse nicht verhindern, wenn sich im Kontext ökonomischer Interessengegensätze Politik und – wie im Gallus der Fall – börsennotierte Konzerne angesichts ihrer Renditeorientierung verhärtet zeigen. Wichtig erscheint uns daher, schon zu Beginn der kooperativen Praxis klar zu kommunizieren, was eine angewandt-kritische Wissenschaft zu leisten vermag und wo ihre Grenzen liegen, um Missverständnisse zu verhindern und überzogene Erwartungshaltungen seitens partizipierender Mieter*innen und zivilgesellschaftlicher Initiativen zu dämpfen. Zudem kann der Herausforderung potenzieller Enttäuschungen auch begegnet werden, indem die gemeinsame Forschungspraxis zugleich mit Strategien der politischen Organisierung zum Aufbau einer kollektiven Handlungsmacht verbunden wird. Erfahrungen, die in eine solche Richtung gehen, werden im folgenden Abschnitt reflektiert.
Über die kooperative Entwicklung von Forschungsfragen hinausgehend, verfolgt eine angewandt-kritische Wohnungsforschung zweitens Forschungsstrategien, die noch stärker auf eine gemeinsame Forschung mit Akteuren sozialer Bewegungen oder zivilgesellschaftlicher Initiativen setzen. In Anlehnung an methodische Ansätze partizipativer Forschung (Fals-Borda 1987; Flick/Herold 2021; McIntyre 2008; Pain 2003) umfasst dies Forschungskonzepte, bei denen außerakademische Akteure als eigenständige Kooperationspartner*innen in sämtliche Phasen des Forschens von der Entwicklung der Fragestellung über die Datenerhebung, -auswertung und -interpretation bis hin zur späteren Dissemination der Ergebnisse integriert werden (Barbarino 2021; Kindon/Pain/Kesby 2010; Thurber et al. 2020). Die traditionell lediglich Beforschten werden so zu eigenständigen Subjekten im Forschungsprozess und zu Koproduzent*innen akademischen Wissens; gleichzeitig sind die Betroffenen selbst an einer für sie praxisrelevanten Wissensproduktion unmittelbar beteiligt.
Beispielhaft möchten wir im Folgenden ein partizipatives Mappingprojekt vorstellen, das aus einer selbstorganisierten Vernetzungsinitiative von Mieter*innen des börsennotierten Wohnungskonzerns Vonovia SE in Frankfurt hervorgegangen ist. Angesichts einer Vielzahl von Konflikten mit dem Konzern, die in jüngerer Zeit in verschiedenen Frankfurter Siedlungen zur Entstehung von Mieterinitiativen geführt haben, hat sich im Herbst 2019 erstmalig ein offener Kreis von betroffenen und politisch aktiven Vonovia-Mieter*innen gegründet. Ziel ist es gewesen, sich zukünftig stadtweit regelmäßig über Probleme im Wohnalltag – etwa im Kontext von energetischen Modernisierungen, drohenden Mieterhöhungen und falschen Nebenkostenabrechnungen – sowie mögliche Strategien gegen derartige Praktiken auszutauschen. Organisiert und begleitet worden sind die Zusammenkünfte von einem solidarischen Aktivisten, einem Sozialarbeiter sowie der Autorin dieses Beitrags. Mit dem Anspruch, die regelmäßigen Treffen zu einer stadtweiten Plattform für eine langfristig angelegte Vernetzung von Vonovia-Mieter*innen auszubauen, hat die Initiative im Dezember 2019 einen Workshop veranstaltet, um die Ziele und Potenziale dieser breiter angelegten Vernetzung zu diskutieren. Bei diesem Treffen ist die Idee eines stadtweiten Vonovia-Mappings als mögliches Instrument entstanden, um sichtbarer zu werden und weitere Betroffene zu motivieren, sich am Austausch zu beteiligen und sich mietenpolitisch zu organisieren. Entschluss der Mieter*innen ist es zunächst gewesen, herauszufinden, wo die Vonovia in Frankfurt am Main überhaupt Wohnungen besitzt, und dabei der Frage nachzugehen, wo gegebenenfalls weitere Mieter*innen von der Geschäftspraxis der Eigentümerin, Mieterhöhungen, mangelnder Instandhaltung oder sogar drohender Entmietung betroffen sind. Als Ziel des Mappings ist also definiert worden, einen Überblick über die Bestände und Problemlagen in den Wohnungen der Vonovia in Frankfurt zu generieren und diese möglichst genau und aktuell abzubilden, um ein Werkzeug zur weiteren Vernetzungsarbeit und Organisierung aufzubauen, das dezentrale Kämpfe unterstützt und gleichzeitig thematisch bündelt. Die Idee einer kartenbasierten Darstellung des Wissens über Vonovia in Frankfurt im Sinne eines „Counter-Mappings“ (Azhar et al. 2020; Schweizer/Halder/Virchow 2022) ist somit von den Mieter*innen selbst entwickelt worden.
