sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(3/4), 17-41

doi.org/10.36900/suburban.v11i3/4.864

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CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 12. Dezember 2022

Veröffentlichung online: 3. November 2023

Autoritärer Urbanismus: zur Normativität eines Forschungsfeldes

Daniela Zupan

Angesichts zunehmender autoritärer, illiberaler und populistischer Strömungen weltweit, nicht zuletzt auch innerhalb etablierter Demokratien, hat die Auseinandersetzung mit Autoritarismus in der interdisziplinären Stadtforschung in den letzten Jahren an Gewicht gewonnen. Diese erneute Popularität nimmt der Beitrag zum Anlass, um sich mit der Aktualität und Gewordenheit des Forschungsfeldes zu autoritärem Urbanismus auseinanderzusetzen. Der Beitrag rekonstruiert, was unter autoritärem Urbanismus verstanden und beforscht wurde und wie sich das im Lauf der Zeit entwickelt hat. Dabei arbeitet er verfestigte Vorannahmen und normative Zuschreibungen in der Beschäftigung mit autoritärem Urbanismus heraus, zeigt, wie diese entstanden sind und die Debatten seither beeinflussen, und diskutiert, wie diese einem besseren Verständnis von autoritärem Urbanismus entgegenstehen.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Einleitung

Als ich vor wenigen Jahren damit begonnen habe, zeitgenössische Ausprägungen autoritären Urbanismus zu untersuchen, sah ich mich in Interviews und Gesprächen vielfach sowohl mit fertigen Antworten als auch mit fragenden Blicken konfrontiert. Fertige Antworten, insofern zu dem Stichwort „autoritärer Urbanismus“ in den meisten Fällen recht klare Assoziationen bestanden. Noch bevor ich mein Anliegen ausführen konnte, wurde ich entweder gefragt, ob ich mich demnach aus historischer Perspektive mit Städtebau und Stadtentwicklung in den nationalsozialistischen und faschistischen Regimen Europas beschäftigen würde; oder aber mir wurde von unlängst neu aus dem Boden gestampften Städten oder grotesk anmutenden, gigantischen städtebaulichen Ensembles in autoritären Regimen wie Kasachstan oder Saudi-Arabien berichtet, die als gebaute Ausdrücke repressiver und arbiträrer Macht gelesen wurden. Im ersten Fall folgten fragende Blicke, sobald ich ausführte, dass ich zeitgenössische Entwicklungen untersuche, im zweiten Fall, sobald ich von meinen Forschungsgegenständen wie etwa der Entwicklung attraktiver und sensibel gestalteter öffentlicher Räume und Parkanlagen in russischen oder ungarischen Städten berichtete.

In mehrfacher Hinsicht schien meine Forschungsperspektive gängigen Verständnissen von autoritärem Urbanismus entgegenzulaufen. Diese Irritationen bilden den Ausgangspunkt dieses Beitrags, der der Frage nachgeht, was hinter diesen verbreiteten Verständnissen steckt: Was wird unter autoritärem Urbanismus verstanden und beforscht, und wie hat sich das im Lauf der Zeit verändert? Wie sind gängige Vorstellungen entstanden und woraus speisen sie sich? Welche impliziten oder expliziten Annahmen und normativen Zuschreibungen reflektieren sie, und welche Konsequenzen hat das für aktuelle Verständnisse von autoritärem Urbanismus?

Um diese Fragen beantworten zu können, ist es notwendig, das Forschungsfeld zu autoritärem Urbanismus abzustecken und in groben Zügen aufzuarbeiten. Unter dem bisher vergleichsweise wenig etablierten Begriff des autoritären Urbanismus[1] soll jenes Forschungsfeld skizziert werden, das sich im weitesten Sinne mit dem Zusammenspiel von Autoritarismus und Stadt befasst. Zwar werden Städte für gewöhnlich als „Wiegen der Demokratie“ und als Bastionen des Widerstands gegen Autoritarismus verstanden, gleichwohl sind und waren Städte auch immer entscheidende Orte für autoritäre Interventionen, für das Entstehen autoritärer Bewegungen, und nicht zuletzt kommt Urbanismus eine maßgebliche Rolle für den Erhalt und die Stabilisierung autoritärer Regierungsformen zu. Entsprechend hat das Zusammenwirken von Stadt und Autoritarismus in der Forschungsliteratur durchaus auf unterschiedliche Weise Betrachtung gefunden, die es allerdings noch systematisch aufzuarbeiten und abzubilden gilt.

Selbstverständlich kann dieses ebenso vielfältige wie komplexe Feld innerhalb eines Beitrags nicht in seiner Gesamtheit abgebildet werden. Der Aufsatz trägt jedoch zur Schließung einer Forschungslücke bei, indem er zentrale Stränge in der Auseinandersetzung mit autoritärem Urbanismus identifiziert und hinsichtlich der aufgeworfenen Fragenstellungen diskutiert. Autoritärer Urbanismus wird dabei nicht als fixes, das heißt als abschließend zu definierendes, und bestimmte, feste Charakteristika aufweisendes und damit ahistorisches Phänomen betrachtet. Stattdessen soll basierend auf einer umfassenden Literaturauswertung nachvollzogen werden, wie sich einflussreiche Stränge und Verständnisse von autoritärem Urbanismus herausgebildet und verändert haben, das heißt, vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund was (bzw. was nicht) als autoritärer Urbanismus verstanden und beforscht wurde.

Dieses Anliegen erscheint umso dringlicher, als die Auseinandersetzung mit Autoritarismus angesichts zunehmender autoritärer, illiberaler und populistischer Strömungen in den letzten Jahren deutlich an Gewicht gewonnen hat. Dies gilt auch für die interdisziplinäre Stadtforschung: Studien nehmen die Vielfalt zeitgenössischer Erscheinungsformen autoritären Urbanismus in den Blick und beleuchten die zentrale Rolle von Städten für die Stabilisierung autoritärer Regime (z. B. Koch 2018; Bogaert 2018); Forschungen zu Postpolitik und Postdemokratie untersuchen, wie die gegenwärtige neoliberale Ordnung demokratische Praktiken in und durch Stadtproduktion untergräbt (z. B. Swyngedouw 2018; Tansel 2018); und Arbeiten begreifen zunehmend auch die städtische Ebene als potenziellen Nährboden für zunehmenden Rechtspopulismus und Rechtsautoritarismus (z. B. Mullis 2021; Luger 2022).

