sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(1/2), 127-148

doi.org/10.36900/suburban.v11i1/2.837

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 11. August 2022

Veröffentlichung online: 15. Juni 2023

Community als Ware

Eine ethnographische Untersuchung der „Factory Berlin“ als urbanem Arbeitsort der Innovationsproduktion

Annekathrin Müller

Der Artikel untersucht die „Factory Berlin“ als Ausdruck eines größeren urban-digitalwirtschaftlichen Diskurszusammenhangs sowie als neuen Arbeitsort im städtischen Raum. Anhand qualitativer Interviews und ethnographischer Beobachtungen arbeite ich heraus, wie das Berliner Unternehmen sich als Antwort auf die Anforderung an Unternehmen zur andauernden Produktion von Innovation als Community-Space generiert und die Serviceleistung einer „kuratierten“ Community anpreist. Das einst nicht-ökonomische Feld der Gemeinschaft wird somit einer ökonomisierten Perspektive unterworfen. Die Factory nutzt darüber hinaus das Image Berlins als einer kreativen und digitalaffinen Umgebung, um ihre Marke zu stärken und um ihre Community glaubwürdiger als innovativ präsentieren zu können.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Einleitung

„Gegenüber des Görlitzer Parks, an der Grenze zu Berlin-Kreuzberg, findet sich an der Ecke zweier ruhiger Straßen die ‚Factory Berlin‘. Der Park und der Berliner Landwehrkanal, der sich an dieser Stelle verzweigt, schaffen im Juni eine besondere Atmosphäre: Licht flackert durch das grüne Blätterdach, sonnenwarme Steine und Sitzgelegenheiten erstrecken sich entlang des ruhig fließenden Gewässers. Schaut man sich um, so wird an einer Stelle Marihuana verkauft, als wäre es nichts Besonderes, während an anderer Stelle Parkbesucher_innen lesen, Bier trinken, Kinderwagen schaukeln und sich in Gespräche vertieft haben.

Am Rande dieser Zusammenkunft von Wasser, Park, Mensch und Straße ragt der fünfstöckige Bau der ‚Factory‘ empor, aufeinandergesetzt aus roten Backsteinen, nahezu einen kleinen Straßenblock ausfüllend. Ich stehe vor dem Gebäude, wo nicht nur zahlreiche Fahrräder oder wie in Eile abgestellte E-Scooter meine Blicke bündeln, sondern auch jene Menschen, die in das Haus ein- und austreten. Die Leute sind jung, zwischen Mitte zwanzig und um die dreißig, leger, aber ordentlich, schick, manchmal stylisch gekleidet. Während ich vorbeilaufe, höre ich Gesprächsfetzen von ‚Benefit‘ oder ‚geschickteste Lösung‘, was allzu gut zu meinen Erwartungen nach Business und Start-ups passt. ‚Factory. The Community of Innovators‘ begrüßt ein Schild vor der Eingangstür.

(Beobachtungsprotokoll, Juni 2019)

Was ich hier beschreibe, ist der zweite Standort der „Factory Berlin“, der 2018 in Berlin-Kreuzberg seinen Betrieb aufnahm. Das Unternehmen war einige Jahre zuvor in Berlin-Mitte gegründet worden, zunächst mit dem Ziel, aus einem Businesspark einen Co-Working-Space zu machen. Mittlerweile hat sich der Fokus im Co-Working auf die Community verlagert und man versteht sich heute als Community-Space. Das bedeutet, dass man Mitglied der Factory werden kann und gegen eine Gebühr Zugang zu Arbeitsräumen und einem digitalen Netzwerk erhält. Heute verfügt das Unternehmen über drei Standorte, davon zwei in Berlin. Der dritte eröffnete im Mai 2021 in Hamburg. 2022 umfasst die Factory-Community über 4.500 Mitglieder aus mehr als 70 Nationen. Neben Einzelmitgliedern sind auch etwa 150 Start-ups und viele größere Konzerne Teil dieser Community (Factory Berlin 2022), wobei es sich beispielsweise um digitalwirtschaftliche Großunternehmen (wie etwa „Google for Startups“) oder Konzerne der Automobilbranche (z. B. „Audi Denkwerkstatt“ oder „Daimler Mobility“) handelt (Beobachtungsprotokoll, Oktober 2019; siehe auch Factory Berlin o. J.). Das Berliner Unternehmen tritt an dieser Stelle als neuer urbaner Arbeitsort in Erscheinung, der eine unternehmenseigene Community zum Geschäftsmodell ausruft.

Um die Mitglieder, die Räumlichkeiten und die Infrastruktur kümmern sich im Unternehmen etwa 80 Mitarbeiter_innen, darunter neun sogenannte Community-Manager_innen. Letztere sollen sicherstellen, dass in der Factory nicht bloß irgendeine Form von Gemeinschaft entsteht, sondern eine „Community of Innovators“, wie das bereits beschriebene Schild vor dem Eingang besagt. Dabei bleibt es seitens des Unternehmens unklar, was diese Gemeinschaft an Innovator_innen genau ausmacht und dennoch wird diese von den Community-Manager_innen kuratiert. Kuratieren nennt man hier die spezifische Form des Managements. Derweil ist es die Ausrichtung an der Innovation, welche die Factory als (Re-)Produzentin einer größeren zeitgenössischen Diskursformation (Foucault 1988) ausweist. Angeknüpft wird an die Idee, dass Unternehmen in Zukunft nur dann ökonomisch überleben können, wenn sie imstande dazu sind, kontinuierlich Neuerungen und Innovationen hervorzubringen (Staab 2016: 52). Im verdichteten urbanen Kontext kommt es vor diesem Hintergrund zu einem Boom neuer Arbeitsorte und Distrikte, die sich der Förderung von Innovation verschreiben (Clark 2020; Zukin 2020; Rossi/Di Bella 2017). Die Factory wird hier als Beispiel eines solchen Ortes in Berlin untersucht.

