sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(3/4), 199-231

doi.org/10.36900/suburban.v11i3/4.862

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 11. Dezember 2022

Veröffentlichung online: 3. November 2023

Revolutionärer Antifaschismus als Stadtplan

Gewalträume, Freiräume und Traumräume

Günter Gassner

In diesem Aufsatz befasse ich mich mit dem Konzept eines „Revolutionären Antifaschismus“, um räumliche Prozesse zu untersuchen, die sich einer autoritären Stadt verweigern. In Broschüren und Flugblättern aus den 1990er-Jahren treffe ich auf einen Antifaschismus, der sich nicht auf den Kampf gegen Nazis reduzieren lässt und einen Revolutionsbegriff entwickelt, der die Systemüberwindung als einen kontinuierlichen und pragmatischen Prozess versteht und dennoch nicht auf Maximalforderungen verzichtet. Ich konzeptualisiere diesen Prozess als einen Raumbildungsprozess, der sich grundsätzlich von einer faschistischen Raumorganisation unterscheidet, und ich stelle einem modernen Stadtplan einen radikalen gegenüber. Revolutionärer Antifaschismus als Stadtplan ist eine von einer konkreten Situation angestoßene Konstruktion linker Geschichte, von der aus sich eine Position bestimmen und eine alternative Stadt bilden lässt. Diese befreiende Raumpraxis beschreibend bespreche ich drei ihrer Eigenschaften – Kollektivität, Selbstbestimmung und Systemüberwindung – und beziehe sie auf drei unterschiedliche Räume: Gewalträume, Freiräume und Traumräume.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Antifaschistischer Stadtplan Kreuzberg

In einer Bibliothek in Berlin stoße ich auf ein Dokument mit dem Titel „Antifaschistischer Stadtplan Kreuzberg“, 1984 herausgegeben von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Westberlin“ (B1). Wie mag eine antifaschistische Stadt aussehen? Wie ist sie darstellbar und kommunizierbar? Wohnt der Darstellbarkeit eine autoritäre Dimension inne, zumindest so lange sie den Anspruch erhebt, eine repräsentative Darstellung zu sein? Ist Repräsentation, die Einschließen und Ausschließen, oft auch Zentrieren und Marginalisieren bedeutet, als Abstraktion von Lebenswelten ein Gewaltakt? Theodor Adornos (1963) Aussage, Poesie nach Auschwitz sei barbarisch – nicht als Versuch, Künstler_innen zum Schweigen zu bringen, sondern als Erkenntnis, dass es Taten gibt, die so grausam sind, dass sie weder verstanden noch kommuniziert werden können – zeigt in diese Richtung. Und doch, so merkt Adorno an, muss Kunst weiter versuchen zu sprechen, zu zeigen, wohl wissentlich, dass sie daran scheitern wird und muss.

Ich denke an diese ersten Fragen zurück, während ich antifaschistische Broschüren und Flugblätter durchblättere. Ich rufe mir Adorno ins Gedächtnis, wenn ich mich mit dem Konzept eines „Revolutionären Antifaschismus“ auseinandersetze: Seine Warnung, dass jedes Konzept Gefahr läuft, eigentümliche heterogene und potenzielle Mehrdeutigkeiten zu verlieren, die am Objekt haften. Im Konzeptualisieren liegt eine beträchtliche und unvermeidbare Menge ausgeübter Gewalt. Ich vergegenwärtige mir den Moment, als ich den Antifaschistischen Stadtplan zum ersten Mal vor mir liegen hatte, wenn ich in einer Broschüre über Revolutionären Antifaschismus lese: „‚Reduzierung von Komplexität‘, also die Vereinfachung, ist kein Problem, sondern die Lösung, solange die Vereinfachung sich auf Wesentliches konzentriert. Eine Landkarte im Maßstab 1:1 wäre zwar genau, aber für den Gebrauch als Landkarte völlig nutzlos.“ (B2: 8) Geht es in einem Antifaschistischen Stadtplan also um eine Reduktion der Stadt auf das Wesentliche? Und wer definiert das? Für einen Revolutionären Antifaschismus, so schlage ich vor, lässt sich das Wesentliche nicht auf eine vorhandene Essenz reduzieren, sondern ist immer auch als Ermöglichung eines orientierten Prozesses der Veränderung zu denken. In diesem Zusammenhang ist „eine platte Aussage wie ‚Hinter dem Faschismus steht das Kapital‘ – so problematisch ihre Verkürzung der historischen Realität auch sein mag“ (ebd.) durchaus wesentlich, da diese Aussage „ihre Berechtigung als Demoparole“ (ebd.) nicht verloren hat.

Der moderne Stadtplan ist ein kapitalistisches Instrument. Als zusammenfaltbares Blatt wurde er im Kontext stark wachsender westlicher Industriegroßstädte verbreitet, um Stadtbewohner_innen und Reisenden Orientierungshilfe zu leisten. Als großmaßstäbige Darstellung von Straßen, Plätzen und für wichtig erachteten Gebäuden ist er untrennbar mit vermarktbarer Lesbarkeit, Wiedererkennbarkeit und der Kommodifizierung des Stadtraums verknüpft. Bleibt da als kritischer Zugang nur noch, das Blatt auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen zusammenzufalten – immer anders, immer neu –, um so aufgezwungenen Unterscheidungen zwischen wichtig und unwichtig entgegenzuwirken?

Der Antifaschistische Stadtplan liegt nun auf meinem Tisch. Auf 48 Seiten und einem in der Tat aufklappbaren Plan werden ausgewählte Orte in Berlin-Kreuzberg markiert. Schwarze Kreise mit weißen Zahlen benennen Orte faschistischen Terrors und der Verfolgung. Rote gleichschenklige Dreiecke mit weißen Zahlen bezeichnen Orte, die für den antifaschistischen Widerstand von Bedeutung waren. Rote Quadrate mit schwarzen Zahlen markieren Orte der Erinnerung. Anders gesagt: Ich sitze im roten Dreieck Nummer 88, in dem der Kommunist und Werkzeugschlosser Kurt Riemer arbeitete und die illegale Betriebszelle der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) leitete. 1940 organisierte diese Betriebszelle wegen eines nicht funktionierenden Abzugs über einer Esse einen Streik: „Höchste Nazi-Funktionäre der Kreisorganisation der DAF [Deutschen Arbeitsfront] erschienen im Betrieb und mußten sich den Forderungen beugen.“ (B1: 36 f.) Wenn ich später zu meinem Fahrrad gehe, werde ich am schwarzen Kreis Nummer 29 vorbeikommen, der vom Boykott jüdischer Geschäfte in 1933 betroffen war (ebd.: 15) und auch an einem damaligen Goldwarengeschäft, das in jüdischem Besitz war und das sich neben dem schwarzen Kreis Nummer 21 befindet, in dem „so ein Lager von Holländern und Belgiern“ war (ebd.: 10 f.). Und wenn ich dann in Richtung Wohnung radle, werde ich entlang des roten Quadrats Nummer 102 an Ernst Heilman erinnert, der „von 1919 bis 1933 Mitglied der SPD-Fraktion [Sozialdemokratische Partei Deutschlands] im Preußischen Landtag, seit 1924 deren Vorsitzender, 1928 bis 1933 Mitglied des Reichstages“ war und als „Verfechter des ‚kleinen Übels‘“ (ebd.: 43) 1932 für die Wiederwahl von Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten eintrat.

Ich werde also nicht an der Reichenberger Straße 63A vorbeikommen, an dem Haus, das im Dezember 1987 im Zusammenhang mit einer von Autonomen vorbereiteten und getragenen Kiez-Demonstration gegen Leerstand, Wohnraumspekulation und Umstrukturierung besetzt wurde. Die Demonstration hatte unter anderem dazu geführt, dass der West-Berliner Senat und Spekulant_innen dazu gezwungen wurden „auf den geplanten Abriß dieses Hauses zu verzichten und es einer Selbsthilfegruppe zur Verfügung zu stellen“ (Geronimo 1995: 183). Ich werde nicht an der anarchistischen Bibliothek „kalabal!k“ vorbeikommen und auch nicht am benachbarten „Monokel“, einem Optikergeschäft, das seit 1983 besteht.

Der Antifaschistische Stadtplan wurde zu einer Zeit herausgegeben, in der die autonome linke Szene in Kreuzberg in einer Aufbauphase war, noch bevor die „Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO) das Konzept eines Revolutionären Antifaschismus entwickelte. Auffällig ist, dass Antifaschismus in diesem Stadtplan auf bestimmte Orte fixiert wird. Ist dieses Dokument weniger ein antifaschistischer als ein moderner Stadtplan, in den Faschismus und Antifaschismus eingeschrieben werden? Wird hier im Kampf gegen ein autoritäres Regime ein gewaltsames Instrument benutzt? Kann Antifaschismus auch als eine politische Praxis verstanden werden, die nicht von Nazis abhängig ist? Kann Antifaschismus als eine Raumpraxis verstanden werden, die aus sich heraus Räume bilden kann, die nicht fixiert und dadurch eindeutig darstellbar, aber dennoch kommunizierbar sind – etwa um Leute zu erreichen, zu politisieren und zu radikalisieren?

2. Konzeptuelle Räume

Es ist ein Kennzeichen autoritärer Räume, dass sie plurale Sinngebungen auf eine zentrale Vision vereindeutigen beziehungsweise ihnen diese auferlegen. In einem autoritären Diskurs basiert Macht auf Schweigen und der Zustimmung zu einer Eindeutigkeit (siehe Goldschläger 1982; vgl. Trüby 2019). Doch kann im Gegenzug ein antiautoritärer Diskurs von einer radikalen Offenheit gekennzeichnet sein, der zufolge jegliche Sinngebung und Leseart möglich und zulässig ist? Eine vollkommene Dekontextualisierung und die damit zusammenhängende Geschichtslosigkeit würde bestehende Formen von Gewalt weiter vertiefen und verbreiten. Was aber macht dann einen räumlichen Prozess aus, der sich einer autoritären Stadt verweigert?

