sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(1/2), 347-354

doi.org/10.36900/suburban.v11i1/2.843

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CC BY-SA 4.0

Weder ein Ende der Arbeit, noch der Fabrik

Rezension zu Moritz Altenried (2022): The digital factory. The human labor of automation. Chicago/London: University of Chicago Press.

Yannick Ecker

Abb. 1 The digital factory. The human labor of automation. (Quelle: University of Chicago Press)
Abb. 1 The digital factory. The human labor of automation. (Quelle: University of Chicago Press)

„A pattern seems to be emerging whereby the needs of time-poor households are met through the labour of the money-poor. [...] Their [the workers’] own work-life balance is likely to be even worse than that of the customers they serve, increasing their own dependence on the market and tightening still further the knots that tie them into the global digital capitalist economy.“

(Huws 2019: 20)

Mit diesen Worten resümiert die Arbeits­forscherin Ursula Huws einige relevante Aspekte des Phänomens Plattformarbeit, das gegenwärtig auch zahlreiche Stadt­forscher_innen beschäftigt. Dabei geht es um höchst relevante Fragen, etwa nach den Arbeitsbedingungen, aber auch dem Produktionsmodell, den städtischen Raumproduktionen und den sozialen Verhältnissen, mit denen plattformvermittelte Arbeit in Beziehung steht. Mit ebensolchen Fragen befasst sich auch Moritz Altenried in seiner jüngst veröffentlichten Arbeit The digital factory (2022) – stellt sie dabei jedoch auf ein gesellschafts- und raumtheoretisch neues Fundament.

Das Themenfeld wird bereits in sehr unterschiedlichen Disziplinen bearbeitet. So gibt es erstens arbeitssoziologische Auseinandersetzungen, die sich etwa mit Automatisierungsprozessen und algorithmischer Arbeitssteuerung auseinandersetzen und deren Folgen für betriebliche Herrschaft untersuchen. Zweitens haben sich vor allem Autor_innen aus der Kommunikations-, Medien- und Migrationsforschung mit der differenzierten Betroffenheit von Arbeiter_innen entlang von Kategorien wie Klasse, race und Geschlecht befasst. Die plattformgestützte Industrialisierung von Dienstleistungsarbeit zeigt sich als ein Prozess, der etwa auf spezifische Weise auf rassifizierte Arbeit zurückgreift, zu digitaler Unterschichtung beiträgt und soziale Ungleichheiten verschärft; gleichzeitig jedoch auch mit teilweisen Autonomiegewinnen für Arbeiter_innen einhergehen kann. Außerdem stehen digitalisierte Arbeitsverhältnisse in einem besonderen Zusammenhang mit großen Städten, die als Arbeitskräftereservoir und nachfragestarkes Experimentierfeld im Plattformurbanismus zum Gegenstand von Humangeographie, labor geography und Stadtforschung geworden sind.

Mit The digital factory. The human labor of automation legt Moritz Altenried nun eine umfangreiche Studie zu Formen plattformvermittelter Arbeit vor, die für zukünftige Forschungsvorhaben der Stadtforschung und Arbeitssoziologie in dem Feld wegweisend ist. Denn Altenrieds Arbeit stellt auf produktive Weise Verknüpfungen zwischen diesen Diskursen her, indem mehrere Vektoren die Richtungen des analytischen Blicks bestimmen. Altenrieds zentraler Vorschlag besteht darin, plattformvermittelte Arbeit als Arbeit in digitalen Fabriken zu begreifen. Der digitale Kapitalismus führe nicht zum Ende der Fabrik – vielmehr vervielfältige sich die Fabrik als Apparat und Logik der Organisation von Arbeit gar über digitale Technologien. Mit dem Konzept der digitalen Taylorisierung zieht Altenried für dieses Argument einen Schlüsselbegriff der Arbeitssoziologie heran. Zudem entlehnt er aus der Migrations- und Grenzforschung den Begriff der multiplication of labor (Mezzadra/Neilson 2013), um die Potenziale digitaler Arbeitssteuerung und ihren Bezug zur Einbindung einer räumlich und in ihrer Subjektivität fragmentierten Arbeiter_innenschaft zu analysieren. Als letzten Vektor benennt Altenried eine räumliche Sensibilität, die nicht an einem einzelnen Konzept festgemacht wird. Die digitale Fabrik könne unterschiedliche räumliche Formen annehmen, darunter die der Plattform. Sie reartikuliere als infrastructural space alltägliche Raumproduktionen sowie die räumliche Zusammensetzung der Arbeiter_innenklasse. Altenried sieht seine Studie als eine Fortsetzung der Kritik am Taylorismus, aber auch der Debatten über das operaistische Konzept der sozialen Fabrik. In diesem Sinne führt Altenried Analysen von Logiken und Implikationen digitaler Arbeitssteuerung über die Benennung des Arbeitsregimes der digitalen Fabrik als gemeinsames gesellschafts- und raumtheoretisches Fundament produktiv zusammen. Während ein solches Zusammendenken unterschiedlicher Analysedimensionen unbedingt nötig ist, lässt sich der Rückgriff auf einen abstrakten Fabrik-Begriff jedoch hinterfragen, wie nachfolgend diskutiert wird.