Der langwierige Prozess des Datensammelns über mehrere Monate war zudem immer wieder begleitet von Momenten der Selbstermächtigung aufseiten der beteiligten Mieter*innen, die intensiv recherchiert und neue Datenquellen erschlossen haben, um das Projekt voranzubringen. Allerdings wurde schon früh der Wunsch insbesondere nach technischer Unterstützung bei der kartographischen Umsetzung geäußert. Diesem Bedarf konnten drei Masterstudierende der Humangeographie entsprechen, die sich zeitgleich im Rahmen eines GIS-Projektseminars mit der Finanzialisierung des Wohnens in Frankfurt am Main beschäftigt haben. Bereits ab Januar 2021 haben die Studierenden im Austausch mit der Vernetzungsinitiative ein Format für die inhaltliche Struktur der späteren Karte und die finale Visualisierung des Vonovia-Mappings Frankfurt entwickelt und ab März 2021 umgesetzt. Die Visualisierung des Vonovia-Wohnungsbestands, den wir zu dem Zeitpunkt auf circa 11.500 Wohneinheiten geschätzt haben, ist schließlich mit ArcGIS in Form einer Onlinekarte beziehungsweise einer Story Map publiziert worden (Betz/Franke/Göbel 2021). In der Karte werden nicht nur die Vonovia-Wohnungsbestände in Frankfurt, sondern auch Problemlagen der Mieter*innen, Medienberichte zu den Wohnverhältnissen sowie aktive Mietervereine oder -initiativen aufgeführt und verlinkt.
Betrachten wir das Mappingprojekt im Sinne einer angewandt-kritischen Praxis als partizipative Forschung mit Mieter*innen (Schweizer/Halder/Virchow 2022), so kann man festhalten, dass eine Wissensproduktion „von unten“ angestoßen werden konnte, deren Ausgangspunkt die Erkenntnisinteressen der Betroffenen selbst gewesen sind. Das gemeinsame und niedrigschwellige Datenerheben war dabei von großer Relevanz, während der Prozess des Zusammenarbeitens mit einem gemeinsamen Ziel die besondere Qualität des partizipativen Forschens in „situated solidarity“ (Herzfeld/Lees 2021: 291) mit den Interessen der Mieter*innen ausgezeichnet hat. Mit Carolin Genz (2020: 20) gesprochen, formen „[d]ie Involviertheit und der Austausch mit den Akteur_innen […] über die Zeit nicht nur das eigene Wissen, sondern auch den Untersuchungsgegenstand. Es entwickelt sich ein gegenseitiges Verstehen, eine Akzeptanz und ein Vertrauensverhältnis.“
Insgesamt ist das Kartieren für alle Beteiligten ein Lernprozess gewesen, in dem die Rollen, Ressourcen und Methoden immer wieder neu verhandelt werden mussten. In der gemeinsamen Reflexion sind der Forschungsprozess und seine Ergebnisse von allen als wertvolle Erfahrungen und hilfreich für die politische Arbeit und Organisierung der Mieter*innen bewertet worden. Dies zeigt, dass eine kollektive Wissensproduktion „von unten“ Früchte trägt. Allerdings haben die Auswirkungen der Coronapandemie und die damit verbundene Erschöpfung der Mieter*innen, den Austausch über Monate und Jahre ausschließlich über Onlineplattformen abhalten zu müssen, den Vernetzungsprozess zuerst gelähmt und später (vorläufig) zum Erliegen gebracht. Aus diesem Grund können wir zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht bewerten, inwiefern das gemeinsame Forschungsprojekt in Hinblick auf den beschriebenen Organisierungsprozess von Vonovia-Mieter*innen in Frankfurt dauerhafte Wirkung hätte entfalten können. Positiv festzuhalten ist allerdings, dass die entwickelte Karte in Bewegungskreisen weiterhin zirkuliert und aktiv genutzt wird.