Wie tritt die Factory mit dem Leitbild der Innovationsproduktion als Arbeitsort in Erscheinung? Welche Rolle spielt dabei die Idee der Community? Wie versucht sie diese mit Bezug auf eine urbane Umgebung herzustellen? Diesen Fragen gehe ich in diesem Artikel nach. Ich werde zeigen, dass das Unternehmen die Community als Lösung für das Problem des Zwangs zur andauernden Innovationsproduktion präsentiert und zum Kern ihres Geschäftsmodells macht. Die Community wird dabei zum kommodifizierten Produkt. Da die Factory ihren Mitgliedern keine direkten Handlungsanweisungen geben kann, greift sie hierfür auf indirekte Techniken und Strategien zurück – diese werden als Kuratieren bezeichnet – die zur Herausbildung einer Innovationscommunity beitragen sollen. Eine dieser Strategien orientiert sich an der urbanen Umgebung. Das Unternehmen glaubt, von einer Nähe zu kreativen und digitalwirtschaftlichen Akteur_innen im städtischen Raum sowie einem dazugehörigen Image einer als kreativ geltenden Stadt profitieren zu können.

Der Artikel argumentiert in drei Schritten: In Abschnitt 2 verorte ich im ersten Schritt die Factory in einem größeren zeitgenössischen urban-digitalwirtschaftlichen Diskurszusammenhang. Dieser verdeutlicht, dass es sich beim Berliner Unternehmen nicht um ein singuläres Phänomen, sondern um den Ausdruck einer übergeordneten Entwicklung handelt. In Abschnitt 3 untersuche ich die Factory als konkretes Beispiel einer neuen Arbeitsstätte. Anhand meines empirischen Materials arbeite ich heraus, wie sich das Unternehmen zum Community-Space entwickelt und die Community als zentrales ökonomisches Produkt ausbildet. Im letzten Schritt gehe ich in Abschnitt 4 schließlich exemplarisch auf eine Technik des Kuratierens ein. Es geht um das Ziel der Factory, die Community mit einer kreativ und digitalwirtschaftlich gelesenen Umgebung zu verflechten.

Die hier diskutierten Überlegungen basieren auf qualitativen Daten, die ich durch Expert_inneninterviews, teilnehmende Beobachtungen und eine Analyse von Websites und Textdokumenten (wie Presseerklärungen) gewonnen habe. Die Selbstpräsentationen des Unternehmens und insbesondere Interviews mit den fünf Community-Manager_innen Florence, Finn, Fiona, Frieda, Felix sowie dem inzwischen ausgestiegenen Mitgründer Florian liefern mir umfassende Einblicke.[1] Anhand dieser rekonstruiere ich die Denkweisen, Problemdiagnosen und -lösungsansätze der Factory und verorte sie in einer größeren Diskursformation (Faust 2019: 14; Foucault 1988). Ich bin selbst Mitglied der Factory geworden und habe von August 2019 bis Februar 2020 mehrere Wochen analog im Feld verbracht. Daneben habe ich auch die digitale Kommunikation der Factory erkundet.[2] Meine Anwesenheit vor Ort ermöglichte es mir nicht nur, informelle Gespräche zu führen, sondern auch durch teilnehmende Beobachtung das Nichtgeäußerte und Nichtsprachliche der Community in den Blick zu nehmen. Damit kann ich das Gebäude, das Innendesign und die Einbettung in die lokale Umgebung als Bezugsfelder der Factory für ihre Community besser erfassen (Breidenstein et al. 2013: 7).

2. Die Factory als Teil eines digitalwirtschaftlichen Urbanismus

Die Factory kann als Beispiel für einen weltweiten Trend in vielen Metropolen begriffen werden, der sich darin ausdrückt, dass immer mehr Räume für flexible Arbeitsarrangements sowie unternehmerische Verhaltenspraxen zum Zwecke von Digitalisierung und Innovation entstehen. Die internationale Stadtforschung beschäftigt sich damit etwa unter verschiedenen Schlagworten: Ugo Rossi und Arturo di Bella (2017) betrachten den „Start-up-Urbanismus“, Sharon Zukin (2020) den „Innovationskomplex“ und Jennifer Clark (2020) die „Smart City“. Da alle drei Konzeptionalisierungen große Übereinstimmungen aufweisen, werden sie hier im Begriff des digitalwirtschaftlichen Urbanismus zusammengeführt und die Berliner Factory darin verortet.

Alle genannten Autor_innen richten ihren Blick auf einen urbanen Wandel, in dem Technik, Innovation und „entrepreneuriale“[3] Verhaltensweisen als Strategien im Vordergrund stehen. Unter dem Stichwort der new urban entrepreneurship verhandelt Clark dabei eine Entwicklung, in der Städte nicht nur als Vermarkterinnen ihrer selbst mit anderen Städten in Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte, Ressourcen und Produktion treten, sondern sich auch vermehrt an innovativer Produktion ausrichten (2020: 95, 99). Clark identifiziert verschiedene Dimensionen von urban entrepreneurships: Neben den Städten verweist sie auf eine „Form des individualisierten städtischen Unternehmertums, das an Prozesse einer Arbeitsflexibilität der letzten vierzig Jahre anknüpft und sie verräumlicht“ (ebd.: 96, Übers. d. A.). Auch Zukin macht eine umfassende urbane Innovationsorientierung aus und findet diese bei so unterschiedlichen Akteur_innen wie Einzelpersonen, Start-ups, Unternehmen, der Politik oder städtischer Verwaltungen vor. Sie wählt hierfür die Bezeichnung „Innovationskomplex“ (Zukin 2020: vii ff.). Ähnlich wie beim Paradigma der kreativen Stadt (Florida 2012, 2002) konkurrieren auch diesem Konzept zufolge Städte mit einer möglichst guten Lebensqualität um die besten Talente. Anders als im urbanen Kreativkonzept von Florida orientiert sich diese Konkurrenz jedoch nicht mehr am weiten Verständnis einer kreativen Klasse, sondern an Akteur_innen der Digital- und Start-up-Wirtschaft sowie der Innovationsentwicklung. Dies markiert Zukin (2020: 153) zufolge einen Paradigmenwechsel von der kreativen zur innovativen Stadt. Clark und Zukin führen als Beispiele für solche Produktionsorte von Innovationen neben Inkubatoren und Acceleratoren auch Co-Working-Spaces an (Clark 2020: 115; Zukin 2020: 4 ff.).

