sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(3/4), 145-168

doi.org/10.36900/suburban.v11i3/4.866

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CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 13. Dezember 2022

Veröffentlichung online: 3. November 2023

Signaturen eines autoritären Urbanismus in der Schweiz

Polizeiliche und ordnungsdienstliche Weg­weisungen aus öffentlichen Räumen im Vergleich

Esteban Piñeiro

International wird seit den 1990er-Jahren eine Zunahme an staatlichen Kontrollpraktiken im öffentlichen Raum beobachtet, die sich gegen sozial marginalisierte Personen und Gruppen richten. In der Schweiz erhielt die Polizei mit dem Instrument der Wegweisung weitreichende Befugnisse, um missliebige Personen aus öffentlichen Gebieten auszuschließen. Parallel dazu richteten viele Städte und größere Gemeinden nichtpolizeiliche Ordnungsdienste ein, um Störungen der öffentlichen Ordnung soziokommunikativ anzugehen. Anders als die Polizei operieren diese mit ihrem Soft Policing unterhalb einer hoheitlichen Schwelle, womit die Eingriffsautorität des Staates kaum mehr greifbar wird. Demgegenüber inszeniert sich die Polizei als legitimes Autoritätsverhältnis qua Recht. Mit ihrer repressiven Wegweisung begibt sie sich jedoch in eine legitimatorische Grauzone, die rechtsstaatlich nicht ausreichend eingehegt und abgesichert werden kann. Sowohl die Polizei als auch die Ordnungsdienste agieren mit einem illegitimen Autoritätsanspruch, der Ausprägungen eines gegenwärtigen autoritären Urbanismus erkennen lässt und in rechtsstaatlicher Hinsicht problematisch ist.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Einleitung

Seit den 1990er-Jahren ist in vielen westeuropäischen Gesellschaften eine profitorientierte Aufwertung der Innenstädte mit ihren Einkaufs- und öffentlichen Freizeit- und Erholungsräumen zu beobachten. Im Zuge dessen geriet der öffentliche urbane Raum unter Druck. Mit dem Erstarken eines kompetitiv ausgerichteten „urban entrepreneurialism“ (Harvey 1989: 4) setzte sich eine Ökonomisierung und marketingaffine Rationalisierung des öffentlichen urbanen Raumes durch (vgl. z. B. Füller/Marquardt 2010; Helms 2008; Belina/Helms 2003). Disorder-Phänomene, soziale Probleme und sozialräumliche Störungen avancierten zu einem zentralen Gegenstand einer neoliberal adjustierten Urban Governance (Rosol 2013; Di Giovanni 2017; Eick 2004). Besonders deutlich zeigt sich dies im Umgang mit unerwünschten Szenen und sozial marginalisierten Personen, denen negative Verhaltensweisen oder auch kriminelle Eigenschaften attribuiert werden: Incivilities wie das Trinken von Alkohol oder Drogenkonsum in der Öffentlichkeit, „ungehöriges“ Benehmen wie Liegen auf öffentlichen Plätzen, „aggressives“ Betteln oder Sexarbeit, anti-social behaviour wie das Verursachen von Lärm, Graffiti und Abfall etc. (Piñeiro/Pasche/Locher 2023; Künkel 2020; Groenemeyer 2015). Vermehrt gerieten die „Verlierer_innen“ neoliberaler Stadtpolitiken ins Visier der räumlichen Kontrollen wie Videoüberwachung oder Aufenthaltsverboten, von order maintenance oder quality of life policing (Herbert/Beckett/Stuart 2018; Thacher 2014; Wehrheim 2012).