Uns universitär Forschende hat dieses Projekt genuin partizipativer Forschung ermöglicht, mit betroffenen Menschen an einem konkreten Vorhaben zu arbeiten und so Prozesse der Kollektivierung und Politisierung von Mieter*innen aus teilnehmender Perspektive solidarisch zu unterstützen. Zeitlich später einsetzende Organisierungsprozesse in anderen Wohnsiedlungen in Frankfurt, die wir derzeit forschend begleiten, bauen auf den im Rahmen des Mappingprojekts geknüpften Beziehungen und den gemeinsam gesammelten Erfahrungen auf. Das kooperative Forschen lässt sich – über singuläre Projekte hinweg – daher als ein lernender und evolvierender Prozess der Wissensproduktion charakterisieren, der immer auch Ausgangspunkt für neue Vorhaben sein kann. Die Langfristigkeit der solidarischen Zusammenarbeit mit Akteuren der Mieter*innenbewegung ist dabei entscheidend für den Erfolg. Projekte mit ähnlicher Intention, zum Beispiel die Estate Watch in London[1] oder das Anti-Eviction Mapping Project in der San Franciso Bay Area (Anti-Eviction Mapping Project 2021), verweisen darauf, welche weitergehenden Potenziale partizipative Ansätze und die forschende Unterstützung wohnungspolitischen Kämpfe eröffnen, wenn Forschende und wohnungspolitische Initiativen langfristig zusammenarbeiten. Wegweisend sind diesbezüglich insbesondere Forschungsvorhaben in London, wo die über Jahrzehnte gewachsene Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen und Studierenden des University College London (UCL) mit lokalen Initiativen und wohnungspolitischen Organisationen von Mieter*innen mittlerweile als offizielle Kollaboration zwischen Universität und Zivilgesellschaft institutionalisiert ist.[2] Das ermöglicht wiederum, universitäre Ressourcen dauerhaft für wohnungspolitische Kämpfe und stadtplanerische Alternativen „von unten“ nutzen zu können (Sendra/Fitzpatrick 2020). Gleichzeitig prägt das Praxiswissen aus den Bewegungen so auch umgekehrt langfristig die Prozesse universitärer Wissensproduktion.
Zusammenfassend kennzeichnet ein partizipatives Forschen von Wissenschaftler*innen mit wohnungspolitischen Initiativen und Mieter*innen, nicht nur die Erkenntnisinteressen der Betroffenen in den Mittelpunkt zu rücken, sondern sie als eigenständige Subjekte am Forschungsprozess zu beteiligen. Gewinnbringend ist das gemeinsame Forschen deshalb, weil die Zusammenarbeit an einem konkreten Projekt es möglich macht, praxisrelevantes Wissen zu produzieren und langfristige, solidarische Beziehungen zwischen Wissenschaft und sozialen Bewegungen aufzubauen.
In derartigen partizipativen Projekten sind Fragen der Positionalität von größter Relevanz (Genz 2020; Herzfeld/Lees 2021). Sensibilität für die entstehende Gruppendynamik sowie regelmäßige Reflexionen und Gespräche über die Rollen- und Ressourcenverteilung haben sich bei dem beschriebenen Forschungsprojekt als essenziell erwiesen, um Spannungen und Konflikte auszuhandeln. Denn nicht nur die Akteure sozialer Bewegungen oder zivilgesellschaftlicher Initiativen schlüpfen in eine neue Rolle, nämlich die der Forschenden, sondern auch für die Beteiligten mit akademischem Hintergrund erfordert eine ernst gemeinte Kooperation eine Auseinandersetzung mit der eigenen Privilegierung und Positionierung (in der Gruppe sowie in politischen Kämpfen). Im Falle des Vonovia-Mappings galt es durch offene Gespräche zu vermitteln zwischen dem Wunsch der Mieter*innen, möglichst schnell ein detailliertes Mapping zu erstellen und dieses auch zu veröffentlichen, und den begrenzten zeitlichen Ressourcen sowie der universitären Eingebundenheit der Studierenden, die das Projekt als technische Expert*innen unterstützt und umgesetzt haben. Mit dem Anspruch partizipativer Forschung ging das Neuaushandeln und Reflektieren von Erhebungsmethoden, Analysetools und Formaten der Dateninterpretation und -präsentation einher, um eine kooperative und niedrigschwellige sowie möglichst inklusive Form der Sammlung und Analyse empirischer Daten zu ermöglichen. Feministische Methoden und Reflexionen zur Situierung von Wissensproduktion und zur Positionalität von Forschenden lieferten hier wichtige Erkenntnisse und Hilfestellungen bei der Konzeption und Durchführung des Projekts (Autor*innenkollektiv Geographie und Geschlecht 2021).