Die Factory Berlin kann als Verkörperung eines solchen Arbeitsortes in einer Smart City oder einem Innovationskomplex gelesen werden. Alle Tätigkeiten, die im Community-Space der Factory stattfinden, sollen dem Leitbild der Innovation zugeordnet werden können – so der Wunsch des Unternehmens. Angestrebt wird eine Community von Innovator_innen. Auch soll Raum für möglichst flexible Arbeitsarrangements geschaffen werden – so ein weiteres Anliegen der Factory, etwa indem sie ihren Mitgliedern weitgehend flexible Nutzungsmöglichkeiten in Aussicht stellt. Dabei zeichnet sich ein Shift vom Leitbild der Kreativität hin zu dem der Innovation ab. Dies ist zumindest in Form einer Fokussierung auf digitalwirtschaftliche Akteur_innen der Fall. Die Orientierung an der Kreativität scheint allerdings – wie sich noch zeigen wird – weniger abgelöst zu werden, als sich zu verschieben.

Während der Begriff der Innovation zunächst nichts Neues zu implizieren scheint – mit innovativen Entwicklungen beschäftigt man sich ökonomisch schon lange (Schumpeter 2005) – findet er in der aktuellen Variante vor allem im Sinne digitaler Innovationen und Techinnovationen Verbreitung. Im digitalwirtschaftlichen Feld kristallisiert sich ein Fokus auf disruptive Neuerungen heraus. Damit sind Innovationen gemeint, die nicht mehr nur inkrementelle Verbesserungen darstellen, sondern imstande sind, Märkte komplett umzukrempeln (Staab 2016: 45).

Mit ihrem Begriff des „Start-up-Urbanismus“ erfassen Rossi und Di Bella (2017: 2, Übers. d. A.) den Prozess einer weltweiten Orientierung von Städten an diesen technologieintensiven Ökonomien. Letztere haben vor allem im Zuge des Techbooms Ende der späten 2000er Jahre und seit der Finanzkrise 2008 Aufwind erfahren. Dabei erläutern Rossi und Di Bella auch die Funktion von Städten als zentrale Orte des Wissens sowie einer offenen Innovation: Innovation findet ihren Weg raus aus den klassischen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen und hinein in eine innovative Umgebung diverser Akteur_innen (ebd.: 44 ff.). Neue Produktions- und Arbeitsstätten entstehen. Als Treiber dieser urbanen Entwicklungen und der damit einhergehenden Verdichtung innovativer Orte in innerstädtischen Bezirken machen die Forscher_innen einen Diskurs über räumliche Nähe und Spillover-Effekte aus (Clark 2020: 114; Rossi 2017: 44). Städte gelten hierbei an sich als innovationsförderliche Orte der Nähe, Dichtheit und Diversität (Zukin 2021: 8 ff.).

Es ist unerheblich, ob die urbane Nähe tatsächlich zu Interaktion und Kollaboration und somit zu neuen Ideen führt, solange dieser Zuschreibung Glauben geschenkt wird. Auch die Factory scheint dieses Konzept der Nähe nicht zu hinterfragen, sondern vor allem dessen Zugkraft zu folgen. Als Ort, der an Innovation orientiert ist und als Raum für flexible Arbeitsarrangements, tritt die Factory als Akteurin eines größeren Diskurszusammenhangs auf, als Teil eines digitalwirtschaftlichen Urbanismus. Vor diesem Hintergrund diskutiere ich das Berliner Unternehmen im Folgenden als neuen Arbeitsort mit einer funktionalen Perspektive auf die Herstellung einer Community zum Zwecke der Innovationsproduktion.

3. Neue Arbeitsstätten: Vom Co-Working zum Community-Space

„Da gab es ja einfach einen Haufen Vorreiter, Sankt Oberholz[4] und so weiter, die das schon gemacht haben, aber die Factory hätte es damals als erster auf großem Niveau machen können. Wobei auch das wieder so ein bisschen Quatsch ist, weil es gibt zum Beispiel ja so was wie Regus[5], was seit Jahrzehnten so was wie Co-Working anbietet, es aber nicht so nennt oder ganz anders vermarktet […] und da [gab es] gar nicht dieses Gefühl von: ‚Ja, hier wird Innovation betrieben‘, sondern das ist halt mein ‚Office to go‘ sozusagen, das ist aber noch so vom Feeling irgendwie so ‚Windows 95‘, […] und das, was die Factory gemacht hat, dann eher so trendy, fresh, neu, hip, teuer und alles verschmilzt und bla.“

(Interview Florian: 11)

Die Aussagen darüber, was andere „gemacht“ haben oder die Factory hätte „machen können“, bezieht sich auf die Arbeitsform des Co-Workings. Anhand der drei genannten Beispielsorte – Regus, Sankt Oberholz und Factory – illustriert Mitbegründer Florian, inwiefern das Modell der Factory über ein bloßes Nebeneinander-Arbeiten hinausweist und sich an ökonomischer Innovation ausrichtet. Im Folgenden bespreche ich, wie sich die Factory zum Arbeitsort der Innovation entwickelt und wie sie dabei ihre Community zu einem ökonomischen Produkt ausgestaltet. Es wird sich zeigen, dass das Berliner Unternehmen nicht nur bemüht ist, eine Community in Wert zu setzen, sondern diese auch herstellt, anreizt, führt und mit „weichen“ Mitteln steuert, was mit besonderen Herausforderungen verbunden ist.

Die Factory wurde zunächst als Co-Working-Space gegründet, also als ein Arbeitsort, an dem Raumressourcen geteilt und flexibel nebeneinander gearbeitet wurde (Merkel 2015: 121 ff.). Der erste Co-Working-Space sei im Jahr 2005 auf Initiative des Open-Source-Anhängers Brad Neuberg in San Francisco entstanden, der damit das Ziel verfolgt habe, einen alternativen Arbeitsort jenseits klassischer Unternehmensstrukturen zu gestalten (Spinuzzi et al. 2019: 4). Heute sind Co-Working-Spaces in Großstädten ein längst verbreitetes Phänomen. Viele dieser Arbeitsorte würden sich dabei immer noch in der Open-Source-Bewegung und jenseits kapitalistischer Verhältnisse verorten. Großgeschrieben würden Werte wie Kollaboration, Offenheit, Gemeinschaft, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit. Verschriftlicht finde sich dies im sogenannten „Coworking Manifesto“ von 2014, dem sich viele der Orte freiwillig verpflichteten (Coworking wiki 2020; Merkel 2017: 35). Das Soziale und Gemeinschaftliche ist also fest in der Co-Working-Kultur verankert. Insofern ist auch das Konzept der Community in der Co-Working-Landschaft nicht neu (Spinuzzi 2012; Butcher 2016; Spinuzzi et al. 2019).

