sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(1/2), 47-67

doi.org/10.36900/suburban.v11i1/2.851

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 2. September 2022

Veröffentlichung online: 15. Juni 2023

Reproduktive Widersprüche im Plattform-Urbanismus von Körpern aus denken

Barbara Orth, Sylvana Jahre, Antonie Schmiz

Im vorliegenden Beitrag greifen wir die These einer Plattformisierung städtischer Infrastrukturen auf und erweitern sie um einen feministisch-geographischen Blick auf Körper. Ausgehend von einem Infrastrukturverständnis, das Plattformen als technische, materielle und sozial eingebettete Assemblagen begreift, arbeiten wir zunächst die Relevanz lokal verfügbarer und ortsgebundener Arbeitskraft als zentrales Element des Plattform-Urbanismus heraus. Anhand der scale der Körper als Maßstabsebene lassen sich die damit einhergehenden sozial-reproduktiven Widersprüche innerhalb des Plattform-Urbanismus nachverfolgen. Mittels zahlreicher Beispiele zeigen wir, dass sich diese Widersprüche auf verschiedenen scales artikulieren. Wir legen dar, dass die Plattformisierung städtischer Infrastrukturen mit einer Differenzierung von Körpern durch staatliche Migrationspolitik und die soziotechnischen Funktionslogiken der Plattformen einhergeht. Wir kommen zu dem Schluss, dass der scheinbar reibungslose und effiziente Plattform-Urbanismus von der aufrechterhaltenen Strukturierung und Hierarchisierung von Arbeit durch staatliche Regulation und soziale Differenzierung – von sichtbarer und unsichtbarer Arbeit – profitiert. Mit unserem Beitrag bieten wir durch feministische Perspektiven eine analytische Brille an, mit der sich die Differenzierungen von Körpern in der Plattform-Ökonomie entlang reproduktiver Widersprüche des Plattform-Urbanismus analysieren lassen.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Einleitung

Ausgehend von der These, dass digitale Plattformen zu städtischen Infrastrukturen werden, wollen wir feministische Theorien mit aktuellen Debatten um die Plattformisierung von Infrastrukturen in Dialog bringen und uns in diesem Artikel dem Thema Arbeit aus einer von den Science and Technology Studies (STS) inspirierten Perspektive auf Plattformen nähern. Infrastrukturen ermöglichen nach Brian Larkin (2013) zunächst die Zirkulation von Gütern, Menschen oder Ideen und einen damit verbundenen räumlichen Austausch. Infrastrukturen sind demnach definiert als „Dinge, die die Bewegung anderer Dinge ermöglichen“ (ebd.: 329, Übers. d. A.)[1]. Ein erweiterter, den STS entlehnter Infrastrukturbegriff versteht diese nicht als dead matter, sondern bezieht neben Materialität und Technologien zusätzlich die Menschen ein, die sie nutzen, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen sie ausgehandelt werden, und die sozialen Interaktionen, die sie hervorbringen (Burchardt/Höhne 2015; Latour/Roßler 2007). So besteht der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) beispielsweise unter anderem aus Bauteilen wie Schienen, Bahnhöfen, Wegweisschildern, Zügen, Software, aber auch aus Fahrer_innen, Nutzer_innen, Kontrolleur_innen, Wartungspersonal und Reinigungskräften. Für sein Funktionieren als städtische Infrastruktur benötigt er darüber hinaus politische Vorgaben wie Budgets, rechtliche Rahmenbedingungen wie Verkehrsregeln und sozial erwünschte Verhaltensweisen. Anhand dieses Beispiels zeigt sich, dass Infrastrukturen nie neutral sind. So lässt sich nachvollziehen, dass sie das gesellschaftliche Leben strukturieren und Ein- beziehungsweise Ausschlüsse von eben jenem produzieren (Amin/Thrift 2002; Burchardt/Höhne 2015; Farías 2010; Lancione/McFarlane 2016; Millington 2018). Die STS-Literatur vermittelt uns also, dass das Funktionieren einer Plattform im Sinne einer Infrastruktur neben technischen Aspekten wie Algorithmen, Hard- und Software auch menschliche und gesellschaftliche Bestandteile benötigt.