Ein dritter Strang angewandt-kritischer Wohnungsforschung verknüpft wissenschaftliches Erkenntnisstreben noch unmittelbarer mit politischem Handeln, indem Theorie und Praxis systematisch verknüpft und auf die emanzipatorische Transformation bestehender Machtverhältnisse ausgerichtet werden (Barbarino 2021; Chatterton/Hodkinson/Pickerill 2010). Im Sinne der Transformationsforschung folgt ein solcher Ansatz dem Anspruch, gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur verstehen und erklären, sondern darüber hinaus auch unmittelbar in bestehende Machtverhältnisse und politische Auseinandersetzungen intervenieren zu wollen (Carstensen et al. 2014; Choudry 2014). Dabei kann der Prozess der Wissensproduktion selbst genutzt werden, um die Fähigkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure oder subalterner Gruppen zu stärken, gemeinsam in politische Entscheidungsprozesse einzugreifen (Halder/Schweizer 2020; Sendra/Fitzpatrick 2020). Ebenso wie bei Ansätzen partizipativer Forschung setzt auch die stärker transformativ ausgerichtete Variante die langfristige Präsenz und Mitarbeit von Forschenden in sozialen Bewegungen, zivilgesellschaftlichen Initiativen und anderen Formen politischer Organisierung voraus. Angesichts dieser Hürde sind Ansätze der Aktions- und Transformationsforschung forschungspraktisch voraussetzungsvoll (Halder 2018). Allerdings kann diese auf Dauer ausgerichtete beobachtende Teilnahme zugleich besonders produktiv und erkenntnisreich sein, da sich wissenschaftliches Erkenntnisstreben und politische Praxis wechselseitig verstärken: Auf der einen Seite fließen wissenschaftliche Theorien, Einsichten und Methoden je nach Bedarf in die Praxis sozialer Kämpfe ein und können so unmittelbar an der Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse mitwirken. Auf der anderen Seite prägen gleichermaßen die in der konkreten Praxis gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse das theoretische Verständnis des Gegenstands. Dabei zeigt sich, dass die teilnehmende Beobachtung wohnungspolitischer Initiativen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in verschiedener Hinsicht methodischen Zugriffen „von außen“ (wie etwa Befragungen oder Interviews) an Tiefenschärfe überlegen und daher dem Verständnis des Gegenstands angemessener ist.
Im Folgenden möchten wir den Gewinn dieser Wechselwirkung von Theorie und Praxis am Beispiel des kommunalen Bürgerbegehrens Mietentscheid in Frankfurt am Main illustrieren. Das Bündnis Mietentscheid hat sich im Dezember 2017 gegründet, um mithilfe eines kommunalen Bürgerbegehrens die städtische Wohnungspolitik grundlegend zu verändern und den Bestand an preis- und belegungsgebundenen Sozialwohnungen deutlich auszuweiten (Botzem/Besedovsky 2021; Hahn/Hemmerich 2021). Seit Gründung des Mietentscheids hat der Autor dieses Textes zusammen mit weiteren Kolleg*innen aus der Humangeographie den Prozess als beobachtender Teilnehmer begleitet. Konkret haben wir an der Entwicklung der drei zentralen Forderungen des Bürgerbegehrens mitgewirkt, das Bündnis fortlaufend in wohnungspolitischen Fragen beraten, deren Anliegen bei öffentlichen Veranstaltungen und gegenüber Journalist*innen vertreten, Unterschriften gesammelt und Aktionen geplant sowie regelmäßig an Arbeitsgruppen, Treffen und Versammlungen partizipiert.
Nach Abschluss der erfolgreichen Unterschriftensammlung zur Initiierung des Bürgerbegehrens im Januar 2019, welche mit 25.000 Unterschriften das notwendige Quorum deutlich überschritten hat, ist es allerdings nicht – wie ursprünglich geplant im Mai 2019 parallel zur Europawahl – zur Abstimmung gekommen. Grund ist, dass das Rechtsamt der Stadt Frankfurt knapp ein Jahr lang eine Stellungnahme erarbeitet hat, auf dessen Grundlage die Stadt im März 2020 entschieden hat, das Begehren aus juristischen Gründen abzulehnen und es nicht zum Bürgerentscheid kommen zu lassen. Gegen diese Entscheidung hat das Bündnis Mietentscheid unmittelbar beim Verwaltungsgericht Klage eingereicht. Der Prozess zur Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des Bürgerbegehrens hat sich dann wiederum zwei Jahre hingezogen. In diesem Zeitraum haben wir mehrfach juristische Gutachten und Stellungnahmen für den Mietentscheid mitverfasst und als Sachverständige fungiert. Während der langen