Einer faschistischen Raumorganisation einen Antifaschismus als Raumpraxis gegenüberstellen: Bewusst spreche ich nicht von einer antifaschistischen Raumorganisation, da so eine Bezeichnung Letztere als einfaches Gegenteil von Ersterer definieren und so Antifaschismus auf negative Räume reduzieren könnte. Antifaschismus wäre somit durch die bloße Verneinung von Faschismus von Faschist_innen abhängig. In diesem Aufsatz verstehe ich Raumpraxis daher als Erzeugen von vielfachen Räumen und Raumbildern, als Raumbildungsprozess. Eine Raumpraxis ist weder auf die Bildung physischer Räume noch auf Aktionen in Räumen reduzierbar – vor allem nicht, wenn sich Aktionen eindeutig in einen bestehenden Raum einfügen lassen und somit wenig oder keine Raumbildungspotenzial aufweisen. Sie ist politisch, wenn sie vom Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung getrieben ist. Eine Raumpraxis liegt somit an der Schnittstelle von Ideen, Werten und Aktionen in und für eine Stadt. Sie bildet auch einen produktiven Fokus, um an Debatten über Faschismus als Ideologie versus Massenbewegung anzuschließen und Antifaschismus als eine Theorie-Praxis zu positionieren.

Ich mache in diesem Beitrag Raum für ein Konzeptualisieren von Antifaschismus als radikalem Stadtplan. Ein Stadtplan ist nicht nur eine auferlegte Abstraktion einer Stadt, an der bestimmte Ideen und Werte haften. Ein Stadtplan ist auch eine Ausrichtung von Körpern und Räumen, ein Orientierungsgerät. Bei einem radikalen Stadtplan geht es jedoch nicht darum, Standorte für Antifaschismus festzulegen, sondern darum, Antifaschismus gegenüber anderen Raumorganisationen in der Stadt zu positionieren. Der Unterschied zwischen einem Standort (als räumlicher Fixierung) und einer Position (als Ermöglichung von Perspektiven) ist insofern von Bedeutung, als Letztere auf Orientierungen verweist, in denen interveniert werden kann. Orientierung bedeutet, eine Richtung einzuschlagen, um bestimmte Objekte in greifbare Nähe zu rücken und andere nicht (vgl. Ahmed 2006). Orientierung bedeutet, einen Horizont zu sehen. Eine Stadt in einem herrschenden System ist orientiert. Eine antifaschistische Raumpraxis kann Momente einer Umorientierung einführen. Ein neuer Horizont kann sich auftun, der das Erreichen einer anderen Stadt ermöglicht. Anders gesagt: Ein Stadtplan gibt Orientierung und – wenn es sich um einen radikalen Stadtplan handelt – eben auch Orientierung für einen Prozess der Veränderung. Wie kann er das tun, ohne eine eindeutige Lesbarkeit zu oktroyieren beziehungsweise einen statischen Endpunkt vorzudefinieren?

Um das Konzept eines radikalen Stadtplans zu erforschen, arbeite ich mit Dokumenten, die im Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (apabiz) eingesehen werden können. Zwei Dokumente sind für mich von besonderer Bedeutung: die 1993 herausgegebene erste Broschüre „Einsatz!“ der AA/BO und die detaillierte Broschüre „Das Konzept Antifa: Grundsatztexte und Konkretes“, 1998 herausgegeben von der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB). Untersuchungen weiterer Broschüren und Flugblätter der 1980er-, 1990er- und 2000er-Jahre aus Berlin ermöglichen es mir, Antifaschismus als Raumpraxis zu erkunden.

Dieser Text weicht vom Standardformat wissenschaftlicher Aufsätze insofern ab, als er Fragmente assoziativ zusammenführt und gegenüberstellt. Er macht nicht den Versuch, Leser_innen mit einem linearen Argument zu überzeugen. Ich stimme Natasha Lennard (2019) zu, dass liberale Appelle an die Wahrheit eine faschistische Epistemologie von Macht und Herrschaft nicht durchbrechen können. Dieser Text beschreibt Räume, bildet neue Räume und ist kein Ort festgelegter Konzepte, denen man sich einfach nur unterordnen muss. In diesem Text geht es darum, Leser_innen zur Koproduktion einzuladen. Es geht nicht um einen Wahrheitsanspruch, sondern darum, sich in einer Stadt zu positionieren und zu bewegen, also inmitten gesellschaftlicher Verhältnisse und inmitten von Produktionsverhältnissen (Benjamin 2014a; vgl. Gassner 2020).

Wenn Antifaschismus als politisches Aktionsfeld beschrieben wird, „in dem sich eine breite Bewegung aus verschiedenen Strömungen, Initiativen, NGOs, Parteien, Gewerkschaften etc. in Theorie und Praxis gegen Faschismus (ebenso wie Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, Nationalismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Sexismus etc.) einsetzt“ (Rohrmoser 2022: 184), so beginnt dieser Text mit einer breiten und zugleich spezifischen Auffassung von Antifaschismus als einer illiberalen Intervention, die gegen Faschismus kämpft, ohne sich dabei auf den Staat, das Rechtssystem oder liberale Institutionen zu verlassen (Lennard 2019). Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die durchlässige Grenze zwischen Liberalismus und Faschismus (siehe Landa 2012) und erkunde nicht nur, inwiefern sich eine illiberale Raumpraxis von einer anti-liberalen Raumorganisation sowie von der Raumorganisation eines liberalen Staates unterscheidet, sondern auch wie sie, durch eine Horizontverschiebung, eine Raumpraxis der Befreiung von unterschiedlichen Arten von Gewalt und Ausbeutung sein kann.

Antifaschismus als illiberale Raumpraxis baut auf einem radikalen Freiheitsbegriff auf, der in der „freien Privatinitiative des Unternehmers“ nicht „den sichersten Garanten des ökonomischen und sozialen Fortschritts“ sieht (Marcuse 1974: 45). Ein solcher radikaler Freiheitsbegriff setzt sich klar von einem anti-liberalen ab, der auf der rassistischen Vorstellung einer „durch das Volk repräsentierten Ganzheit“ (ebd.: 57) basiert. Ein radikaler Freiheitsbegriff ist befreiend, wenn er „Selbstbestimmung, die grundsätzliche Gleichheit der Menschen, die Unzulässigkeit jeder Form von Ausbeutung“ (B2: 21) als unabdingbar ansieht. Er verweist damit auf die Verteilungen von Freiheiten und Unfreiheiten auf unterschiedliche Gruppen und Klassen und zeigt, dass Liberalismus als eine ausgrenzende Praxis zu verstehen ist, in der die Freiheiten einiger stets auf Kosten anderer gehen (Mondon/Winter 2020).

Ich schreibe diesen Text als ein Fremder, der weder in den 1990er-Jahren Mitglied einer Antifa-Gruppe war, noch in Deutschland lebt(e). Es geht es mir jedoch nicht darum, meine Fremdheit als eine Freiheit von Verstrickungen in existierende Interessen und Spaltungen zu verstehen (Simmel 1950). Vielmehr möchte ich Positionierungen und Perspektiven gegen Verhetzung, Verletzung und Vernichtung ermöglichen. Revolutionärer Antifaschismus ist „untrennbar mit der Perspektive auf die Gesamtgesellschaft verbunden“ (Rohrmoser 2022: 124). Er geht auf die Kritische Theorie und auf die sogenannte „Antiautoritäre Fraktion“ zurück, einen Teil des „Sozialistischen Deutschen Studentenbunds“ (SDS), der sich 1968 von den auf die orthodox-kommunistische Arbeiterbewegung ausgerichteten „Traditionalisten“ (Geronimo 1995: 30) abspaltete. Dieser Text folgt der Kritischen Theorie insofern, als er eine strikte Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis sowie abstrakte Kategorien (Horkheimer 1992) ablehnt. Stattdessen schlägt er eine Theorie-Praxis für Reflexions- und Vorstellungsräume sowie für physische Räume und soziale Stadträume vor. Es geht mir dabei um reale Räume, also sowohl um aktualisierte als auch um virtuelle Räume (Deleuze/Guattari 1992). Wenn sich eine antifaschistische Raumpraxis nicht auf den Kampf gegen Nazis reduzieren lässt, bedeutet das dann, dass dieser Text nicht in Räumen faschistischen Terrors, in Gedenk- und Angsträumen verharren darf, sondern selbst Räume – Gewalträume, Freiräume und Traumräume – hervorbringen kann und muss?

3. Faschismus und Revolutionärer Antifaschismus

Die Nazis sahen moderne Großstädte als Ursache für soziale Missstände an; als Orte, an denen eine korrupte Kultur wuchert, die vor allem Jüd_innen und Immigrant_innen zu verantworten haben. Sie verstanden Städte als „Bedrohung für die faschistische Ideologie“ (Stanley 2020: 151, Übers. d. A.). Jedoch waren die Nazis sich auch des Potenzials von Städten als Propagandamaschinen bewusst. Sie organisierten Stadträume auf unterschiedliche Arten (drei davon werde ich später einführen). Diese unterschiedlichen Raumorganisationen können als ein Interesse an Städten als auch als gespaltenes Verhältnis zu ihnen angesehen werden. Aus Sicht der Nazis pluralisierten Städte Ideen (und waren daher eine Bedrohung für ihre eigene Ideologie), aber eben auch konditionierten Ideen. Hitler beschrieb Stadtplanung einmal als „Stärkungsmittel gegen den Minderwertigkeitskomplex des deutschen Volkes. Wer ein Volk erziehen will, muss dem Volk sichtbare Gründe für Stolz geben. Dies dient nicht dazu zu prahlen, sondern um der Nation Selbstvertrauen zu geben.“ (zitiert nach Sudjic 2006: 37) Die Stadt als verräumlichte Ideologie sieht sich stets einem potenziellen Angriff auf diese Ideologie ausgesetzt.

Ich stoße auf die Historiker Roger Griffin, Roger Eatwell und Stanley Payne, die sich in den 1990er-Jahren auf Minimalkriterien einigten, die erfüllt sein müssen, damit man von Faschismus sprechen kann – und die damit das Ende eines Kampfes um den Faschismusbegriff einläuteten (Eatwell 1996). Sie vertreten die These, dass Faschismus als „wahres revolutionäres Phänomen und ein kohärentes System von Ideen und Werten“ zu betrachten sei (Kallis 2003: 33, Übers. d. A.) und nicht bloß als politische Bewegung. Sie formulieren dies, damit „die Mitwirkenden an der Faschismusforschung endlich in der Lage sind, den Faschismus wie jede andere Ideologie zu behandeln […] Sie müssen sich nicht länger rituellen Klagen über das Fehlen eines Konsensus oder zu mindestens einer Arbeitsdefinition hingeben“ (Griffin 1998: 15, Übers. d. A.).