Die vorliegenden Studien dazu vermitteln ein widersprüchliches Bild (Feth 2016; Füller/Marquardt 2010; Garland 2008): Zum einen wird seit den 1990er-Jahren eine verschärfte staatliche Repressionspolitik und eine Ausweitung von Strafbarkeitsvoraussetzungen bei geringen Verfehlungen beobachtet (vgl. Moeckli 2016; Beckett/Herbert 2010; Belina/Helms 2003; Eick 2004). Inzwischen finden sich in vielen Ländern repressive Instrumente und Praktiken der räumlichen Verdrängung – namentlich Formen der polizeilichen Wegweisung und Fernhaltung, die Personen darauf verpflichten, ein bestimmtes Gebiet nicht (mehr) zu betreten. In Deutschland nahmen die meisten Bundesländer bis Mitte der 2000er-Jahre „Platzverbote“ als „Standardmaßnahme“ in ihre Polizeigesetze auf (vgl. Belina 2007: 323; Wehrheim 2012). Im gleichen Zeitraum traten in vielen Schweizer Kantonen Gesetze in Kraft, die es der Polizei erstmals ermöglichten, Personen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus bestimmten Gebieten des öffentlichen Raumes wegzuweisen (vgl. Gasser 2003; Moeckli/Keller 2012; Litscher et al. 2012). Auch in den USA entstanden in vielen Städten wie in Seattle, Washington oder Portland, Oregon rechtliche Instrumente, um Personen mit marginalisiertem sozialem Status räumlich auszugrenzen (vgl. Beckett/Herbert 2010). Diese Entwicklungen fallen mit einem Erstarken autoritärer Tendenzen und dem Aufstieg eines autoritären Neoliberalismus zusammen, der international festgestellt wird (Koch 2022; Piletić 2022; Arsel/Adaman/Saad-Filho 2021; Bruff 2014; Gerschewski 2013). Einschlägige Studien zeigen, wie der neoliberale Stadtumbau mit autoritären Ansätzen der städtischen Steuerung, mit der Umgestaltung der entsprechenden staatlichen Verwaltungs- und Rechtsorgane oder mit Reformprozessen in autokratisch regierten Staaten einhergehen (vgl. Ergenc/Yuksekkaya 2022; Bruff/Tansel 2019; Tansel 2017).

Zum anderen stellen etliche Studien fest, dass bei der Regulierung des öffentlichen Raumes auch weichere Kontrollformen zur Anwendung kommen. So operiert die Polizei mit Taktiken eines „therapeutic policing“ (Stuart 2014) oder eines „‚social care‘ and ‚dialogue‘ based policing“ (Kammersgaard 2021: 122; vgl. Piñeiro/Locher/Pasche 2021; Piñeiro/Pasche/Locher 2021). Dieses präventiv angelegte Soft Policing unterscheidet Martin Innes (2005) vom Einsatz eines aggressiven Hard Policing unter Betonung polizeilicher Autorität (vgl. dazu Herbert/Beckett/Stuart 2018[1]; Piñeiro/Koch/Pasche 2021). Vor diesem Hintergrund interessiert insbesondere eine weitere, nunmehr aber nichtpolizeiliche Apparatur der territorialen Regulierung, die sich vordergründig weniger repressiv inszeniert. Parallel zur Einführung der polizeilichen Wegweisung beginnt sich in vielen Schweizer Städten und grösßeren Gemeinden ein neuartiger staatlicher Ordnungsdienst zu etablieren, um sozial unerwünschtes, störendes oder ordnungswidriges Verhalten im öffentlichen Raum anzugehen.[2] Auf Patrouille kontrollieren diese Dienste Flusspromenaden und Plätze, Straßenabschnitte oder Parkanlagen, in denen sich soziale Nutzungskonflikte mit marginalisierten Personen oder problematisierten Jugendlichen konstellieren. Ohne über polizeiliche Kompetenzen zu verfügen, verfahren diese Dienste mit soziokommunikativen Methoden, die typischerweise mit der niederschwelligen aufsuchenden Sozialen Arbeit assoziiert werden. Entsprechend verorten sie sich selbst in der Lücke zwischen Sozialer Arbeit und Polizei. Wie wir sehen werden, lässt sich ihre Praxis konzeptionell mit dem Begriff des Policing fassen (vgl. Bowling/Reiner/Sheptycki 2019; Helms 2008: 107 ff.; Wurtzbacher 2008). Als Teil einer „extended policing family“ (Crawford 2013) nehmen sie ein Bündel von Aufgaben des Überwachens und des personenbezogenen Intervenierens wahr, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dienen. Entsprechend konzipieren wir diese Organisationen als Sozialpräventive Kommunale Ordnungsdienste (SKOD).[3]