Diese menschlichen beziehungsweise gesellschaftlichen Elemente werden bisher in Bezug auf digitale Plattformen vor allem in zwei Kontexten diskutiert. Zum einen wird die fehlende datenpolitische und arbeitsrechtliche Regulation auf politischer Ebene thematisiert (vgl. Graham 2020). Zum anderen erfährt die Prekarität plattformvermittelter Dienstleistungen wie Essens- und Lebensmittelauslieferung sowie Fahr- und Putzdienste (Ravenelle 2019; van Doorn 2017) und deren Aushandlung durch Arbeitskämpfe wissenschaftlich und medial eine hohe Aufmerksamkeit (Altenried/Niebler 2022; Orth 2022). In diesem Beitrag versuchen wir, weitere menschliche und gesellschaftliche Elemente der Plattforminfrastruktur entlang sozial-reproduktiver Widersprüche des Plattform-Kapitalismus aufzuzeigen (Berfelde/Kluzik 2022). Indem wir uns besonders auf Körper fokussieren, können wir die materiellen und sozialen Dimensionen, die dem STS-entlehnten Infrastrukturbegriff immanent sind, zusammendenken und so eine Analyse ermöglichen, die über die prekären Arbeitsbedingungen plattformvermittelter Arbeit hinausgeht. Feministische Ansätze können dabei weniger sichtbaren Formen von Arbeit nachspüren (Gilbert 2023; Reid-Musson et al. 2020). Diese umfassen beispielsweise illegalisierte Formen plattformmediierter Arbeit wie Sexarbeit (Gilbert 2023) sowie infrastrukturelle „repair and maintenance“-Arbeit – im Folgenden als „Instandhaltungsarbeit“ übersetzt –, die für die Aufrechterhaltung der Plattform selbst nötig ist (Shapiro 2021). In Bezug auf Arbeit können Körper die Widersprüche des Plattform-Kapitalismus aufzeigen. Plattformen zeichnen sich dadurch aus, globale Firmen zu sein, die ihre Dienstleistungen lokal anbieten (Kenney/Zysman 2020). Daraus folgt, dass immer (auch) dort Körper notwendig sind, die der Plattform zur Verfügung stehen, wo sie im physischen Raum operiert. Aus der Expansionslogik des Plattformmodells ergibt sich das reproduktive Problem der massenhaften und kurzfristigen Bereitstellung von Arbeitskraft. In Ländern des Globalen Nordens wird das Vorhandensein dieser arbeitenden Körper auf der nationalstaatlichen Ebene durch Einwanderungspolitik geregelt. Gleichzeitig schreibt sich diese Regulationspolitik in Körper ein. Körper werden einerseits differenziert, um den reproduktiven Widerspruch des Plattform-Kapitalismus auf materieller Ebene zu lösen. Gleichzeitig wird an diese Körper auch unsichtbare Reproduktionsarbeit ausgelagert. Die damit einhergehenden Spannungen und Kämpfe können an Körpern „abgelesen“ werden (vgl. Bissell 2022). Arbeitskraft im Sinne von Körpern ist also durch ihre räumliche Verortung immer sowohl materiell als auch politisch und sozial positioniert (Hyndman 2019; Staeheli/Kofman 2004). Das führt zur Differenzierung arbeitender Körper entlang verschiedener Kategorien wie race, gender, age, ability (vgl. van Doorn 2017; Webster/Zhang 2020). Somit werden einerseits die infrastrukturellen Ungleichheiten des Plattform-Urbanismus an den Körpern der Arbeitenden sichtbar. Andererseits lassen sich über die scale der Körper Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Bedingungen ziehen, unter denen sich Plattformen entfalten können.

Um diese Überlegungen auszuführen, beginnen wir zunächst mit einer Einführung des Körpers aus feministisch-geographischer Perspektive. So arbeiten wir die scale des Körpers als wichtigen Ausgangspunkt für ein Verständnis reproduktiver Widersprüche heraus. Anschließend skizzieren wir die in der Plattformforschung geführte Debatte um die Neustrukturierung urbaner Räume im Plattform-Urbanismus. Diese Literatur zeigt, dass das Funktionieren von Plattformen verschiedene soziale und materielle Umstände voraussetzt beziehungsweise in diese eingebettet ist. Mit Aaron Shapiro (2021) lassen sich diese Umstände als reproduktive Voraussetzungen fassen. Durch die Sichtbarmachung der oft als selbstverständlich wahrgenommenen Körper (Longhurst 1997) können wir zeigen, dass reproduktive Widersprüche im Plattform-Urbanismus auf der scale des Nationalstaates sowie des Körpers verhandelt werden. Mit diesem Gedankenexperiment bieten wir eine Erweiterung der bestehenden Diskussion an. Die analytische Brille feministischer Geographien, das heißt ein Denken von der Maßstabsebene der Körper aus, kann so bisher unterbelichtete Aspekte der Plattformisierung städtischer Infrastrukturen ins Sichtfeld rücken.

2. Körper als scale des Plattform-Urbanismus

Körper sind zunächst materielle Objekte, bestehend aus Organen und Knochen. Konstruktivistische Feministinnen wie Donna Haraway (1990) und Elizabeth Grosz (1989) zeigen auf, dass Körper auch diskursiv über sprachliche Anrufungen geformt werden und somit in gesellschaftliche Machtbeziehungen eingebettet sind. Historisch haben biologische Zuschreibungen zur Abwertung bestimmter Körper geführt und tun dies weiterhin. So wurde beispielsweise die Form des weiblichen Körpers mit dem Nichtrationalen, dem „hysterischen“ Anderen assoziiert (Rose 1993; Foucault 1980). Auf ähnliche Weise wurden auch kolonisierten Körpern sowie denen der „unteren Klassen“ bestimmte körperliche Attribute zugeschrieben, um ihre gesellschaftliche Abwertung zu legitimieren (McClintock 1995; Alcoff 2006). Ein Körper ist deshalb von individuellen Erfahrungen und Subjektivierungsweisen gezeichnet, wird aber auch durch gesellschaftliche Machtverhältnisse rassistisch, sexistisch und so weiter markiert, vernarbt, transformiert und konstruiert (Longhurst 1997). So kann er von mehr als nur der eigenen persönlichen Geschichte erzählen; denn es ist möglich, von der scale des Körpers aus einen Blick zurück auf die gesellschaftlichen Bedingungen zu werfen, in denen der Körper geformt wurde.