Wartezeit hat das Bündnis wiederholt Aktionen und Veranstaltungen durchgeführt, um weiterhin öffentlich auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Im März 2022 hat das Verwaltungsgericht allerdings unter anderem mit Verweis auf die defizitäre Haushaltslage der Stadt Frankfurt die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens abgelehnt. Gegen dieses Urteil hat der Mietentscheid beim Oberverwaltungsgericht Kassel Berufung eingelegt. Mit einer Entscheidung ist allerdings frühestens im Jahr 2023 zu rechnen. Als Erfolg kann man dennoch werten, dass das Bündnis vier Jahre lang den wohnungspolitischen Diskurs wesentlich geprägt und mit innovativen Konzepten vorangetrieben hat. Nach den Kommunalwahlen im März 2021 hat zudem die neue Stadtregierung aus SPD, Grünen, FDP und Volt alle drei Forderungen des Mietentscheids, zumindest in abgeschwächter Form, als Absichtserklärung in den Koalitionsvertrag aufgenommen (Schipper i. E.). Inwiefern diese zukünftig auch umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
In methodischer und forschungspraktischer Hinsicht veranschaulicht das Beispiel zweierlei. Durch die langjährige Präsenz und Mitarbeit von Wohnungsforschenden in einer zivilgesellschaftlichen Initiative konnten zum einen zentrale Kenntnisse der Stadt- und Wohnungsforschung etwa in Hinblick auf die Strukturen und Verfahren der kommunalen Wohnungspolitik, der städtischen Finanzverfassung, des kommunalen Wohnungsunternehmens und der sozialen Wohnbauförderung in Hessen anwendungsorientiert im Sinne der Transformationsforschung in die politische Praxis einfließen. Da zudem die hessische Gemeindeordnung kommunale Bürgerbegehren mit zahlreichen Hürden und Herausforderungen versehen hat, die ein hohes Maß an Expertise voraussetzen, hat erst die enge personelle Verbindung in die Wohnungsforschung hinein die Initiative ermächtigt, ein solches Vorhaben anzugehen. Die Entwicklung von wohnungspolitischen Forderungen, die sozialpolitisch wünschenswert sind und zugleich den hohen rechtlichen Hürden entsprechen, sowie die Kostenkalkulation und die Konzeption eines Finanzierungsvorschlags wären ohne die kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung kaum zu stemmen gewesen. Auf diesem Weg hat also eine angewandt-kritische Wohnungsforschung unmittelbar gesellschaftliche Relevanz entfaltet.
Zum anderen hat die langfristig angelegte beobachtende Teilnahme es ebenso ermöglicht, wissenschaftliche Erkenntnisse sowohl über die Praxis sozialer Bewegungen als auch über die Strategien von Macht und Herrschaft der Gegenseite zu erlangen, die insgesamt einen tieferen Einblick in wohnungspolitische Auseinandersetzungen, Mechanismen der Urban Governance unter Bedingungen kommunaler Austerität sowie Dynamiken sozialer Kämpfe erlauben (Schipper i. E.). Ein rein externer Blick vermag dies in der Tiefe nicht zu leisten, weil viele Phänomene nicht in verschriftlichter Form vorliegen (und dadurch für Diskurs- und Dokumentenanalysen nicht zugänglich sind) und für Außenstehende auch über qualitative Interviews oder ähnliche Methoden nicht erfasst werden können.
Dieser methodische Vorteil bringt allerdings auch wesentliche forschungsethische Herausforderungen mit sich. Gerade weil politisch involvierte Wissenschaftler*innen über einen privilegierten und auf Vertrauen beruhenden Feldzugang verfügen, gilt es kritisch zu reflektieren, welches Wissen und welche Erkenntnisse etwa über die Herausforderungen und Schwierigkeiten sozialer Bewegungen öffentlich gemacht werden können, ohne den Beteiligten und dem gemeinsamen Anliegen zu schaden (vgl. auch Genz 2020: 18 ff.). Darüber hinaus birgt die (zugeschriebene) Rolle als Expert*innen die Gefahr, dass Wissenschaftler*innen aufgrund ihrer Sprechfähigkeit bewusst oder unbewusst kollektive Entscheidungsprozesse und damit etwa die politische Ausrichtung zivilgesellschaftlicher Initiativen oder Bündnisse dominieren. Mit dieser Herausforderung umzugehen bedeutet, die eigene Position zu reflektieren und sich in kollektiven Aushandlungsprozessen eher zurückzunehmen, statt diese mit der Autorität der Wissenschaft in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Viertens verfolgt eine angewandt-kritische Wohnungsforschung – analog zu Ansätzen der „Public Sociology“ (Burawoy 2004) oder der „People’s