Eatwell beschreibt Faschismus als „eine Ideologie, die danach strebt, die Wiedergeburt auf einem ganzheitlich-nationalen radikalen dritten Weg zu schmieden. In der Praxis neigt der Faschismus aber dazu, Stil, insbesondere Aktion und den charismatischen Führer, mehr als ein detailliertes Programm zu betonen und beteiligt sich an einer manichäischen Dämonisierung seiner Feinde.“ (Eatwell 1996: 304 f., 313, Übers. d. A.) Payne argumentiert, Faschismus sei die revolutionärste Form des Nationalismus und könne nicht „einfach“ als rechter Autoritarismus verstanden werden: Faschismus als Ideologie vereine Anti-Liberalismus, Anti-Kommunismus und Anti-Konservatismus (Payne 2003: 84). Griffin (2003: 179) definiert Faschismus als „palingenetischen Ultra-Nationalismus“. Allen dreien geht es darum, faschistische Ideologie ernst zu nehmen, Faschismus also als kohärentes Gebilde von Ideen und Werten zu bewerten. Eine Reduktion von Faschismus auf eine bloße Ideologie – etwa Nationalsozialismus als Verbindung von Nationalismus und Sozialismus – verleugnet jedoch die historische Position des Faschismus gegenüber linker Politik. Diesen Definitionen folgend erscheint Faschismus positiver und weniger zerstörend als er tatsächlich war und ist. Das ist selbst dann der Fall, wenn Faschismus als negative Ideologie verstanden wird, die anscheinend jeglichen -ismus ablehnt. Eine negative Ideologie ist jedoch auch eine Ideologie, daher kann nicht jeglicher -ismus abgelehnt werden. Wenn Klasse und Geschlecht nicht als Kriterien über jener der Nation angesehen werden, dann bleibt einem Faschismus noch Nationalismus, Rassismus und Sexismus, um als Ideologie durchzugehen (Passmore 2002). Zumindest erkennt so eine Definition aber teilweise den rechten Platz des Faschismus an.

Als ich mich von diesen Definitionen wegbewege, treffe ich auf David Renton (1999), der Faschismus als eine reaktionäre Massenbewegung versteht. Diese wirke – entgegen ihrer eigenen Rhetorik – gegen die Interessen der unterstützenden Klasse. Wenn Faschismus sich zwar einer revolutionären Sprache bedient, aber strukturell konservativ ist, können Faschist_innen nicht einfach bei Wort genommen werden. Faschismus als „revolutionär konservativ“ (Gilroy 2000, Übers. d. A.) – das beschrieb schon Walter Benjamin als „Ästhetisierung des politischen Lebens“ (Benjamin 2014b: 506, Hervorhebung im Original). Die Nazis verwandelten Politik in Spektakel, Paraden und inszenierten Massenkundgebungen (Gilloch 2002: 194). Versteht man Politik als angetrieben vom Wunsch nach sozioökonomischem Wandel, so ersetzt Faschismus diesen Wunsch mit einer entpolitisierten und spektakulären Aufführung von Kreativität, die jedoch nichts als Vernichtung bedeutet (Gassner 2021). „Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt“, schreibt Benjamin (2014b: 506, Hervorhebung im Original), und dieser „eine Punkt ist der Krieg“ (ebd., Hervorhebung im Original). Nur Zerstörung und Tod im großen Maßstab sind Spektakel, die intensiv genug sind, um das politische Verlangen nach Veränderung zu befriedigen, ohne dabei Klassenstrukturen zu verändern oder gar abzuschaffen.

Renton (1999) orientiert sich an Leon Trotsky und argumentiert für eine dialektische Theorie, die inhärente Konflikte zwischen reaktionärer Ideologie und Massenbewegung aufzeigt. Wie können die Massen und reaktionäre Aspekte zu einem Ganzen zusammengeschweißt werden? George Orwell bemerkte einmal, dass „während der Sozialismus und sogar der Kapitalismus (doch der letztere etwas widerwilliger) zu den Menschen gesagt haben: ‚Ich biete euch eine gute Zeit‘, so hat Hitler zu ihnen gesagt: ‚Ich biete euch Kampf, Gefahr und Tod an‘, und infolgedessen hat sich eine ganze Nation zu seinen Füßen geworfen“ (zitiert nach Gilroy 2000: 161, Übers. d. A.). Rentons Ansatz, das Verhältnis zwischen Ideologie und Bewegung in den Mittelpunkt zu rücken, kann mit Fokus auf Raumbildung auch für den Antifaschismus von Nutzen sein. Selbst wenn man Faschismus als negative Ideologie definiert, produziert er doch Räume, die über eine reine Verneinung hinausgehen. Gerade in faschistischen Raumorganisationen zeigen sich die inneren Widersprüche und Konflikte zwischen Ideen, Werten und Aktionen. Das trifft auch auf die Stadtplanung zu, bei der die Abhängigkeit vom Kapitalismus nicht selten auf eine antikapitalistische Rhetorik trifft. Können – sozusagen als Gegenmodell – antifaschistische Theorien und Aktionen in Raumbildungsprozessen so zusammenlaufen, dass die Verneinung einer negativen Ideologie nicht zur ursprünglichen Ideologie führt, ja überhaupt nicht zu irgendeiner Ideologie, sondern zu einer raumbildenden Theorie-Praxis?

Ich biege nach Deutschland ab. Während sich Historiker_innen anderswo bemühen, sich auf ein Verständnis von Faschismus zu einigen, kommt es hier zu einem rasanten Anstieg rechtsradikaler Gewalttaten. Zwischen 1992 und 1995 verbietet der Staat elf rechtsradikale Gruppierungen und Organisationen (Rohrmoser 2002: 123). Dieses staatliche Handeln trifft auf die Reaktion des Revolutionären Antifaschismus. Doch bereits einer Broschüre (B3) aus den 1980er-Jahren kann ich dessen Kritik an einem anti-antifaschistischen Staat entnehmen: Die Angriffe von Faschist_innen auf revolutionäre Bewegungen dienen dazu, Letztere zu lähmen, was der Staat ja begrüße. Ein effektives Verbot faschistischer Bewegungen würde hingegen die „Aburteilung aller Anführer und Aktivisten, die Bestrafung jeglicher Neugründung, eine konsequente Beschlagnahme der Logistik, die öffentliche Demaskierung der Förderer“ (B3: 6) bedeuten. Folglich, so die Argumentation, habe der Staat ein Interesse am Bestehen faschistischer Organisationen, um so revolutionäre Bewegungen in Schach zu halten. Dass Faschismus auch nach 1945 noch ein „integraler Bestandteil jeder parlamentarischen Demokratie“ sei (ebd.: 10), zeige sich unter anderem an einer faschistischen Stadterneuerung: So würden „in der BRD nach den Plänen der Nationalsozialisten die sozialen und politischen Zusammenhänge in den Vierteln“ zerschlagen „und der totalen Kontrolle“ unterworfen (ebd.).

In den 1990er-Jahren propagiert die AA/BO – ein 1991 entstandener Zusammenschluss von zwölf autonomen Antifa-Gruppen, darunter auch die AAB – Revolutionären Antifaschismus. Die AA/BO verfolgte das Ziel, so lange eine revolutionäre Situation nicht unerreichbar schien (vgl. B4: 10), „längerfristig zu einer gesamtgesellschaftlichen Analyse zu kommen“ (B5: 5). Den Kampf gegen den Faschismus versteht sie dabei immer auch als „Kampf gegen die gesellschaftlichen Bedingungen, aus denen heraus Bereitschaft der Menschen resultiert faschistische/chauvinistische Denkmuster anzunehmen“ (ebd.). Die AAB entwickelt in ihrer 1998 herausgegebenen Broschüre „Das Konzept Antifa“ einen Revolutionsbegriff, der die „grundsätzliche fundamentale Umwälzung der bestehenden Lebensverhältnisse“ (B2: 5) nicht als einen abrupten Neubeginn versteht, sondern bei dem diese durch Organisierung, Kontinuität und Pragmatismus ermöglicht wird (vgl. Arendt 2006a).

Die Organisierung sei notwendig, um die Kontinuität des Kampfes gegen den Faschismus zu ermöglichen und „systemüberwindend“ sein zu können (B2: 5). Nicht das System habe einen Fehler, sondern das System, das auf drei Formen der Ausbeutung (Kapitalismus, Sexismus, Rassismus) aufbaue, sei selbst der Fehler (B6: 20). Antifaschismus sei der Kampf gegen die „gesellschaftlichen Bedingungen, aus denen heraus die Bereitschaft der Menschen entsteht, faschistische Denkmuster anzunehmen“ (B2: 6): „Antifa ist der Kampf ums Ganze!“, und „Alles fängt mit Antifa an, nichts hört dabei auf“ (ebd.: 4, 9). Die AAB beschreibt Faschismus nicht als eine kohärente Ideologie, sondern als ein „Stückwerk aus zusammengebastelten unterdrückerischen Thesen“; als „Sammelsurium aller rassistischen, nationalistischen und autoritären Massenbewegungen mit anti-kommunistischer und antiliberaler Volksgemeinschaftsideologie“ (ebd.: 12, 13).

Ich treffe hier also auf ein Faschismusverständnis, das nicht auf einer monokausalen, allein auf die Ökonomie fixierten Erklärung basiert, wie die sogenannte Dimitroff-These (B2: 7; vgl. B7). Letztere definiert Faschismus als terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. Wenn der Kapitalismus einer bürgerlichen Demokratie bedroht wird, so die These, wandelt sich die bürgerliche Demokratie in eine faschistische Diktatur. Revolutionäre Antifaschist_innen wiederum erklären den deutschen Faschismus als „Bündnis zwischen dem auf Profitmaximierung und Eigensicherung bedachten Kapital und den, das Unbehagen am Kapitalismus irrational und autoritär ausagierenden, Nazis“ (Keller et al. 2018: 99, Hervorhebung d. A.). Sie sehen ihre Arbeit als Weiterentwicklung des Kampfes kommunistischer Kleinparteien der 1970er-Jahre und autonomer Gruppen der 1980er-Jahre in der BRD. Letztere konzentrierten sich auf spezifische Fragen (etwa Hausbesetzung oder Friedensbewegung) (B2: 5). Der AAB geht es aber um eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft in einem kontinuierlichen und pragmatischen Prozess. Antifaschismus versteht sie nicht als „Selbstverteidigung“ (ebd.: 12), es gehe nicht um die „Selbstbezogenheit der reinen Abwehr […] außer in dem Maß, in dem jedes linke Engagement eine Abwehr gegen bedrückende Verhältnisse ist“, sondern um das Begreifen von Antifaschismus als „Ausgangsposition, aus der heraus wir aktiv, also nicht reagierend, die Konfrontation mit den bestehenden Verhältnissen suchen“ (B2: 12). Kurz gesagt: „Antifa heißt Angriff!“ (ebd.; vgl. Schöppner 2016).