Aus geographischer Perspektive sind Körper nicht nur auf diese Weise gesellschaftlich positioniert, sondern immer auch räumlich verortet (Autor*innenkollektiv Geographie und Geschlecht 2021: 167). Im Sinne einer feministischen politischen Geographie können Körper zum „analytischen Werkzeug, zum Maßstab, zum Ort“ (Mountz 2018: 761, Übers. d.A.)[2] werden, an dem sich gesellschaftliche Prozesse sichtbar machen lassen. Insofern werden Körper als scale der Wissensproduktion im Kontext der Plattformarbeit in diesem Beitrag relevant.

Für die Plattformforschung ergeben sich daher über ökonomische (De-)Regulationsmechanismen hinausgehende Implikationen. Menschen, die auf Plattformen arbeiten, sind weit mehr als reine Arbeitskraft: Sie werden ein Teil der Infrastruktur des Plattform-Urbanismus. Wie einleitend erwähnt, sind Infrastrukturen aus STS-Perspektive sowohl materiell als auch sozial eingebettet und damit immer politisch. Mit Lauren Berlant (2016) können Infrastrukturen selbst als Form von Leben verstanden werden: Straßen, Brücken, Schulen, Nahrungsketten, Finanzsysteme, Gefängnisse, Familien, Nachbarschaften – kurzum alles, was miteinander verbunden ist, um unsere Welt am Leben zu erhalten. Wir knüpfen damit an wichtige Überlegungen zu „people as infrastructure“ (Simone 2004) und „bodies as urban infrastructure“ (Truelove/Ruszczyk 2022) an. Menschen werden selbst zur Infrastruktur, wenn in ihren Körpern Knotenpunkte aus flexiblen, mobilen und provisorischen Begegnungen entstehen: „Diese Knotenpunkte werden zu einer Infrastruktur […], die das Leben in der Stadt ermöglicht und reproduziert.“ (Simone 2004: 408; Übers. d.A.)[3] In diesem Sinne bestehen Plattformen nicht nur aus technischen und materiellen Entitäten, sondern sie umfassen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, benötigen aber auch Arbeitskraft im Sinne von Körpern. Im Folgenden werden wir zeigen, warum es Körper zur Aufrechterhaltung des Plattform-Urbanismus braucht, wie diese Körper durch Migrationsregime und Aufenthaltstitel in Plattformarbeit hierarchisiert werden und wie Plattformen (gewaltvolle) Differenzierungen von Körpern reproduzieren.

3. Reproduktion im Plattform-Urbanismus

In der Plattformforschung wird derzeit diskutiert, inwiefern digitale Plattformen urbane Räume verändern und als Infrastrukturen das städtische Leben (neu) strukturieren (Altenried/Animento/Bojadžijev 2021; Berfelde/Kluzik 2022; Moertenboeck/Mooshammer 2021; Lee et al. 2020; Plantin et al. 2018; Shapiro 2022). Als Technologien sind Plattformen von vornherein nicht neutral; in dem Moment, in dem sie zu städtischen Infrastrukturen werden, reproduzieren sich die ihnen inhärenten Ungleichheiten in der Assemblage der Infrastruktur zusätzlich. Ausgehend von der bestehenden Debatte um digitale Plattformen als neue Infrastrukturen urbaner Räume fokussiert dieser Beitrag auf Plattformen, deren Geschäftsmodell auf der Externalisierung von Kosten beruht – in Abgrenzung beispielsweise zu Plattformen wie Facebook, deren Geschäftsmodell auf Werbung basiert (Srnicek 2017)[4].

Städte sind nicht nur zufälliger Schauplatz, sondern notwendige Voraussetzung für das effiziente Funktionieren des Plattformmodells. Der Begriff des Plattform-Urbanismus verweist auf die wichtige Rolle des urbanen Raums im Plattform-Kapitalismus (Barns 2020; Leszczynski 2020; Strüver/Bauriedl 2022). Die Urbanisierung technologischen Kapitals erfolgt in mehreren Phasen: Während sich die erste Phase der sogenannten Smart City vor allem durch die Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen und die Überwachung städtischer Räume auszeichnet, übernehmen digitale Plattformen in der zweiten Phase zunehmend die Organisation des städtischen Lebens (Sadowksi 2021). Plattformunternehmen werden selbst zu städtischen Infrastrukturen, indem sie materielle, soziale und digitale Komponenten einer städtischen Infrastruktur effizient bewegen und koordinieren: „Die Plattform nutzt die Handlungskapazitäten der verschiedenen Einheiten (entities), die mit ihr verbunden sind, und deren Netzwerke; [sie] manifestiert sich in der Koordinierung dieser Aktionen im städtischen Raum“ (Richardson 2020: 459, Übers. d.A.)[5].

