Dieser Artikel beleuchtet die autoritäre Stadtentwicklung in einem spezifischen Übergangskontext am Beispiel der Umsetzung des urbanen Megaprojekts „Belgrade Waterfront“. Die groß angelegte Sanierung einer Brachfläche in der serbischen Hauptstadt wird als Joint Venture zwischen der Republik Serbien und dem in Abu Dhabi ansässigen Investor Eagle Hills durchgeführt. Der Beitrag analysiert dieses urbane Megaprojekt als Beispiel eines staatlich gesteuerten regulatorischen Eingriffs mit einem Sonderrechtsstatus, der die Interessen privater Investor*innen über die Prinzipien der repräsentativen Demokratie stellt. Dabei setzt das Projekt auf die Produktion vermeintlich spektakulärer Stadtlandschaften, um Planungsgenehmigungen und öffentliche Akzeptanz sicherzustellen, nationale und internationale Beziehungen auf städtischer Ebene zu verräumlichen sowie neue politisch-ökonomische Regime zu naturalisieren.
An English abstract can be found at the end of the document.
Neben ihren Potenzialen und Vorteilen für die Stadtentwicklung haben sich urbane Megaprojekte (UMP) auch als profitables Instrument für leistungsstarke private Entwickler erwiesen. Dies führte zu einer Rekonfiguration der Beziehungen zwischen öffentlichen und privaten Akteur*innen, die in einigen Fällen obskure politisch-ökonomische Regime beförderte. UMPs griffen zunehmend auf außerordentliche Maßnahmen zurück, um demokratische Kontrollen zu umgehen. Dies rief zunehmende Kritik aus demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen hervor (Murray 2015; Olds 2002; Orueta/Fainstein 2008), einschließlich der Kritik an mangelnder Transparenz bei der Entwicklung. Im spezifischen Kontext Mittel- und Osteuropas (MOE-Kontext) war dies besonders stark zu beobachten. Hier übernahmen lokale Regierungen weitgehend unkritisch unternehmerische Strategien und unterstützten aktiv die Transformation zentraler städtischer Räume nach westlichen Vorbildern (Cook 2010; Golubchikov 2010; Temelová 2007).
Im Vergleich zu westlichen Städten verfügt die nationale Politik in MOE über deutlich mehr Einfluss auf die Stadtentwicklung (Cope 2015; Kinossian 2012a). Nach der umfassenden sozioökonomischen Umstrukturierung der 1990er Jahre setzten nationale Regierungen aufgrund des dringenden Bedarfs an ausländischem Kapital stark auf eine neoliberale Wirtschaftspolitik (Appel/Orenstein 2018). UMPs scheinen ihnen ein geeignetes Instrument zur Erreichung dieses Ziels zu sein – außerdem konnten sie dazu dienen, ein neues nationales Markenimage herzustellen und zu fördern. Umfassende Sanierungen von Hauptstädten in der Region spielen eine wesentliche Rolle bei der Schaffung neuer politischer Identitäten und vermitteln so die Beziehungen zu ausländischen Investitionen und Tourismus (Čamprag 2019; Graan 2013; Kolbe 2007). Der Rückgriff auf UMPs sollte in diesem Zusammenhang nicht nur vor dem Hintergrund einer neoliberalen Wirtschaftspolitik betrachtet werden, sondern auch im Kontext des jüngsten Rückgangs von Merkmalen demokratischer Regierungen, der in MOE-Ländern weithin beobachtbar ist (Lührmann/Lindberg 2019).
Nach längeren Auseinandersetzungen und Kritik werden groß angelegte städtebauliche Projekte, wie etwa bei der Austragung von Olympischen Spielen oder anderen UMPs, heute nur noch in autoritären Kontexten ohne Einschränkungen akzeptiert. Ihre Umsetzung ist daher häufig mit staatlich gelenkten Regulierungseingriffen verbunden, die durch mangelnde Transparenz und Eile bei der Entscheidungsfindung zur Priorisierung privater Interessen gekennzeichnet sind (Grubbauer/Čamprag 2019; Raco 2014). Dieser Artikel befasst sich mit dem Phänomen investorengesteuerter Projekte aus der Perspektive des MOE-Kontexts, jedoch mit Blick auf autoritäre Stadtentwicklung als einem globalen Phänomen und nicht dem einer bestimmten Region. Die Schlüsselfrage ist daher, inwieweit neue Formen der Regelsetzung und Kontrolle den Interessen (lokaler und globaler) wirtschaftlicher und politischer Eliten dienen. Eine weiter Frage ist, wie spektakuläre Stadtentwicklungsprojekte junge, autoritäre und illiberale Regime stützen.
Im Fokus dieses Artikels steht eines der derzeit größten Projekte dieser Art in MOE. Es geht um das in der Hauptstadt des sich im Umbruch befindlichen Serbiens angesiedelte, umstrittene Projekt „Belgrade Waterfront“ (im Folgenden BW). Die nationalen politischen Eliten unter Präsident Aleksandar Vučić treiben es offen voran. Dabei heben sie das große Potenzial von BW hervor, das beschädigte Image Serbiens in der Region sowie in der Welt deutlich zu verbessern. Auf Grundlage einer Analyse von Planungsunterlagen, Expert*innenberichten, öffentlichen Vorträgen und Medienberichten aus der Zeit zwischen 2012 und 2022 sowie eigener Beobachtungen vor Ort beschreibt dieser Beitrag das Projekt BW als Beispiel eines intransparenten, staatlich gesteuerten regulatorischen Eingriffs mit einem Sonderrechtsstatus, der die Interessen privater Investor*innen und politischer Eliten über die Prinzipien der repräsentativen Demokratie stellt. Darüber hinaus zeigt der Artikel, dass bei der Unterstützung dieser autokratischen Umsetzung der Rückgriff auf eine ikonische Architektur sowie auf spektakuläre Stadtdarstellungen mit populistischen Zügen, ja die Schaffung und Rechtfertigung eines „Zustands der Außergewöhnlichkeit“ (Bunnell 2013; Sklair 2017; Swyngedouw et al. 2003) eine große Rolle spielen.
Der folgende zweite Abschnitt befasst sich mit der Abhängigkeit der UMPs von der sogenannten Architektur des Spektakels und erörtert deren Auswirkungen in MOE im Anschluss an den dortigen Aufstieg des autoritären Neoliberalismus. Der dritte Abschnitt beschreibt die verschiedenen legislativen Mechanismen und regulatorischen Anpassungen, die den Fortschritt des Projekts ermöglichten. Der vierte Abschnitt analysiert die Dynamiken und Strategien der Stadtbildrekonstruktion. Abschließend fasst der fünfte Abschnitt die wichtigsten Ergebnisse zusammen und bewertet das Projekt BW in einem weiteren Kontext.