Wenn Antifaschismus nicht Selbstverteidigung, sondern Angriff bedeutet, heißt das auch, dass es sich hier um einen positiven Raum­bildungsprozess handeln kann, also um einen, der nicht auf bestimmte faschistische Aktionen wartet? In diesem Zusammenhang ist der Antifaschistische Stadtplan, den ich in der Bibliothek vorfand, von Antifaschismus als einem radikalen Stadtplan zu unterscheiden. Letzterer ist ein Prozess, in dem die Stadt nicht als ein fixierter Raum mit eindeutiger Lesbarkeit verstanden wird. Aufgrund seines positiven Raumbildungspotenzials handelt es sich dann nicht um einen modernen Stadtplan, in den Antifaschismus als Reaktion auf Faschismus eingeschrieben ist – wie es nicht nur beim Antifaschistischen Stadtplan Kreuzberg, sondern bei einer „Stadtrundfahrt zu Stätten der Arbeiterbewegung des Faschismus und des Widerstands“ (B8: 1) von 1981 der Fall war, die mit dem berühmten Zitat Max Horkheimers versehen war: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ (ebd.)

Revolutionärer Antifaschismus als Stadtplan ist kein Plan, mit dem ich mich in einer Stadt, so wie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt repräsentiert wird, orientieren kann, sondern ein Prozess, in dem ich mich im Verhältnis zur Vergangenheit positionieren und mich in Richtung einer alternativen Stadt bewegen kann. Dieser Prozess der Konstruktion von Vergangenheit und Zukunft aus der Gegenwart heraus (vgl. Benjamin 2014c) basiert auf einer antiautoritären Überzeugung: Im „Gegensatz zur etablierten Politik behaupten wir nicht, einen fertigen Masterplan zu haben, schon gar nicht für die freie Gesellschaft“ (B9: 11). Der Stadtplancharakter besteht darin, einen „gesamtgesellschaftlichen Begriff von Antifa-Arbeit“ zu entwickeln, der „perspektivisch“ ist (B5: 5). Es geht also darum, Perspektiven auf die Stadt zu ermöglichen und Räume für alternative Perspektiven zu eröffnen. Dieser radikal perspektivische Zugang zur Stadt bildet sich mithilfe dreier räumlicher Komponenten: einem Ansatzpunkt, einer Ausgangsposition und einer Orientierung.

Revolutionärer Antifaschismus lässt sich nicht auf den Kampf gegen Nazis reduzieren. Um Leute politisch zu erreichen, braucht es aber eine konkrete Situation, die diese Menschen aufrüttelt. Das kann beispielsweise ein Naziaufmarsch sein oder auch eine „freie“ Meinungsäußerung, die ganz klar auf faschistischem Gedankengut beruht. So eine konkrete Situation ist ein Ansatzpunkt, der dazu dient, den Prozess eines radikalen Stadtplans in Gang zu setzten. Dieser Prozess beinhaltet eine Desorientierung, aber eben auch die Bildung einer alternativen Orientierung in und für die Stadt. Eine erfolgreiche linksradikale Politik, so argumentiert die AAB, brauche eine Orientierung. Doch was kann so eine Orientierung sein, die nicht zu einem autoritären Instrument verkommt? Das Wissen ums wofür? Eine politische Theorie? Die Verbindlichkeit bestimmter Ideen? „Der Traum einer Sache“ (ebd.: 24)? In den Broschüren treffe ich auf unterschiedliche Aspekte. So ist etwa Orientierung nicht dasselbe wie Meinung, weil Letztere einen Standpunkt zu speziellen Fragen beinhaltet, Orientierung jedoch „die dahinter stehende Logik, die selbstgewählte Meinungen in einen logischen Zusammenhang stellt“ (ebd.: 25). Orientierung ist auch eine Orientierung an Karl Marx, aber nicht in einem dogmatischen Sinn. Es ist eine Orientierung „an bruchstückhaftem Wissen um die richtigen Prinzipien“, eine Theoriearbeit, die aktuelle Ökonomie, Sozialpsychologie, Politologie und so weiter mit einbezieht (B3: 26). Konzepte von Klassenkampf, historischem Materialismus und Dialektik bilden einen „Orientierungsmaßstab“ (B2: 26). Schlussendlich hat die AAB auch Vorstellungen für die Zukunft, die einen „Orientierungswert“ haben: „Selbstbestimmung, die grundsätzliche Gleichheit der Menschen, die Unzulässigkeit jeder Form von Ausbeutung“ (ebd.: 21). Die AAB beschreibt also einen politischen Horizont, der das Erreichen antiautoritärer Lebensformen ermöglicht und nicht einen Endpunkt, auf den alles Handeln zuläuft und der durch einen linearen Prozess erreicht werden kann.

Doch auch eine solche Orientierung benötigt erst einmal eine Aus­gangsposition. Revolutionäre Antifaschist_innen verweisen hier auf „geschichtliche Bezüge“, ohne die „keine sinnvolle politische Orientierung möglich“ sei (ebd.: 18). Eine Bewegung brauche Referenzen in der Vergangenheit, „um eine Richtung definieren zu können“ (ebd.). Eine vergangenheitslose Haltung sei automatisch auch eine „zukunftslose“ (ebd.: 25). Das aber bedeutet, dass linke Geschichte erst einmal konstruiert werden muss.

Basierend auf diese konzeptuellen Überlegungen beschreibe ich Revolutionären Antifaschismus als Stadtplan als eine von einer konkreten Situation angestoßene Konstruktion linker Geschichte, von der aus ich meine Position bestimmen und eine alternative Stadt bilden kann. Dabei gibt es keine eindeutig verortbaren Zielpunkte, wohl aber Orientierungswerte. Dieser Raumbildungsprozess ist kollektiv, selbstbestimmt und systemüberwindend: Eine kontinuierliche Praxis „aus der heraus immer wieder Angriffe möglich sind“ (ebd.: 27). Die Kontinuität bedingt einen Pragmatismus, das heißt eine „Orientierung an den unmittelbaren Konsequenzen, die Praxis als Maßstab zu nehmen sowie die Möglichkeit des Scheiterns miteinzubeziehen“ (ebd.). Dieser Pragmatismus verzichtet jedoch nicht auf „Maximalforderungen“ (ebd.). Was einen Revolutionären Antifaschismus als Stadtplan in Richtung eines antiautoritären Urbanismus bewegt, ist nicht die Bildung undefinierter, radikal offener Räume; auch nicht einfach nur herrschaftswidri­ge Aktionen, die in einer orientierten Stadt stattfinden. Ist es stattdessen vor allem eine aus sich heraus schöpfende orientierte Raumbildung?

4. Gewalträume (kollektiv)

Monumentale Achsenplanungen gelten häufig als „Höhepunkt nationalsozialistischer Stadtplanung“ (Petsch 1976: 98). Das trifft insbesondere auf die Umgestaltungspläne der Nazis für Berlin zu, also auf die Planung einer 1.000-jährigen Stadt für ein 1.000-jähriges Volk, die Umwandlung Berlins „von einer Großstadt zu einer Weltstadt“ (ebd.), die Transformation von Berlin zu Germania. Geplant waren eine Ost-West-Achse, deren Verlauf zum Teil, etwa Unter den Linden, bereits vorhanden war, sowie eine neue Nord-Süd-Achse, für die umfangreiche Abrissarbeiten notwendig gewesen wären. Die Nord-Süd-Achse war als neue Hauptstraße Germanias gedacht. Sie sollte sich von einem Nord- zu einem Südbahnhof erstrecken, mit Neubauten wie einer Oper, Theatern, einem Konzerthaus, einem Verwaltungsgebäude der AEG sowie Geschäfts- und Hotelbauten (ebd.: 105). Als architektonischer Höhepunkt an der Achse galt die sogenannte Volkshalle. Zur verkehrlichen Erschließung der Stadt waren vier konzentrische Ringstraßen nebst Radialstraßen vorgesehen. Letztere wurden als Nebenzentren mit einer Abstufung der Gebäudehöhen vom Zentrum Richtung Stadtrand konzipiert (ebd.: 103).

Wie erwähnt sah Hitler in der Stadtplanung ein Instrument, um dem deutschen Volk Stolz und der Nation Selbstvertrauen zu geben. Das Achsenkreuz steht hier für ein räumliches Mittel, um durch Sichtbarkeit eine ideologische Gleichschaltung zu erreichen. Das bedeutet nicht, mithilfe eines einheitlichen Baustils einen eindeutigen Platz im Feld der politischen Ökonomie einzunehmen (Gassner 2022), sondern mit den Mitteln „absoluter Stadtplanung“ (Petsch 1976: 103) und zum Teil unter Rückgriff auf städtebauliche Lösungen aus dem 19. Jahrhundert (z. B. Haussmann in Paris) einen räumlich ausgedehnten, engen Sinngebungsraum zu produzieren. Dabei geht es nicht bloß um die Sichtbarkeit von Gebäuden, sondern vor allem um eine eindeutige Lesbarkeit des Volkes in seiner Wahrnehmung der Stadt und um eine eindeutige Lesbarkeit gleichgeschalteter Aufmärsche in der Stadt. Es geht also um eine „Übereinstimmung“ zwischen gebautem Stadtraum und Aktionen in der Stadt – und damit um den Versuch, gegenhegemoniale und spontane Raumbildungsprozesse zu unterdrücken. Diesem Gewaltakt einer sinngebenden Raumverengung steht weder eine eindeutige Lesbarkeit mit konträrer Botschaft entgegen, noch der Versuch, Sinngebungen so gut wie möglich offenzulassen, sondern eine Raumpraxis mit einer Orientierung, die Unterschiede mit einschließt.