Forschungsprojekt und Fokus des Aufsatzes

Der Beitrag diskutiert Ergebnisse des dreieinhalbjährigen Forschungs­projekts „In der Lücke zwischen Sozialarbeit und Polizei? Ethnographische Perspektiven auf multiple institutionelle Logiken in der aufsuchenden Sozialarbeit mit ordnungsdienstlichen Aufgaben“.[4] Insgesamt wurden 16 ein- bis eineinhalbstündige leitfadengestützte Expert_inneninterviews mit Angehörigen der Leitungsebene aller uns bekannten Schweizer SKOD durchgeführt und ihre öffentlich zugänglichen Homepages analysiert. Schwerpunkt der Forschung bildeten drei umfassende Fallstudien, mit denen wir jeweils eine Organisation vertieft ethnographisch beforschten. Wir nahmen an insgesamt 21 Arbeitsschichten teil, zum Beispiel tagsüber von 12 bis 18 Uhr oder auch abends von 18 Uhr bis 2 Uhr nachts. Dabei konnten wir verschiedene Tätigkeiten wie mobile Einsätze, Arbeiten im Backoffice und Netzwerktreffen beobachten. Die Analyse des empirischen Datenmaterials organisierten wir in Anlehnung an die Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996). Auf den Ergebnissen aufbauend, wurden drei sinnzusammenhängende Typen abstrahiert (Kelle/Kluge 2010): der fürsorgerische, der kommunalrechtliche und der nachbarschaftliche Typus (vgl. Abschnitt 4). Dabei dienten die drei kontrastiv angelegten Fallstudien jeweils als Prototyp für die Typenbildung, die aber breiter angelegt war und empirisches Material zu weiteren SKOD-Organisationen berücksichtigt.

In diesem Aufsatz konzentrieren wir uns auf die Frage, inwieweit auch das Soft Policing der SKOD als Ausdruck eines autoritären Urbanismus zu verstehen ist und wie sich im Vergleich dazu die hoheitliche Praxis (vgl. Mohler 2012: 51 f.) der polizeilichen Wegweisung beurteilten lässt. Hierzu bietet das Konzept des autoritären Urbanismus eine kritische Perspektive, um städtische Machtverhältnisse und staatliche Kontrolle im öffentlichen Raum untersuchen zu können. In den Blick geraten dabei die Mechanismen und Prozesse einer (repressiven) Stadtpolitik sowie staatliche Akteur_innen, die bei der Durchsetzung von ökonomischen Zielen oder Marktinteressen eine Rolle spielen (Can/Fanton Ribeiro da Silva 2023). Zunächst wird die Forschungsperspektive des autoritären Urbanismus als konzeptionelle Linse geschärft. In einem weiteren Schritt wenden wir uns der polizeilichen Wegweisung und ihrem taktischen Verhältnis zum Recht zu. Im darauffolgenden Abschnitt wird wiederum die nichtpolizeiliche Regulierungs- und Wegweisungspraxis der SKOD diskutiert, die unterhalb des Rechts verortet werden.

2. Autoritärer Urbanismus als Praxis

Viele Analysen zum autoritären Urbanismus befassen sich mit Mechanismen und Prozessen einer Umgestaltung der staatlichen Verwaltungs- und Rechtsorgane. Solche Transformationen des Staats­apparates oder einer Urban Governance können der Sicherung von Herrschaftsverhältnissen dienen (vgl. Ergenc/Yuksekkaya 2022), dem freien Kapital- oder Warenfluss (vgl. Bruff 2014), der Kommerzialisierung öffentlicher Räume (vgl. Di Giovanni 2017) oder der Fortführung umstrittener Projekte (vgl. Eraydin/Taşan-Kok 2014). So begreifen etwa Alke Jenns und Benjamin Schuetze (2021: 83) autoritäre Praktiken als Verhinderung von (Möglichkeiten von) Dissens, womit tiefgreifende politische Fragen in Angelegenheiten von scheinbar nur technischer Bedeutung umgewandelt oder oppositionelle soziale Kräfte mit dem übergeordneten Ziel einer Kapitalakkumulation unterdrückt werden (dazu auch Huke/Clua-Losada/Bailey 2015). Diese Praktiken, so Ian Bruff und Cemal Tansel (2019: 234), zielen darauf ab, die politische Opposition zu marginalisieren oder dissidente gesellschaftliche Gruppen zu disziplinieren. Dabei kommt es häufig auch zum repressiven Einsatz der staatlichen Zwangs-, Rechts- und Verwaltungsapparate (vgl. Tansel 2017). Zunehmend wird autoritärer Urbanismus nicht mehr einseitig auf einen autokratischen Regimetypus hin perspektiviert, sondern als eine Reihe von organisational kontextualisierten Praktiken analysiert, die ebenso in autokratischen wie in demokratischen Staaten anzutreffen sind (etwa Glasius 2018 oder Koch 2022). Mit Blick auf die in diesem Beitrag untersuchten staatlichen Kontroll- und Ausschlussmechanismen im öffentlichen Raum sind zwei häufig diskutierte, ineinandergreifende konzeptionelle Dimensionen hervorzuheben, die als wesentliche Signaturen eines autoritären Urbanismus betrachtet werden: zum einen eine auf die Interventionsqualität bezogene Dimension, die sich auf den repressiven Modus der staatlichen Regulierung bzw. auf den mehr oder weniger zwangsförmigen, harten/weichen Eingriff konzentriert; zum anderen eine auf die Legitimation staatlicher Steuerung und Kontrolle bezogene Dimension, die in der vorliegenden Literatur häufig auf eine mangelhafte oder fehlende rechtliche Verankerung und Rechenschaftspflicht des staatlichen Handelns bezogen wird.