Nach der Finanzkrise von 2008 eröffneten sich in der politischen Ökonomie des Regierens neue Perspektiven, mit einem offensichtlichen Anstieg autoritärer Politik und damit einer Form des Regimes, das als „autoritärer Neoliberalismus“ beschrieben wird (Bruff/Tansel 2019; Gallo 2022; Juego 2018; Piletić 2022; Swyngedouw 2019). Dabei ist die Umsetzung neoliberaler Agenden stark auf staatliche Eingriffe angewiesen, insbesondere auf eine Ausweitung von Mechanismen der Regulierungskontrolle (Braithwaite 2008; Levi-Faur 2005). Zu beobachten waren die weit verbreitete Schaffung neuer Regulierungsagenturen sowie eine Ausweitung der freiwilligen und zwangsweisen Regulierung auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft. Staatlich gesteuerte Regulierungsprozesse für Großinvestitionen gehen zunehmend über nationale Kontexte hinaus, wobei transnationale Normen und Standards das Ergebnis von Machtkämpfen zwischen privaten, nationalen und supranationalen Organisationen sind (Büthe/Mattli 2011).
Zu den Praktiken des autoritären Neoliberalismus gehören neben der Berufung auf wirtschaftliche Imperative auch der Vorrang verfassungsrechtlicher und rechtlicher Mechanismen vor demokratischer Debatte und Beteiligung, die Zentralisierung staatlicher Befugnisse auf Kosten der Beteiligung der Bevölkerung und andere Merkmale demokratischer Regierungen sowie die Mobilisierung von Staatsapparaten zwecks der Unterdrückung oppositioneller sozialer Kräfte. Autoritärer Neoliberalismus wurde auch charakterisiert als „krisengeschüttelte, widersprüchliche Reihe von Praktiken, die sowohl die Kapazitäten und Potenziale für Widerstand als auch für Herrschaft stärken“ (Bruff/Tansel 2019: 234, Übers. d. A.).
Der Aufstieg autokratischer Politik als ideologischem Projekt sowie die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung bei der Umsetzung neoliberaler Agenden ebneten den Weg für den heutigen nativistischen Populismus. Die populistische Komponente dieser Ideologie bringt „das Volk“ diskursiv gegen eine „Elite“ in Anschlag, während ihre nationalistische Determinante eine vermeintlich homogene nationale Gemeinschaft gegen „gefährliche Andere“ ausspielt (Breeze 2018). Diese Ideologie betont ausgewählte Elemente nationaler Identität, die die ethnische Mehrheit repräsentieren und dient dabei als Instrument politischer Eliten, um sich auf pragmatische Weise massive Unterstützung für ihre Ziele zu sichern. Allerdings führt dies tendenziell zu einer Irreführung von Wähler*innen und droht so die Grundlagen der liberalen Demokratie zu destabilisieren (Juego 2018; Swyngedouw 2019). Darüber hinaus mangelt es antipluralistischen Parteien im Allgemeinen an Engagement für demokratische Prozesse, da sie „typischerweise nationalistisch-reaktionär“ sind und „die Macht der Regierung genutzt haben, um autokratische Agenden voranzutreiben“ (Boese et al. 2022: 990, Übers. d. A.). Daher wird in der wissenschaftlichen Literatur mitunter gefordert, auch autoritäre Praktiken mit gleicher Aufmerksamkeit „als Handlungsmuster“ zu untersuchen, „die die Rechenschaftspflicht gegenüber den Menschen, über die ein politischer Akteur Kontrolle ausübt, oder ihren Vertretern durch Geheimhaltung, Desinformation und Ausschaltung der Stimme sabotieren“ (Glasius 2018: 517, Übers. d. A.)
Die Umsetzung von UMPs, die traditionell mit Regulierungspraktiken, Nationalstolz und der Stadtentwicklung in Verbindung gebracht werden, eignet sich für eine solche Untersuchung.
Trotz der Kritik und der Risiken, die mit den massiven, zentralstaatlich kontrollierten Eingriffen in die Stadtstruktur verbunden sind, spielten UMPs eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Städten (Grabher/Thiel 2015; Orueta/Fainstein 2008). Anderseits beeinflusst autoritärer Neoliberalismus zunehmend die Art und Weise des Regierens bei der Durchführung solcher Projekte auf unterschiedliche Weise. Besonders deutlich wird die Entkopplung der Politik von der politischen Entscheidungsfindung, wenn bei der Projektumsetzung Fachleute in Form hybrider, öffentlich-privater Unternehmen agieren, die nur einer geringen demokratischen Kontrolle unterworfen sind. UMPs werden häufig von Eliten mit ihren Prioritäten vorangetrieben und dienen dazu, „Ausnahmeregelungen“ in Planungs- und Politikverfahren zu schaffen (Swyngedouw et al. 2002). Diese werden durch ein System vertraglicher Beziehungen zwischen globalen Beratungs- und Technologiefirmen mit lokalen Unternehmen und Kommunalverwaltungen erleichtert (Lauermann 2016; McNeill 2015; Raco 2014). Darüber hinaus erleichtert die Überarbeitung und Verkleinerung von Regulierungsstrukturen auch die Risikominimierungsstrategien privater Investor*innen (Grubbauer/Čamprag 2019).
Der Rückgriff auf UMPs ergibt sich aus der Assoziation mit einer emblematischen Architektur, die Aufmerksamkeit erregt und ein Stadtbild mit hohem Wiedererkennungswert schafft. Dieses Phänomen geriet insbesondere nach dem Aufkommen des städtischen Unternehmertums und der sogenannten postmodernen Architektur des Spektakels in den Fokus der Stadtforschung. Abgesehen von der Anerkennung als „Ressource in Kämpfen um Bedeutung“ (Sklair 2006: 22), die eine in Städten zur Alternative für die Schaffung der erforderlichen Einzigartigkeit wird, wurde auch die Rolle architektonischer Ikonizität in Machtkämpfen hervorgehoben. Diese treiben vor allem Unternehmensinteressen an (Sklair 2006; Smyth 2005). Die Beteiligung prominenter Architekt*innen zielt häufig darauf ab, problematische Planfeststellungsverfahren zu erleichtern und die notwendige öffentliche Akzeptanz sicherzustellen (Charney 2007; McNeill 2007, 2002).
Die anfängliche Kritik an der spektakulären Architektur richtete sich insbesondere gegen die erzeugte Illusion von Authentizität und Vielfalt (Crilley 1993; Zukin 1991) sowie gegen die mangelnde Beachtung der vielfältigen und umstrittenen Lesarten ihrer Bilder (Hubbard 1996; Ley/Mills 1993). In jüngerer Zeit hob die Kritik zudem soziale Kämpfe und Konflikte hervor, die mit der Umsetzung prestigeträchtiger Stadtentwicklungsprojekte einhergehen (Dixon 2010; Kong 2007). Allerdings erleichterte die ikonische Architektur durch die Schaffung notwendiger Ausnahmeregelungen in Planungs- und Politikprozessen nicht nur die Umsetzung groß angelegter Stadtentwicklungsprojekte. Sie wurde auch zum Instrument kontroverser politischer Projekte der Nationenbildung.