Der Artikel trägt zu diesen Debatten bei, indem er Kontinuitäten, Brüche und historische Parallelen in der Auseinandersetzung mit autoritärem Urbanismus sichtbar macht, die die aktuelle Forschungslandschaft kritisch zu reflektieren und zu verorten helfen. Konkret werden zurzeit einige Herausforderungen diskutiert, die einem besseren Verständnis von Autoritarismus im Wege stehen (siehe insbesondere Koch 2022; Luger 2022; Glasius 2018; Bogaert 2018). Dazu gehört die immer noch weitverbreitete Vorstellung einer in demokratische und autoritäre Staaten geteilten Welt. Eine solche räumliche Fixierung von Autoritarismus ist allerdings blind für das Vorhandensein autoritärer Elemente und Praktiken in liberal-demokratischen Kontexten. Sie operiert zudem mit Zuschreibungen, in denen autoritäre Staaten häufig als das abzulehnende „Andere“, das Fremde und Rückschrittliche begriffen werden. Dies vermittelt letztlich ein Bild sich fundamental unterscheidender Regimetypen, in dem autoritäre Staaten auf negativ konnotierte Charakteristika reduziert werden (z. B. Repression, Gewalt), wohingegen demokratische Regierungsformen tendenziell mit positiv besetzten Elementen wie Freiheit und Liberalismus beschrieben und teilweise idealisiert werden (Bogaert 2018: 254; Koch 2022: 4). Durch die Aufhebung einer solchen Fixierung von Autoritarismus und einer Ausweitung zum globalen, allen Regimetypen inhärenten Phänomen kann, so die Hoffnung, solch binären Vorstellungen und reduktiven Verständnissen entgegengewirkt werden (Glasius 2018; Koch 2022). Dieser Beitrag zeigt jedoch, dass eine solche Aufweitung alleine diese Hoffnungen kaum erfüllen wird können. Denn die Forschungslandschaft zu autoritärem Urbanismus war neben Ansätzen, die sich Urbanismus in autoritären Staaten gewidmet haben, seit jeher auch von bedeutenden Strängen geprägt, die Autoritarismus nicht als ein auf autoritäre Regime beschränktes, sondern als globales Phänomen interpretiert haben. Vor diesem Hintergrund argumentiert der Beitrag, dass die in der aktuellen Autoritarismusdebatte zu Recht und auch richtig beschriebenen Herausforderungen weniger in dieser Trennlinie zu suchen sind, sondern beide Herangehensweisen prägen. Um bestehende Verengungen und Blindstellen verstehen und in weiterer Folge aufbrechen zu können, müssen die sich aus der Entstehungsgeschichte des Forschungsfeldes selbst speisenden impliziten und expliziten Annahmen und normativen Zuschreibungen sowie die daraus resultierenden (Un-)Sichtbarmachungen in den Blick genommen werden.

Um das zu tun, gliedert sich der Beitrag nach relevanten Etappen, die die Forschung zu Autoritarismus und Stadt im Lauf der Zeit geprägt haben. Einem einleitenden Abschnitt zu den Ursprüngen der modernen Autoritarismusforschung (Kapitel 2) folgen Abschnitte zu „Autoritarismus und Moderne-Kritik“ (Kapitel 3), „Die antiautoritäre Postmoderne?“ (Kapitel 4) und zur aktuellen Forschungslandschaft (Kapitel 5), bevor Kapitel 6 zentrale Erkenntnisse zusammenfasst.

2. Der normative Kern der Autoritarismusforschung

Die Zuschreibung als „autoritär“ kann grundsätzlich auf Vieles angewandt werden: Charakter und Persönlichkeit, Werte, Erziehungs- und Führungsstile, politische Bewegungen, Praktiken, Regime, Ideologien und vieles mehr. Autoritären Persönlichkeiten beispielsweise wird ein Wunsch nach Ordnung und Konvention, nach Hierarchie und Unterwürfigkeit zugeschrieben, autoritären Regimen die Konzentration von Macht innerhalb einer kleinen Elite, Hierarchisierung, Zentralisierung sowie repressive Regierungstechniken. Autoritarismus bezeichnet dabei ein politisches Verhältnis, das durch Herrschaft (domination) sowie durch Subordination, das heißt Unterordnung und Gehorsam, gekennzeichnet ist: „Deriving from the Latin autocritas, meaning ‚authority‘, authoritarianism presupposes power. More specifically, it presupposes a social unit where there is control by some over others.“ (Glasius 2018: 526) Bereits in diesen Ausführungen zeigt sich die zumeist normative Aufladung des Begriffs, die sich auf die Entwicklungsgeschichte des Feldes selbst zurückführen lässt. Denn die moderne Autoritarismusforschung ist ein vergleichsweise junges Feld, das maßgeblich durch die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Faschismus in europäischen Gesellschaften im 20. Jahrhundert geprägt worden ist. In dem Versuch, diese Erfahrungen zu verarbeiten, zu erklären und ihnen etwas entgegenzustellen, legten Forscher_innen wie Karl Popper (1945), Hannah Arendt (1951), Theodor W. Adorno samt Kolleg_innen (Adorno et al. 1950) Arbeiten vor, die in der Folge zu Schlüsselwerken der Autoritarismusforschung avancierten (Glasius 2018: 532).

Aus dieser Auseinandersetzung erwuchsen freilich sehr spezifische Verständnisse von Autoritarismus. Es entstanden Ansätze, die Autoritarismus als Antithese zu bestehenden, normativ positiv besetzten Ideen und Idealen konzipierten. Als Regierungsform beispielsweise wurde Autoritarismus von Beginn an in Relation zu bzw. als Mangel an Demokratie definiert (Glasius 2018: 519). So werden faire und freie Wahlen, das Recht auf Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und Versammlungsfreiheit für gewöhnlich als zentrale Charakteristika von Demokratien verstanden (z. B. Dahl 1971), durch deren Ausübung Kontrolle und Subordination, also autoritären Beziehungen, entgegengewirkt werden soll. Demgegenüber werden Regime dann im Sinne einer Negativdefinition als autoritär eingestuft, wenn diese Elemente fehlen oder nicht respektiert werden (Glasius 2018: 519).

Im Gegensatz dazu entwickelte die Kritische Theorie Ansätze, die Autoritarismus nicht als Gegenpol, sondern als modernen und explizit auch liberal-demokratischen Regierungsformen inhärent begriffen. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (1947) deuteten Entwicklungen wie den Nationalsozialismus und den Stalinismus nicht als Bruch mit der liberal-politischen Kultur, sondern als logische Konsequenzen des Projekts der Aufklärung und der Moderne und den ihnen eingeschriebenen Logiken der Beherrschung und Unterdrückung. In ihren Versuchen, das Aufkommen faschistischer Strömungen zu erklären, legten die Forscher_innen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung grundlegende Gedanken zum Autoritarismus vor (insbesondere Adorno et al. 1950, siehe dazu auch Kiess et al. 2021). Letzterer spielte in ihren Arbeiten insofern eine zentrale Rolle, als eine autoritäre Neigung in der Persönlichkeit als zentraler Einflussfaktor für die Entstehung faschistischer Einstellungen verstanden wurde. In ihrer einflussreichen Studie zur autoritären Persönlichkeit fassten Adorno et al. (1950) Autoritarismus entsprechend als ein tiefgehendes, pathologisches Merkmal der menschlichen Persönlichkeit und arbeiteten die dahinterliegenden psychosozialen Entstehungsbedingungen heraus. Als autoritäre Tendenzen gelten etwa eine unkritische Unterwerfung unter personelle oder abstrakte Autoritäten, ein Hang zum Konventionalismus und zur Verurteilung abweichenden Verhaltens, rigides und stereotypisches Denken sowie Empfänglichkeit für Verschwörungen und Aberglaube (Adorno et al. 1950; für heutige Anwendungen siehe z. B. Decker/Brähler 2020; Decker et al. 2022; Amlinger/Nachtwey 2022).