Wie offen kann ein kollektiver Raum sein, damit immer mehr Leute erreicht, politisiert und radikalisiert werden können? Anders gefragt: Wie breit muss eine Orientierung sein, wie viel muss sie einschließen können, damit eine Bewegung stattfinden kann?

Kollektive Räume als Gewalträume, nicht notwendigerweise militante Räume: Das sind keine Räume, die Gewalt ins System bringen, sondern Räume, die gebildet werden, wenn in ein System der Gewalt interveniert wird; Räume, deren politischer Horizont ein Ende der Gewalt ist. Hinsichtlich direkter Gewalt argumentieren Revolutionäre Antifaschist_innen, dass es sich „um ein Mittel handele und um kein Ziel“ und dass die oft zitierte Gewaltspirale – also die Behauptung, Gewalt erzeuge nur mehr Gewalt – so nicht stimme, da es sich leicht „an Erfahrung beweisen“ ließe, dass „die Nazi-Strukturen dort besonders stark sind, wo ihnen wenig Widerstand entgegengesetzt wird“ (B2: 14; vgl. B9: 91). Darüber hinaus sei „Faschismus als Ideologie und Praxis unterdrückerischer Gewalt nicht durch Militanz fanatisierbar; meist haben Nazis ihre Anziehungskraft nicht über Argumentation, sondern über die Vermittlung von Gemeinschaftsgefühl, Stärke und Macht“ (B2: 14).

Dass Gewalt kein Erkennungszeichen radikaler Gruppen ist, sondern eines jedes existierenden Herrschaftssystems, das ja unentwegt Gewalt anwendet „um das eigene Bestehen zu sichern und bestimmte Dinge durchzusetzen“ (ebd.: 15) – darauf wies schon Benjamin (2014d) hin, als er schrieb, dass Gewalt grundsätzlich entweder „rechtsetzend“ oder „rechtserhaltend“ sei (ebd.: 186 f.). Für einen radikalen Stadtplan müssen strukturelle und symbolische Formen von Gewalt (vgl. Galtung 1969, 1990) erkannt und bekämpft werden. Das bedeutet, dass Gewalt sich nicht auf direkte Gewalt reduzieren lässt. Das zeigt sich auch, wenn die AAB etwa 1999 behauptet, es gäbe „im gesamtgesellschaftlichen Rahmen eine relative Bedeutungslosigkeit der Neonazis“ (B10: 74). Neonazis seien nur eine „Randerscheinung einer funktionierenden Demokratie“ (ebd.). Wenn sie auf Straßen aufmarschieren, sei das ein wichtiger Ansatzpunkt für einen wirksamen Antifaschismus. Dieser wende sich jedoch ganz grundsätzlich gegen die liberale Demokratie, da Rassismus und Nationalismus „nicht von den Nazis vorgegeben“ würden (ebd.). Das liege stattdessen „ganz klar in der Hand der Demokraten mit ihrem Kapitalismus“ (ebd.). Revolutionärer Antifaschismus ist eine Intervention gegen die Unzulänglichkeiten einer repräsentativen Demokratie, gegen die bürgerliche kapitalistische Gesellschaft. Denn im gewalttätigen Kapitalismus, so das Argument, sei eine Demokratie, die diesen Namen verdient, gar nicht möglich.

Dem Kapitalismus, der als „die letzte, die historische Wahrheit propagiert“ wird (ebd.: 75) muss daher eine alternative Raumpraxis gegenübergestellt werden. Dieser Raumbildungsprozess wird nicht auf eine Anti-Nazi-Politik reduziert, denn dies würde auch bedeuten, sich nicht grundsätzlich gegen die sogenannte Extremismustheorie zu stellen, der zufolge Rechtsextremismus und linksradikale Politik als gleich gefährlich einzustufen sind. Das wiederum führt zwangsläufig zu einer Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen. Folgerichtig ist das Kriterium für erfolgreichen Revolutionären Antifaschismus nicht vorrangig die „Schädigung des konkreten faschistischen Interesses“, sondern „das Erreichen und Prägen von Leuten“ (ebd.).

Wenn einer räumlichen Gleichschaltung die Bildung kollektiver Räume der Gewalt entgegengesetzt wird, so stellt sich die Frage, wie heterogen ein Kollektiv sein kann oder muss, um Leute erreichen zu können. Revolutionäre 1.Mai Demonstrationen in Kreuzberg zeigen, wie komplex diese Frage ist. Der 1889 als „Tag der internationalen Solidarität und des Kampfes des Proletariats“ entstandene 1. Mai ist das Symbol der internationalen Arbeiter_innenbewegung und einer der wenigen Tage im Jahr, die laut AAB „noch links besetzt sind und mit so einer Grundaussage in die Öffentlichkeit“ dringen (ebd.). Es ist eine faschistische Strategie, linke Symbole neu zu besetzen. Schon die Nazis benannten den 1. Mai um in den „Tag der Nationalen Arbeit“. In den 1990er-Jahren gab es am 1. Mai regelmäßig große Neonazi-Aufmärsche.

Revolutionäre 1. Mai Demonstrationen nahmen ihren Ausgangspunkt in den Ereignissen des Frühjahrs 1987. Schon in den Jahren zuvor hatte sich eine Gruppe autonomer Aktivist_innen in Form eines „revolutionären Blocks“ an den vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten 1. Mai Demonstrationen beteiligt. Mit dieser Blockbildung wiesen sie auf ihre Ablehnung der offiziellen Politik der DGB-Spitze hin, zeigten aber gleichzeitig, dass es gemeinsame Orientierungswerte gibt. Die Blockbildung wurde hier als Instrument gegen Homogenisierung genutzt. Im Zuge eines Straßenfestes am 1. Mai 1987 kam es zu größeren Unruhen und die Polizei musste sich für mehrere Stunden aus SO 36 – einem Teil Kreuzbergs, benannt nach einem früheren Postzustellbezirk – zurückzuziehen. Dieser Kiez-Aufstand, diese „Sozialrevolte“ (Lehmann/Meyerhöfer 2003: 58; vgl. B7), dieses Erkämpfen eines (wenn auch nur für kurze Zeit) rechtsfreien Raumes wurde zum Ansatzpunkt für den Revolutionären 1. Mai in Berlin. Ab 1988 organisierte die autonome Bewegung sowohl örtlich als auch politisch eigenständige Demonstrationen durch Kreuzberg.

Aufgrund teilweise unterschiedlicher Haltungen zum Ost-West-Verhältnis im „wiedervereinigten“ Deutschland kam es Anfang der 1990er-Jahre zu Konflikten zwischen autonomen Gruppen und dem marxistischen-leninistischen Revolutionary International Movement (RIM). Daraufhin organisiert das RIM 1994 und 1995 eigene Demonstrationen, während autonome Gruppen ihre absagten. Ab 1996 war die AAB maßgeblich an der Neubelebung der Revolutionären 1. Mai Demonstration beteiligt. „Klassenkampf statt Klassenverrat“ propagierte das „Proletarische 1. Mai Komitee“ 1997 (F1). 1998 rief die „Antifaschistische Aktion“ (AA) unter den Slogans „enough is enough!“ und „noch ist nicht aller Tage Abend“ (F2) zu Demonstrationen auf.

2001 gab es ein Verbot von Demonstrationen – genau in dem Jahr, in dem sich die AA/BO auflöste. Besonders relevant ist das darauffolgende Jahr, in dem sich ein Personenbündnis von überwiegend Linksliberalen ins Feld vorwagte, das bisher der radikalen Linken vorbehalten gewesen war (Lehmann/Meyerhöfer 2003: 97). Das Bündnis argumentierte, Straßengewalt bedeute Entpolitisierung und schlug daher vor, am 1. Mai ein Areal zu definieren, in das keine Polizei gelassen werden sollte. Deren Präsenz würde nur eine Eskalation begünstigen. Auch Gewalt von Demonstrant_innen und Teilnehmer_innen der zahlreichen angebotenen Informations- und Kulturveranstaltungen würde nicht zugelassen (ebd.: 84). Während unterschiedliche linksradikale Gruppen dies als ein „Befriedungs- und Repressionsprojekt“ (ebd.: 88) ansahen, unterstützte die AAB das Vorhaben. Sie erklärte, es sei „immer Ansatz unserer Bündnispolitik, linksradikale Gesellschaftskritik in öffentliche Diskussionen hineinzutragen, linksradikale Politik wahrnehmbar zu machen und auch mal andere Bühnen zu nutzen, um eigene Inhalte zu vermitteln“ (zitiert nach ebd.: 88). Schlussendlich fanden am 1. Mai 2002 drei unterschiedliche Demonstrationen radikaler Linker statt.

Verschiedene Sinndeutungen des Revolutionären 1. Mai innerhalb der radikalen Linken führten zu einer Aufsplitterung. Unterschiedliche Gruppen mögen versucht haben, eine kollektive Identität herzustellen und diese zu stabilisieren, um sich so von anderen linksradikalen Gruppen zu unterscheiden. Doch wenn so eine kollektive Identität auf der Vorstellung von Homogenität basiert, so zeigt die Unterstützung der AAB für das Personenbündnis von überwiegend Linksliberalen, dass Revolutionärer Antifaschismus versucht, heterogene kollektive Räume zu schaffen, um Menschen zu politisieren und radikalisieren.

Bezüglich der Konzeptualisierung von Revolutionärem Antifaschismus als einem radikalen Stadtplan kann man dann von einer „breiten Orientierung“ und von einer „groben Orientierung“ sprechen. „Grob“ bedeutet hier, dass die Orientierung nicht eingeengt wird auf einen überspezifizierten Endpunkt, der nur auf einem linearen Weg erreicht werden kann (ein vordefinierter Masterplan). „Breit“ bezieht sich auf eine politische Praxis, in der eine heterogene Gruppe Räume bildet. Diese teilt zwar eine grobe Orientierung, ist sich aber bezüglich bestimmter Mittel (z. B. Militanz) uneinig.

Die Breite einer Orientierung kann als eine zeitlich beschränkte Raumbildung, als temporäre Allianz, als momentane Bündnisfähigkeit verstanden werden. Während eine faschistische Raumorganisation darauf abzielt, in einem System der Gewalt eine eindeutige Lesbarkeit herzustellen, geht es bei einer kollektiven Raumpraxis darum, die Ausdifferenzierung einer groben Orientierung in der Stadt aufzuzeigen. Ziel ist dabei nicht, einen Kompromiss oder einen Konsens zu erzielen, sondern „linke Überzeugungsarbeit zu leisten“ (B10: 74). Dafür muss eine Orientierung sowohl grob als auch breit sein.