Geography“ (Harvey 1984; Strong 2020) – Publikations-, Kommunikations- und Disseminationsstrategien, die es ermöglichen, das generierte Wissen und die Forschungsergebnisse auch für ein außerakademisches Publikum leicht und verständlich zugänglich zu machen. Der Anspruch, die Forschung auf die Erkenntnisinteressen von Mieter*innen und die politischen Kämpfe und Artikulationsbegehren wohnungspolitischer Initiativen auszurichten, impliziert, dass sich auch die Verbreitung der Ergebnisse genau hieran zu orientieren hat: Sie setzt demnach bei den betroffenen Menschen selbst und den zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen an, um die es in der Forschung geht. Daraus folgt, dass eine angewandt-kritische Wohnungsforschung, wie wir sie hier skizzieren, eine breit aufgestellte Publikationsstrategie bedingt, die parallel zu den üblichen wissenschaftlichen Fachzeitschriften und Monographien auch Formate bedient, die für zivilgesellschaftliche Gruppen und Akteure sozialer Bewegungen zugänglich und relevant sind, etwa lokale Tageszeitungen, bewegungsnahe Zeitschriften und Blogs, aber auch nicht textbasierte Medien wie Radiosendungen, Fernsehbeiträge, Ausstellungen, Workshops, Podcasts oder Kurzfilme. Mit diesem Anspruch geht für die Forschenden einher, sich gezielt und gegebenenfalls mit den Akteuren aus der Zivilgesellschaft zusammen darüber Gedanken zu machen, welche Formate und Medien für die zu kommunizierenden Inhalte passend sind und wie diese für die entsprechenden Zielgruppen aufbereitet werden können. Demgemäß müssen mitunter andere Techniken der sprachlichen und visuellen Kommunikation erlernt und eingesetzt werden, als es für rein akademische Veröffentlichungen der Fall ist. Dieses „Mehr“ an strategischer Planung sowie sensibler Kuratierung von Ergebnispublikationen bringt für Wissenschaftler*innen einen erhöhten Zeit- und Ressourcenaufwand mit sich, den es in den Forschungsprozess mit einzuplanen gilt.
Noch einen Schritt weiter gehen Wissenschaftler*innen wie Loretta Lees und Martina Blank, die ihre Forschungsergebnisse gemeinsam mit den beforschten Akteuren verschriftlicht und publiziert haben (Blank/Hannes 2021; Lees/Robinson 2021). Basierend auf den freundschaftlichen Beziehungen, die im ethnographischen Forschungsprozess über einen langen Zeitraum hinweg entstanden und gewachsen sind, ist es Lees und Blank gelungen, auch die Veröffentlichung der Ergebnisse als „first person plural urban research“ (Lees/Robinson 2021: 595) abzuschließen. Diese äußerst voraussetzungsvolle Form der Koproduktion von Wissen kann freilich nur dann gelingen, wenn Vertrauen zwischen Forscher*innen und Forschungssubjekten bereits aufgebaut worden ist und der gemeinsame Schreibprozess in beiderseitigem Einvernehmen gestaltet werden kann. Das Potenzial des gemeinsamen Publizierens im Kontext ethnographischer Untersuchungen von prekären Wohnverhältnissen und wohnungspolitischen Kämpfen liegt zum einen darin begründet, dass Erfahrungswissen als „voice from the margins“ (ebd.) aus erster Hand wiedergegeben werden kann. Zum anderen eröffnet eine solche Publikationspraxis zugleich die Möglichkeit, dass Forschungssubjekte in dem gemeinsamen Schreibprozess ihre gelebten Erfahrungen autobiographisch verarbeiten können. Loretta Lees erläutert: „Beverley [ihre Koautorin] has been able to attend to what Butler (2010) calls ‚grievability‘ — a private and public mourning for her home and community, as a testimony to the state-sponsored violence of gentrification.“ (Ebd.: 610)
Für eine angewandt-kritische Publikationsstrategie bietet sich auch das Format des Sammelbands an, wie etwa das Buchprojekt „Frankfurt am Main – Eine Stadt für alle?