In der kritischen sozialwissenschaftlichen Forschung hat das Konzept des autoritären Neoliberalismus, der die gesellschaftspolitischen Landschaften in den MOE-Ländern prägt, große Bedeutung (Bruff/Tansel 2019). Die Übernahme des Neoliberalismus bei den Reformen der 1990er Jahre wurde zunächst als „chaotischer und ungleichmäßiger Prozess“ (Cope 2015: 162) beschrieben. Darüber hinaus übernahmen Nicht-EU-Staaten zwar teilweise marktwirtschaftliche Prinzipien – entsprechende politische Reformen blieben jedoch häufig aus. Daher sollte der regulatorische Kapitalismus – und damit die Festlegung der Regelsetzungsbefugnis privater Unternehmen mit dem Zweck, die Risiken für private Investor*innen zu reduzieren – im MOE-Kontext eher als komplexe Dynamik zwischen staatlichen Regierungen und Großunternehmen verstanden werden, denn als Bereitstellung eines Rahmens für den marktwirtschaftlichen Wettbewerb durch den Staat (Cope 2015). Diese Beziehungen zwischen Staat und Investor*innen zeigen sich an den Anzeichen einer demokratischen Abkopplung, die in jüngster Zeit in MOE-Ländern wie Ungarn, Polen oder Serbien zu beobachten sind (Bochsler/Juon 2020; Boese et al. 2022). Darüber hinaus ist es den dominierenden Regierungsparteien in Serbien und Ungarn mit ihrer illiberalen Programmatik bereits gelungen, den politischen Pluralismus weitgehend auszulöschen, ihre Herrschaft weiter zu konsolidieren und ihre Kontrolle über den Staat zu stärken (Bochsler/Juon 2020).
Bezüglich der Stadtentwicklung in MOE-Staaten besteht in der Forschung große Einigkeit über die entscheidende Rolle des Nationalstaates bei Finanzierung, Legitimierung und Instrumentalisierung von UMPs (Bruff/Tansel 2019). Groß angelegte Interventionen beinhalten zudem häufig den Bau von Luxuswohnsiedlungen und Büroräumen anstelle bezahlbaren Wohnraums. Oftmals handelt es sich um eine Reihe miteinander verbundener und zutiefst exklusiver Räume, die in erster Linie den Zwecken des Kapitals und internationaler Kapitalist*innen dienen (Cook 2010). Weit entfernt von traditionellen Konzepten des Lokalen gestalten solche Projekte den städtischen Raum radikal um und demonstrieren die Macht internationaler Immobilienunternehmen, aber auch die „politische Schwäche“ (Temelová 2007: 172) von Stadtverwaltungen, sich für das öffentliche Interesse einzusetzen. Für viele Entwicklungsprojekte in der Region wurde bereits eine tiefe Diskrepanz zwischen der Marktrhetorik einerseits und der starken Abhängigkeit von lukrativen Regierungsaufträgen andererseits beschrieben (Kinossian 2012b; Koch 2014; Müller 2011). Aus diesen Berichten geht hervor, dass in weiten Teilen des postsozialistischen Europas die vorherrschende Logik solcher groß angelegter Stadtentwicklungsprojekte die der politischen Eliten ist. Sie verfügen über ein großes Korruptionspotenzial und werden in ihren Bemühungen häufig durch lokale Behörden dabei unterstützt, solch illegale Pläne zu legitimieren und zu verschleiern, „indem sie [solche Projekte] in eine nationalistische und populistische Sprache kleiden“ (Koch/Valiyev 2015: 579).
Anstatt die marktgesteuerte Entwicklung zu kontrollieren und für das öffentliche Interesse einzutreten, mobilisieren staatliche Behörden in MOE-Ländern zudem eine spektakuläre nationale Ikonografie, um ihre Partnerschaft mit ausländischen Investor*innen sowie ihr gemeinsames Streben nach Gewinnorientierung zu verschleiern (Perić 2020). Allerdings haben sich nur relativ wenige Studien in diesem Zusammenhang mit den Auswirkungen des Autoritarismus im städtischen Raum befasst. (Borén et al. 2021; Jenss 2019; Kinossian/Morgan 2014; Tansel 2019). Das Beispiel der autoritären Stadtentwicklung in Belgrad, auf das sich dieser Beitrag konzentriert, beinhaltet ebenfalls eine Neugestaltung der Nation, um umfangreiche staatliche Interventionen zu rationalisieren (Graan 2013). Das Beispiel BW bietet die Möglichkeit zu untersuchen, wie autoritärer Neoliberalismus sich auf die Produktion spektakulärer Stadtbilder stützt, um Planungsgenehmigungen und öffentliche Akzeptanz sicherzustellen, nationale und internationale Beziehungen auf städtischer Ebene zu verräumlichen (Borén et al. 2021) sowie neue politisch-ökonomische Regimes zu domestizieren.
Der Fall der autoritären Neugestaltung Belgrads durch BW sollte vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Zusammenbruchs Serbiens in den 1990er Jahren betrachtet werden. Die postsozialistische Transformation der Stadt ist generell von technokratischen Planungsprinzipien gekennzeichnet. Diese sind ein Erbe der früheren kommunistischen und sozialistischen Regime und spiegeln sich in dem starren Planungsmodell wider, das in der Stadtverwaltung vorherrschend blieb (Vujošević/Nedović-Budić 2006). Die Zeit der Jugoslawienkriege und der politischen Unruhen, die mit dem Sturz von Slobodan Milošević im Herbst 2000 endete, stellte serbische Städte vor zahlreiche Herausforderungen. Sie waren mit politischer Instabilität, einem raschen Niedergang der Wirtschaft und mit Zentralisierung konfrontiert, aber auch mit politischen Eliten, die sozioökonomische Reformen bewusst hinauszögerten, um ihre Macht zu erhalten (Vujović/Petrović 2007).