Ein Stadtplan ist eine bewusst gesteuerte Vereinfachung. Ein kollektiver, revolutionär-antifaschistischer Stadtplan fokussiert nicht auf eine „Detailklärung historischer Fragen der Linken“ (B2: 11). Vielmehr ist er ein „symbolischer Ausdruck davon, dass die systemoppositionelle Linke noch handlungsfähig ist“ (ebd.), indem sie Stadträume bildet, mit und in denen Menschen politisiert und radikalisiert werden können. Doch in welchem Ausmaß bedeutet das auch eine Raumbildung, in der sich „einzelne Gruppierungen mit eigenen Aufrufen abgrenzen können“ (ebd.)? Wann beginnt eine Ausdifferenzierung innerhalb der Linken und auch innerhalb der radikalen Linken orientierungslos zu sein?

5. Freiräume (selbstbestimmt)

Monumentale Achsenplanung ist ein Aspekt faschistischer Raum­organisation. Altstadtsanierung ist ein weiterer. Bei Letzterer ging es den Nazis darum, kleinteilige mittelalterliche Strukturen wiederherzustellen. Die Planer nutzten eine romantische Idyllisierung der mittelalterlichen Stadt, um „‚die Wohnviertel von Asozialen und staatsfeindlichen Elementen‘ zu befreien“ (Münk 1993: 293). In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war noch eine relativ „behutsame“ Sanierungspraxis zu erkennen – auch in Kreuzberg, wo Ende 1933 eine Gasanstalt durch einen Park ersetzt wurde und angrenzende Wohngebäude renoviert wurden, oder in einem anderen Projekt, in dem ein Baublock entkernt wurde, mit dem Ziel, die zerstörten Wohnungen später durch Neubauten zu ersetzen (ebd.: 296).

Dieses behutsame Vorgehen wurde jedoch nach 1936 durch andere Projekte ersetzt. Der Begriff der Altstadtsanierung wurde von jenem der Altstadtgesundung abgelöst. „Zwar traf es in der Tat zu, daß die Wohnverhältnisse in diesen Vierteln im wörtlichen Sinn ‚krank‘ machten“, analysiert Münk (1993: 293). Der ideologische Begriff war jedoch „zusätzlich sozial-biologisch begründet“ (ebd.). Altstadtgesundung bedeutete „rassisch minderwertigen Teile aus der Stadt zu eliminieren“ (ebd.). Indem Stadt als Organismus konzeptualisierte wurde (vgl. Gassner i. E.), bedeutete Altstadtgesundung das Freiräumen von „Fremdkörpern“ im Interesse einer „gesunden“ Stadt. Das basierte auf einem Begriff von „Volksgemeinschaft“, der seine „sozialintegrative Wirkung vor allem aus der Tatsache bezog, dass er die ‚Asozialen’ aus dieser Volksgemeinschaft ausgrenzte“ (Münk 1993: 301).

Wie kann das Verhältnis zwischen „freigeräumten“ Räumen einer faschistischen Raumorganisation, „Freien Räumen“ einer autonomen Politik, und „revolutionären Freiräumen“ verstanden werden? Eine faschistische Raumorganisation räumt frei – mithilfe eins Systems der Gewalt und für dieses. Entzieht sich Revolutionärer Antifaschismus als selbstbestimmte Raumpraxis existierender Formen direkter, struktureller und symbolischer Gewalt, oder kann er ein revolutionäres Verhältnis zur Gewalt entwickeln?

Wie autonom kann eine Bewegung sein, damit sie immer mehr Leute erreichen, politisieren und radikalisieren kann? Anders gefragt: Wie losgelöst muss eine Orientierung sein, wie nah darf sie an die Gewalt eines derzeit gültigen Rechts kommen, dass noch eine Bewegung stattfinden kann?

Sara M. Evans und Harry C. Boyte (1992) beschreiben „Freie Räume“ als eine Quelle demokratischen Wandels. Für die beiden sind es „Umgebungen, in denen Menschen in der Lage sind, eine neue Selbstachtung, eine tiefere und durchsetzungsfähige Gruppenidentität, öffentliche Fähigkeiten und Werte der Zusammenarbeit und bürgerlicher Tugend zu erlernen“ (Evans/Boyte 1992: 17, Übers. d. A.). Demokratisches Handeln, so Evans und Boyte, hängt von Orten ab, an „denen normale Bürger mit Würde, Unabhängigkeit visionär handeln können“ (ebd.); von Räumen, die kommunale Wurzeln, eine Autonomie und einen öffentlichen Charakter haben. Solche „Freien Räume“ stehen den „Freiräumen“ autonomer Gruppen vor allem in den 1980er-Jahren nahe, sofern es um die Integration kultureller Dimensionen in ein strukturelles Modell kollektiven Handelns geht (vgl. Poletta 1999). Wenn Freie Räume als Grundlage für präfigurative Identitätskonstruktionen angesehen werden, die auf einem homogenen und ausschließenden Gemeinschaftsbegriff fußen, so stellt sich Revolutionärer Antifaschismus dem entgegen.

Eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen selbstbestimmten, revolutionären Freiräumen und Freien Räumen im Sinne von Evans und Boyte betrifft das jeweilige Verhältnis zur Demokratie: Während Letztere demokratiefördernd sind, sind Erstere undemokratisch. Denn wenn Antifaschismus nicht undemokratisch ist, so argumentierten Antifaschist_innen bereits in den späten 1980er-Jahren, sei er zwangsläufig staatstragend und somit nicht Teil des „militanten antiimperialistischen Widerstands“ (B3: 11). Dies ist eine klare Absage an die parlamentarische Demokratie und zeigt eine Alternative auf, wie zum Beispiel eine Rätedemokratie (B6).

So wie faschistische Raumorganisation ein Freiräumen von „Fremd­körpern“ beinhaltet, sind autonome Freiräume von einem Besetzen „freier“ Räume in der Stadt gekennzeichnet. So ist es beispielsweise der Fall bei Hausbesetzungen, also bei der Aneignung leerstehender Wohnräume. Eine solche Aneignung ist ein Protest gegen spekulativen Leerstand und hohe Mieten bei gleichzeitig akutem Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Es ist daher eine Instandsetzung mit dem Ziel, verfallene Häuser vor dem Abriss zu retten und wieder bewohnbar zu machen. Schon 1970 organisierten „Aktivisten aus dem antiautoritären Flügel der Studentenbewegung erste demonstrative Hausbesetzungen u. a. in München, Köln, Frankfurt, Göttingen und Hamburg“ (Geronimo 1995: 55). Seit 1979 setzte vereinzelt auch die „Bürgerinitiative SO 36“ Häuser in Kreuzberg instand. 1980 versuchte die Polizei, eine Hausbesetzung zu verhindern, was zu heftigen Auseinandersetzungen und zu harter Repression gegen Aktivist_innen führte. Dies löste wiederum eine Welle der Solidarisierung mit den Besetzer_innen aus: „Unter der Parole ‚Legal – illegal – scheißegal!‘ lebten rund 3.000 Menschen in den besetzten Häusern, die weite Teile ihres alltäglichen Lebens kollektiv und selbst organisierten.“ (ebd.: 116)

1981 wurde in Berlin-Schöneberg bei der Räumung von acht besetzten Häusern ein Aktivist tödlich verletzt: „An diesem Tag erreichte die Besetzerbewegung in West-Berlin durch die Unterstützung des gesamten Spektrums der städtischen Linken und der linksliberalen Öffentlichkeit ihre maximale Ausdehnungs- und Mobilisierungsgrenze“ (ebd.: 120). In den folgenden Jahren kam es in dem Stadtteil zu einer „gezielten Räumungs- und Umstrukturierungspolitik“ (ebd.: 121). Allerdings wurde den Aktivist_innen „faktisch ein Schlupfloch in Richtung SO 36 gelassen, wo weit zurückhaltender geräumt und intensiver legalisiert“ wurde (ebd.).

Geronimo, einem autonomen Aktivisten, zufolge wurde Autonomie in den 1980er-Jahren als etwas definiert, bei dem „es darauf ankomme, hier und jetzt andere Lebensformen zu praktizieren“ (ebd.: 118 f.). Dieser Autonomiebegriff führe zu einem „individualistischen Rückzug von jeder Form der kapitalistischen Lohnarbeit“ und verliere damit auch jeglichen „Anspruch auf die Vermittlung der eigenen Vorstellungen in die Wirklichkeit anderer gesellschaftlicher Bereiche“ (ebd.: 119). Damit besteht ein Widerspruch zu einer selbstbestimmten, revolutionären Raumpraxis. Ein autonomer Widerstand mithilfe der Bildung von Freiräumen, die angeblich „unbeteiligt am gesellschaftlichen Herrschaftszusammenhang“ (Keller et al. 2018: 101) sind, ist zu unterscheiden von einer Reflexion über „die Widersprüchlichkeit und subjektive Verstrickung in die kapitalistische Gesellschaft – und gerade auch bei der Konstruktion der eigenen Identität“ (ebd.), wie sie Revolutionäre Antifaschist_innen einfordern. Es gilt also nicht, dass eine Raumbildung desto revolutionärer ist, je autonomer sie ist. Das Kriterium für einen revolutionären Raumbildungsprozess ist nicht die Autonomie von einem Herrschaftssystem, sondern seine Effektivität gegen dieses. Daher ist eine „Loslösung von autonomer Ghettopolitik durch Öffnung nach außen (Massenmedien, Bündnisse…)“ (B5: 4) notwendig.

Diese Effektivität ist für Freiräume als „Orte politischer Gegen­öffentlichkeit“ nicht notwendigerweise gegeben, selbst wenn diese das Ziel haben „sich zumindest partiell der kapitalistischen Verwertungslogik entziehen zu wollen“ (Blechschmidt 2009). Wenn sich ein autonomer Freiraum konsequent den Integrationsmaßnahmen der Stadt verweigert, trägt er trotzdem oder gerade deswegen „zum Reiz subkulturellen Ambientes im Viertel bei, der die langfristige Aufwertung“ erst mit ermöglicht. Der Gentrifizierungsprozess, den man politisch bekämpfen wollte, wird „so erst recht beschleunigt“ (ebd.). Gleichzeitig können autonome Räume zwar eine Systemüberwindung unterstützen, aber sie können eben auch Räume der Depolitisierung, des Rückzugs oder der Flucht ins Private (ak wantok 2010: 95) sein. Wenn ein autonomer Raum zum Selbstzweck wird, wenn er nicht mehr als Ausgangsposition für eine Systemüberwindung, sondern selbst als Ziel angesehen wird, dann sei das „klassischer Reformismus!“, so Geronimo (1995: 120): „Das bringt kein System ins Wanken – auch das kapitalistische System reagiert sehr flexibel darauf: ‚Freiräume‘ können integriert, Widerstand aktualisiert werden, Ghettos ohne Sprengkraft – Spielwiesen.“ (ebd.)