Der empirische Teil der Arbeit beruht auf einer über sieben Jahre andauernden empirischen und experimentellen Forschung mit unterschiedlichen qualitativen Methoden. Hierzu zählen Ethnographie und Interviewforschung sowie Analysen digitaler Technologien und weiterer Materialien (Publikationen von Unternehmen, Gewerkschaften usw.). Die Arbeit stellt sich hierbei als Synthese von vier Fallstudien dar, in deren Herzen jeweils die Auseinandersetzung mit Arbeit sowie Gespräche mit Arbeiter_innen selbst stehen. Das verbindende Glied dieses Zugangs ist die Ethnographie: über teilnehmende Beobachtungen (online und offline), die Arbeit für Plattformunternehmen und das Experimentieren mit Algorithmen versuchte Altenried in den digitalen Fabriken „präsent“ (ebd.: 12) zu sein.

An eine knappe Einleitung zur Vorstellung des Forschungsdesigns knüpft Altenried mit einer Besprechung der vier Fallstudien an, in denen er die Analysevektoren auf je unterschiedliche Weise verfolgt, um die Konturen einer wachsenden digitalen Arbeitswelt zu erkunden.

Im Kapitel 2 „The global factory: Logistics“ steigt Altenried mit einer Historisierung gegenwärtiger Transformationen der Arbeit ein – vor dem Hintergrund der Disziplin der Logistik. Anhand von Amazon-Warenlagern, UPS-Fahrer_innen und städtischen Fahrradkurier_innen betrachtet er die Logistik der arbeits- und damit für Unternehmen kostenintensiven letzten Meile. Hierbei macht der Autor die digitale Taylorisierung und Plattformisierung anschaulich als Momente derselben Bewegung zur Bewältigung dieser letzten Meile aus. Digitale Taylorisierung verweise auf Strategien der algorithmisch-gestützten Zerlegung, Messbarmachung und Kontrolle des Arbeitsprozesses. Bei Plattformisierung gehe es um den digital-gestützten Zugriff auf kontingente Arbeit, die möglichst auf Abruf und auf Basis von Stücklöhnen stattfinde, unterhalb etablierter Arbeitsstandards für Beschäftigte.

Kapitel 3 „The factory of play: Gaming“ steigt anhand der Arbeit von Qualitätstester_innen und Goldfarmer_innen in die politische Ökonomie der Videospiele ein. Goldfarmer_innen sind Arbeitskräfte, die etwa in Workshops und Fabriken im Globalen Süden versammelt für meist im Globalen Norden lebende Spieler_innen Währung oder Vorteile in Online-Rollenspielen freispielen und gegen Geld verkaufen. Altenried plausibilisiert an diesen Beispielen überzeugend die Stärke des Analysekonzepts virtueller Migration als einer der multiplizierten Formen von Arbeit sowie die Bedeutung räumlich fragmentierter Arbeitsprozesse, die digital vermittelt möglich werden.

In Kapitel 4 „The distributed factory: Crowdwork“ nimmt Altenried eine kritische Einordnung der technologischen Versprechen von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz vor. Er betrachtet plattformvermittelte Crowdworker_innen, die microtasks wie etwa Produktbeschreibungen oder Bilderkennungen umsetzen. Auf diese Weise erkundet er das Konzept der multiplication of labor weiter. Die digitale Fabrik zeige hier, wie sie auf standardisierte Arbeit zugreife, ohne diese – im Gegensatz zur analogen Fabrik – räumlich oder subjektiv zu homogenisieren. So zeigten sich auch spezifische Zugriffs- und Kombinationsmöglichkeiten, beispielsweise für Frauen, die tagsüber mehrheitlich Sorgearbeit verrichten, oder für räumlich verteilte microtasker im Globalen Süden, wo Crowdworking als Teil von Entwicklungsstrategien angesehen werde – etwa in Kenia.