Zwar gab es in den 2000er Jahren demokratische Reformen und Vorschläge für eine nachhaltigere demografische und städtische Entwicklung, wie das Konzept einer Dezentralisierung des Landes sowie eines regional ausgewogenen polyzentrischen Städtesystems. Diese wurden allerdings bis heute nicht vollständig umgesetzt (Milosavljević/Jerinić 2016). Stattdessen kehrte die Politik Serbiens in jüngerer Zeit zu einem zentralistischen und autokratischen Kurs zurück. Der derzeitige serbische Präsident Aleksandar Vučić wurde in den letzten zehn Jahren zu einer zentralen Machtfigur mit nahezu monopolistischer Kontrolle über die politischen Institutionen und die Medien des Landes (NYT 2017). Sein Image als „großer Führer“, der sich „um das Volk und den Staat kümmert“ (Vasović 2022), sicherte der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (Srpska Napredna Stranka, SNS) mindestens 800.000 Mitglieder und machte sie damit 2020 zur mitgliederstärksten politischen Partei Europas. Allerdings lässt die Sicht unabhängiger Medien auf die letzten Wahlen in Serbien diese Zahlen als fraglich erscheinen. Die Medien wiesen auf zahlreiche Probleme bei den Wahlen hin (Vasović 2022). So verschlossen sich die unabhängigen Medien weitgehend der Opposition und kritischem Denken. Beamt*innen missbrauchen staatliche Mittel, um den Wahlkampf der SNS Partei zu finanzieren. Darüber hinaus wurden die meisten Beamt*innen von den höheren Ebenen des Establishments erpresst, für die SNS zu stimmen. Staatsbedienstete mit befristeten Arbeitsverträgen wurden aufgefordert, für eine Verlängerung ihres Vertrages 20 Stimmen zu sammeln. Schließlich wurde auch von Einschüchterungen oppositioneller Wähler*innen, von klassischem Stimmenkauf sowie von Wahlbetrug berichtet (Vasović 2022). Die Beispiele zeigen, dass die SNS, wie auch internationale Beobachter*innen feststellten, politische Rechte und bürgerliche Freiheiten immer weiter beschnitt. Sie übte Druck auf unabhängige Medien, die politische Opposition und Organisationen der Zivilgesellschaft aus (Freedom House 2023). Infolgedessen wurde Serbien vor Kurzem in die Liste der zehn am stärksten von Autokratisierung betroffenen Länder der Welt aufgenommen (Boese et al. 2022; Lührmann/Lindberg 2019).
Infolge einer langen Periode politischer Instabilität in Serbien in den 1990er Jahren war eine der vielen verpassten Chancen für eine postindustrielle Stadtentwicklung die Revitalisierung heruntergekommener innerstädtischer Gebiete in der Hauptstadt Belgrad. Dies gilt insbesondere für die Flussufer von Save und Donau (Vukmirovic/Milankovic 2009). Schon kurz nach der demokratischen Wende Anfang der 2000er Jahre sollte eine Umgestaltung des Belgrader Stadtbildes beginnen. Der erste postsozialistische „Masterplan Belgrad 2021“ von 2003 plädierte dafür, die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt gegenüber anderen europäischen Metropolen durch die Nutzung seiner bemerkenswerten Standortvorteile zu steigern (Stadt Belgrad 2014; Vujović/Petrović 2007). Die Potenziale der geographischen Lage Belgrads am Donaukorridor sollten eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche, funktionale und kulturelle Wiederanbindung der Stadt spielen (Stadt Belgrad 2014: 1). Die ikonischen, aber nie realisierten Designvorschläge von weltweit berühmter Architekturbüros – darunter Studio Libeskind, Gehl Architects, Sou Fujimoto Architects und Zaha Hadid Architects – zielten darauf ab, die internationale Sichtbarkeit der Stadt zu erhöhen (Čamprag 2019). Das Vorzeigeprojekt der derzeitigen Stadterneuerung am Wasser implizierte jedoch eine Umwandlung Brachflächen in der Größenordnung von rund 90 Hektar im Stadtbezirk Savski Venac (Abb. 1). Der „Masterplan Belgrad 2021“ bezeichnete diese als eines der wertvollsten Entwicklungsgebiete der Stadt (Stadt Belgrad 2014: 109).
Die bemerkenswerten Qualitäten des Standorts am Fuße des sogenannten Save-Amphitheaters[1] inspirierten schon vor fast einem Jahrhundert die Idee, an diesem Ort ein neues Stadtzentrum zu errichten. Im Zuge von Wahlkampagnen wurden diese Pläne seitdem mehrmals wiederbelebt, aber niemals realisiert. Nach den Wahlen von 2012, bei denen die Regierungskoalition unter Führung der SNS die parlamentarische Mehrheit erlangte, und dem Machtwechsel verkündete Vučić, damals Vizepräsident der Nationalregierung, Mitte 2012 offiziell das Projekt BW. Das weitläufige Gebiet am Ufer des Flusses Save (Abb. 1) war bis dahin ein vernachlässigtes Gebiet mit kleinen Unternehmen und baufälligen Häusern gewesen, wobei ein großer Teil des Areals mit alten Eisenbahnschienen bedeckt war und es eine komplexe Eigentumsstruktur öffentlicher ebenso wie privater Grundbesitzer*innen gab.
Die städtebauliche Neugestaltung der Hauptstadt durch das Projekt BW sollte Vučić zufolge „das Image und die Rolle Serbiens in der Region und der Welt erheblich verbessern“ (Blic 2015, Übers. d. A.). Darüber hinaus wurde die Initiative zur Sanierung von Hafengebieten als Aushängeschild für die Wiederbelebung der nationalen Wirtschaft angesehen (Filipovic/El Baltaji 2014). Den größten Bekanntheitsgrad erhielt sie vor den nationalen Parlamentswahlen im März 2014 (Bakarec 2015). Ursprünglich waren für das Projekt BW nur sechs bis acht Jahre Bauzeit veranschlagt worden – und das, obwohl die tatsächliche Umsetzung von umfangreichen Vorbereitungsarbeiten mit unvorhersehbaren Fertigstellungsterminen abhing (Slavkovic 2014). Am wichtigsten war die Verlegung sämtlicher Bahnanlagen sowie die neuen Gebäude für Hauptbahnhof und Busbahnhof – derzeit sind beide noch immer in Bau und werden auch noch lange nicht fertiggestellt sein. Trotz zahlreicher Herausforderungen, die meist schon vor der Grundsteinlegung 2015 bekannt waren, nahm die serbische Regierung von Anfang an eine autokratische Rolle ein. Sie übernahm die Entscheidungsgewalt, schloss kommunale Behörden und Expert*innenmeinungen aus und umging effektive gesetzliche Regelungen. Der Hintergrund war ein zuvor unterzeichnetes Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen Serbiens und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) (Regierung der Republik Serbien 2013). Das Vorhaben war geprägt von den persönlichen Beziehungen wichtiger Akteur*innen beider Parteien (Filipovic/El Baltaji 2014). Nachfolgend erfolgten mehrere kontroverse Änderungen nationalen und lokalen Rechts (Tab. 1).
Der 2003 veröffentlichte „Masterplan Belgrad 2021“, also das städtebauliche Dokument mit dem größten rechtlichen Gewicht, sprach sich ausdrücklich für einen internationalen Wettbewerb für beide Ufer der Save aus (Stadt Belgrad 2015). Eine Planaktualisierung beseitigte 2014 Hindernisse für Investor*innen und ihre Interessen (Stadt Belgrad 2014). Gleichzeitig änderte die serbische Regierung das bestehende nationale Planungs- und Baurecht. Dazu gehörte eine neue Definition für „besonders ausgewiesene Gebiete“[2] von nationaler Bedeutung, die eine besondere Regelung für die Organisation, die Entwicklung und die Nutzung des Raums erfordern (Republik Serbien 2014). Sie umfassten nun auch Gebiete, „für die die Regierung festgestellt hat, dass sie für die Republik Serbien von Bedeutung sind“ (ebd.: 41, Übers d. A.).