Was sich mittlerweile aber verändert zu haben scheint, ist die Ökonomisierung des Anliegens. So seien inzwischen die meisten Co-Working-Spaces kommerziell ausgerichtet (de Peuter/Cohen/Saraco 2017: 6). Während also in den frühen Jahren des Co-Workings vor allem Aspekte des Empowerments, der Kollektivität und der Alternative zur kapitalistischen Ökonomie eine wichtige Rolle spielten, macht die kritische Co-Working-Forschung etwa zehn Jahre später auf den Zusammenhang zwischen einer unsicherer werdenden Arbeitswelt und einer Verbreitung der neuen Arbeitsstätten aufmerksam. Vor allem seit der Finanzkrise 2007/2008 sowie der damit einhergehenden Rezession und Prekarisierung von Arbeit sei es zu einem Boom gekommen (de Peuter/Cohen/Saraco 2017: 2; Gandini 2015: 193). Der Co-Working-Forscher Tim Butcher macht insofern auch eine Ungleichzeitigkeit und einen immanenten Widerspruch der Entwicklung aus: Während einige Menschen mit Co-Working-Spaces weiterhin die Möglichkeit einer Emanzipation von konventionellen Organisationen verbänden, versuchten andere, aus dem Gemeinschaftsaspekt vor Ort Kapital zu schlagen (Butcher 2016: 4; siehe auch Rief/Stiefel/Weiss 2016). Letzteres trifft auch auf die Factory zu.

Laut Mitbegründer Florian kam die Anregung, einen Co-Working-Space zu eröffnen, vom Besitzer der Immobilie. Nach verschiedenen Anlaufschwierigkeiten sei das Vorhaben schließlich geglückt.[6] Damals – so erzählt er mir – waren vor Ort vor allem Freelancer_innen, Selbstständige und kleine Start-ups zwischen zwei und zehn Personen anzutreffen. Diese suchten vor allem einen Arbeitsplatz, jedoch nicht unbedingt Kontakt oder Interaktion. Anders als heute – mittlerweile verfügt die Factory über einen aufwendigen Bewerbungsprozess – habe man sich zu dieser Zeit die Bewerber_innen auch nur kurz und sporadisch angeguckt. Das Gebäude sei zwar immer ausgebucht, aber ständig leer gewesen. Das wurde als Problem wahrgenommen, denn man wollte „ja eine inhaltliche Vision umsetzen, […] wo Innovation stattfindet“. Es habe ein bestimmter vibe gefehlt, weswegen man das Konzept nochmals verändert habe. In diesem Zusammenhang wurde auch medienwirksam die Botschaft „Coworking is dead“ verkündet (Interview Florian: 11, 13). Die Community-Managerin Frieda beschreibt die Entwicklung mit folgenden Worten:

„Erst war es [Factory] ein Co-Working-Space mit Fokus auf Community und jetzt ist es eine Community, die auch einen Arbeitsplatz bietet für Leute.“

(Interview Frieda: 8)

Seither funktioniert das Berliner Unternehmen wie ein membership club (Interview Florian: 9), das heißt über ein Mitgliedermodell, bei dem das Netzwerken und die Kollaboration im Vordergrund stehen: „Die Factory strebt vor allem nach Connections, nach Community und kreativer Zusammenarbeit“, erzählt Mitarbeiter Finn (Interview Finn: 6). Ein entscheidender Unterschied sei, dass nun nicht mehr nur Freelancer_innen und kleine Start-ups anwesend seien, sondern auch große Unternehmen und Konzerne. Großunternehmen zahlten dabei „deutlich viel mehr Geld [als andere], damit sie in der Factory sein können“ (Interview Finn: 5). Die Community in der Factory umfasst also unterschiedliche ökonomische Akteur_innen.

Aber was versteht die Factory eigentlich unter einer Community? Obwohl das Unternehmen den Begriff ubiquitär verwendet, sucht man vergeblich nach einer eigenen Definition. Vielmehr präsentiert es ein Wissen, das die Idee einer Community unmittelbar mit Kreativität und Innovation verknüpft. Das scheint die Gemeinschaftserzählungen der frühen Co-Working-Spaces – mit den erwähnten Werten gemeinschaftlicher Arbeit und kreativer Spielräume – aufzugreifen. Zugleich spiegelt sich darin aber auch ein Narrativ wieder, das Matthias Stuhr (2010) veranlasste, in seiner Dissertation über den Mythos der New Economy der späten 1990er Jahre zu schreiben und im Zusammenhang mit gemeinschaftlichem Arbeiten von einer „Produktionsfamilie“ zu sprechen (ebd.: 189). Diese habe sich in den damaligen Start-ups herausgebildet, als Antwort auf ein emotionales und soziales Bedürfnis von Mitarbeiter_innen, das in traditionellen Arbeitsverhältnissen nicht befriedigt wurde. Orientiert am Vorbild von Künstler_innen sollte diese Arbeitsform nicht nur kreative und kommunikative, sondern auch soziale und emotionale Elemente beinhalten (ebd.: 186). Diese Vorstellungen von Arbeit finden sich durch die Factory aufgegriffen.[7] Indem es seine Mitglieder als Community bezeichnet, dockt das Unternehmen an mythische Erzählungen der frühen new economy an.