Diese Ursprünge der Autoritarismusforschung haben von Anfang an auch die Beschäftigung mit autoritärem Urbanismus beeinflusst. Denn auch in der Stadtforschung war es die Auseinandersetzung mit den autoritären und totalitären Regimen Europas, die einen zentralen Impuls für die Entwicklung des Forschungsfeldes gab und dessen Verständnis maßgeblich prägte. Tatsächlich ist es im gängigen Sprachgebrauch bis heute üblich, autoritären Urbanismus als historisches Phänomen mit einem klaren räumlich wie zeitlich abgeschlossenen Bezugsrahmen zu verstehen und insbesondere mit Städtebau und Stadtentwicklung faschistischer, nationalsozialistischer und staatssozialistischer Regime des 20. Jahrhunderts zu assoziieren. Innerhalb dieses mittlerweile ebenso umfangreichen wie differenzierten Forschungsstrangs (siehe z. B. neuere Überblickswerke wie Bodenschatz/Sassi/Welch-Guerra 2015) haben Arbeiten nicht nur die zentrale Rolle von Urbanismus innerhalb dieser Regime herausgearbeitet, sondern auch ein bestimmtes Bild des dabei prägenden Urbanismus hervorgebracht. Zu den in der Auseinandersetzung mit Stadtentwicklung unter Stalin, Hitler, Mussolini oder Franco besonders häufig wiederkehrenden Elementen zählen spektakuläre, monumentale und gigantische Strukturen, die die Mächtigkeit, Potenz und Stärke dieser Regime reflektieren und das Gefühl der Nichtigkeit des Individuums erzeugen sollten; hierarchische Formen, die als Reflektionen zentralistischer Macht gedeutet wurden; und breite Schneisen und Achsen, die nicht nur als Instrumente der Propaganda, sondern auch der Überwachung der Gesellschaft gelesen wurden (z. B. Papernyj 1985; Noever 1994). Auf diese Weise wurde ein spezifisches und, wie neuere Studien verstärkt betonen (z. B. Bodenschatz 2015), in mehrfacher Hinsicht verengtes Bild von autoritärem Urbanismus hervorgebracht, die Debatten um Autoritarismus und Stadt in der Folge maßgeblich geprägt haben.

3. Autoritarismus und Moderne-Kritik

Beinahe zeitgleich zu Studien über Urbanismus in den diktatorischen Systemen Europas des 20. Jahrhunderts begann sich ab den 1960er-Jahren ein weiterer einflussreicher Strang in der Auseinandersetzung mit Autoritarismus und Stadt zu formieren, der in den 1980er- und 1990er-Jahren seinen Höhepunkt erreichte. Dieser speiste sich aus der Kritik an der Moderne und dem Aufkommen postmoderner Strömungen und umfasste zum einen die konkrete Kritik an moderner Stadtplanung und zum anderen die kritische Befassung mit modernen bzw. neuzeitlichen Regierungstechniken.

Die sich bekanntlich ab den 1960er-Jahren intensivierende Kritik an moderner Stadtplanung verstand diese zunehmend als technokratischen, zentralistischen und repressiven Eingriff institutionalisierter Macht (z. B. Harvey 1989: 38; Scott 1998: 87 ff.). Zudem wurde ihr eine gewisse Affinität bzw. ein inhärenter Hang zum Autoritären zugeschrieben. So warf beispielsweise Jane Jacobs (1961: 19; Übers. d. A.) Ebenezer Howard ein „paternalistisches, wenn nicht gar autoritäres Verständnis“ von Planung vor, das alles der Realisierung seiner Utopien unterzuordnen bereit wäre. Ein solches Verständnis von Planung wurde bekanntermaßen auch zahlreichen weiteren prominenten Akteuren der modernen Stadtplanung zugeschrieben. Am radikalsten äußerste sich dazu wahrscheinlich Le Corbusier selbst, der keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die autoritären Interventionen Louis XIV., Napoleons und Haussmanns in Paris hegte, die für ihn „a signal example of creation, of that spirit which is able to dominate and compel the mob“ darstellten (Le Corbusier 1929: 293, zitiert in Hall 1988: 207). In seinem erstmals 1933 veröffentlichten Buch La ville radieuse stellt er den Plan über die vom Volk gewählten Repräsentant_innen, die Wähler_innenschaft, die Verfassung und Gesetze, wenn er schreibt (Le Corbusier 1964: 154, zitiert in Scott 1998: 113):

„The despot is not a man. It is the Plan. The correct, realistic, exact plan, the one that will provide your solution once the problem has been posited clearly, in its entirety, in its indispensable harmony. This plan has been drawn up well away from the frenzy in the mayor’s office or the town hall, from the cries of the electorate or the laments of society’s victims. It has been drawn up by serene and lucid minds. It has taken account of nothing but human truths. It has ignored all current regulations, all existing usages, and channels. It has not considered whether or not it could be carried out with the constitution now in force. It is a biological creation destined for human beings and capable of realization by modern techniques.“

Getrieben vom unbedingten Willen der Implementierung erschienen demokratische Entscheidungsprozesse als Hindernis. „Totalisierende“ Planung, verstanden als Glaube an die Möglichkeit einer rationalen und weitreichenden Steuerung von Gesellschaft, Zentralisierung und Ordnung, und nicht zuletzt Überwachung und Kontrolle durch Raumgestaltung sind zentrale, in der Literatur diskutierte Charakteristika dieser Ausformung autoritären Urbanismus (siehe z. B. Harvey 1989; Scott 1998; Hall 1988). Ein Urbanismus des Uniformen anstatt des Pluralistischen, ein Urbanismus, der beschränkt und verhindert anstatt zu eröffnen und zu ermöglichen, der immobilisiert anstatt zu mobilisieren und der Determinismus vor Offenheit und Veränderlichkeit stellt; ein Urbanismus also, der zentrale autoritäre Züge trägt. Als besonders prägnante, immer wieder in der Literatur angeführte und diskutierte Manifestationen (siehe z. B. Harvey 1989; Scott 1998; Hall 1988) gelten beispielsweise Baron Haussmanns Stadtumbau von Paris in den 1860er-Jahren, Le Corbusiers Planungen für Paris aus den 1920er-Jahren oder die als besonders destruktiv und brutal beschriebenen Auswirkungen moderner Planungen in den „Laboratorien“ europäischer Kolonien (z. B. Rabinow 1982, 1989; Wright 1991) oder den ehemals staatssozialistischen Staaten (z. B. Scott 1998).