Auf Grundlage dieser Anpassung des Planungs- und Baurechts wurde BW im Mai 2014 offiziell zu einem „besonders ausgewiesenen Gebiet“ und zu einem Projekt mit besonderer Bedeutung für die nationale Wirtschaftsentwicklung erklärt (ebd.). 2015 trat ein Dekret über den Raumplan für das Sondergebiet in Kraft (Republik Serbien 2015a). Dieses Dokument basierte vollständig auf einem Entwurf des Investors. Es diente als Hauptlegitimation für das vorgeschlagene Projekt (ebd.), dessen Umsetzung bereits begonnen hatte, bevor der Plan rechtskräftig geworden war (Spalević 2014). Zuletzt erließ das serbische Parlament ein Sondergesetz, das BW einen Status öffentlichen Interesses zuwies (Republik Serbien 2015b). Diese lex specialis, die allen allgemeinen Gesetzen übergeordnet ist, berechtigte die Republik Serbien und die Stadt Belgrad, als Begünstigte einer gesetzlichen Enteignung zum Zwecke der Entwicklung des Projekts zu handeln (ebd.). Zudem wurde die im April 2015 unterzeichnete Joint-Venture-Vereinbarung erst fünf Monate später auf öffentlichen Druck hin öffentlich zugänglich gemacht. Sie legte die Regeln für eine neue öffentlich-private Partnerschaft fest. Bis heute sind die Informationen über die an dem Projekt beteiligten Unternehmen und deren Eigentumsverhältnisse nur unvollständig öffentlich, da dem Investor durch eine Entscheidung der Wettbewerbskommission volle Anonymität gewährt wurde.
Parallel zu zahlreichen öffentlichen Debatten begann die Umsetzung der BW mit der Renovierung des denkmalgeschützten Gebäudes „Belgrader Genossenschaft“[3] 2014. Es wurde zum Sitz der öffentlich-privaten Gesellschaft. Einige Bewohner*innen des Belgrader Stadtteils Savamala, in dem das Projekt realisiert werden sollte, wehrte sich jedoch gegen die Räumung des Stadteils. Als im April 2016 eine Gruppe maskierter Personen nachts mit Baggern Häuser abriss und deren Bewohner*innen gewaltsam vertrieb, löste das erste massive Proteste aus. Unabhängige Medien bezeichneten den illegalen Abriss als „Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit“ (Ignatijević 2016). Weder Polizei noch staatliche Beamt*innen oder staatlich kontrollierte Medien reagierten darauf.
Die Bedenken der Öffentlichkeit wuchsen auch aufgrund einer Reihe widersprüchlicher Informationen. So wurden die erforderlichen Investitionen ursprünglich auf 3 Milliarden Euro veranschlagt. Nach Bekanntgabe des Joint-Venture-Vertrags wurde die Angabe deutlich reduziert: auf 150 Millionen Euro (Sekularac 2014). Die Opposition beschuldigte Vertreter*innen der Regierung der offenen Korruption (Blic 2016) und behauptete, das Projekt BW ziele darauf ab, eine massive Plünderung städtischer und staatlicher Kassen zu verschleiern (Blic 2015). Widersprüchlich war auch der Masterplan (Abb. 2), der unter allgemeiner Missachtung der Regeln zur Beteiligung der Öffentlichkeit entwickelt worden war und dessen Urheberschaft bis heute ungeklärt ist.[4] Die lokalen und nationalen Architektenverbände wiesen darauf hin, dass der vorgeschlagene Plan „schwerwiegende Folgen für die Entwicklung Belgrads als Ganzes haben könnte, was die Grundsätze der Nachhaltigkeit, der Identität, der Zugänglichkeit, der Wettbewerbsfähigkeit und der Kontextualität betrifft“ (Kommission für öffentliche Einsicht 2014: Anmerkung 12.1, Übers. d. A.).
Aktivität |
Datum |
Hauptakteur*innen |
Beschreibung |
Wahlkampf |
April 2012 |
SNS |
Vučić stellt BW als UMP vor, das die Stadt modernisieren und die Volkswirtschaft wiederbeleben wird. |
Serbische Parlamentswahl |
Mai 2012 |
Serbisches Parlament |
Die SNS erlangt eine parlamentarische Mehrheit. |
Kabinettsumbildung |
Juli 2012 |
Serbische Regierung |
Vučić wird Verteidigungsminister Serbiens. |
Beginn der Räumung des Geländes |
Dezember 2012 |
Serbische Regierung |
Trotz unklarer rechtlicher Rahmenbedingungen beginnt die Räumung des Save-Amphitheaters. |
Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen Serbien und der VAE |
März 2013 |
Serbische Regierung, Regierung der VAE |
Das gegenseitige Interesse an einer Investition in die Sanierung der Brachflachen in Belgrad wird formal festgelegt. |
Pressekonferenz |
Januar 2014 |
Serbische Regierung, Eagle Hills |
Das Projekt BW und der Investor Eagle Hills werden vorgestellt. Ein Wettbewerb wurde nicht ausgerichtet. Die Urheberschaft des vorgelegten Masterplans wird nicht offengelegt. Als Autor des Belgrad-Turms wird das Designerbüro SOM aus Chicago angeführt. |
Serbische Parlamentswahl |
April 2014 |
Serbische Regierung |
Vučić wird zum serbischen Premierminister gewählt. |
Anpassung des Planungs- und Baugesetzes |
Mai 2014 |
Serbische Regierung |
BW wird für besonders wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung Serbiens erklärt. Dadurch ist es rechtlich möglich, BW auf einem speziell dafür vorgesehenen Gebiet zu errichten. |
Dekret über den Raumplan für das Sondergebiet |
Juni 2014 |
Serbische Regierung |
Regierungsbehörden erstellten einen Raumplan und eine Umweltverträglichkeitsprüfung für das speziell ausgewiesene Gebiet für das Projekt BW. |
Änderungen des „Masterplans Belgrad 2021“ von 2003 |
September 2014 |
Belgrader Stadtregierung |
Die Verpflichtung zu einem internationalen Wettbewerb wird aufgehoben. Unabhängige Eingriffe in die räumliche Einheit des Save-Ufers werden ermöglicht und damit eine vollständige Verlagerung der bestehenden Eisenbahninfrastruktur. Beschränkungen der Höhe und Lage von Gebäuden auf Grundstücken werden flexibilisiert. |
Öffentliche Einsicht in den Entwurf des Raumordnungsplans |
November 2014 |
Nationale Agentur für Raumplanung |
Die meisten Beschwerden gegen BW werden in Einklang mit vorherigen Gesetzesanpassungen abgelehnt. |
Änderungen des Planungs- und Baugesetzes von 2009 |
Dezember 2014 |
Serbische Regierung |