Dieser Prozess, in dem privatwirtschaftliche Plattformunternehmen an die Stelle ehemals großer, (staatlich) monopolisierter Infrastrukturen treten und diese neu organisieren, wird in der Literatur als „Plattformisie­rung“ städtischer Infrastrukturen gefasst (Plantin et al. 2018)[6]. Die technische Kapazität, beispielsweise Fahrzeiten im dynamischen Straßenverkehr effizient berechnen zu können, setzt eine massenhafte Nutzung digitaler Endgeräte wie Smartphones voraus, sodass Plattformen in Echtzeit „bis in die Taschen der Stadtbewohner_innen hinein reichen“ (Leszczynski 2020: 193, Übers. d.A.)[7]. Neben der notwendigen Dichte an potenziellen Verbraucher_innen, Arbeiter_innen und Produzent_innen, die durch die Verbundenheit individueller Endgeräte ausreichend Daten produzieren (Artioli 2018; Davidson/Infranca 2016), bieten Städte auch „infrastrukturellen Mehrwert“ in Form öffentlicher Räume (Shapiro 2021). So bedienen sich Mobilitätsplattformen des öffentlichen Stadtraums, wenn E-Scooter auf Gehwegen und in Parks abgestellt werden und Carsharingautos kostenlos Parkraum beanspruchen. Ebenso können plattformvermittelte Dienstleiter_innen beispielsweise gut ausgebaute Fahrradwege nutzen und sich zwischen ihren Aufträgen in schattigen Parkanlagen mit Wasserspendern ausruhen. Diese allgemeinen Güter der Stadt werden von Unternehmen meist unentgeltlich (ab-)genutzt (Sadowski 2020). Plattformen sind also in „kollektiv produzierte[n] Infrastrukturen des städtischen Alltags“ (Shapiro 2021: 117, Übers. d.A.)[8] eingebettet, die instand gehalten werden müssen.

Shapiro (ebd.) folgend gehen wir davon aus, dass Arbeitskraft nicht nur im Sinne einer Bereitstellung von Dienstleister_innen ein wesentlicher Teil des Geschäftsmodells digitaler Plattformen ist (Altenried/Animento/Bojadžijev 2021; van Doorn 2017; Kenney/Rouvinen/Zysman 2021; Prassl 2018); vielmehr benötigen Plattformen selbst Arbeiter_innen, die die notwendigen reproduktiven Tätigkeiten verrichten, damit eine Plattform effizient funktionieren kann. So wurde für die Wohnungsvermittlungsplattform Airbnb herausgearbeitet, dass ihr Funktionieren durch die emotionale und reproduktive Arbeit der Nutzer_innen ermöglicht wird. Gastgeber_innen organisieren und übernehmen Reinigungen und Schlüsselübergaben und machen lokales Wissen touristisch verwertbar (Knaus 2020).

Diese „infrastrukturelle Reproduktionsarbeit“ kann im Sinne der STS als Instandhaltungsarbeit gefasst werden, wobei sie jedoch weitestgehend unsichtbar bleibt. Das liegt einerseits daran, dass diese Arbeit oft in privaten (Wohn-)Räumen verrichtet wird, andererseits aber auch an den raum-zeitlichen Logiken dieser Instandhaltungsarbeit. So müssen die Autos und E-Scooter von Mobilitätsplattformen außerhalb der belebten Verkehrszeiten von der Peripherie zurück ins Zentrum geschafft werden, damit das „Floating Car/Scooter/Bike“-Prinzip funktioniert. Und diese Arbeit geschieht meistens nachts, wenn die Nutzer_innen dieser Sharingdienste schlafen (Solmaz-Litschel/Zych 2021). Ebenso unsichtbar sind die Köch_innen, die in sogenannten ghost kitchens (Shapiro 2022) Essen zubereiten, welches dann durch (sichtbare) Fahrradkuriere an Kund_innen geliefert wird. An „infrastrukturellen Schnittstellen“ (Pollio 2021) im materiellen Raum wird diese unsichtbare Arbeit punktuell sichtbar: Die reibungslose und effiziente Nutzung von Uber an Flughäfen wird durch Hinweisschilder im Flughafengebäude, designierte Wartezonen für die Fahrer_innen, gezielt aufgestellte WiFi-Router und eigens eingesetzte Einweislots_innen hergestellt.

Instandhaltungsarbeit im Kontext digitaler Plattformen ist also im doppelten Sinn reproduktiv: Erstens braucht die „produktive“ Seite des Plattform-Urbanismus – also das Funktionieren der effizienten Koordination in Lizzie Richardsons (2020) Sinn neben Büro, Click- und Crowdwork – auch örtlich gebundene Arbeiter_innen, die die Plattform selbst am Laufen halten[9]. Zweitens muss sich diese Arbeitskraft ständig durch neue Arbeiter_innen reproduzieren, da die meisten Menschen nur wenige Monate am Stück und oft übergangsweise für eine Plattform arbeiten. Laut Shapiro ist es die „Aufgabe eines kritischen Plattform-Urbanismus [herauszuarbeiten, welche] Reproduktionsarbeit zur Aufrechterhaltung der [sichtbaren] Plattformarbeit erforderlich ist“ (2021: 117, Übers. d.A.)[10]. Wir folgen diesen beiden Perspektiven, indem wir Körper als Prisma herausarbeiten, an dem sich diese alltäglichen, sozial-reproduktiven Widersprüche des Plattform-Urbanismus kristallisieren. Wir wollen damit weitere empirische Forschung anregen und aufzeigen, dass ein Denken von der scale der Körper ausgehend ermöglicht, politökonomische und feministische Perspektiven zusammenzudenken.