Zugleich verwenden aber auch Wissenschaftler_innen den Be­griff Community, um das zu benennen, was an neuen Orten wie Co-Working-Spaces, Hackerspaces, Makerspaces, Acceleratoren oder Inkubatoren auftritt. Als Hackerspace gilt gemeinhin ein Ort, an dem sich Leute zum Hacken einfinden. Ein Makerspace greift die Idee des Co-Workings auf, ist aber projektzentrierter. Ein Accelerator ist wiederum ein Programm oder eine Institution, das oder die Start-ups konkret zu einer schnellen Entwicklung verhelfen will (Business Insider 2019a). Ein Inkubator unterstützt allgemein bei der Existenzgründung (Business Insider 2019b). Für all diese unterschiedlichen Orte und Konzepte, die in Hinblick auf Innovationsorientierung, Digitalwirtschaft und Gemeinschaft große Gemeinsamkeiten aufweisen, prägt Suntje Schmidt (2019: 3) den Oberbegriff „open creative lab“. Die Factory weist verschiedene Charakteristika dieser genannten Orte auf oder beherbergt diese als Elemente in ihrer Community. Daher ordne ich sie diesem Überbegriff open creative lab zu. Auch diese Zuordnung macht deutlich, dass es sich bei der Factory nicht um einen Einzelfall handelt. Dasselbe gilt für die Ausrichtung an einer Community, die Schmidt und Verena Brinks (2017: 291) als eine Gemeinsamkeit all dieser Orte herausstellen.

Die Forschung knüpft Schmidt (2019: 5) zufolge im Kontext von open creative labs oft an das Konzept von communities of practices von Jean Lave und Etienne Wenger (1991) an, um Communitys als Kollektivität von Individuen zu fassen, die ein gemeinsames Anliegen teilen. Alternativ bezögen sich Forscher_innen auf Wissenscommunitys, um das existierende Gemeinschaftliche zu fassen (Schmidt 2019: 5). Der Begriff Community findet also auch in der Wissenschaft Anwendung. Laut Schmidt und Brinks (2017: 291) erfuhr er im digitalen Zeitalter eine Art Wiederbelebung, allerdings mit veränderter Bedeutung: Er bezeichne nicht mehr eng-verknüpfte soziale Konstellationen von Menschen, sondern einen Bezugsrahmen für unterschiedliche Menschen mit ähnlichen Praktiken. Auch die Community in der Factory kann so verstanden werden, dass sie sich über Praktiken konstituiert. Allerdings geht es mir in diesem Artikel nicht um eine möglichst passende Beschreibung der Community des Berliner Unternehmens. Stattdessen möchte ich zeigen, wie die Community hier ins Zentrum des eigenen wirtschaftlichen Interesses gerückt wird – auch wenn die tatsächliche Vorstellung, was diese genau ausmacht, diffus bleibt.

Wenn also die Factory die Community in den Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells rückt, dann mag zwar der Begriff definitorisch unbestimmt bleiben. Dennoch stellt die Community das Resultat aller möglichen Anstrengungen des Unternehmens dar. Die Community-Managerin Florence erklärt mir, „das Besondere an der Factory“ sei, dass „unsere Kund_innen auch unser Produkt sind“. Die „Menschen, die in die Factory kommen, [sind] im Grunde das, was wir an alle anderen […] verkaufen. Also die Community ist wirklich unser Kerngeschäft“ (Interview Florence: 50). Die Factory stellt auch ihre Gebäude sowie Infrastruktur zur Verfügung – aber das gewisse Extra, die vibes und die Gelegenheit für Innovation und Interaktion entstünden erst durch die Community. Profitieren sollen davon auch die Konzerne und großen Unternehmen, die viel Geld für den Zutritt zur Factory zahlten. Deswegen müsse man dafür Sorge tragen, dass diese auch wirklich großen Nutzen aus der Community ziehen könnten, so Florence (ebd.: 36). Auch ihr Kollege Finn betont, die Community müsse „funktionieren, sonst bricht das gesamte Businessmodell zusammen“ (Interview Finn: 12). Florence erläutert zudem: „Natürlich streben wir danach, eines Tages ein Full-Profit-Unternehmen zu sein” (Interview Florence: 70). Die Factory wird hier also als ein gewinnorientiertes Unternehmen präsentiert, das einerseits auf die Werte der Co-Working-Bewegung Bezug nimmt und andererseits ein Geschäftsmodell verfolgt, das die Community als Ware ökonomisiert und unter anderem großen Konzernen als Dienstleistung anbietet.

Auf diese Weise wird die Community auch zu einem Objekt kontinuierlicher Regulierungsanstrengungen.[8] Damit werden Fragen der Kalkulierbarkeit relevant. Dementsprechend versucht die Factory, nicht nur eine zufällige Ansammlung von Menschen in Wert zu setzen, sondern diese ihren eigenen Vorstellungen einer „Community of Innovators“ entsprechend zusammenzubringen. Das Berliner Unternehmen beschränkt sich dabei auf eine passive Rolle: Es spricht von sich selbst als „Community Plattform“ (Factory Berlin 2020, 2018; Interview Florian: 85) und betont die Begrenzung des eigenen Serviceangebots auf ein Minimum. Auch Anfragen von Mitgliedern nach unmittelbarer Unterstützung für eigene Projekte liefen ins Leere, so Community-Managerin Clara: „Wir machen keine der spezifischen Dinge, die mit dem Business der Leute zu tun haben.“ (Interview Clara: 25). Stattdessen gehe es der Factory darum, einen Raum zu schaffen und „eine Verknüpfung herzustellen, die vorher nicht stattgefunden hat und die [sich] auf der Plattform der Factory jetzt als Erfolgsgeschichte“ ereignen kann (Interview Florian: 85). Florian vergleicht das Unternehmen metaphorisch mit einem Theater: „Wir stellen einfach die Bühne zur Verfügung, auf der die Community stattfinden kann“ (Interview Florian: 71). Auch darin kommt der Plattformcharakter des Unternehmens zum Ausdruck.