Die Definition sogenannter „besonders ausgewiesener Gebiete“ werden um Gebiete mit „besonderen Standortwerten“ oder mit „Potenzial für die touristische Entwicklung“ erweitert. Gründe für die Umwandlung von Pachtgrundstücken in Eigentumsgrundstücke auf Antrag und ohne Zuschlag werden festgelegt. Das ermöglicht es privaten Investor*innen, Eigentum an staatseigenem Land zu erwerben, sobald die Genehmigung für den Bau einer Struktur auf dem Land erteilt wurde, in der Regel nach Abschluss der Bauarbeiten. |
Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung |
Dezember 2014 |
Nationale Agentur für Raumplanung |
Trotz möglicher negativer Auswirkungen auf die Umwelt genehmigte die Behörde den vorgeschlagenen Raumordnungsplan aufgrund der voraussichtlich erheblichen Auswirkungen des Projekts. |
Erlass zur Festlegung des Raumordnungsplans BW |
Januar 2015 |
Serbische Regierung |
Der Raumordnungsplan ist das wichtigste Legitimationsinstrument für die vorgeschlagene Intervention. Schließlich werden Bebauungskonzept, Planungsunterlagen, Nutzungsregeln und -Bedingungen, Organisation, Planung und Schutz des Gebiets festgelegt. |
Erlass eines lex specialis im Eilverfahren |
April 2015 |
Serbische Regierung |
Das Gesetz hat Vorrang vor allen anderen Gesetzen, die allgemeine Angelegenheiten regeln. Es legt sowohl den Status des öffentlichen Interesses als auch spezifische Verfahren für die Enteignung und die Erteilung von Baugenehmigungen für BW fest. |
Unterzeichnung der Joint-Venture-Vereinbarung |
April 2015 |
Serbische Regierung, Regierung der VAE |
Setzt die höchsten nationalen gesetzgebenden Institutionen und Gesetze außer Kraft und setzt zudem Vorschriften für Landnutzungsbedingungen und obligatorische Ausschreibungsverfahren außer Kraft. Legt außerdem Regeln für die neugegründete öffentlich-private Partnerschaft fest. |
Gerichtsentscheidung |
Mai 2015 |
Kommission zum Schutz des Wettbewerbs |
Dem Investor wird volle Anonymität gewährt. |
Öffentliche Einsicht in die Joint-Venture-Vereinbarung |
September 2015 |
Serbische Regierung |
Die auf der Website der serbischen Regierung verfügbaren englischen und serbischen Versionen sind nicht vollständig deckungsgleich. Nur die englische Version ist rechtsverbindlich. |
Beginn der Projektumsetzung |
September 2015 |
Serbische Regierung, Eagle Hills |
Der Grundstein für den Bau von BW wird gelegt. |
Abrisse in Savamala |
April 2016 |
Unbekannt |
Polizei, Staatsbeamt*innen und staatlich kontrollierte Medien reagieren nicht auf illegale Zerstörungen; Die ersten öffentlichen Proteste gegen die Umsetzung von BW werden laut. |
Start des Flaggschiffprojekts |
April 2016 |
Serbische Regierung, Eagle Hills |
Feierliche Grundsteinlegung für den Bau des Belgrad-Turms. |
Serbische Präsidentschaftswahl |
Mai 2017 |
Serbische Regierung |
Vučić wird zum Präsidenten Serbiens gewählt. |
Abschluss der ersten Projektphase |
Juli 2018 |
Serbische Regierung, Eagle Hills |
Eröffnung des ersten Gebäudes „BW Residences“; Der Hauptbahnhof zieht an seinen neuen Standort, der jedoch nur teilweise fertiggestellt wurde. |
Abschluss der ersten Phase des Wahrzeichenkomplexes |
Oktober 2020 |
Serbische Regierung, Eagle Hills |
Der serbische Präsident und der Investor eröffnen das Einkaufszentrum Galerija. |
Eröffnung eines historisierten Wahrzeichens |
Januar 2021 |
Serbische Regierung, Eagle Hills |
Feierliche Eröffnung des Denkmals für Stefan Nemanja. |
Trotz zunehmender Bedenken und Anfechtungen seitens der Öffentlichkeit setzte sich Vučić – damals noch als serbischer Premierminister – weiterhin für die Umsetzung von BW ein und bezeichnete das Projekt als „Zukunft und das neue Image Serbiens“ (RTS 2016, Übers. d. A.). Das angebliche neue nationale Image, das BW unter der Schirmherrschaft der nationalen Regierung vermitteln sollte (Tab. 1), beruhte allerdings auf dem bloßen Bau von Immobilien, unterstützt durch ein intensives internationales Marketing mit spektakulären Bildern. Angeboten wurden vor allem Luxuswohnungen und exklusive Gewerbeimmobilien (Abb. 3). Die meisten Wohnhochhäuser sind von fragwürdiger architektonischer Qualität und werden als größenwahnsinnig und ungeeignet für den Standort wahrgenommen (AAS 2015; N1 Srbija 2020), (Abb. 4, 5). Als ein Argument dafür wird angeführt, dass BW das erkennbare Panorama der Stadt radikal überlagert (ebd.).
Darüber hinaus sieht BW weder den Bau von Sozialwohnungen oder geförderter Wohnungen vor, noch werden die Bedürfnisse sozial benachteiligter Menschen in einem gemischten und bezahlbaren Wohnviertel berücksichtigt. Stattdessen setzt der Bauboom im Segment der Premium-Wohnungen zweifellos auf Wohneigentum und einen schnellen Investitionsrückfluss[5] (Jovanović 2020). Dies zeigt zum einen die Macht internationaler Immobilienentwicklungsunternehmen, die die Anpassung der Bedingungen für staatliche Förderung und vertraglicher Leistungen an ihre Ziele beeinflussen. Andererseits zeigt es, dass die nationalen Regierungen aufgrund ihres dringenden Bedarfs an ausländischem Kapital stark auf neoliberale Wirtschaftspolitiken setzen, um Gewinne zu erzielen. Angesichts der in den Weltstädten hart umkämpften Immobilienmärkte und der damit verbundenen zunehmenden Begrenzung von Investitionsmöglichkeiten zeigt das Beispiel BW eine Ausweitung von Kapitalströmen in die Immobilienentwicklung, hin zu immer größeren und spekulativeren Projekten und Infrastrukturen in risikoreichen Märkten (Halbert/Rouanet 2014).
Die Öffentlichkeit thematisierte die Themen eines solchen Ansatzes zur Stadtentwicklung sowie den Stellenwert des öffentlichen Interesses daran. Dabei tat sich insbesondere die Bürgerinitiative „Ne da(vi)mo Beograd“[6] (NDMBGD) hervor. Diese mobilisierte durch die Einbeziehung von Medien, Expert*innenenmeinungen und anderen Nichtregierungsorganisationen die Öffentlichkeit. NDMBGD forderte aus rechtlichen Gründen sogar die Annullierung der Pläne für BW, da „der vorgeschlagene Entwurf gegen die Gesetze verstößt und dem öffentlichen Interesse zuwiderläuft“ (Kommission für öffentliche Einsicht 2014: 127, Übers. d. A.). Die Landesbehörden wiesen diese Forderungen als unbegründet zurück. Sie begründeten die Umsetzung des Projekts BW mit dessen zuvor erworbener Sonderrechtsstellung (ebd.).