Autonome Räume ermöglichen eine Kontinuität radikaler linker Bewegung. Die Schaffung autonomer Freiräumen kann Widerstand sichtbar machen und den Aufbau langfristiger Infrastrukturen ermöglichen. Das sind keine rein negativen Räume der Abwehr, sondern Orte, die darauf ausgerichtet sind, „Affirmation, Phantasie und irgendwie auch darauf, was Eigenes zu schaffen“ (ebd.). Doch wenn sie von linker Geschichte losgelöst sind, wenn an ihnen nur selten weitergehende politisch-inhaltliche Debatten stattfinden, oder wenn diese „Reservate einer radikalen Linken“ in der Außenwirkung „mehr oder weniger als Paralleluniversen existieren“ (Blechschmidt 2009), dann fehlt die Ausgangsposition für einen radikalen Stadtplanprozess. Anders gesagt: Autonome nehmen eine alternative Gesellschaft vorweg und ihre Räume bleiben durch die Negation der zu überwindenden bürgerlichen Gesellschaft an diese gebunden (vgl. ebd.: 98ff).

Unter dem Label „Antifaschistische Aktion“ beschrieben Aktivist_innen 1985 das Verhältnis zwischen Antifaschismus und autonomer Politik als „schlecht entwickelt“ (B12: 18). Der „Kampf gegen offen faschistische Strukturen“ müsse noch mit dem „Widerstand gegen integrierten Faschismus der Gesellschaft und des imperialistischen Herrschaftsapparates“ verbunden werden (ebd.). Selbstbestimmte Politik setze eine systematische Analyse der Klassenkräfte voraus, die ein Erkämpfen von Freiräumen informieren könne und müsse. Die erste These der autonomen Bewegung lautet: „Wir führen keine Stellvertreterkriege, es läuft über ‚eigene Teilnahme‘, Politik der 1. Person. Wir kämpfen für keine Ideologien, nicht für das Proletariat oder für das Volk, sondern für ein selbstbestimmtes Leben in allen Bereichen“ (Autonomie-Kongreß 1994; vgl. ak wantok 2010: 95). Revolutionären Antifaschist_innen zufolge hängt die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens vor allem von der lohnabhängigen Klasse ab, da nur sie „das System aus den Angeln heben kann“ (B12: 19).

Die sogenannte Politik der ersten Person steht hier also einem Prozess gegenüber, der Räume „im Interesse der Massen“ (B12: 19) erkämpft. Das Kriterium für revolutionäre Freiräume ist nicht Authentizität, sondern Effektivität: nicht homogene Räume, losgelöst vom Herrschaftssystem, sondern diverse Räume, die Ausgangspositionen für einen radikalen Stadtplan bilden. Für Revolutionären Antifaschismus ist eine scheinbare Loslösung vom Herrschaftssystem vor allem eine Stärkung desselben. Nicht-Loslösung kann bedeuten, für das Herrschaftssystem unproduktiv zu werden. Es ist die Verweigerung von kapitalistischer Produktivität, nicht aber die Loslösung von linker Geschichte, die einen Freiraum nicht nur rückwärtsgewandt, sondern auch experimentell, kreativ und vorwärtsgewandt macht.

Eine selbstbestimmte Raumpraxis ist nicht autonom im Sinne von in sich geschlossen, sondern selbstbestimmt im Sinne von aus sich heraus, das heißt aus ihrer linken Geschichte heraus, im Herrschaftssystem intervenierend. In einem revolutionär-antifaschistischen Stadtplan gibt es keine Räume, die ideologisch frei sind (vgl. Polletta 1999: 6). Das bedeutet nicht, dass sich Räume einer bestimmten Ideologie unterordnen, sondern dass eine grobe und breite Orientierung auf eine klare Verneinung bestimmter Ideologien (Nationalismus, Rassismus, Kapitalismus) trifft. Gerade weil Antifaschismus sich gegen die Extremismustheorie positioniert und das Illiberale gegen das Anti-liberale, das Undemokratische gegen das Antidemokratische stellt, um keine Relativierung rechtsextremer Verbrechen zu erlauben, versteht er Revolution nicht als Freiheit von, sondern als Freiheit durch Vergangenheit und Gegenwart. Bestünde ansonsten nicht die Gefahr, dass sich ein autonomer Freiraum strukturell nicht vom Konzept „national befreiten Zonen“ (B2: 50), also von der Besetzung sozialer Räumen als Strategie von Rechtsextremen unterscheidet?

6. Traumräume (systemüberwindend)

Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts träumten Antisemiten von einer Stadt, in der die sogenannte Judenfrage gelöst ist. Den Traum einer neuen reinrassigen Stadt schrieb Theodor Fritsch 1896 auf. Er skizziert eine völkisch-organische Stadt, die im Gegensatz zu modernen Industriestädten eine „innere Ordnung“ hat, in der „einzelnen Teile nach ihren inneren Beziehungen“ harmonisch gruppiert sind und so ein „organisches Wesen bilden“ (Fritsch 1896: 4, 5). Dazu gehörte führ ihn, dass „Gleiches an Gleiches sich anschließt, Verwandtes mit Verwandtem sich paart“ (ebd.: 8). Fritsches deutsche Stadt der Zukunft ist demnach ein konzentrischer Raumorganismus; eine „Anordnung von Ringzonen, die sich um einen Mittelpunkt gruppieren (ebd.: 10). Den Mittelpunkt bilden monumentale öffentliche Gebäude, gefolgt von Zonen mit Villen ebenso monumentalen Charakters, besseren Wohnhäusern, Wohn- und Geschäftshäusern, Arbeiterwohnungen und kleinen Werkstätten, Fabriken, Bauhöfen und Lagerplätzen, bis zum äußersten Ring mit Gärtnereien und Mietgärten – wobei in allen Zonen öffentliche Infrastrukturen wie Verkaufsstellen, Schulen, Postanstalten oder Volkstheatern vorhanden sind (ebd.: 10 f.). Der daraus resultierende Stadtplan folgt einer Gliederung, die soziale Differenzierungen zwischen den Bewohner_innen unter Betonung ihrer sozialen Ungleichheit hervorhebt und die Macht eines autoritären Systems zelebriert.

Der Traum von einer reinrassigen Stadt ist ein weiterer Aspekt faschistischer Raumorganisation. Angelehnt an Fritsches grundsätzlichem Zugang zur Stadt als Organismus erträumte die von den Nazis 1935 neu gegründete Disziplin der „systematischen Raumplanung“ (Münk 1993: 265) eine neue reinrassige Stadt. Wie verhält sich dieser Aspekt nun zu Antifaschismus als Raumpraxis? Kann ein Raumbildungsprozess Menschen aus kapitalistischen und faschistischen Albträumen erwecken, ohne gleichzeitig in einen teleologischen Prozess mit einem vor- und überdefinierten Endpunkt zu münden?

Was kann das Ende eines solchen Albtraums sein, damit immer mehr Leute erreicht, politisiert und radikalisiert werden können? Anders gefragt: Wie träumerisch muss eine Orientierung sein, wie sehr darf sie sich auf die Träume der Faschist_innen beziehen, damit eine befreiende Bewegung stattfinden kann?

Im Gegensatz zu Freiräumen sind Traumräume keine physisch verortbaren Räume in der Stadt, sondern virtuelle Räume einer alternativen Stadt. Laut Lauren Balhorn ist eine linke Subkultur mit ihren eigenen Sozialräumen und ihrem spezifischen Kulturleben von einer sozialen Massenbewegung zu unterscheiden. Um Letztere zu ermöglichen, ruft sie Antifaschist_innen auf: „Wagt es zu träumen“ (Balhorn 2019: 29). Doch ist der Traum von einer alternativen Stadt ein revolutionärer Akt? Im Februar 1990 riefen autonome Antifa-Gruppen zur „Demonstration gegen Großdeutsche Träume“ auf (F3). Eine noch stärker unterstützte Demonstration fand dann im März 1990 unter dem Titel: „Trotz Alledem! GEGEN Großdeutsche Träume! FÜR Selbstbestimmung und AUTONOMIE!“ (F4) statt. Im Juni 1990 fand schließlich eine Aktion „gegen Ausländerdiskriminierung in Berliner Diskotheken“ statt, von denen sich einige auch in Kreuzberg befanden sowie einen Aufruf für eine „Wunschtraum-Disco“ (F5).

Bei Revolutionären Antifaschismus als Raumbildungsprozess geht es nicht bloß oder zumindest nicht vorrangig um das Erträumen eines alternativen Systems, sondern auch um das Erwachen aus einem Albtraum. Dieses Verhältnis zwischen Antifaschismus und Traum oder Traumverweigerung ist für eine systemüberwindende Raumpraxis von großer Bedeutung. Träumen ist eben nicht nur das Erträumen einer anderen Gesellschaft, sondern auch geprägt von gegenwärtigen Zuständen und Missständen. Laut Benjamin (2014e) hängen Traumarbeit und Revolution zusammen. Wird Träumen „radikal historisch“ (Maeding 2012: 14) gedacht, so kann das „Erwachen als kollektives Moment“ verstanden werden, „in dem sich die […] ersten Knospen der Revolution ankündigen“ (ebd.).