Im fünften Kapitel „The hidden factory: Social media“ schließt Altenried eine Politisierung digitaler Infrastrukturen an. Er rückt die materiellen Grundlagen von Diensten wie Facebook in den Fokus: Serveranlagen, Datenzentren und eigene Unterseekabel. Aber auch die unsichtbare Infrastrukturarbeit outgesourcter Kommentarmoderator_innen greift der Autor als erhellendes Beispiel heraus. Altenried zeigt hieran, wie hinter der von Nutzer_innen oft als selbstverständlich wahrgenommenen Funktionalität von Infrastrukturen Arbeiter_innen stecken, die über digitale Fabriken koordiniert werden.

Die aus den drei zuvor beschriebenen Vektoren bestehende Analysematrix bringt Altenried in der Diskussion dieser Fallstudienkapitel aus unterschiedlichen Winkeln mit der Empirie in Kontakt, um in der entstehenden Analyse und Diskussion den Begriff der digitalen Fabrik zu entwickeln. Hierbei zeigen sich auf ambivalente Weise einerseits die starke Integrationsleistung des Begriffs und andererseits dessen Schwächen aufgrund des hohen Abstraktionsgrads.

So ist Altenried mit dem Begriff in der Lage, äußerst heterogene Phänomene und Branchen zu fassen: mit der digitalen Fabrik und der digitalen Taylorisierung als ihrer Disziplin qualifiziert er eine spezifische Institution und Wirkweise, die den Netzwerk-Raum digitaler Plattformen regiert. Diese begriffliche Fassung ist auf zweifache Weise wegweisend: Zum einen, da sie im Gegensatz zu unscharfen Fassungen wie etwa dem Netzwerk im raumtheoretischen „TPSN framework“ (Jessop/Brenner/Jones 2008) die Benennung einer Raumform mit einer sie bildendenden Strategie und deren qualitativen Effekten verknüpft. Zum anderen, indem sie eine lose Benennung, etwa als digitalisierte Arbeit, durch eine konkrete und analytisch-nützliche Bezeichnung der Gestaltung von Produktionsbeziehungen ersetzt. Indem der Begriff digitale Fabrik Fragen der Arbeitssteuerung in Hinblick auf Subjekt- und Raumproduktion erweitert, bietet er ein umfassendes gesellschafts- und raumtheoretisches Fundament für die Analyse digitalisierter Arbeitsverhältnisse. Die digitale Fabrik wird zum Diagramm eines räumlich und sozial restrukturierten Arbeitsprozesses, der die Zusammensetzung der Arbeiter_innenklasse umgestaltet. Argumentativ leistet Altenried so einen wertvollen Beitrag, der auch Strategiefragen berührt: statt revolutionären Hoffnungen auf die Anrufung eine_r digitale_n Fabrikarbeiter_in als einheitlichem Klassensubjekt zu schüren, weist Altenried vor allem auf die Bedeutung einer Analyse hin, die die multiplen Formen und Kontexte der digitalen Fabrik versteht. Die Kämpfe in digitalen Fabriken seien äußerst heterogen. Ihr Erfolg hänge von der Entwicklung neuer Ansätze digitalen Organizings ab.

Methodologisch erweist sich die zur Anwendung gebrachte „experimentelle Methodologie“ (Altenried 2022: 15) als dem Gegenstand angemessen und analytisch gewinnbringend. Die Integrationsleistung, die auf theoretischer Ebene der Begriff der digitalen Fabrik leistet, erbringt empirisch die ethnographische Vorgehensweise. Die gemeinsamen Logiken industrialisierter Dienstleistungsarbeit und Erfahrungen der jeweiligen Arbeiter_innen bei ihrer Arbeit werden durch diesen Zugang zu einer empirischen Klammer, die die Anwendbarkeit des Begriffs plausibilisiert.