Dem selbstgewissen Glauben, das Zusammenleben von Menschen durch Expert_innen optimieren und rational planen und steuern zu können, setzten Denker_innen wie Jacobs (1961) die komplexen Erfahrungen urbanen Lebens entgegen. Gefordert wurde von den antimodernistischen Bewegungen die Überwindung einer als autoritär verstandenen, über ihre Köpfe hinweg vollzogenen Stadtentwicklungspraxis und entsprechend eine Demokratisierung der Planung. Stadtentwicklung sei als politischer Aushandlungsprozess zu begreifen, der nicht auf administrative, technische Fragen reduzierbar sei oder durch wissenschaftliche Methoden objektiv beantwortet werden könne.

Die Kritik an moderner Stadtplanung beschränkte Autoritarismus damit keineswegs auf bestimmte räumliche Kontexte oder Staaten. Insgesamt blieb sie jedoch relativ vage in ihrem Verständnis und ihrer konzeptionellen Auseinandersetzung mit Autoritarismus, sodass die Zuschreibung als „autoritär“ innerhalb dieses Ansatzes letztlich zum Kampfbegriff für die Aburteilung und Diskreditierung unterschiedlicher als negativ verstandener Aspekte moderner Stadtproduktion avancierte.

Doch auch auf abstrakterer Ebene fanden Fragen des Autoritarismus zunehmend Eingang in die Stadtforschung. Für die Beschäftigung mit autoritärem Urbanismus war es insbesondere die Befassung mit modernen Regierungstechniken, wie sie Michel Foucault in seinen Schriften formulierte, die diesbezüglich zentrale Impulse gab. Sich kritisch mit Ideen der Aufklärung auseinandersetzend argumentierte er, dass sich im Zuge der Moderne neuartige, damit aber nicht unbedingt weniger auf Kontrolle, Überwachung und Repression fußende Herrschaftstechniken herausgebildet hätten (Foucault 2006, 2007). In seiner einflussreichen Auseinandersetzung mit Benthams Panoptikum legte er frei, wie durch materiellen Raum und Architektur Machtbeziehungen hergestellt und aufrechterhalten werden (Foucault 1994). Doch auch Städte nahmen eine bedeutende Rolle in Foucaults Schriften ein, insofern als er das „problem of the town“ als zentral für die Herausbildung neuer Technologien des Regierens verstand (Foucault 2020: 245; siehe auch Foucault 2007). Neben der Herausbildung der modernen Stadtplanung als zentralen Mechanismus des Regierens beleuchtete er beispielsweise, auf welche Weise die räumliche Struktur einer Stadt selbst bestimmte Verhaltensmuster vorgeben, Individuen (un-)sichtbar machen und „a sort of spontaneous policing or control“ ermöglichen kann (Foucault 2020: 251).

Mit seinen Arbeiten legte Foucault den Grundstein für Studien, die sich systematisch mit Fragen der Macht- und Herrschaftsausübung in Städten und durch Städte beschäftigten. Ab den späten 1980er- und 1990er-Jahren erschienen mehrere für das Feld relevante Arbeiten. So machte sich beispielsweise Paul Rabinow (1989) Foucaults Ideen zunutze, um sich mit der Herausbildung der modernen Stadtplanung in Frankreich und seinen Umsetzungen in Frankreichs Kolonien auseinanderzusetzen. Und Stephen Kotkin (1995) zog sie heran, um anhand von Magnitogorsk die zentrale Rolle herauszuarbeiten, die der Entwicklung von Städten für die Konsolidierung des sowjetischen Staates und der Herausbildung einer neuen Gesellschaft beigemessen wurde. Gleichzeitig gelang es Kotkin durch seinen Fokus auf alltägliche Praktiken, eine höchst komplexe Gemengelage von Staats-Gesellschafts-Beziehungen freizulegen. Damit zeigte er auf eindrückliche Weise auf, dass Regieren selbst in einem höchst repressiven stalinistischen Regime weder lediglich unidirektional (top-down) noch nur auf Zwang und Repression fußend verstanden werden konnte. Schließlich verweisen die Involvierung von Ernst May in die Planung der Stadt oder der geplante Import US-amerikanischer Technologien für das zu errichtende Stahlwerk exemplarisch auf die internationalen Verflechtungen dieser globalen Moderne (Kotkin 1995; siehe auch Flierl 2012).

Die im Zuge dieses Forschungsstrangs gemachten Bezüge zwischen Stadt und Autoritarismus unterschieden sich deutlich von den im vorigen Abschnitt beschriebenen. Denn nunmehr ging es weniger darum, die spezifischen Arbeitsweisen und Manifestationen von Urbanismus in als autoritär verstandenen Regimen zu beforschen. Vielmehr wurden autoritäre Elemente als der Moderne inhärent verstanden und als solche einer kritischen Betrachtung unterzogen. Ein solches Verständnis von autoritärem Urbanismus beschränkte sich daher nicht auf bestimmte räumliche Kontexte, sondern wurde als globales Phänomen begriffen und beforscht.

4. Die antiautoritäre Postmoderne?

Im Lauf der 1990er-Jahre kann eine schrittweise Verschiebung der Debatte beobachtet werden, im Zuge dessen die Auseinandersetzung mit Stadt und Autoritarismus nicht nur insgesamt an Bedeutung verlor, sondern sich auch ein verändertes Verständnis autoritären Urbanismus herauszubilden begann. Denn mit der vermeintlichen Überwindung der Moderne und dem Eintritt in die Postmoderne formte und festigte sich der Glaube, mit diesem Paradigmenwechsel auch die der Moderne zugeschriebenen autoritären Elemente hinter sich gelassen zu haben. Wenngleich innerhalb der in den 1980er- und 1990er-Jahren intensiv geführten Debatte durchaus einzelne Stimmen auf die Kontinuitäten bzw. auf neue Formen von Autoritarismus in der postmodernen Stadtproduktion hinwiesen – etwa durch die zunehmende Dominanz profitgetriebener Logiken und die fortschreitende Kommodifizierung (Harvey 1989: 62, 114) –, zeugen die Debatten doch insgesamt von der Hoffnung, durch Dezentralisierung, Diversifizierung und partizipative, kollaborative Prozesse der geforderten Demokratisierung nachgekommen zu sein.

Für diesen Optimismus mitverantwortlich waren die massiven (geo-)politischen Veränderungen dieser Periode. Ab den 1980er-Jahren beobachteten und beschrieben Forscher_innen eine neue globale Demokratisierungswelle, in der „democracy“, so Larry Diamond (2010: 93), „ceased being a mostly Western phenomenon and ‚went global‘“. Verstärkt wurde dieser Optimismus ab den 1990er-Jahren, denn mit dem im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion postulierten „Ende der Geschichte“ (Fukuyama 1992) wurde nicht nur der Triumph des Kapitalismus deklariert, sondern auch die liberale Demokratie nach westlichem Vorbild als überlegene Regierungsform dargestellt (z. B. Rose 1999: 61).