“ (Betz et al. 2021) zeigt. Der Band dreht sich um die konflikthafte Entwicklung der Stadt Frankfurt und widmet sich unter anderem Fragen der Wohnungs- und Bodenpolitik, präsentiert situierte Analysen von Gentrifizierungsprozessen und stellt soziale Kämpfe gegen Verdrängung und Wohnungsnot aus der Perspektive Betroffener und Kämpfender vor. Anspruch der Herausgeber*innen war es, die Stimme von marginalisierten Gruppen in politischen Auseinandersetzungen zu stärken, Probleme aus der Praxis zivilgesellschaftlicher Akteure aufzugreifen und mit ihnen in kooperativer Form Handlungsoptionen für soziale Bewegungen und stadtpolitische Initiativen aufzuzeigen. Die zentrale Besonderheit des Sammelbands ist die den Beiträgen zugrunde liegende kooperative Wissensproduktion, welche die außeruniversitäre Praxis von Forschung und Reflexion, wie sie von sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben wird, mit der akademischen Variante einer kritischen Gesellschaftswissenschaft produktiv verbindet. Der Gewinn dieser kooperativen Form der Wissensproduktion liegt darin, dass sie wechselseitige Lernprozesse ermöglicht, die Wissenschaft zwingt, ihre akademischen Theorien und Erkenntnisse in eine verständliche Sprache zu übersetzen, sowie die Fokussierung auf Probleme, Themen und Fragestellungen erleichtert, die auch für Akteure außerhalb der universitären Landschaft relevant sind. Zudem bietet der Band ein Format, in dem auch außeruniversitäre Initiativen und Bewegungen ihr implizit vorhandenes Erfahrungswissen sowie eigene Reflexionsprozesse der Wissenschaft und breiten Öffentlichkeit zugänglich machen können.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit dem Ziel einer breit aufgestellten Publikationsstrategie einer angewandt-kritischen Wohnungsforschung die Wissenschaft gezwungen ist, die eigene Perspektive und die generierten Erkenntnisse in eine verständliche Sprache und eine anregende Darstellung zu übersetzen (Hellriegel/Schmitt Pacífico 2019; Roy et al. 2020). Ermöglicht wird so, dass wissenschaftliche Perspektiven und Erkenntnisse sozialen Bewegungen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und stadtpolitisch Interessierten zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig gilt es als Forschende zu berücksichtigen, dass außerwissenschaftliche Akteure meist auch selbst über eigene Formate verfügen, um ihr Wissen über den Gegenstand und die Aktionsformen sowie ihre eigenen Reflexionsprozesse öffentlich zu kommunizieren. Lohnenswert sind daher ebenso Überlegungen, Forschungsergebnisse auch beispielsweise in bewegungsnahen Zeitschriften, im Bereich der Wohnungsforschung etwa in Común – Magazin für stadtpolitische Interventionen oder im Radical Housing Journal, in Newslettern, Blogs oder Social-Media-Kanälen publik zu machen. Weitgehend unbekannt ist jedoch bislang die Reichweite, Bedeutung und Wirkmächtigkeit solcher bewegungsnahen Publikationsformate. Eine Erforschung der Relevanz dieser Medien für den Wissenstransfer und eine Evaluierung ihrer Rezeption wären daher erstrebenswert.
Bei der Prekarisierung von Wohnverhältnissen sowie wohnungspolitischen sozialen Kämpfen handelt es sich um vielschichtige Prozesse, die oft viele Jahre lang andauern und von den beteiligten Subjekten verschieden erlebt und verhandelt werden. Diese Umstände machen ihre Erforschung komplex und stellen die Wohnungsforschung vor spezifische methodische, forschungspraktische und forschungsethische Herausforderungen. In unserem Beitrag haben wir mit der Perspektive einer angewandt-kritischen Wohnungsforschung produktive Anknüpfungspunkte aufgezeigt, um den damit verbundenen Fallstricken gegenstandsangemessen zu begegnen. Wir haben vier methodische und forschungspraktische Implikationen erläutert, die auf die kooperative Entwicklung von Fragestellungen, partizipative Forschungsprozesse, die Verbindung von wissenschaftlichem Erkenntnisstreben und politischer Praxis sowie breite Publikationsstrategien abzielen.
Zusammenfassend lassen sich, ausgehend von den Erfahrungen aus der Forschungspraxis, drei wesentliche Stärken einer angewandt-kritischen Wohnungsforschung identifizieren: Erstens macht es eine angewandt-kritische Forschung, die direkt an den Erkenntnisinteressen etwa von Mieter*innen und den politischen Artikulationsbegehren wohnungspolitischer Initiativen ansetzt, wahrscheinlicher, einen gesellschaftspolitisch relevanten Zugang zum Feld zu finden. Anstatt sich „von außen“ den betrachteten Themen zuzuwenden, ermöglicht ein solcher Ansatz, den Alltag in prekären Wohnverhältnissen sowie wohnungspolitische soziale Kämpfe „von innen“ heraus zu verstehen. Zugleich bietet eine angewandt-kritische Wohnungsforschung Strategien zur Vermeidung forschungsethischer Probleme, da durch die kooperativen Beziehungen im besten Fall alle Beteiligten vom Forschungs- und Erkenntnisprozess profitieren und somit einseitige Ausbeutungsverhältnisse vermieden werden.
