sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(1/2), 341-346

doi.org/10.36900/suburban.v11i1/2.857

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CC BY-SA 4.0

Die Frankfurter Sommerschule „Kritische Wohnungsforschung“

Perspektiven, Vernetzung und Empowerment für neue Formen der Wissensproduktion und Wohnungspolitik

Johanna Betz

Mit der Sommerschule „Kritische Wohnungsforschung. Theorie und Praxis einer progressiven Wohnungspolitik“ wurde von Wissenschaftler*innen des Instituts für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main ein interaktives und im Zweijahresrhythmus stattfindendes Format etabliert, das progressive Debatten rund um Wohnungs­marktentwicklungen und -politik fördert. Bisher gibt es – trotz der gesellschaftspolitischen Relevanz der Wohnungsfrage – nur wenige Plattformen, über die längerfristig produktive und inspirierende Verbindungen zwischen Wissenschaft, Aktivismus, Verwaltung und Politik gestärkt und neu geknüpft werden können und auf denen sich die jeweiligen Akteur*innen austauschen können. Dementsprechend groß war das Interesse, auf das das Angebot der Sommerschule stieß. Daher wurde das Programm der ersten, digital stattfindenden Sommerschule bei der zweiten Ausrichtung mit einem inhaltlich ähnlichen Fokus für einen anderen Personenkreis wiederholt. Zum zweiten Mal fand die viertägige Sommerschule, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Sektion Wohnungs- und Stadtpolitik gefördert wird, im September 2022 statt. Rund 60 Personen nahmen jeweils teil. Dieser Kurzbericht spiegelt aus meiner Teilnehmenden-Perspektive wider, was die Sommerschule ausmacht, und dokumentiert schlaglichtartig, welche inhaltlichen Schwerpunkte bisher gesetzt wurden.

Explodierende Wohnkosten und ein neuer Zyklus von wohnungspolitischen Protestbewegungen im Nachgang der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007 und den Folgejahren unterstreichen die Notwendigkeit, neue wohnungspolitische Ansätze zu entwickeln, zu testen und sowohl mit Theoriebezug als auch auf ihre Praxistauglichkeit hin zu reflektieren. Hier besteht großer Nachholbedarf: Nicht zufällig wurden in Deutschland in den 1990er- und 2000er-Jahren, zeitgleich zu den massiven Privatisierungen und profitorientierten Restrukturierungsvorhaben von öffentlichen Wohnungsbeständen, viele Verwaltungseinheiten und Ministerien, die sich mit dem Wohnen befassen, aufgelöst oder verkleinert. Parallel etablierten sich neue Akteure, insbesondere börsennotierte Immobilienkonzerne wie Vonovia SE, und die Menge an Kapital, die durch die Wohnraumversorgung zirkuliert, stieg in ungekannte Höhen. Im Ergebnis fehlen heute vielerorts nicht nur direkt öffentlich steuerbare, gemeinwohlorientiert agierende Wohnungsunternehmen; es fehlt auch Wissen über gemeinwohlorientierte Bewirtschaftungsweisen und wohnungspolitische Alternativen sowie der politische Wille, diese gegen private Profitinteressen durchzusetzen. Aufgrund der ideologischen und institutionellen Rekonfiguration gibt es aktuell einen großen Bedarf an kritischen empirischen und angewandten Studien und Austauschformaten, die zum einen die strukturellen Transformationsprozesse aufarbeiten und zum anderen progressive Reformen in Politik und Verwaltung stärken sowie Gegennarrative zur neoliberalen Hegemonie liefern.

Abb. 1 Was kritische Wohnungsforschung ist, erläutert einer der Organisator*innen der Sommerschule, Sebastian Schipper, bei der Eröffnungsveranstaltung (Quelle: Phuong Thanh Tran / Johanna Betz)
Abb. 1 Was kritische Wohnungsforschung ist, erläutert einer der Organisator*innen der Sommerschule, Sebastian Schipper, bei der Eröffnungsveranstaltung (Quelle: Phuong Thanh Tran / Johanna Betz)

Mit einer Mischung aus Vorträgen und Workshops eröffnete die Sommerschule die Möglichkeit, im kooperativen Zusammenspiel von Akteur*innen aus Wissenschaft, sozialen Bewegungen, gemeinwohlorientierter Wohnungswirtschaft, Mietervereinen sowie Expert*innen aus Politik und Verwaltung Handlungsoptionen für progressive Wohnungspolitik zu erkunden. Dialogisch und beeindruckend agil erörterten und reflektierten die Teilnehmenden, welche marktfernen, nicht profitorientierten Alternativen von sozialen Bewegungen und Mietervereinen, aber auch in der staatlichen oder wohnungswirtschaftlichen Praxis erarbeitet wurden und wie diese weitergedacht werden können. Gerahmt und inspiriert wurden die Debatten von einer politökonomischen und emanzipatorischen Perspektive auf Wohnen und die Bodenfrage.