Die Autoritarismusforschung fokussierte sich damit zunehmend auf die Analyse politischer Systeme, die – aus Sicht des Westens – als „anders“ im Sinne von minderwertig und rückschrittlich verstanden wurden (Glasius 2018: 523). Liberal-demokratische Staatlichkeit hingegen wurde in diesem Kontext zum universell anzustrebenden Wert stilisiert und kaum mehr als ein bestimmte Interessen, Ideologien und Machtbeziehungen reflektierendes Projekt verstanden (Bogaert 2018: 36). Eine kritische Auseinandersetzung mit Demokratiemodellen, mit autoritären Elementen in Demokratien oder mit den Diskrepanzen zwischen Idealvorstellung und gelebter Demokratie stand in dieser Periode entsprechend nicht im Mittelpunkt (siehe jedoch Appadurai 2001; Holston 2001). Stattdessen bildete sich die sogenannte Transitionsforschung heraus, die sich mit der Frage beschäftigte, inwieweit Staaten sich dem „westlichen“ Modell anzunähern vermochten, das heißt, wie „erfolgreich“ ihre Demokratisierungsbemühungen gemessen an westlichen Standards waren (Levitsky/Way 2010: 27; Bogaert 2018: 31).

Diese Entwicklungen haben auch in der Stadtforschung ihren Niederschlag gefunden, wo die Transitionsforschung nun ebenfalls prägend wurde. Zahlreiche Arbeiten beschäftigten sich nunmehr mit den Demokratisierungsprozessen in Städten Afrikas, Lateinamerikas oder dem postsozialistischen Raum (z. B. Watson 1998; Andrusz/Harloe/Szelenyi 1996). Eingehend untersucht wurde beispielsweise das vermehrte Auftreten partizipativer Ansätze und kollaborativer Planung, was zumeist als Beleg einer Demokratisierung interpretiert wurde. Diese einseitige, auf einen bestimmten erwarteten bzw. erhofften Entwicklungspfad ausgerichtete Perspektive beschrieben Morton Valbjørn and André Bank (2010) treffend als „democracy-spotting“ (Demokratie-Spähen). Doch nicht nur war dieser Ansatz relativ blind für alternative Erklärungsansätze, auch verhinderte er, das Zusammenwirken von Autoritarismus und Stadt angemessen verstehen zu können.

War autoritärer Urbanismus im Zuge der Moderne-Kritik als globales, modernen Regierungsformen inhärentes und damit beinahe allgegenwärtiges Phänomen verstanden worden, fand im Kontext der Euphorie um die weltweit zu beobachtenden Demokratisierungsprozesse eine profunde Umdeutung statt, in der Autoritarismus als das „Andere“, das „Rückschrittliche“ und als das „Nicht-im-Hier-und-Jetzt-Verortete“ dargestellt wurde. Zum einen wurde autoritärer Urbanismus als etwas der Vergangenheit Angehöriges, mittlerweile aber zumindest in westlichen Kontexten weitgehend Überwundenes verstanden. Das betraf sowohl die urbanen Manifestationen der autoritären und totalitären Regime Europas des 20. Jahrhunderts als auch die autoritären Ausprägungen der Moderne, die mit dem Eintritt der Postmoderne ebenfalls zur Vergangenheit wurden. Zum anderen wurde autoritärer Urbanismus jetzt insofern räumlich begrenzt, als damit aktuelle urbane Phänomene in autoritären Staaten Bezeichnung fanden. Denn die Demokratisierungswelle war zwar ein globales, aber keineswegs ein flächendeckendes Phänomen. Das Fortbestehen autoritärer Regime wurde – samt den dort beobachteten urbanen Entwicklungen – als anderswo und andersartig im Sinne von fremd und rückschrittlich gedeutet. Der Fokus lag auf dem Außergewöhnlichen und Kuriosen: Bilder von spektakulären Megaprojekten und Megaevents, glitzernden Glasstrukturen und futuristisch anmutenden Gebäudekomplexen nebst grandiosen öffentlichen Neubauten und symbolisch aufgeladenen Denkmalen in den Städten Zentralasiens, der Arabischen Halbinsel und Nordafrika sowie Asien beherrschten die Debatte (z. B. Meuser 2010; Barthel 2010; Broudehoux 2007). Auf diese Weise wurde eine Vorstellung von autoritärem Urbanismus als Auswuchs arbiträrer und repressiver Macht vermittelt, die als solche wiederum das Narrativ einer Überlegenheit westlich-liberaler Gesellschaftsformen verstärkte.

5. Ein (nicht so) überraschendes Wiedersehen

Die Euphorie über „democracy going global“ wurde spätestens ab den 2010er-Jahren maßgeblich gebremst. Seither sehen wir uns global mit zunehmendem Autoritarismus, Illiberalismus sowie dem Wiedererstarken populistischer Strömungen konfrontiert. Donald Trumps Präsidentschaft, die Erfolge der AfD in Deutschland, Viktor Orbáns rechtsautoritäre Fidesz-Partei in Ungarn oder Narendra Modis Rechtspopulismus in Indien sind nur wenige Beispiele dieser Entwicklungen. In seinem 2021 erschienen Demokratiereport mit dem bezeichnenden Titel Autocratization turns viral spricht das V-Dem-Institut (Alizada et al. 2021: 15) sogar von einer neuen, sich seit 2010 abzeichnenden Welle der Autokratisierung, die zunehmend auch etablierte Demokratien betrifft. Vor diesem Hintergrund sind Fragen über die Aushöhlung von Demokratien, den Zulauf zu populistischen Parteien sowie den wachsenden Rechtsruck in vielen Gesellschaften nicht nur ins Zentrum wissenschaftlicher, sondern auch öffentlicher Debatten gerückt. Diese Entwicklungen haben auch die Auseinandersetzung mit Autoritarismus innerhalb der Stadtforschung maßgeblich befeuert. Insgesamt kann ein abermaliger Wandel in der Auseinandersetzung mit autoritärem Urbanismus beobachtet werden, als sich Studien nun wieder vermehrt den Manifestationen von Autoritarismus in verschiedenen demokratischen wie autoritären Regierungsformen zuwenden.