Auch Gottfried Feder schrieb 1939 seinen Traum von einer reinrassigen Stadt auf. Er skizzierte eine technokratische Stadt, die „organische Zusammenhänge“ erkennt und von einem „Bild von der Harmonie und inneren Ordnung eines gut gewachsenen Menschen“ (Feder 1939: 2) inspiriert ist. Mit einer idealen Stadtgröße von 20.000 deutschen Einwohner_innen ist sie das Gegenmodell zu einem vermeintlich entarteten „Bauliberalismus“, der ein „Kind der Französischen Revolution“ sei (ebd.: 10, Hervorhebung im Original). Feders Traumstadt ist ein Organismus, in dem sich die „geistig-seelische Umstellung der Nation aus dem Chaos liberalistischen Denkens heraus auf eine neue Gemeinschaftsidee“ (ebd.: 18) vollzieht: eine Gemeinschaftsidee, in der die „Bevölkerung nicht ‚Untertanen‘ oder Wählermasse“ (ebd.) sind, sondern einen „geschlossenen Organismus“ (ebd.) bilden, und mit einer „Gemeinschaftsform, in der sozusagen jeder durch und für den anderen lebt“ (ebd.: 19).

Feder träumt von einem „Stadtorganismus […] aus einer ganzen Reihe von Zellen, die sich dann zu Zellverbänden innerhalb verschiedener Unterkerne um den Stadtmittelpunkt herum gruppieren“ (ebd.). Eine „Reihe kleinster Gemeinschaften“ wird darin zu einer „Gruppe zusammengefaßt und diese Gruppe wieder zu Gruppen höherer Ordnung usw. vereinigt“ (ebd.: 467), also eine „Zusammenfassung von Straßengemeinschaften zu einem Unterkern, von Unterkernen zu einem Kern und von einer Anzahl von Kernen zur Stadt“ (ebd.). Laut Feder zeigt dieser organische Aufbau eine „auffallende Ähnlichkeit mit dem Aufbau der Partei“ (ebd.: 468) – der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP).

Feder erträumt eine Stadt nach dem Vorbild der Partei, einem Geist folgend, der mit der „nationalsozialistischen Revolution in die Verwaltung“ (ebd.: 39) einzieht – und das zur rechten Zeit. Denn welche Zeit, so Feder, „sollte günstiger sein, als die Zeitenwende, die der Nationalsozialismus heraufgeführt hat, und welcher Acker könnte wohl fruchtbarer und zukunftsträchtiger sein als der heilige Boden des Dritten Reiches aller Deutschen – Großdeutschlands –, das unser Führer Adolf Hitler aus jahrtausendaltem Traume zur kraftbewußten stolzen Wirklichkeit erweckt hat?“ (ebd.: 479, Hervorhebung im Original).

Nazis wie Feder ging es also auch um das Ende eines Traumes, jedoch durch das Erträumen einer neuen Idealstadt. Diesem Traum vom Ende eines jahrtausendealten Traums steht der „Traum von einer Sache“ (B2: 24) eines Revolutionären Antifaschismus gegenüber. Letzterer beinhaltet keine Traumskizze einer neuen Stadt, sondern wird als theoretische Schulung angesehen, der die räumlichen Elemente eines linksradikalen Stadtplans (Ansatzpunkt, Ausgangsposition und Orientierung) beinhaltet: Meinungen sind keine Orientierungen; Komplexität muss reduziert werden; ohne Konstruktion linker Geschichte keine gewaltfreie Zukunft; Revolution als kontinuierlicher und pragmatischer Prozess, der nicht auf Maximalforderungen verzichtet und so weiter (ebd.: 25 ff.). Revolutionären Antifaschist_innen geht es eben nicht darum, einfach nur ein Ideal zu erträumen. In der Tat, es „geht nicht um das Neue“, argumentiert die AAB, „sondern um die Gewichtung des Bekannten und die Bewährung in der Praxis. Es ist völlig perspektivlos, zu verneinen – es geht darum, die richtigen Ergänzungen einzufügen“ (ebd.: 25). Mittels Ergänzungen können neue Perspektiven gebildet werden, die nicht zielgerichtet, sondern orientierend sind; die nicht nur von anarchischer Freude, sondern auch von revolutionärer Disziplin (Maeding 2012) geprägt sind.

Revolutionären Antifaschist_innen zufolge müssen Machtverhältnisse benannt und „mögliche Eingriffspunkte für die Linke“ (B2: 24) erkannt werden. Da die Linke keine Macht besitze, sei man auf „Ideen und damit auf grundsätzliche Orientierungen angewiesen“ (ebd.). Veränderung brauche „einen Plan“ (ebd.). Dabei müsse von einer „ironische[n] Distanz“ abgesehen werden: Entscheidungen müssten getroffen werden und bräuchten „einen Maßstab“ (ebd.). Doch was ist der Maßstab eines radikalen Stadtplans? Um die bestehende Gesellschaft immer wieder anzugreifen, kann er nicht klein genug sein. Um die bestehende Gesellschaft zu überwinden, kann er nicht groß genug sein. Bei einem revolutionär-antifaschistischen Stadtplan geht es darum, unterschiedliche Maßstäbe zueinander in Beziehung zu setzen. Anders gesagt geht es darum, sich in unterschiedlichen Situationen unterschiedlichen Objekten zuzuwenden oder unterschiedliche Objekte erreichbar zu machen: Es geht also um einen kontinuierlichen Prozess von Horizontverschiebungen, um so eine „Horizonterweiterung“ (ebd.: 5) zu erreichen.

Für eine Revolution die nicht auf einen bestimmten Endpunkt zusteuert, kann es keinen Traum von einer antifaschistischen Idealstadt geben. Aber kann die Kommunikation alternativer Stadtraumideen (nicht im Sinne eines festgeschriebenen Plans, sondern als räumliche Szenarien eines antiautoritären Urbanismus) revolutionswirksam sein? Um faschistischer Vernichtung entgegenzuwirken, müssen nach Hannah Arendt (2006b) Vorstellungen an die Realität vergangener und gegenwärtiger Gewalt angebunden sein (vgl. Tyner 2017). Kann die Vorstellungskraft nach Auschwitz, wo das Unvorstellbare möglich wurde, wo das Unvorstellbare nicht vorstellbar war, aber dennoch realisiert wurde, nur radikal historisch sein?

7. Befreiende Raumpraxis

Wie kann sich Antifaschismus als Raumpraxis einer faschistischen Raumorganisation entgegenstellen, ohne von dieser durch bloße Negation abhängig zu sein? Dabei stellt sich die Frage, inwieweit er einem autoritären Instrument entgehen kann – selbst wenn dieses für eine antiautoritäre Stadt zu arbeiten scheint. Ich stelle daher dem modernen Stadtplan einen radikalen gegenüber. Revolutionärer Antifaschismus als Stadtplan ist ein Prozess, der gegen eine machterhaltende Orientierung gerichtet ist, nicht aufgrund einer alleinigen Desorientierung, sondern auch einer Umorientierung auf gesellschaftliche Veränderung. In diesem Prozess positionieren sich Antifaschist_innen aufgrund einer Konstruktion linker Geschichte in der Stadt und in Richtung einer alternativen Stadt.

Faschistische Raumorganisation versucht Sinngebungen zu verengen. Sie vertreibt oder vernichtet ausgewählte Gruppen oder erträumt eine Idealstadt. Ihr Ziel ist eine ideologische Gleichschaltung. Im Gegensatz dazu kann Antifaschismus als eine Raumpraxis verstanden werden, in der Theorie und Aktion zusammenlaufen: keine Ideologie, keine Gegenideologie, auch keine Gleichschaltung, sondern eine raumbildende Theorie-Praxis. Als solche kann sie von linksliberalen, aber auch von anderen linksradikalen Bewegungen unterschieden werden. Revolutionärer Antifaschismus ist keine autonome Politik der ersten Person, keine dogmatische oder orthodoxe kommunistische Arbeiter_innenbewegung, und sicherlich keine letztendlich systemerhaltende Gewerkschaft. Aufgrund dieser Unterscheidungen hinterfrage ich, inwiefern kollektive Raumbildung nicht homogen sein kann, inwiefern selbstbestimmte Raumbildung nicht strikt autonom sein kann und inwiefern systemüberwindende Raumbildung eine neue Stadt nicht vorwegnehmen kann.

Jedes Konzept läuft Gefahr, eigentümliche heterogene und potenzielle Mehrdeutigkeiten zu verlieren, die am Objekt haften. Das gilt auch für das Konzept Antifa, wie es als Revolutionärer Antifaschismus entwickelt wurde. Nach der Auflösung der AA/BO 2001 argumentierten einige Antifaschist_innen, eine revolutionäre Situation sei in weiter Ferne (B4: 10). 2003 löste sich auch die AAB auf. „Kritik & Praxis Berlin“ – eine ihrer Nachfolgegruppen –, meinte, der Revolutionäre Antifaschismus sei für Systemkritik „im bürgerlichen Staat nicht geeignet […], da dieser zum guten Ton des Demokraten gehört“ (B13). Weitere kritische Positionen wiesen darauf hin, dass manche Aktivist_innen der AA/BO in die bürgerliche Mitte oder gleich nach ganz rechts übergetreten waren; dass die Aktionen der AA/BO keine Nachhaltigkeit gehabt hatten; dass die Organisation immer mehr zu einem Lifestyle geworden war; und eben auch, dass sich bei der Entwickelung eines einheitlichen Antifa-Konzepts autoritäre Tendenzen bemerkbar gemacht hatten.

Jedes Konzept läuft Gefahr, eigentümliche heterogene und potenzielle Mehrdeutigkeiten zu verlieren, die am Objekt haften. Das gilt auch für das Konzept Revolutionärer Antifaschismus als Stadtplan. Aber ist es nicht notwendig, konzeptuelle Räume für eine antiautoritäre Stadt zu eröffnen? Dabei geht es nicht darum, eine Idealstadt zu entwerfen, sondern darum, politische Horizonte einer alternativen Stadt sichtbar und kommunizierbar zu machen. Eine illiberale Raumpraxis wendet sich sowohl gegen liberale als auch anti-liberale Raumorganisationen. Doch ist sie nur dann befreiend, wenn sie eine Horizonterweiterung aufgrund von Horizontverschiebungen erzeugt? Der Absage an jegliche konzeptionelle Arbeit an Orientierungsfragen stelle ich ein umorientierendes Konzeptualisieren entgegen, das nicht radikal offen ist, sondern aufgrund seiner Geschichtlichkeit radikale Perspektiven ermöglicht. Es ist ein antifaschistisches Konzeptualisieren, das sich abgrenzt vom Antifaschistischen Stadtplan Kreuzberg – den ich in einer Bibliothek in Berlin eingesehen habe und der Antifaschismus auf bestimmte Standorte fixiert –, sodass Räume und Raumbilder gebildet werden können.