Abgesehen von den gesetzlichen Änderungen (siehe Tab. 1) und den inadäquaten Reaktionen auf die zunehmende öffentliche Kritik, setzte Strategie der Projektrealisierung in der zweiten Phase auf einzelne sogenannte Vorzeigeprojekte. Der Rückgriff auf ikonische Architektur ermöglicht neue urbane Symbole des Nationalstolzes, setzt aber auch neue Maßstäbe in der nationalen Immobilienentwicklung und sorgt damit für internationale Sichtbarkeit. Der Belgrad-Turm („Kula Beograd“) an der Save-Promenade wird bereits als das neue Wahrzeichen der Stadt beworben. Er ist inzwischen auch das höchste Gebäude Serbiens (Abb. 6, links). Der Bau des Wolkenkratzers durch das renommierte internationale Architekturbüro Skidmore, Owings & Merrill (SOM) – das auch das höchste Gebäude der Welt, den Burj Khalifa in Dubai entworfen hat – soll Modernisierung und Fortschritt des Landes symbolisieren. Die Einbeziehung dieses Vorzeigeprojekts von SOM in das Projekt BW ist eine Strategie, die schon bei anderen UMPs zu beobachten war. Prominente Architektur soll Planfeststellungsverfahren beschleunigen und die öffentliche Akzeptanz für größere Eingriffe sicherstellen (Charney 2007; McNeill 2007, 2002). Dies dient letztlich dazu, Gegenargumente für eine öffentliche, projektkritische Debatte zu liefern und Genehmigungsverfahren zu rechtfertigen (Andersen/Røe 2016).
Die Neugestaltung des größten städtischen Platzes im Rahmen von BW, der als „neues Zentrum des modernen Belgrads“ angekündigt wurde (Lokal B92 2021), mobilisiert darüber hinaus eine Bildsprache, die kollektive Gefühle wie Stolz oder nationale Identität anspricht. Die serbische Regierung entschied 2020, das historische Gebäude des Belgrader Hauptbahnhofs am Saveplatz zum neuen Sitz des Historischen Museums Serbiens zu machen (Mučibabić/Aleksić 2020). Daneben wurde 2017 der Bau eines großartigen Denkmals auf dem Platz angekündigt (Abb. 6 rechts; B92 2021). Es erinnert an Stefan Nemanja, eine zentrale historische Person des mittelalterlichen Serbiens. Die Enthüllung des 23 Meter hohen Denkmals bezeichnete Vučić – inzwischen Präsident Serbiens – 2021 als „Akt der Pflege unserer selbst und unserer Identität“ (ebd., Übers. d. A.). Zur durchaus umstrittenen Größe des Denkmals merkte er an: „Er ist riesig, denn sie sollten uns durch ihn sehen. Wir haben versucht, Serbien aus der Asche zu erheben“ (ebd., Übers. d. A.).
In Anbetracht der jüngsten nativistisch-populistischen Praktiken scheint das Nemanja-Denkmal mit seiner Verherrlichung nationaler Größe der politischen Werbung für seine Initiator*innen zu dienen. Dies sensibilisiert breitere Zielgruppen und erreicht eine weitere Ebene der nationalen Identitätskomponente. Dadurch wird in gewisser Weise die öffentliche Akzeptanz für das Projekt BW sichergestellt. Für den Entwurf des Denkmals fand zwar ein internationaler Wettbewerb statt, dieser wurde jedoch ohne Beteiligung der Öffentlichkeit und vollkommen intransparent durchgeführt. Ein Mitglied trat aus der Wettbewerbsjury zurück und erklärte später, der Wettbewerb könne „nicht die Legitimität professioneller und ethischer Grundsätze haben“. Die Entscheidung für den Siegerentwurf sei unter Druck des Juryvorsitzenden – des damaligen Generalsekretärs von Präsident Vučić – getroffen worden (N1 Srbija 2018, Übers. d. A.). Eine weitere Kontroverse im Zusammenhang mit dem Denkmal betraf die Baukosten. Diese wurden ohne rationale Begründung und entgegen Forderungen und Kritiken seitens der Öffentlichkeit als vertraulich eingestuft (Ćosić 2020). Als Vermittler zwischen Öffentlichkeit, Privatpersonen und Behörden äußerte Rodoljub Šabić, damaliger Beauftragter für Informationen von öffentlichem Interesse, den Verdacht, das Schweigen über den Preis eines Denkmals gegenüber den Bürger*innen, die es bezahlt haben, verweise auf Kriminalität und Korruption als „karikaturhafte Verletzung des Gesetzes“ (ebd., Übers. d. A.).
Obwohl die Realisierung von BW weiterhin reibungslos verläuft, kann es als Zeichen des Wandels angesehen werden, dass eine politische Koalition der Bürgerinitiative NDMBGD mit „Moramo“[7] erste Mandate in lokalen und nationalen Parlamenten errang (Stevanović 2021). Die Initiative verfolgt damit das Ziel, „sich dem SNS-Regime auch in den Institutionen zu widersetzen“ (NDMBGD 2022). Zudem hat die Art und Weise der Umsetzung von BW bereits in einigen anderen Städten der Region zu Auseinandersetzungen über ähnliche Entwicklungsprojekte an wassernahen Standorten geführt – etwa in der kroatischen Hauptstadt Zagreb (Bradarić 2019) oder in Novi Sad, der zweitgrößten serbischen Stadt (Maričić 2022).
Beim Projekt BW gab es nachweislich intransparente, staatliche Regulierungseingriffe. Im Gegensatz zur Sanierung von innerstädtischer Brachlandflächen oder verlassener Infrastruktur in westeuropäischen Städten, wo Kommunalverwaltungen in zunehmendem Maße den schädlichen Auswirkungen spekulativer Entwicklungen entgegentreten (Moulaert et al. 2004), spielte die nationale Regierung beim Projekt BW eine entscheidende Rolle. Dies geschah in erster Linie durch die direkte Entscheidung für des in Abu Dhabi ansässigen Unternehmens Eagle Hills als Investor sowie durch die Erleichterung des umstrittenen Projekts mithilfe weitreichender Gesetzesänderungen.
Aufgrund der besonderen Rechtsstellung des Projekts BW erhielten die Interessen privater Investor*innen und politischer Eliten Vorrang vor den Grundsätzen der repräsentativen Demokratie. Die traditionell stark ausgeprägten informellen wie persönlichen Beziehungen zwischen Personen aus Politik, Planung und Immobilienwirtschaft sowie ihr starker Einfluss auf Entscheidungen in der Immobilienentwicklung sind seit Langem bekannt (Fainstein 2001). Die Analyse des Projekts BW zeigt, wie solche informellen Verbindungen zwischen politischen Eliten und privaten Investor*innen heute funktionieren – auf globaler Ebene, aber auch bis hin zur lokalen Ebene und wie sie sich im städtischen Raum auswirken. Sie verschleiern effektiv Eigentumsstrukturen und die damit verbundenen persönlichen Vorteile (Grubbauer/Čamprag 2019). BW stützt sich auch eindeutig auf globale Wissenskreisläufe. Dabei zirkuliert Fachwissen über Entwicklungspläne, Projektmanagement und Marktstandards im Immobilienbereich (Faulconbridge/Grubbauer 2015). Der Fall BW verweist daher auf die Notwendigkeit, angesichts globalisierter Immobilienmärkte und neuer Allianzen zwischen nationalen politischen und internationalen Wirtschaftseliten den Klientelismus und die Korruption zu überdenken.