Wie wir dargelegt haben, braucht eine Plattform, die in einer bestimmten Stadt als Infrastruktur funktionieren will, dafür auch vor Ort physisch anwesende Arbeitskraft. Ist eine Plattform also beispielsweise als Mobilitätsdienstleisterin in Berlin tätig, benötigt sie Arbeiter_innen vor Ort. Dies ist zunächst keine Besonderheit des Plattformmodells, sondern ließe sich auch auf andere Infrastrukturen wie den eingangs genannten ÖPNV oder Unternehmen im Dienstleistungssektor übertragen. Was die Plattform-Ökonomie jedoch von diesen Sektoren unterscheidet, ist die ihr inhärente Netzwerk-Expansionslogik. Plattformunternehmen sind oft auf viele Jahre unprofitabel – Amazon schrieb fast 30 Jahre lang rote Zahlen. Investor_innen nehmen diese unprofitablen Phasen jedoch in Kauf, denn der Mehrwert liegt im Netzwerk von Nutzer_innen, die das Unternehmen aufbaut. Innerhalb dieser Logik ist das kurz- bis mittelfristige Ziel also zunächst nicht Profitmaximierung, sondern eine möglichst schnelle „Skalierung“, das heißt ein schnelles Wachstum der Nutzer_innen und Netzwerke sowie eine räumliche Expansion. Die dafür benötigte Ressource an verkörperter Arbeitskraft steht Plattformunternehmen aber nicht in unbegrenzter Menge zur Verfügung, besonders nicht in konjunkturellen Phasen der Vollbeschäftigung.

Die Kernherausforderung der Skalierung hängt also an lokal zur Verfügung stehender Arbeitskraft. Dies wurde bisher besonders für Unternehmen, die selbst Arbeitskräfte vermitteln, erforscht. Sie versuchen, die große Menge notwendiger Arbeitskraft über Deregulierung professioneller Standards oder durch Automatisierung zu lösen (del Nido 2021; Dubal 2017; Rosenblat 2019). Dennoch gelingt es Unternehmen durch diese Strategien bisher nicht, ausreichend ortsgebundene Arbeitskräfte zu finden, die über notwendiges Wissen – beispielsweise einen Führerschein – verfügen und langfristig bereit sind, Plattformarbeit zu verrichten. Die Verfügbarkeit ortsgebundener Arbeitskräfte, ob sie nun plattformvermittelte Dienstleister_innen sind oder als unsichtbare Arbeiter_innen Instandhaltungsarbeit verrichten, so argumentieren wir im nächsten Abschnitt, wird vor allem durch staatliche Politiken hergestellt.

4. Migrationspolitische Regulation

Migrationsregime regeln den Zugang zu Nationalstaaten und somit auch zu Arbeitsmärkten und gesellschaftlichen Zugehörigkeiten. Dadurch produzieren staatliche Migrationspolitiken vielfach Ausschlüsse und bestimmen, wer in einem Land arbeiten darf und wer nicht. Gleichzeitig gibt es bestimmte Migrant_innen, die durch staatliche Einwanderungspolitik strategisch inkludiert werden, wie zum Beispiel Erntehelfer_innen oder Pflegekräfte. Diese „differentielle Inklusion“ (Mezzadra/Neilson 2013) findet sich in Europa auch in der Zusammensetzung der Plattformarbeit wider. So finden Plattformunternehmen ihre Arbeitskraft oft in Form migrantischer und rassifizierter Menschen (Altenried 2021; van Doorn/Ferrari/Graham 2020; McDonald/Williams/Mayes 2021; Piasna/Zwysen/Drahokoupil et al. 2022). Diese „Prozesse der sozialen Differenzierung, welche die Ausbeutung durch Plattformen erleichtern, werden an verschiedenen zeit-räumlichen Orten unterschiedlich artikuliert“ (Gebrial 2022: 2)[11]. Da sich diese Regulationsweisen also nicht verallgemeinern lassen, sondern geographisch variieren, beziehen wir uns hier auf den deutschen Kontext, um unser Argument durch Beispiele zu konkretisieren[12].

Empirisch lässt sich beobachten, dass Plattformarbeitende auf Reinigungs- und Essensauslieferungsplattformen in Deutschland nicht etwa Arbeitsvisa, sondern vielfach Working-Holiday-Visa oder Studierendenvisa besitzen (van Doorn 2020; Orth 2022). Allerdings haben nur wenige ausgewählte Nationalitäten die Möglichkeit, sich auf Working-Holiday-Visa zu bewerben, und sie stehen prinzipiell ausschließlich jungen Menschen unter 30 Jahren zur Verfügung (Auswärtiges Amt 2022). Studierendenvisa indes erfordern in Deutschland mindestens Englischkenntnisse auf C1-Niveau und häufig auch Deutschkenntnisse auf C1-Niveau. Natürlich bedarf es zudem einer Hochschulzugangsberechtigung, sodass Studierendenvisa im Vergleich zu anderen Aufenthaltstiteln mit hohen Anforderungen verbunden sind. Diese in staatlicher Einwanderungspolitik angelegten Ungleichheiten in den Zugängen zum deutschen Arbeitsmarkt und damit auch zu Plattformarbeit als Einkommensquelle werden dabei zusätzlich von den Plattformunternehmen selbst reproduziert.