Die Betrachtung der Factory als Plattform erscheint mir angemessen. Das Unternehmen verfügt über einen im Verhältnis zur Zahl der Mitglieder vergleichsweise kleinen Stab an Mitarbeiter_innen. Diese kümmern sich um den Erhalt der Infrastruktur und die Betreuung der Mitglieder. Das eigentliche Serviceangebot in Form der Community wird aber durch die Vielfalt der Mitglieder bestimmt. Insofern nimmt die Factory eher eine Vermittlungsposition ein, als selber Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist das Unternehmen durchaus bestrebt, über eine neutrale Positionierung hinaus zu wirken: Neben der reinen Vermittlung, die „Leute mit den richtigen Leuten“ zusammenzubringen (Interview Fiona: 25), sollen auch anregende Räume, Reize und Gelegenheiten für Innovation geschaffen werden. Die Rolle der Factory changiert also zwischen passiver Vermittlungsstruktur und aktiver Anregung.

Um diese besondere Organisationsform einer intervenierenden Plattform begrifflich zu fassen, beziehe ich mich auf das Konzept der Intermediäre, das Janet Merkel und Lech Suwala (2021) im Zusammenhang mit kreativen und innovativen Arbeitsorten wie Co-Working-Spaces oder Inkubatoren verwenden. Ähnlich wie Schmidt und Brinks befassen sich Merkel und Suwala mit den neuen kreativen Arbeitsstätten – und zwar auf Grundlage empirischer Forschung in Berlin. Allerdings legen Merkel und Suwala ihren Schwerpunkt auf die Organisationsstruktur dieser Orte. Diese sei maßgeblich vermittelnd angelegt, gehe aber zugleich darüber hinaus: Eine wesentliche Funktion von Intermediären sei es, soziale und ökonomische Beziehungen hervorzubringen sowie eine Arbeitsatmosphäre herzustellen, die Interaktion, Kollaboration und Wissensaustausch anregt (ebd.: 57). Die Rolle der vermeintlich passiven Vermittlung umfasst also auch aktive Komponenten des Einwirkens auf Verhaltensweisen.

Dabei kommt es zu spezifischen Strategien der Verhaltenssteuerung. Schmidt (2019: 11) weist im Zusammenhang mit open creative labs auf eine Besonderheit der Organisationsform hin, die mit einer Praxis des Managens ohne klassische Verwaltungsstrukturen einhergeht. In ähnlicher Weise widmen sich auch Merkel und Suwala den Managementtechniken von Intermediären (2021). Diese verfolgten oftmals eine sozialräumliche Strategie, die auf das Kreieren von Räumen, Situationen und affektiven Arbeitsatmosphären abziele – ein Vorgehen, das von den Autor_innen als Kuratieren bezeichnet wird. Dies weist über ein bloßes Managen hinaus und bezeichnet vielfältige Praktiken, mit denen Co-Working-Spaces zu kreativen Räumen werden sollen (ebd.: 57 ff.). Mit dem Begriff des Kuratierens wird insofern eine einst im kulturellen Feld entstandene Kulturtechnik aufgegriffen. Ursprünglich aus dem Kunst- und Kulturbereich kommend, beschreibt Kuratieren eine zusammenhangstiftende Tätigkeit des Auswählens, Zusammenstellens und Präsentierens. Dieser Praxis wird schon länger ein Wandern in andere, vor allem digitale Felder attestiert (Weber/Ziemer 2023: 63 ff., 77). Auch in der Factory bezeichnet Kuratieren eine Praxis, die eine umfassende Form von Verhaltenssteuerung anstrebt und vielfältige Strategien des Herstellens einer Innovationscommunity umfasst.

Das Berliner Unternehmen kuratiert also, weil es ohne klassische administrative Strukturen agiert und kaum Handlungsvorschriften machen kann – ihm fehlen die Weisungsbefugnis und die Sanktionierungsmacht eines klassischen Arbeitgebers. Deshalb sucht die Factory nach Wegen der indirekten Einflussnahme, etwa durch eine sorgfältig und anregend gestaltete Arbeitsumgebung, durch die bedachte Auswahl und Komposition der Community oder durch eine Vielzahl von Events und sozialen Anlässen wie sogenannten meetups oder Hackathons (Factory Berlin 2022; Interview Florian: 17, 65 ff.). Im nächsten Textabschnitt möchte ich exemplarisch auf eine Technik des Kuratierens der Factory eingehen, die ich bei der Analyse meines empirischen Materials herausgearbeitet habe. Diese bezieht sich auf die städtische Umgebung.

4. Umgebung als Technik des Kuratierens: Die Platzierung in der digitalwirtschaftlichen Stadt

„Ich denke die Marke ‚Factory’ selbst ist sehr eng an Berlin gebunden. Und ich denke auch, […] Berlin bringt ein hohes Maß an internationalen und aufgeschlossenen Menschen mit sich. Als Stadt zieht es Talente an und so kommen Leute allein der Stadt wegen nach Berlin und finden erst in zweiter Linie einen Job. Man hat also eine ganze Menge an Leuten aus der ganzen Welt, die von der Kulturszene der Stadt angezogen werden, oder von irgendeinem vibe in der Stadt.”

(Interview Florence: 58)

Diese Äußerung der Community-Managerin der Factory zeugt von der Bedeutsamkeit des urbanen Kontexts der Stadt Berlin für das Unternehmen. Gemeinhin besitzt Berlin die Reputation einer „hippen“ Stadt (Manske 2016: 256). Die Factory baut auf dieses Verständnis auf und will „sich von der Stadt selbst inspirieren lassen“ (Interview Fiona: 68). Neben der Inspiration geht es jedoch auch um einen Prozess semantischer Filterung: Das Unternehmen stützt sich auf bestimmte Erzählungen über die Metropole, während es andere Realitäten der Stadt ausblendet – etwa die unmittelbare Nachbar_innenschaft oder andere Teile der kreativen Szene. Wenn die Factory also unter Bezugnahmen auf den urbanen Raum ihre Community herstellt, etabliert sie zugleich Ausschlussprozesse, die den einstigen Co-Working-Werten von Offenheit und Zugänglichkeit entgegenstehen.