Unter solchen Bedingungen konnten lokale Behörden und Gemeinden kein direktes Mitspracherecht bei der Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner*innen haben, wie es in einigen anderen europäischen Kontexten zunehmend der Fall ist (Degen/García 2012; Smith/von Krogh Strand 2011). Dies führt mich zu der Annahme, dass profitorientierte Stadtentwicklungsprojekte wie BW nur in autoritären Kontexten uneingeschränkt umgesetzt werden können. Dennoch sind auch hier gewisse Anpassungen erforderlich. Das Beispiel zeigt, dass die Unterstützer des Projekts auf einen gewissen Druck, auf öffentliche Kritik sowie auf die Sichtweise der Bevölkerung reagieren müssen. Das gilt insbesondere für die zweite Phase der Realisierung von BW, in der die ästhetische Neuausrichtung und der Einsatz spektakulärer Architektur und ikonischer Symbole besondere Bedeutung erlangten. Der Rückgriff auf ikonische Architektur zielte in Belgrad darauf ab, den Interessen der Investor*innen gerecht zu werden. Er brachte jedoch auch populistische Züge in den spektakulären Stadtdarstellungen mit sich, mit denen die Planungsgenehmigungen, aber auch die öffentliche Akzeptanz sichergestellt werden sollten.
Ein Mittel dazu war auch die Mobilisierung eines architektonischen Vorzeigeprojekts von Weltrang als Mittel zur Verräumlichung der Beziehungen zwischen dem Urbanen und dem Übernationalen. Es sollte gewissermaßen signalisieren, dass Belgrad zu einer globalen Stadt wird. Im Gegensatz dazu wurden UMPs in westeuropäischen Städten lange Zeit mit der Ikonizität beim Bau neuer kultureller oder öffentlicher Einrichtungen gerechtfertigt (Swyngedouw et al. 2002). In Belgrad ist die Mobilisierung der Stararchitektur vor allem mit den Zielen des Investors verbunden – dem Bau eines Wolkenkratzers, der exklusive Wohnungen sowie ein Luxushotel beherbergt. Das bestätigt die Gewinnorientierung des Projekts BW. Verborgen hinter dem beworbenen Symbol des erwarteten nationalen Wirtschaftsaufschwungs wird das neue architektonische Wahrzeichen Belgrads die umliegenden Immobilieninvestitionen von Eagle Hills nur noch weiter verteuern.
Andererseits hat es sich bereits als Herausforderung für die zeitgenössische Architektur erwiesen, moderne urbane Räume zu schaffen, die dem Bedürfnis von Menschen nach Identifikation und Zugehörigkeit gerecht werden, ohne eine historisierende oder neotraditionalistische Formensprache zu verwenden (Ellin 1999; Koolhaas 2005, 2002; Sepe 2010). Als Alternative mobilisiert BW romantisierte Symbole aus der nationalen Geschichte – allerdings als spekulativen, nativistisch-populistischen Akt, den höchste politische Strukturen zu ihrem eigenen Vorteil initiieren und propagieren. Auf diese Weise verräumlicht das Projekt auch die Beziehungen zwischen dem Urbanen und dem Nationalen – als Instrument der politischen Elite, die sich mit der nationalen Größe identifiziert, ihre Herrschaft konsolidiert und ihre Kontrolle stärkt, indem sie Rezeptoren der kollektiven Identität sensibilisiert. In diesem Punkt weist BW Ähnlichkeiten zu anderen autokratischen Entwicklungsinitiativen in der Region auf – insbesondere zur Neugestaltung der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje durch das umstrittene UMP „Skopje 2014“[8]. Mit dem Ziel, die eigene nationale Identität wiederzubeleben, warfen die unabhängigen Medien den politischen Eliten hinter „Skopje 2014“ vor, zu hohe öffentliche Mittel ausgegeben und sogar Geldwäsche betrieben zu haben (Čamprag 2019).
Geht man von den wichtigsten Rechtfertigungen für die UMPs aus – der Stärkung nationaler Größe (Müller 2011), globaler Wettbewerbsfähigkeit (Golubchikov 2010) oder europäischer kultureller Wurzeln (Dixon 2013) – beschreibt dieser Beitrag den städtischen Kontext Belgrads und Serbiens als Verschmelzung all dieser Trends. Gleichzeitig hebt der Artikel auch die Besonderheiten des Projekts BW hervor. Diese bestehen in der extremen staatlichen Regulierung, der autokratischen Intervention und dem Mangel an demokratischer Kontrolle. Das allgemeine Unvermögen des Belgrader Projekts, sowohl auf den städtischen als auch auf den nationalen Kontext zu reagieren und die vielfältigen sozioökonomischen Herausforderungen zu bewältigen, ist in erster Linie auf einen Mangel an Transparenz bei Auftragsvergabe und Finanzierung sowie in allen anderen Planungs- und Umsetzungsverfahren zurückzuführen. Auch das hat Auswirkungen auf das geförderte Stadtimage und auf die Suche nach einer neuen nationalen Identität in einem postsozialistischen Kontext. Die aktive Rolle lokaler Regierungen im Rahmen von Unternehmensstrategien wurde bereits als wichtig für die Verbesserung des Images und der Standortvorteile von Städten hervorgehoben (Sklair 2006). Der allgemeine Mangel an demokratischer Entscheidungsfindung und Konsultation mit Bürger*innen und Expert*innen in Belgrad hat jedoch ein eindimensionales neues Stadtbild zur Folge. Dieses trägt nicht zur bestehenden städtischen Identität bei, sondern gefährdet diese allmählich. Die Priorisierung der Projektumsetzung gegenüber den Grundsätzen einer repräsentativen Demokratie offenbart die einseitigen politischen Motive, die hinter der vorgeblichen Absicht einer Verbesserung des Images von Stadt und Nation liegen.
Schließlich bestätigt dieser Beitrag, dass das Projekt BW ein extremer Fall eines autoritären Urbanismus ist, der durch die Interessen lokaler wie globaler wirtschaftlicher und politischer Eliten reguliert und von einer nativistisch-populistischen Sprache flankiert wird. Er verdeutlicht die weitere Entwicklung der Verbindungen zwischen nationalstaatlicher Politik und mächtigen internationalen Investor*innen. Derartige politisch-ökonomischen regulatorischen Regime treiben die Stadtentwicklung und Imagebildung auf autokratische Weise voran und sollten daher weiter kritisch begleitet werden.