Repressiver Modus autoritärer Praktiken

Als Praxis zeichnet sich autoritärer Urbanismus zunächst einmal durch ein hierarchisches Dominanzverhältnis der Über- und Unterordnung aus, bei dem ein_e Akteur_in Kontrolle oder Zwang über Individuen oder über eine Bevölkerung ausübt. Machtanalytisch haben wir es hier mit Herrschafts- oder Regierungspraktiken zu tun, die mit Michel Foucault (2006: 101 f.) die Insignien einer (staatlichen) Souveränitätsmacht aufweisen und insofern eine_n Machthaber_in befähigen, etwas zu dominieren, zu verändern, zu gebrauchen oder allenfalls auch zu zerstören (vgl. Foucault 1987: 251). Macht wird hier als ein Recht betrachtet, sie ist Eigentum und bildet ein „einheitliches System mit einem Zentrum“, das eine innere Dynamik zur ständigen Ausdehnung aufweist (vgl. Deleuze 1992: 40). In der einschlägigen internationalen Stadtforschung zeigen sich die vielfältigen Praktiken eines autoritären Urbanismus’ als staatliche Unterdrückung und äußeren Zwang sowie als die nackte Gewalt eines behördlichen Durchgreifens (Can/Fanton Ribeiro da Silva 2023; Koch 2022). Dieser Typus von Macht richtet Schranken auf und grenzt Menschen aus (Foucault 1983: 85).

Autoritärer Urbanismus entfaltet sich aber nicht nur in diesem Zuschnitt einer Souveränitätsmacht (Sennett 2008). Die neoliberal konfigurierte Urban Governance operiert viel ambivalenter, diffuser, gar amorph. Sie kommt auch ohne die „groben“ Mittel einer Zwangsgewalt aus (Popitz 1992: 109) und kann zum Beispiel Formen einer präventiven oder administrativen Maßnahme annehmen, etwa zum Schutz neoliberaler Investitionspolitiken (vgl. Tansel 2017; Bruff 2014: 123). Die Anwendung von physischer Gewalt ist „nicht etwa das normale oder einzige Mittel des Staates“, stellt auch Max Weber (1992: 6) fest, sondern „überall die ultima ratio, wenn andre Mittel versagen“ (ebd.). Seit dem römischen Recht weist Autorität zweierlei Ausprägungen auf. Sie kann im Sinne der potestas eine Wirkungskraft oder Herrschaft qua Zwangsgewalt meinen, die bisweilen auch als ungehemmte Durchsetzung eines nicht begründeten, nicht anerkannten und damit auch nicht legitimierten Autoritätsanspruchs in Erscheinung treten kann (Butler 2005). Im Falle der auctoritas kommt Autorität wiederum ohne Zwangsgewalt aus und beruht auf Einsicht, Anerkennung oder Gehorsam der Unterworfenen oder Beherrschten (Popitz 1992: 109 ff.; Weber 1980: 544). So wenden SKOD soziokommunikative Techniken der „moralische[n] Regulation von Verhalten“ (Krasmann 2003: 115) an, die von einer sanften Einflussnahme wie dem „Nudging“ bis hin zum Drohen mit der Polizei reichen können (Bröckling 2018; vgl. Piñeiro/Pasche/Locher 2023, 2021 zur „‚Care-Seite‘ der Repression“). In dialogisch anmutenden Gesprächen vor Ort wird auf Regeln hingewiesen, Kooperationsbereitschaft eingefordert oder auf die „individuellen Selbstführungskapazitäten“ (Rund 2015: 62) stimulierend eingewirkt – ein Modus des gouvernementalen Regierens von Menschen (Foucault 2006; Butler 2005), der sich mit Foucault (1987: 255) treffend als „Führung der [Selbst-]Führungen“ fassen lässt (vgl. Rosol 2013; Füller/Marquardt 2010; Dean 2002). Es liegt folglich nahe, autoritären Urbanismus nicht a priori als einseitige Akzentuierung von staatlicher Gewalt im Sinne der potestas zu denken, sondern ihn als Kontinuum von harter staatlicher Gewalt und weichen Regierungsformen zu analysieren (vgl. Can/Fanton Ribeiro da Silva 2023; Ergenc/Yuksekkaya 2022; Piñeiro/Koch/Pasche 2021).