So setzen die Arbeitsverträge bei Lieferdienstplattformen in Deutsch­land in der Regel einen Aufenthaltstitel mit Arbeitsgenehmigung voraus. Menschen mit Aufenthaltstiteln, die nur geringe Zuverdienste erlauben – beispielsweise weil sie noch im Asylverfahren sind oder nur eine Duldung haben –, müssen dagegen auf Plattformen ausweichen, die keine festen Arbeitsverträge ausstellen, sondern nach Stückarbeit, also pro Gig bezahlen. So haben empirische Studien zum Beispiel für Berlin gezeigt, dass Menschen, die für Fahrdienste wie FreeNow oder Uber fahren, oft Männer mittleren Alters mit Fluchtgeschichte sind, die mit den nach einzelnen Aufträgen abgerechneten Fahrten weit unter dem Mindestlohn bleiben (Fairwork Foundation 2022). Dabei arbeiten sie teils bis zu 90 Stunden pro Woche, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften (Piétron/Ruhaak/Niebler 2021: 36). Auf der einen Seite gibt es Plattformarbeitende mit den Aufenthaltstiteln als Studierende_r, anerkannter „Flüchtling“ oder mit Working-Holiday-Visa, die die Aufnahme sozialversicherungspflichtiger Jobs bei Lieferdiensten ermöglichen und dort aktuell Löhne von 12 Euro pro Stunde sowie zusätzliche Boni (Gorillas 2021; Lieferando o.J.) erhalten. Auf der anderen Seite stehen Aufenthaltstitel, die Menschen in Scheinselbstständigkeit oder illegalisiertes Arbeiten drängen. Dies wird besonders deutlich bei Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus – ein Phänomen, das bisher empirisch vor allem in Italien und Frankreich auftritt. So sind sans papiers häufig darauf angewiesen, Profile von Mittelspersonen mit legalem Status zu nutzen (PICUM 2022). Wie Sheana Ahlqvist (2020) im italienischen Kontext darlegt, kann das gemeinsame Arbeiten unter einem Profil zwar als solidarische Praxis unter Plattformarbeitenden verstanden werden, führt aber mitunter auch zur Ausbeutung durch die Mittelspersonen.[13]

Wie diese Beispiele verdeutlichen, ist Plattformarbeit nicht einfach nur migrantische Arbeit. Für viele Migrierende sind besser bezahlte Plattformjobs aufgrund ihres Aufenthaltsstatus nicht erreichbar, was zu einer Hierarchisierung von Plattformarbeitenden auf der Basis ihres Aufenthaltsstatus führt. Wenn „von den Rändern“ auf Migration geblickt wird, zeigt sich ein „konfliktreiche[s] Zusammentreffen von unterschiedlich konnotierten, unterschiedlich sichtbaren Mobilitäten und Mobilitätsregimen zu höchst unterschiedlichen Bedingungen“ (Römhild 2019: 28). Wer wo und wie Plattformarbeit verrichtet, wird durch migrationspolitische Regulierungen des nationalen – beziehungsweise im Falle der EU supranationalen – Grenzregimes geregelt und differenziert. Plattformunternehmen profitieren wiederum davon, dass es genug Migrierende gibt, die ihnen für eine schnelle Expansion zur Verfügung stehen und gleichzeitig „kostenneutral“ angeworben werden können. Statt als Visumssponsoren aufzutreten oder beispielsweise über Subunternehmen Arbeiter_innen aus osteuropäischen Nachbarländern anzuwerben, können Plattformen auf Migrierende zurückgreifen, die schon im Land sind.

5. Differenzierung von Körpern in der Plattform-Ökonomie

Die beschriebene Differenzierung nach Aufenthaltsstatus ist ausschlaggebend für die Positionierung der Plattformarbeitenden auf dem Arbeitsmarkt und kann als Einschreibung der Grenze in ihre Körper gedeutet werden (Gilmartin/Kuusisto-Arponen 2019). Körper werden nicht nur als Orte verstanden, an denen Diskurse und Machtbeziehungen abgebildet, verkörpert und bekämpft werden, sondern Körper sind auch räumlich kontingent. Das Verständnis von dem, was (unterschiedliche) Körper sind, verschiebt sich durch Raum und Zeit, und individuelle Lesarten dessen können sogar am gleichen Ort variieren (Nast/Pile 1998; Teather 1999). So sind Rassifizierungen beispielsweise ortsspezifischen Machtverhältnissen unterworfen. Welche Körper in welchen räumlichen Kontexten rassifiziert werden, also unsichtbar bleiben können oder sichtbar werden, lässt Schlüsse auf gesellschaftliche Diskurse und gelebte Realitäten zu. Auf Plattformen bezogen lässt sich dies an der Rassifizierung der Körper Plattformarbeitender verdeutlichen. So ist eine Person, die als Essenslieferant_in in der Plattform-Ökonomie arbeitet, in ihrer Heimatstadt gegebenenfalls nicht rassifiziert, sondern erst dann, wenn sie als nicht-weiße Arbeitsmigrant_in nach Europa kommt. Dazu hat die feministische Literatur herausgearbeitet, dass auch die Formen, die Körper annehmen, Rückschlüsse auf bestimmte gesellschaftliche Bedingungen zulassen (Andueza et al. 2021: 800). Mehr noch:

„Die verkörperten und geschlechtsspezifisch differenzierten Dimensionen von Infrastrukturen stellen integrale Formen gelebter Infrastrukturen dar, die das Funktionieren kritischer Netzwerke in der Stadt ermöglichen und gleichzeitig das städtische Leben und die Politik der Ein- und Ausgrenzung tiefgreifend prägen.“

(Truelove/Ruszczyk 2022: 2, Übers. d.A.)[14]

Das Beispiel von Fahrradkurieren kann verdeutlichen, welche Anfor­derungen Plattformen an Körper stellen, aber auch, welchen Belastungen Körper ausgesetzt sind: das Arbeiten in den Abgasen des Stadtverkehrs sowie bei extremer Kälte oder Hitze. Letzteres wurde immer wieder zum Ausgangspunkt von Arbeitskämpfen. So beschleunigte sich der Prozess der Organisierung unter den Berliner Gorillas-Arbeiter_innen im Februar 2021, als ein außergewöhnlich kalter Winter die Arbeitsbedingungen besonders widrig machte (Orth 2022). Auch die Durchsetzung eines Betriebsrats durch Fahrradkuriere in der Berliner Sektion von Lieferando wurde durch temperaturbedingte Arbeitsbelastungen während der Hitzewelle im August 2022 bestärkt.

Dies verdeutlicht, dass ein physisch und mental gesunder Körper die Voraussetzung ist, um viele Formen von Plattformarbeit überhaupt verrichten zu können. So ist es auch wenig verwunderlich, dass Plattformarbeitende im Durchschnitt sehr jung sind (Piasna/Zwysen/Drahokoupil 2022). Die Körper der Plattformarbeitenden sind keineswegs „neutral“ oder gleich, sondern vielfach in soziale und ökonomische Zusammenhänge eingebettet. Damit hilft diese Perspektive, Körper – insbesondere im Kontext von Plattformarbeit – nicht auf ihre physische Arbeitskraft zu reduzieren. Feministische Theorien und Arbeiten der STS weisen darauf hin, dass Körper mehr sind als nur „der materielle Ort sozialer Prozesse, vielmehr sind soziale Prozesse selbst grundlegend verkörpert“ (Andueza et al. 2021: 800, Übers. d.A.)[15]. Dies bedeutet, eine Analyse muss über die prekären Arbeitsbedingungen auf Plattformen hinausgehen, denn Körper sind nicht nur als Arbeitskraft in ihren Materialitäten zu erklären. Vielmehr sind verkörperte Fähigkeiten wie das Fahrradfahren selbst, die sichere Fortbewegung im Stadtverkehr sowie die Orientierung in der Stadt weitere Voraussetzungen, die stark von der Sozialisation und dem Herkunftskontext einer Person abhängig sind. So ist das Fahrrad in vielen Ländern kein alltägliches Fortbewegungsmittel, das Fahrradfahren also nicht wie in Deutschland sprichwörtlich eine Fähigkeit, die im Kindesalter erlernt und dann nie wieder vergessen wird, sondern eine spezifische Anforderung, die Ein- und Ausschlüsse produziert. Für den Plattform-Urbanismus wirft das die Fragen auf, welche Formen Körper als Infrastrukturen ganz allgemein annehmen, aber auch, welche machtvollen Politiken der Ungleichheit mit Blick auf Körper in der Plattformarbeit sichtbar werden.

Forschungen zu haushaltsnahen Dienstleistungen zeigen beispielsweise, wie implizite gesellschaftliche Standards verkörpert werden. Anders als Fahrdienste oder Essenslieferungs-Apps finden reproduktive Tätigkeiten im intimsten Raum, dem Zuhause, statt und betreffen oft diejenigen Mitglieder eines Haushalts, die aufgrund ihres jungen oder hohen Alters besonders verletzlich sind. Deswegen setzen Plattformen, die Betreuung und Hilfstätigkeiten im Haushalt vermitteln, verstärkt auf ausführliche Profile, um sicherzustellen, dass ein_e Arbeiter_in „vertrauenswürdig“ ist (Ticona/Mateescu/Rosenblat 2018). Meist verlangen Haushaltsplattformen ausführliche Arbeiter_innenprofile mit vielen Bildern, Fotos und persönlichen Angaben. Arbeiter_innen werden durch diese Plattformdesigns gezwungen, ihre Persönlichkeit und ihre Körper „in Szene zu setzen“ (ebd.). Diese Zurschaustellung von Körpern folgt vergeschlechtlichten und rassifizierten Standards: So beschreiben Julia Ticona und Alexandra Mateescu (2018), dass afroamerikanische Gig-Worker_innen viel Zeit dafür aufwenden, ihre Haare zu glätten, um so einem weißen Standard von Professionalität zu entsprechen. Im US-amerikanischen Kontext, in dem natürliches, ungeglättetes afroamerikanisches Haar oftmals rassistisch abgewertet wird, ist diese gesonderte Zeitinvestition nötig, um Gigs auf Plattformen zu erhalten, die haushaltsnahe Dienstleistungen wie Babysitten, Putzen oder Hundesitten anbieten. Auch Natasha A. Webster und Qian Zhang (2020) beschreiben, wie ein Plattform-Geschäftsmodell in Schweden, das hausgemachtes „ethnisches“ Essen verspricht, auf rassifizierte und vergeschlechtlichte Stereotype zurückgreift. Anders als die traditionelle Vermittlung von Dienstleistungen über persönliche Netzwerke oder (Leiharbeits-)Firmen stellen digitale Plattformen durch ausführliche Bewertungs- und Ratingsysteme eine neue Qualität der Überwachung von Arbeiter_innen dar (Ivanova et al. 2018; Schoenbaum 2016; van Doorn/Ferrari/Graham 2020). Eine schlechte Bewertung macht es für die Arbeiter_in schwieriger, ihren nächsten Auftrag zu bekommen, da die Algorithmen für positive Bewertungen und Beurteilungen optimiert sind. Bewertungsfunktionen produzieren somit eine permanente Differenzierung und Hierarchisierung der Körper und zwingen Arbeiter_innen dazu, viel unbezahlte Zeit in die Pflege ihrer Profile zu investieren. So macht das Design einiger digitaler Plattformen – sowohl in der Gestaltung als auch durch die dahinter liegenden Algorithmen – heute die Persönlichkeit und das Aussehen von Arbeitenden zur Ware (Flanagan 2019), und die Algorithmen bestimmen über ihre Marktfähigkeit.