Mit dem Programm der Sommerschule ist ein Forum geschaffen worden, in dem in komprimierter Form und auf hohem fachlichen Niveau an einer Vielzahl der derzeit wohnungspolitisch heiß diskutierten Inhalte weitergearbeitet wird: Ausgerichtet waren die Schwerpunkte der beiden ersten Veranstaltungen, die 2021 (wegen des Ausbruchs der Coronapandemie 2020 um ein Jahr verschoben) und 2022 stattfanden, auf die Themen Bodenpolitik, Mietrecht, neuere Genossenschaften, Konzeptvergabeverfahren, Rekommunalisierung und Eigentumsverhältnisse. Diskutiert wurde über Organizing-Strategien, den Verlauf von Bürger*innenbegehren, die Enteignungskampagne in Berlin und über Perspektiven für die Umsetzung der Vergesellschaftung.

So erläuterte beispielsweise Jan Kuhnert, Geschäftsführer der KUB Kommunal- und Unternehmensberatung GmbH und von 2016 bis Anfang 2021 Vorstandsmitglied der Wohnraumversorgung Berlin – AöR, die im Zuge des Mietenvolksentscheids von 2015 geschaffen wurde, Möglichkeiten der Steuerung und Demokratisierung von öffentlichen Wohnungsunternehmen. Hierbei wurden Perspektiven für die Umgestaltung der öffentlichen Wohnungswirtschaft in Deutschland eröffnet und der Aufbau und die rechtlichen Herausforderungen bei in AGs oder GmbHs strukturierten öffentlichen Wohnungsunternehmen diskutiert. Bei ihnen wird öffentliches Eigentum in privatrechtlich verfassten Gesellschaften verwaltet – allerdings fehlt oftmals eine politische Anbindung an demokratisch legitimierte Akteure. Zudem stellen sich Fragen der Transparenz, weil aus den Aufsichtsratssitzungen nur wenige Informationen an die Öffentlichkeit dringen. Inga Jensen gab einen Überblick über aktuelle Formen der Rekommunalisierung von Wohnraum in Berlin. Tiefer in das Thema Mietrecht konnten die Teilnehmenden im Workshop von Sarah Grönewald vom Mieterbund Darmstadt e. V. einsteigen. Sie lieferte einen prägnanten, wenn auch nicht allzu positiv stimmenden Rundumblick über die aktuelle Gesetzgebung im Mietrecht und zu Fragen etwa der rechtlichen Regulierung des Wohnens in WGs oder Studierendenwohnheimen, dem Spielraum der Mietenden bei mangelnder Instandhaltung durch die Eigentümer*innen sowie zu Kündigungen oder Zwangsräumungen. Ein Planspiel leitete Stephan Reiß-Schmidt, langjähriger Leiter der Stadtentwicklungsplanung München, Mitglied der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht sowie Co-Vorsitzender des Ausschusses Bodenpolitik der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung DASL e. V. In seiner Session versetzten sich die Teilnehmenden in die Rolle von Investor*innen sowie Akteur*innen der Kommunalverwaltung oder -politik, um über innovative Instrumente der Bodenpolitik zu verhandeln. Wie Kommunen gemeinschaftliches Wohnen in Konzeptverfahren ermöglichen können und warum das nicht nur für die Wohnraumversorgung, sondern auch für Nachbarschaften die Wohnqualität erhöht und den sozialen Zusammenhalt stärkt, stellte Birgit Kasper vor. Sie ist Mitbegründerin und Leiterin der Geschäftsstelle des Netzwerks Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e. V. sowie der Landesberatungsstelle für gemeinschaftliches Wohnen in Hessen und im Vorstand des FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e. V. – Bundesvereinigung.