Zweitens vermag es eine angewandt-kritische Praxis, zentralen methodischen Herausforderungen im Feld zu begegnen. Zum einen verbessert eine partizipative ausgerichtete Forschungspraxis tendenziell die Qualität der Datenerhebung, insofern die Perspektiven marginalisierter sozialer Gruppen, die sich sonst oft nur schwach an empirischen Erhebungen beteiligen, umfassender repräsentiert werden können. Zum anderen bringt sie intersubjektiv validierte Ergebnisse hervor, da die Forschungssubjekte selbst als Koproduzierende am Forschungsprozess beteiligt sind und die erzielten Erkenntnisse daher kontinuierlich kritisch hinterfragen können. Bezogen auf die Wahrung wissenschaftlicher Qualitätsstandards unterscheidet sich eine angewandte kritische Wohnungsforschung nicht von anderen Forschungsperspektiven. Ganz im Gegenteil stellt deren Einhaltung – also konkret etwa die Wahrung logischer Stringenz, die Verwendung nachvollziehbarer methodischer Verfahren oder die kritische Überprüfung empirischer Evidenz – eine notwendige Bedingung dar, um Wissen hervorzubringen, das auch für kollektive Akteure außerhalb des Universitätsbetriebs von Nutzen ist. Dieses Eigeninteresse außerakademischer Kooperationspartner*innen an belastbaren Erkenntnissen, die sich immerhin später in der politischen Praxis tatsächlich auch bewähren müssen, wirkt vielmehr als zusätzlicher Qualitätsstandard angewandt-kritischer Forschung (Amini 2018).
Drittens ermöglicht die normativ-politische Positionierung einer angewandt-kritischen Wohnungsforschung und die damit einhergehende Überwindung der Distanz zwischen Theorie und Praxis es, prekäre Wohnverhältnisse und wohnungspolitische Kämpfe auch im Sinne eines transformativen Wissenschaftsverständnisses politisch thematisieren zu können. Eine angewandt-kritische Wohnungsforschung kann Öffentlichkeit herstellen, in gesellschaftliche Diskurse hörbar intervenieren und in Kämpfe um Hegemonie eingreifen. Die Zusammenarbeit mit außerakademischen Akteuren und der Aufbau langfristiger, solidarischer Beziehungen zwischen Wissenschaft und sozialen Bewegungen stärkt zudem potenziell die politische Handlungsfähigkeit zivilgesellschaftlicher Initiativen und subalterner Gruppen. Die programmatische und methodische Verbindung von wissenschaftlichem Erkenntnisstreben und politischem Handeln richtet die Forschung auf die emanzipatorische Transformation bestehender Machtverhältnisse aus.
Als wesentliche Herausforderung angewandt-kritischer Forschung unterstreicht die Erfahrung aus der Forschungspraxis stets die zwingende Notwendigkeit, die Distanz zu außerakademischen Akteuren zu verringern und ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufzubauen. Da kooperative, partizipative und transformative Forschungsprozesse weniger planbar sind und der für das Gelingen erforderliche Beziehungs- und Vertrauensaufbau Zeit benötigt, setzt eine solche Forschungspraxis ein prozessorientiertes Arbeiten und eine längerfristige Ortsbindung voraus. Letztere ist besonders relevant im Kontext der Wohnungsforschung, da städtische soziale Kämpfe und gelebte Erfahrungen von Prekarität und Wohnungsnot stets lokal situiert sind. Diese grundlegenden Voraussetzungen des Vertrauensaufbaus, der Langfristigkeit und der Ortsbindung stehen allerdings oft im Widerspruch zu den prekären Arbeitsverhältnissen an den Universitäten, der kurzfristigen Projekt- und Antragslogik drittmittelabhängiger Forschung sowie den Mobilitätsanforderungen akademischer Karrierewege, die häufige Ortswechsel zur Norm erheben. Hilfreich und anzustreben sind daher institutionelle Strukturen verbunden mit Dauerstellen an den Hochschulen, die den Aufbau sozialer Beziehungen in die Zivilgesellschaft hinein verstetigen und über einzelne Projekte hinweg Kontinuität sichern.
sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung
2022, 10(2/3), -95
doi.org/10.36900/
suburban.v10i2/3.824
CC BY-SA 4.0
Ersteinreichung:
6. Juli 2022
Veröffentlichung online:
16. Dezember 2022
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – 418258934 – und den Open-Access-Fonds der Goethe-Universität Frankfurt.
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The article introduces the perspective of applied critical housing research. This research agenda aims at the cooperative development of research questions together with non-academic subjects, participatory research processes with civil society initiatives, action and transformative research to connect academic knowledge production with political practice, as well as more open forms of publication and dissemination. We argue that this perspective allows housing research to be more sensitive to its research topics, especially with regard to issues around precarious housing and housing struggles, and thus promises to deliver practice-oriented and politically relevant results. Additionally, such an approach can avoid particular ethical issues and improve the quality of empirical data. Overcoming the distance between theory and practice and making transparent the normative-political positioning help to orient housing research more strongly towards the transformation of existing power relations.