In der kritischen Stadtforschung formierte sich bereits seit etwa Mitte der 2000er-Jahre ein Forschungsstrang, der sich unter Bezeichnungen wie Postpolitik, Post-Demokratie (z. B. Swyngedouw 2009, 2018; siehe auch das von Michel/Roskamm herausgegebene s u b \ u r b a n-Themenheft 2/2013 zur postpolitischen Stadt) oder autoritärer Neoliberalismus (z. B. Theodore/Peck 2019; Bruff/Tansel 2019) mit dem Aushöhlen von Demokratien durch zunehmende Prozesse der Neoliberalisierung befasst. Studien dokumentieren das vermehrte Auftreten scheinbar technischer, apolitischer Elemente und Arrangements in Stadtentwicklungsprozessen und argumentieren, dass diese Formen neoliberaler Stadtentwicklung demokratische Prozesse gefährden und autoritären Tendenzen Vorschub leisten. Wurde dieser Ansatz zunächst zur Erklärung von autoritären Strömungen in westlich-liberalen Demokratien entwickelt, hat er sich mittlerweile zu einem äußerst einflussreichen Ansatz für die Auseinandersetzung mit autoritärem Urbanismus weltweit entwickelt (z. B. Jenss 2019; Tansel 2018).

Scheinen diese Beschäftigungen gerade für eine kritische Stadt­forschung hochaktuell, besteht zugleich die Gefahr, schematische Unterscheidungen an die Stelle differenzierter Analysen zu setzen. Denn auf ähnliche Weise, wie die Zuschreibung als autoritär einen relevanten Kritikstrang an der Moderne bildete, avanciert Autoritarismus nunmehr zur Aburteilung und Delegitimierung neoliberaler Gesellschafts- und Wirtschaftsformen. Und tatsächlich werden auch entsprechende Parallelen gezogen. So argumentiert manch_e Vertreter_in dieses Ansatzes, dass demokratische Verfahren – noch essenziell für das Arbeiten des Kapitalismus im Europa der Nachkriegsmoderne – für den neoliberalen Kapitalismus lediglich eine Bedrohung und ein Hindernis darstellen würden (z. B. Streeck 2017: 21 f.). Aus einer solchen Perspektive erscheint die „autoritäre Moderne“ plötzlich als weit weniger autoritär als die heutige „neoliberale Postmoderne“. Studien aus der Stadtforschung haben allerdings Zweifel an einem solchen Narrativ angemeldet. Daniel Mullis und Sebastian Schipper (2013: 81) beispielsweise warnen vor einer geschichtsvergessenen Idealisierung der Vergangenheit und argumentieren, dass „die fordistische Stadt der 1950er und 1960er Jahre zwar aus anderen Gründen, aber vom Grundsatz her nicht weniger postdemokratisch gewesen ist als die neoliberale der Gegenwart“. Andere, wie Clive Barnett (2014: 1629), hinterfragen den Ansatz als solchen, indem sie der Forschung zu Postdemokratie und Postpolitik vorwerfen, „[it] can do no more than invoke ahistorical ontologized ideals about what democratic politics should be like in order to determine that, in reality, it does not accord to these ideals“.

Auch hat sich die Stadtforschung intensiv mit dem massiven Aufschwung beschäftigt, den rechtspopulistische und rechtsautoritäre Bewegungen und Parteien in den letzten Jahren nicht zuletzt in liberal-demokratischen Kontexten erfahren haben. Diesbezüglich wird zunehmend anerkannt, dass Städte alles andere als „immun sind in Hinblick auf die Verfestigung rechtsautoritärer Orientierungen“ (Bescherer 2019: 158; siehe auch Bescherer et al. 2021). Vielmehr stünde der aktuelle Rechtsruck „in engem Zusammenhang mit sozialräumlichen Entwicklungen in Städten“ (Bernet et al. 2019: 15), etwa mit sich verschärfenden sozialen Spaltungen, zunehmender Ressourcenkonkurrenz oder der Wohnungskrise (Mullis 2021; Bescherer 2019; Rossi 2018). Die Stadt- bzw. Nachbarschaftsebene wird dabei als zentraler Sozialisationsort verstanden, in dem und durch den die im Alltagsverstand vorhandenen autoritären Deutungsmuster gegebenenfalls aktiviert werden (Bernet et al. 2019: 15). Entsprechend untersuchen Studien Mobilisierungsstrategien lokaler Problemlagen durch rechtsautoritäre Parteien und Akteure, Prozesse rechter Raumproduktion und Raumaneignung sowie deren Einschreibung in den Alltag und in die Köpfe der Bewohner_innen (Ince 2011; Santamarina 2021; Luger 2022; Mullis/Miggelbrink 2022; Berg/Üblacker 2020). Diskutiert werden dabei Prozesse der Veralltäglichung von Rechtsextremismus, etwa in Studien zur Normalisierung und Verharmlosung rechter Lebenswelten im Stadtraum (Santamarina 2021; Zschocke 2022). Unlängst rücken auch vermehrt strukturelle Fragen in den Fokus, etwa wenn Gala Nettelbladt (2022) die Rolle westlicher Planungsparadigmen für die Normalisierung rechtsextremer Positionen herausarbeitet. Angesichts zunehmender rechtsextremer, antidemokratischer und fremdenfeindlicher Einstellungen haben zudem die Arbeiten der Kritischen Theorie zum Autoritarismus eine neue Aktualität erfahren (z. B. Decker/Brähler 2020; Decker et al. 2022; Amlinger/Nachtwey 2022; Förtner/Belina/Naumann 2021).

Wurde Autoritarismus in westlich-liberalen Kontexten in der vorherigen Periode lediglich als randständiges Phänomen behandelt, rückte es mit dem massiven Wiedererstarken autoritärer Strömungen zurück ins Zentrum wissenschaftlicher und öffentlicher Auseinandersetzungen. Seine Deutung als das „Andere“ und das „Rückschrittliche“ wurde damit jedoch nicht aufgehoben. Vielmehr ist in aktuellen Debatten ein Verständnis von Autoritarismus verbreitet, das dieses nicht nur als etwas Bedrohliches, sondern auch als etwas Rückständiges und längst überwunden Geglaubtes deutet. Deutlich wird dies etwa in Warnungen vor einer „großen Regression“ und des „Zurückfallens“ westlicher Gesellschaften hinter „ein für unhintergehbar erachtetes Niveau der ‚Zivilisiertheit‘“ (Geiselberger 2017: 7, 9). Pauschalisierende und abwertende Darstellungen sind aber auch auf andere Weise präsent. So wird beispielsweise mit Bezug auf Adorno zur Beschreibung einer autoritären Haltung gerne die Metapher eines „Radfahrenden“ bemüht, „der nach oben buckelt und nach unten tritt“ (Kiess et al. 2021), oder – ebenfalls unter Rückgriff auf Adorno – auf dezidiert pejorative Begriffe wie dem der Provinzialität zurückgegriffen, um die räumlichen Geographien rechter Wahlerfolge zu erklären (Förtner/Belina/Naumann 2021). Zwar wird Provinzialität dabei nicht als ein auf bestimmte räumliche (z. B. ländliche) Kontexte beschränktes bzw. fixiertes Phänomen verstanden (ebd.). Die Kernessenz von Provinzialität als „Geisteshaltung der Unreflektiertheit“ sei aber durchaus dezidiert abwertend gemeint (Belina 2022: 44), der in Anknüpfung an Adorno mit Bildung, Erziehung und weiteren Strategien der „Entprovinzialisierung“ und „Entbarbarisierung“ begegnet werden müsse (ebd.: 56). Durch solch vereinfachende Gleichsetzungen von Demokratie mit Zivilisiertheit und Urbanität bzw. von Autoritarismus mit Unzivilisiertheit, Provinzialität und Barbarismus werden allerdings verfestigte und undifferenzierte Verständnisse von Autoritarismus reproduziert.