Die Verflechtung der Factory mit Berlin zeigt sich bereits am Beispiel der Namensgebung. So wird mir erzählt, dass sich das Unternehmen vor einiger Zeit von „Factory“ in „Factory Berlin“ umbenannte. Der Namenswandel solle unterstreichen, „wo wir herkommen und auch sehr prägt, was die Factory ist“ (Interview Felix: 50). Mehrere Passagen in meinen Interviews deuten darauf hin, dass hierbei vor allem die Vorstellung ausschlaggebend war, dass Berlin sich durch ein besonderes, kreatives Potenzial auszeichnet. Community-Managerin Florence sagt in diesem Zusammenhang, Berlin sei „eine kreative Stadt, in der so viele coole Dinge passieren“ (Interview Florence: 58). Diese Seite von Berlin erweise der „Marke, unserem Unternehmen und unserer Community einen großen Dienst“ (ebd.). Das Wissen um die kreative Stadt Berlin setzen die Interviewten meist als allgemeingültig voraus. Das ist nicht überraschend, existiert doch der Ruf Berlins als Stadt der Künstler_innen nicht erst seit gestern. Seit dem 19. Jahrhundert galt die Metropole immer wieder als Sammelbecken für Kreative aus der ganzen Welt (Manske 2016: 221). Seit Beginn der 2000er Jahre wird die Hauptstadt auch explizit als kreative Stadt vermarktet (Colomb 2012).

Für den Standort der Factory ist dieses Image ausschlaggebend, ansonsten könne das Unternehmen laut Florian „ja in Dessau stehen oder so“ (Interview Florian: 167). Er erzählt weiter, dass es eben Städte wie Berlin seien, in denen „soziale Regeln das erste Mal aus den Angeln gehoben“ würden. Er unterstreicht die Pionierfunktion der Stadt, denn „irgendwann tanzen dann halt auch in anderen Städten ältere Leute zu Techno, aber [...] ich glaube, dass es halt in einer Stadt wie Berlin eher passiert“ (ebd.). Die Factory bindet sich in diesen Äußerungen explizit an die Zugkraft eines kreativen Pionierprestiges und platziert sich in Orientierung daran im urbanen Raum. Weder die Außenpräsentation der Factory noch die von mir interviewten Community-Manager_innen erläutern jedoch genauer, was man sich davon verspricht.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die Bezugnahme auf die kreative Stadt eigentlich eine Bezugnahme auf die digitalwirtschaftliche Stadt ist. So spricht die Factory zwar immer wieder von einer kreativen Community, benennt zugleich aber einen Unterschied zwischen Start-up-Pionier_innen und klassischen Kreativen, wie etwa Künstler_innen. Bislang sei es noch „kaum [zu] Kooperation der Start-ups mit der Kreativen Szene in der Stadt“ gekommen (Factory Berlin 2016a). Dabei sei Berlin „eine so kreative Stadt, wir wären dumm, wenn wir keine Programme für Kreative machen würden“, erläutert eine Mitarbeiterin (Interview Florence: 50). Implizit heißt das, dass klassische Kreative erst noch in die eigene Community integriert werden müssten. Bislang beherbergt die Factory vornehmlich digitalwirtschaftliche Akteur_innen. Das zeigt auch ihre Selbstbeschreibung als „tech“, „digital“ oder „tech community“ (Factory Berlin 2020, 2020). Der eigentliche Fokus der Factory liegt also auf der Digitalwirtschaft.

In diesem Sinne knüpft das Unternehmen vor allem an die Erzählung einer Erfolgsgeschichte von Berlin als Start-up-Metropole an. In der medialen Debatte wird die Hauptstadt immer wieder in den Top 10 globaler Start-up-Orte gelistet. Sie gilt als digitalwirtschaftliches Zentrum mit ausgeprägter Gründungskultur (Bundesverband Deutsche Startups 2020: 12 ff.). Die Stadt übe, so der Startup Monitor Berlin, weltweit eine Anziehungskraft auf talentierte Entrepreneur_innen aus. Seit einigen Jahren habe der Digitalsektor zu Wachstum und zusätzlichen Arbeitsplätzen geführt (ebd.: 7 ff.; Bundesverband Deutsche Startups 2021). Auch der Berliner Senat betont die große ökonomische Bedeutung der Digitalwirtschaft (SenWi 2018, 2021, 2022). Die Factory scheint dem beizupflichten.

Das Berliner Unternehmen affirmiert also das Bild einer digitalwirtschaftlichen Stadt und möchte von der räumlichen Nähe zu dieser profitieren. Anlässlich der Eröffnung des Standorts am Görlitzer Park erklärt es Berlin zum wichtigsten Innovationsstandort außerhalb des Silicon Valleys (Factory Berlin 2016b). Dabei zeigt man sich überzeugt davon, selbst dazu beizutragen, Start-ups, Konzerne und Mittelstand zusammenzubringen, um gemeinsam die digitale Welt der Zukunft zu formen (Factory Berlin 2016b). Auch wenn Mitarbeiter_innen des Unternehmens die Pionierposition des Silicon Valleys letztlich nicht infrage stellen, heben sie in den Interviews immer wieder die Vorteile Berlins hervor. Hier gehe es „verspielter“ zu als etwa im Silicon Valley oder in London und es sei „nicht so extrem abgedreht wie manchmal woanders“, aber „gleichzeitig doch sehr Berlin und Partys und kreativ und irgendwie neue Arten des Denkens und Ausprobierens“ (Interview Frieda: 102). Dabei verspricht sich das Unternehmen von der Nähe zu einer städtischen Techcommunity offenbar, dass diese sich auch im eigenen Haus widerspiegelt. Mitarbeiter_innen gehen einfach davon aus, dass sich die „größeren Dynamiken des Start-up-Ökosystems in Berlin“ in der Factory wiederfinden (Interview Finn: 91). Mit der Platzierung in einer Stadt, der eine rege Start-up-Szene nachgesagt wird, erhofft sich die Factory also Vorteile für Image und Markenbildung sowie Zugang zu digitalwirtschaftlichen Akteur_innen.