Trotz des übergreifend äußerst wertvollen und facettenreichen Gehalts der Studie ergeben sich aus der Wahl des Fabrik-Begriffs auch Unschärfen. So kommt eine Reflexion der Kontinuitäten und Wandlungen des Begriffs zu kurz. Wenn die digitale Fabrik sich gerade durch räumliche Öffnung und Fragmentierung sowie den Verzicht auf die Homogenisierung der Subjektivität der Arbeiter_innen auszeichnet, verliert sie zwei zentrale definitorische Eigenschaften, die etwa Foucault (1995) dieser disziplinierenden Instanz zuschreibt. Diese Auslassung mag aufgrund der Positionierung in der operaistischen Tradition nachvollziehbar sein, jedoch bleibt auch eine Diskussion der Kontinuitäten und Ergänzungen des Begriffs der sozialen Fabrik aus. Weitere Unschärfen ergeben sich daraus, dass Altenried die digitale Fabrik zwar als „explizit räumliches Konzept“ (ebd.: 9) benennt, aber dessen Beziehung zu anderen Räumen, wie etwa den Büros eines Hamburger Spieleentwicklers, den Fabriken chinesischer Goldfarmer_innen oder der Wohnung einer heimarbeitenden Clickworkerin unklar bleibt. Der begriffliche Vorschlag wird hierbei ambivalent und regt zu Diskussionen über Alternativen zur Verknüpfung der analytischen Vektoren an. Statt mit der Fabrik zu einem Eckpfeiler Marx’scher Gesellschaftsanalyse zurückzukehren, böten sich Begriffe an, die eher als Strategien oder Prozesse in Beziehung zu unterschiedlichen Räumen treten können. Altenried selbst reflektiert dieses Problem indirekt in seiner Einschränkung der Reichweite der neuen Fabrikdisziplin: „digital Taylorism exists alongside other – markedly distinct – labor regimes“ (ebd.:17). Die Fabrik als einer der paradigmatischen Räume der europäischen Moderne hat das Denken über Arbeit und Gesellschaft lange genug dominiert – symbolische Anerkennung für Arbeit als Arbeit scheint es nur zu geben, wenn diese als in einer Fabrik stattfindend markiert wird. Dies zeigt sich etwa in der feministisch-geographischen Formulierung des „Zuhauses als eine[r] Art Fabrik“ (Fraeser/Schuster/Vogelpohl 2021: 123). Statt begrifflich zur Fabrik zurückzukehren und die Zentralität dieser Imagination fortzuschreiben, hätte Altenried bei Begriffen wie digitaler Taylorisierung, Industrialisierung von Dienstleistungsarbeit oder Plattformisierung bleiben und diese weiterentwickeln können. Gerade weil die digitalisierte Arbeitssteuerung räumlich fragmentierte Arbeitsprozesse erleichtert, ist es schade, dass Altenried die Analyse einzelner Räume und Lebenszusammenhänge nicht stärker vertieft. Mit Büro, Fabrik, Warenlager und Heimarbeit könnten beispielsweise verschiedene Räume und Machteffekte betrachtet werden, um zu analysieren, welche spezifischen Wechselwirkungen mit den Logiken digitaler Arbeitssteuerung sich zeigen. Altenrieds Wahl des Fabrik-Begriffs verschüttet leider auch ein praktisches Problem der gegenwärtigen bundesdeutschen Gewerkschaftspolitik: die Auflösung der alten Bindung zwischen Betrieb und Raum sowie deren Implikationen für Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts (siehe dazu Jürgens/Hoffmann/Schildmann 2017: 34 f.). Aus einer pragmatischen Sicht hätte es sich zum Beispiel angeboten, eine funktionale Fassung des Begriffs Betrieb zu entwickeln und so einen argumentativen Beitrag zu einer Erweiterung von Rechten in Bezug auf Mitbestimmung, Gewerkschaftsarbeit und Arbeitskampf und damit zur Einhegung von Scheinselbstständigkeiten zu leisten.

Diese Fragen der Begriffsbestimmung und Abgrenzung beeinträchtigen jedoch in keiner Weise den wissenschaftlichen Beitrag der Arbeit – sie sind vielmehr Teil der Diskussion, die unter anderem durch Altenrieds Beitrag in dieser Form überhaupt erst möglich wird. Die Studie verbindet die wichtigsten Diskurse zu einer schlüssigen Analysematrix und bietet damit unzählige Anknüpfungspunkte für zukünftige Arbeiten. Es ist daher zu wünschen, dass die Arbeit disziplinübergreifend große Beachtung findet und zur Konsolidierung eines Forschungsfeldes beiträgt, in dem disparate Konzepte und Erkenntnisse aus Arbeitssoziologie, Migrationsforschung und Humangeographie produktiv miteinander verknüpft werden.