Im Zuge der global beobachteten Autokratisierungsprozesse haben nicht nur Studien zu autoritären Phänomenen in liberal-demokratischen Kontexten einen massiven Aufschwung erfahren, auch die Auseinandersetzung mit Urbanismus in autoritären Regimen ist wieder stärker ins Blickfeld gerückt. Innerhalb dieses Stranges dominieren weiterhin Analysen besonders repressiver, spektakulärer und kurios anmutender Phänomene. Untersucht werden etwa die Zurschaustellung von Stärke und Wachstum durch Megaevents und Leuchtturmprojekte (z. B. Trubina 2017; Koch 2018), die Konstruktion nationaler, häufig konservativ-illiberaler Identitäten durch städtebauliche Um- oder Neubauvorhaben (z. B. Pojani 2018; Mattioli 2020) sowie Abbruchmaßnahmen, Zwangsenteignungen oder die Einschränkung von Rechten durch Stadtraumgestaltung oder Stadtpolitiken (z. B. Herzfeld 2017; Lata/Waltersa/Roitman 2019).

Entsprechend umgibt Urbanismus in autoritären Regimen auch weiterhin eine Aura des Exzeptionellen und Exotischen (Bogaert 2018: 254), und Debatten sind, wie Christian Krohn-Hansen (2005: 100) argumentiert, von Mystifizierungen geprägt: „Hegemonic discourses on dictators in the contemporary world continue to mystify. They continue to silence by reducing the need for understanding entire societies, or entire authoritarian histories.“ Anstatt autoritäre Regime als komplexe, historisch gewachsene politisch-soziale Formationen zu verstehen, finden sich auch in der heutigen Debatte zum Teil simplifizierende Gegenüberstellungen von Staat und Gesellschaft sowie reduktive Verständnisse autoritärer Staaten, die diese auf top-down gesteuerte Einheiten ohne Raum für politische Äußerungen, demokratische und liberale Elemente oder Aushandlungsprozesse reduzieren (Krohn-Hansen 2005; Koch 2022; Bogaert 2018). So nimmt beispielsweise Robert Argenbright (2022: 120) in einem aktuellen Beitrag drei vermeintlich gescheiterte staatliche Stadtentwicklungsprojekte im heutigen Russland in den Blick, um die Ineffektivität, Selbstüberschätzung und Inkompetenz des Putin-Regimes zu demonstrieren. Eine höchst zentralistische Regierungsform, deren untere Regierungsebenen als praktisch nutzlos abgetan werden, wird darin einer infantilisierten Zivilgesellschaft gegenübergestellt (ebd: 107, 121).

Das ist aber selbstverständlich nur ein Teil des Bildes. Zum einen haben neben von Foucault inspirierten Ansätzen zur Analyse komplexer Staats-Gesellschafts-Beziehungen in autoritären Kontexten (z. B. Koch 2018; Bogaert 2018) in den letzten Jahren zunehmend auch hegemonietheoretische Ansätze in Anlehnung an Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (z. B. Palonen 2013) sowie an Antonio Gramsci (z. B. Adaman/Akbulut 2021; Guarneros-Meza/Jenss 2022) Verbreitung gefunden. Letztere betonen nicht nur die Rolle unterschiedlicher Akteure in der Herstellung und Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen, sondern auch das Vorhandensein und simultane Zusammenspiel von Zwang und Konsens in der umkämpften Herstellung und Stabilisierung von Hegemonieansprüchen, auch in höchst autoritären Kontexten. Zum Teil sind Arbeiten jedoch weiterhin von einem Verständnis von Autoritarismus als etwa „Abnormalem“ und besonders Erklärungsbedürftigem, da eigentlich „objektiven“ Prämissen widerstrebendem Phänomen geprägt (z. B. Pratt 2006; Adaman/Akbulut 2021). Das zeigt sich etwa dann, wenn Gramscis Ideen mobilisiert werden, um das „Paradox“ zu erklären, warum sich in von autoritären Interventionen negativ betroffenen Bevölkerungsgruppen kaum prodemokratischer Widerstand formiert (ebd.), oder wenn die Frage nach dem Erhalt autoritärer Regime „despite the existence of objective economic factors […] that would appear to undermine authoritarianism and support a process of democratization“ (Pratt 2006: 9) gestellt wird. Entsprechend sieht Koenraad Bogaert (2018: 33 ff.) in Studien, die sich den Gründen für die Persistenz autoritärer Regime widmen, die Gefahr für ähnliche Blindstellen, wie sie zuvor der Transitionsforschung zugeschrieben wurden:

„Both the transition paradigm and the authoritarian persistence paradigm are blinded by the established ‚truths‘ of liberal democracy and liberal ideology. By proclaiming these truths as universal norms, they do not so much advance the understanding of political processes […] as make political claims about their preferred global future.“

Zum anderen kann hinsichtlich der analysierten Ausprägungen in den letzten Jahren eine Diversifizierung des Feldes beobachtet werden kann. So fordern Studien zunehmend eine Hinwendung zu unspektakulären und alltäglichen Formen (z. B. Croese/Pitcher 2019; Zupan/Smirnova/Zadorian 2021) sowie zu vielleicht unerwarteten Erscheinungsformen autoritären Urbanismus wie etwa state-of-the-art Trends folgenden Aufwertungsprojekten öffentlicher Räume oder kooperativen, partizipativen und evidenzbasierten Formen der Stadtentwicklung (z. B. Cheng 2013; Büdenbender/Zupan 2017). Anstatt diese Phänomene im komplexen Spannungsfeld autoritär-demokratischer oder liberal-illiberaler Praktiken zu deuten, scheinen sich die Erklärungsmuster gegenüber der Transitionsforschung nunmehr um 180 Grad gewandelt zu haben. Wurden solche Elemente aus der Transitionsperspektive heraus als Belege einer Demokratisierung gedeutet, werden sie mittlerweile vorschnell als „Fassade“ oder „Fake“ abgetan, die lediglich der Stabilisierung und Verfestigung autoritärer Regime dienen sollen.