Der Fokus auf die Kreativen in der Stadt entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Fokus auf die Akteur_innen der Digitalwirtschaft. Darin kommt eine Verengung eines Kreativitätsverständnisses zum Ausdruck. Generell erweist sich die Factory weniger als „Tor zur Stadt“, wie es ein Mitarbeiter erzählt (Interview Finn: 53), sondern eher als Türsteherin. Das ist auf gewisse Weise wörtlich zu verstehen: Am Eingang der Factory sind Personen oder digitale Türöffner positioniert, die kontrollieren, wer hineinkommt und wer nicht (Beobachtungsprotokolle Juni 2019; November 2019). Das markiert meines Erachtens einen großen Unterschied zu einer Konzeptionierung von Co-Working-Spaces als Interfaces, also als technische Schnittstellen der Kommunikation, wie sie Co-Working-Forscherin Merkel entworfen hat, wenn sie schreibt, dass Co-Working „als Interface mit dem kreativen Milieu der Stadt“ interagiere (Merkel 2015: 133). Merkel geht davon aus, dass Co-Working-Spaces in ihrem spezifischen Set an Sozialstrukturen Städten ähneln. Ihrer Meinung nach ermöglichen sie nicht nur Begegnung und Interaktion zwischen Nutzer_innen, sondern auch mit Nachbar_innen oder anderen sozialen Gruppen in der Stadt, was zu neuen Vergemeinschaftungen beitrage. In diesem Sinne seien viele Spaces nicht nur Arbeitsorte und potenziell neue Orte für Innovation (ebd.: 132 ff.), sondern eine Art Nachbarschaftscafé (Merkel 2017: 37, 40). Mit Blick auf die Factory wird schnell klar, dass es sich bei dieser nicht um ein Nachbarschaftscafé handelt.

Die Factory erweist sich keinesfalls als Abbild ihrer Nachbar_innenschaft. Das möchte ich anhand von Interviewaussagen deutlich machen. So erzählt mir beispielsweise Community- Manager Florian, dass zwar niemand absichtlich „white males“ priorisiert habe, diese aber dennoch „dort genauso wie überall anders“ besonders stark repräsentiert seien (Interview Florian: 49). „Wie überall anders“ muss in diesem Zusammenhang auf die Techcommunity bezogen werden. Denn die lokale Umgebung des Bezirks Kreuzberg, auf den die Befragten wesentlich Bezug nehmen, ist stark migrantisch geprägt. Der Bezirk hat einen hohen Anteil von Bewohner_innen mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund (Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg 2020). Dies spiegelt sich in der Factory nicht wider.

Insofern deutet sich auch eine hierarchisierende Bewertung unterschiedlicher internationaler Hintergründe an. So betonen Mitarbeiter_innen des Unternehmens die große Bedeutung einer internationalen Zusammensetzung der Mitglieder (Interview Florence: 44), beziehen sich dabei allerdings vornehmlich auf Menschen aus dem EU-Ausland, die den Hauptanteil nicht-deutscher Personen an der Community der Factory ausmachen (Interview Frieda: 68). Auf meine Nachfrage nach der Einbindung lokaler Nachbar_innen in diese Community erzählt mir Community-Managerin Frieda unmittelbar von Charity und Zugangsmöglichkeiten für Geflüchtete und verweist auf Integrationsprogramme für Einzelpersonen (ebd.: 102). Damit vermittelt sie einerseits klar die Botschaft, dass die lokalen Nachbar_innen nicht die Zielgruppe des Unternehmens sind. Andererseits geht sie davon aus, dass in der Umgebung vor allem Geflüchtete wohnen. Sie macht deutlich, dass diese nicht dem anvisierten Talentpool der Factory entsprechen. Das zeigt einmal mehr die Ausschlüsse, die mit der ökonomisierten Perspektive auf eine Community einhergehen.

Das Berliner Community Unternehmen situiert sich also absichtsvoll in der Nähe der Digitalwirtschaft, um eine eigene Community glaubwürdiger als digital und innovativ darstellen zu können. Die Technik des Kuratierens über die Umgebung erfolgt also unter anderem über ein digitalwirtschaftliches Image, das mit Ausschlussprozessen verbunden ist.

5. Fazit

Die Factory Berlin präsentiert sich als Community-Space zum Zweck der Innovationsproduktion und damit als Teil einer Diskursformation, die man als digitalwirtschaftlichen Urbanismus bezeichnen kann. Insofern ist das Berliner Unternehmen ein geronnenes Beispiel eines neu entworfenen Arbeitsortes, der aktuelle urbane Innovationsdebatten mit vorantreibt und Lösungen für aufgeworfene Problemzusammenhänge sucht. Als Lösung für ein Innovationsproblem, hier verstanden als konstatierte Herausforderung des permanenten Hervorbringens von Neuerungen, führt die Factory ihr Konzept einer innovativen Community ins Feld. Diese Indienstnahme von Gemeinschaft kann als Beispiel für die Vereinnahmung einst nicht ökonomischer Felder – etwa des Sozialen – zum Zwecke ökonomischer Verwertbarkeit verstanden werden.

Im Ausblick auf weitergehende Untersuchungen verstehe ich die Factory zudem als einen „entrepreneurialen“ Ort mit der Erwartung an ein unternehmerisches Mindset (Interview Florence: 24). Diese Erwartung adressiert nicht nur die vor Ort anwesenden sogenannten Entrepreneur_innen, also potenzielle Gründer_innen von Start-ups, sondern alle Mitglieder der Factory (Interview Frieda: 46). Das markiert wiederum die Zugehörigkeit der Factory zum Diskurszusammenhang des digitalwirtschaftlichen Urbanismus. Denn dieser ist nicht nur innovationsorientiert, sondern auch unternehmerisch. Laut Rossi und Di Bella (2017) steht im Hightechsektor häufig im Vordergrund, dass möglichst jede Person unternehmerisch tätig werden soll, wobei Techentrepreneur_innen zum Leitbild dieser Subjektivierungsform werden. Das unternehmerische Selbst wird somit zum Subjektideal von immer mehr Menschen in immer mehr Lebensbereichen (ebd.: 3 ff.; Bröckling 2007) – so auch in der Factory.

Dabei erhält dieses Subjektideal im Berliner Unternehmen durch den starken Fokus auf die Community eine zusätzliche Dimension: Propagiert wird eine Subjektivierungsweise, die zugleich individuell unternehmerisch und kollektiv, also an der Community ausgerichtet ist. Diese Gleichzeitigkeit widersprüchlich anmutender Anrufungen bringe ich im Begriff der Communitypreneur_in zusammen. Wie genau, gilt es noch zu erkunden.