Formal griffen die meisten Sessions auf kurze Impulsvorträge zurück, die dann mit unterschiedlichen Workshop-Formaten kombiniert wurden. Dieses abwechslungsreiche und partizipative Format sorgte – auch bei der ersten, komplett digital stattfindenden Sommerschule – für lebendige Diskussionen und Austausch, auch weil es unterschiedliche Formen von Beiträgen ermöglichte. Man konnte beispielsweise von politischen oder aktivistischen Strategien berichten, über politökonomische Verhältnisse diskutieren und/oder in Excel die Eigentümerzusammensetzung einer Stadt auf Basis von Zensusdaten ausrechnen. Wie Letzteres funktioniert, zeigte Christoph Trautvetter in seiner Session „Wem zahle ich eigentlich meine Miete? Ein interaktiver Recherche-Workshop zu Eigentümerstrukturen und Geschäftspraktiken“. Schnell wurde in der 2021er-Ausgabe via Chat, 2022 dann in Präsenz zusammengetragen, wie die Eigentumsverhältnisse sich in unterschiedlichen Städten, aus denen Teilnehmende anwesend waren, darstellen. Dabei wurde deutlich, wie stark sich diese unterscheiden. Darüber hinaus wurde in der Session auch über die Grenzen der Eigentümerklassifizierung nach Zensus debattiert, die nur wenige Nuancen zulässt und aus deren Daten sich beispielsweise nicht schließen lässt, wie stark gewinnorientiert Eigentümer*innen der gleichen Eigentumskategorie agieren oder wie viele Wohnungen ein und dieselbe „kleine“ Privateigentümerin in unterschiedlichen Städten besitzt. Detailliertere Daten hierzu sind wichtig, um genauer aufzuschlüsseln, wer vom jüngsten Immobilienboom profitiert hat.

Zeit und Raum schufen die Organisator*innen auch für informelleren Austausch und Vernetzung, wie unter anderem in den Werkstattphasen „Theorie und Praxis: Ideenaustausch zu Forschungs- und Recherchebeiträgen“. Diese dienten als Plattform, über die sowohl Know-how-Gesuche als auch Ressourcen vermittelt wurden: Beispielsweise meldete eine Stadtverwaltung, dass ihr die Ressourcen für eine qualitative und quantitative Einschätzung unterschiedlicher Formen von hochpreisigen Kurzzeitvermietungen in ihrer Stadt fehlten. Für eine Forschungsarbeit könnte es politisch relevant und spannend sein, möblierte Apartments, Ferienwohnungen et cetera in Zusammenarbeit mit der Verwaltung zu erheben und zu klassifizieren. Zudem fanden sich überregional Personen zusammen, die derzeit vor ähnlichen Herausforderungen stehen und dankbar für Austausch waren.

Aufgrund der anhaltenden gesellschaftspolitischen Relevanz der verhandelten Fragestellungen, der Weiterentwicklung der jeweiligen Debatten und des nach wie vor großen Interesses an den Themen hat die zweite Sommerschule inhaltlich unmittelbar an die Debatten der ersten Veranstaltung angeknüpft. Der inhaltliche Schwerpunkt für die nächste Sommerschule 2024 steht derzeit noch nicht fest. Aus meiner Perspektive könnten noch expliziter als bisher die Machtverhältnisse auf bundespolitischer und EU-Ebene in den Blick genommen werden – auch um wohnungspolitische Vernetzung von Bewegungsakteur*innen über die lokale Ebene hinaus zu stärken. Wünschenswert wäre auch, wenn das Thema Nebenkosten und Energiearmut seinen Weg ins Programm finden würde. Um die Brücke zwischen Wohnungs- und Klimabewegung und damit eine fachliche Debatte zu stärken, die hierzulande noch kaum geführt wird, wäre es hilfreich, der Diskussion um Klimagerechtigkeit und Wohnen mehr Raum zu geben.

Gespannt sein können wir auf jeden Fall auch, da bis zur nächsten Sommerschule, die im September 2024 stattfinden wird, eigentlich mit Praxiserfahrung über die realisierte Vergesellschaftung der Bestände großer Wohnungsunternehmen in Berlin berichtet werden können sollte. Bis dahin müsste das Enteignungsbegehren durch die Berliner Landesregierung, die bisher primär durch Verzögerungstaktik auffällt, längst umgesetzt worden sein. Die Sommerschule bietet sicherlich einen spannenden und vielseitigen Rahmen, um das Ergebnis zu reflektieren und die Übertragbarkeit der Vergesellschaftung außerhalb Berlins weiter zu diskutieren. Kommt vorbei!

Informationen zur Sommerschule findet ihr online: https://www.uni-frankfurt.de/99544776/Sommerschule

Anmerkung: Die Veranstaltung wird vom Hessischen Kultusministerium als Bildungsurlaub anerkannt.