6. Diskussion: vom democracy- zum autocracy-spotting?

Dieser Beitrag hat die erneute Popularität in der Auseinandersetzung mit Autoritarismus und Stadt zum Ausgangspunkt genommen, um sich mit der Aktualität und Gewordenheit dieses Forschungsfeldes auseinanderzusetzen. Die Forschung zu autoritärem Urbanismus hat seit ihrem Aufkommen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur wechselnde Aufmerksamkeitszyklen erfahren, sondern auch unterschiedliche Stränge samt divergierender Auslegungen hervorgebracht. Ein breit geteiltes und weitgehend konsensuales Begriffsverständnis von autoritärem Urbanismus besteht nicht. Vielmehr hat das Forschungsfeld neben Studien zu Urbanismus in autoritären Regimen, historisch wie aktuell, auch eine vielfältige Auseinandersetzung mit autoritären Ausprägungen und Facetten innerhalb globaler Trends wie Moderne und Neoliberalismus hervorgebracht.

Angesichts zunehmender Autokratisierungsprozesse, nicht zuletzt in liberal-demokratischen Kontexten, hat sich in den letzten Jahren nicht nur die Auseinandersetzung mit autoritärem Urbanismus deutlich intensiviert, auch haben Ansätze an Gewicht gewonnen, die Autoritarismus als globales, unterschiedlichen Regimetypen inhärentes Phänomen verstehen und untersuchen. Doch sowohl die intensivierte Auseinandersetzung als auch die Re-Konzipierung von Autoritarismus als globalem Phänomen werden meines Erachtens nur dann zu einem besseren Verständnis von autoritärem Urbanismus beitragen, wenn gleichzeitig einige der zugrunde liegenden und sich verfestigten Vorannahmen und normativen Zuschreibungen kritisch reflektiert und dadurch bestehende Unsichtbarmachungen sichtbar gemacht werden.

Die sich im Zuge der 1990er-Jahre herausbildende Transitionsforschung war von einem hoffnungsvollen und optimistischen Suchprozess nach Elementen und Hinweisen einer Demokratisierung geprägt, der letztlich den Blick auf alternative Erklärungen verstellte und damit einem besseren Verständnis der beobachteten Phänomene im Wege stand. Mittlerweile hat sich die Stimmung allerdings ins Gegenteil verkehrt, und der damalige Optimismus ist einer profunden Skepsis gewichen: „Most of us“, so etwa die Politikwissenschaftler Ivan Krastev und Stephen Holmes (2019: 1), „now have trouble imagining a future, even in the West, that remains securely democratic and liberal“. Besteht inmitten allgegenwärtiger Debatten, die vor den Bedrohungen einer global beobachteten Autokratisierungswelle warnen, die Gefahr einer ähnlichen Blindheit, wie sie die Transitionsforschung zuvor hinsichtlich scheinbar demokratischer Elemente prägte? Anders gefragt: Bildet die aktuelle Forschung eine Bestandsaufnahme zunehmender Prozesse der Autokratisierung oder findet vielleicht an mancher Stelle eine vorschnelle Bezeichnung und Deutung als autoritär statt, und sind wir vielleicht vom democracy-spotting zum autocracy-spotting übergegangen? Eine solche Besorgnis scheint insofern gerechtfertigt, als die Bezeichnung „autoritär“ mittlerweile beinahe ubiquitäre Züge angenommen hat und sich zunehmend relativ breit gefasste sowie lose Verständnisse von Autoritarismus wiederfinden. Zweifelsfrei besteht die Notwendigkeit, sich verstärkende Prozesse der Autokratisierung und ihre kontextspezifisch unterschiedlichen Ausprägungen angemessen untersuchen zu können. Gleichwohl kann eine zu starke Ausweitung des Begriffsverständnisses das analytische Potenzial des Autoritarismuskonzeptes untergraben – etwa dann, wenn damit all jene Phänomene zu fassen gesucht werden, die eine negative Auswirkung auf Menschenleben haben, wie Diskriminierung, Gewalt, Korruption oder Ungleichheit (Glasius 2018: 525).

Auch die Re-Konzipierung als globales Phänomen führt nicht automatisch zur Überwindung bestehender Blindstellen. Die Aufarbeitung des Forschungsstandes zeigt, dass die Forschungslandschaft zu autoritärem Urbanismus seit jeher keineswegs auf autoritäre Staaten beschränkt war. Vielmehr hat insbesondere die kritische Forschung von Beginn an maßgeblich dazu beigetragen, Autoritarismus als modernen Regierungsformen inhärentes und damit globales Phänomen zu verstehen. Entsprechend sind die beschriebenen Herausforderungen und Blindstellen weniger in dieser Trennlinie zu suchen, sondern verlaufen durch diese hindurch. Das heißt, sowohl Studien zu Urbanismus in autoritären Regimen als auch solche, die autoritären Urbanismus als globales Phänomen betrachten und untersuchen, können in bestimmten Fällen zu einem verengten Verständnis von Autoritarismus beitragen. Studien zu Urbanismus in als autoritär verstandenen Regimen tun dies, wenn Prozesse des „Othering“ präsent sind und Letztere beispielsweise als fremd und rückschrittlich verstanden werden, wenn die komplexen Staats-Gesellschafts-Beziehungen auf vereinfachte Top-down-Systeme reduziert werden, aber auch, wenn durch bestehende Vorannahmen und normativ geprägte Verständnisse bestimmte Phänomene unverhältnismäßig stärker in den Blick geraten als andere (z. B. das Spektakuläre vor dem Alltäglichen, illiberale vor liberalen Elementen). Aber auch teleologische Annahmen und ein Verständnis von Autoritarismus als etwas besonders Erklärungsbedürftigem und einer „normalen“ Entwicklung im Wege Stehendem können verengte Verständnisse von Autoritarismus (re-)produzieren (siehe hierzu auch Bogaert 2018: 33 f.).

Durch das Aufbrechen einer räumlichen Fixierung und das Anerkennen, dass autoritäre Praktiken auch (liberalen) Demokratien inhärent sind, finden Prozesse des „Othering“ nicht mehr bezogen auf andere, in dem Fall als autoritär deklarierte Staaten oder Regimetypen statt. Damit sind sie allerdings nicht automatisch verschwunden. Vielmehr kann beobachtet werden, wie sich Zuschreibungen des „Anderen“ nunmehr ins Innere moderner Gesellschaften verschoben haben. Das kann entlang bestimmter Persönlichkeitsmerkmale, aber auch entlang anderer Grenzziehungen (z. B. urban versus provinziell) geschehen, wenn durch diese abwertende, pauschalisierende oder essenzialisierende Zuschreibungen vorgenommen werden. Verengungen und Blindstellen können also auch hier entstehen, und zwar immer dann, wenn das Autoritäre lediglich von einer vorausgesetzten Normalität her erschlossen und auf etwas Korrekturbedürftiges und Pathologisches reduziert wird.Auf diese Weise wird jedoch ein verengtes Bild von Autoritarismus reproduziert, wohingegen von der potenziellen Komplexität und Diversität dieses Phänomens weiterhin wenig Wissen besteht. Ein solches ist aber dringend geboten, um effektive Antworten auf heutige Formen autoritären Urbanismus und zunehmende autoritäre Strömungen zu finden.