6. Fazit

Es war unser Ziel, unterschiedliche Debatten innerhalb der Plattform­forschung zusammenzudenken und die vielfach vorgebrachte politökonomische Kritik an Plattformen um eine feministische, STS-inspirierte Perspektive zu erweitern und damit für die kritische Stadtforschung fruchtbar zu machen. Die Perspektive der STS ermöglicht es, verkörperte und politische Aspekte der Plattformarbeit als Teil einer Infrastruktur zu verstehen. So haben wir gezeigt, dass menschliche Arbeitskraft im Sinne von Körpern ein wichtiges Element dieser Infrastruktur ist. Dazu haben wir zunächst Migrationspolitiken als maßgeblichen Teil der Assemblage skizziert, da die massenhafte und kurzfristige Bereitstellung von Arbeitskraft in Ländern des Globalen Nordens nur über Zuwanderung möglich ist. So wird staatliche Regulierung im Sinne einer differenziellen Migrationspolitik zu einer zentralen Voraussetzung für das Funktionieren der Infrastruktur – zumindest im deutschen beziehungsweise europäischen Kontext. Wir konnten hier also darstellen, dass Plattformen von staatlichen Regulierungen und Hierarchisierungen profitieren und diese selbst reproduzieren.

Des Weiteren haben wir herausgearbeitet, dass nicht alle Körper auf die gleiche Art und Weise in der Lage sind, für Plattformen zu arbeiten. Die Perspektive der Körper erweitert politökonomische Debatten zu prekären Beschäftigungsverhältnissen um die Frage verkörperter Ungleichheiten. Körper werden nicht nur im Migrationsprozess rassifiziert und migrantisiert, sondern auch nach ihrer Leistungsfähigkeit, nach geschlechtsspezifischen Stereotypen, nach normativen Schönheitskriterien oder nach gesundheitlichem Zustand differenziert. Generell ergeben sich aus diesen Ausführungen Fragen danach, wie Körper mit Fähigkeiten ausgestattet sind, aber auch, wie Nichtfähigkeiten und Behinderungen zum Ausschluss führen können, wie bisher im Themenfeld der Plattformforschung nur für Crowdwork erforscht wird (Frieß/Nowak 2021). Gerade eine Betrachtung körperlicher Anforderungen und die daraus resultierende Differenzierung von Körpern können die bestehenden Analysen von Plattformen als städtische Infrastrukturen ergänzen.

Des Weiteren bietet unsere Diskussion Anknüpfungspunkte dafür, Plattform-Urbanismus auf anderen scales anzuschauen. So können die infrastrukturellen Schnittstellen (Pollio 2021) empirisch in den Blick genommen werden, die allzu häufig unsichtbar bleiben. Dies sind zum Beispiel die Privatwohnungen, in denen Care-Arbeit ausgeführt wird, oder aber die Restaurants, in denen das Essen zur Auslieferung vorbereitet wird. Auch ghost kitchens, in denen Speisen ausschließlich für Lieferdienste hergestellt werden, sind bislang wenig erforscht.

Die Plattform als Infrastruktur, so haben wir weiter ausgeführt, umfasst sowohl technisch-materielle als auch soziale Elemente. Neben der Vielzahl an mobilen Endgeräten und den entsprechenden Daten umfassen diese sowohl in privaten Räumen als auch in Plattformunternehmen oder im öffentlichen (Stadt-)Raum präsente sichtbare und unsichtbare arbeitende Körper, die den Plattform-Urbanismus aufrechterhalten. Den Blick auf diese unsichtbaren Räume und die körperlichen Anforderungen der darin ausgeführten Tätigkeiten zu lenken, kann zu einem kritischen Verständnis davon beitragen, welche (Reproduktions-)Arbeit Plattformen benötigen, um als solche zu funktionieren.

Danksagung

Wir bedanken uns bei unseren Kolleg_innen Stephan Liebscher und Franziska Baum sowie den Herausgeber_innen und zwei anonymen Gutachter_innen für ihre konstruktiven und wertvollen Hinweise.