Legitimation staatlicher Eingriffe

In beiden Autoritätskonstellationen, sowohl als gewaltförmige potestas wie auch als zwanglose auctoritas, spielt die Legitimität einer staatlichen Praxis eine wesentliche Rolle. Auch im Falle der willkürlichen ungehemmten Gewaltanwendung im Zeichen der auctoritas definiert sich der autoritäre Eingriff mitunter über ein Fehlen oder bewusstes Negieren seiner legitimatorischen Fundierung (Glasius 2018). Dieser despotischen Gewalt steht mit Weber das staatliche „Monopol legitimen physischen Zwangs für die Durchsetzung der Ordnung“ (Weber 1980: 29; Herv. i. O.) gegenüber. Was der Staat monopolisiert, ist nicht etwa die Anwendung von Zwang oder Gewalt, sondern die Legitimität, Zwang oder Gewalt rechtmäßig auszuüben (vgl. Anter 2001: 124). Pierre Bourdieu (1998: 109) spricht hier von einer „Konzentration des symbolischen Kapitals der anerkannten Autorität“. Mit Blick auf autoritären Urbanismus interessiert deshalb die Frage nach der Legitimität einer autoritären Praxis, nach den „Legitimationsgründe[n]“ (Weber 1992: 124) und insoweit nach den „inneren Rechtfertigungen“ (ebd.: 8) eines autoritären Eingriffs: Welche Strukturen, Taktiken und Kalküle lassen die „Freiheitseinschränkungen legitim erscheinen“ (Krasmann/Opitz 2007: 139)? Wie sichert sich eine autoritäre Praxis legitimatorisch ab und worauf stützt sie sich dabei?

Begreifen wir autoritären Urbanismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen einer Souveränitätsmacht, so ist hier ein juridischer Mechanismus am Werk: Es geht darum, „ein Gesetz zu erlassen“, „ein Strafmaß festzusetzen“ (Foucault 2006: 19). Als wesentliches Merkmal einer autoritären Praxis zeigt sich hier der Zusammenhang von Recht und Legitimität. Dem „Postulat der Legalität“ zufolge drückt sich die Macht des Staates im Gesetz aus (Deleuze 1992: 45) – Legitimität qua Legalität, auf Basis der „Geltung legaler Satzung“ also (Weber 1992: 8; Herv. i. O.). Gesetzlose Souveränitätsmacht ist folglich despotisch. Wiederum aber kann das Gesetz auch illegitime autoritäre Maßnahmen rechtfertigen – insoweit Recht taktisch für partikulare Ziele und Herrschaftsinteressen eingesetzt und dem kritischen bzw. demokratischen Dialog entzogen wird (Can/Fanton Ribeiro da Silva 2023; Glasius 2018).

Inwieweit lässt sich nun das Instrument der polizeilichen Wegweisung als eine Praxis des autoritären Urbanismus begreifen?

3. Autoritärer Urbanismus als taktisches Verhältnis zum Recht: Praxis der polizeilichen Wegweisung

In der Schweiz verfügt die Polizei schon länger über die Kompetenz, Personen aus bestimmten Zonen oder Gebieten auszuschließen. Allerdings konnten territoriale Wegweisungen vor Mitte der 1990er-Jahre nur sehr eingeschränkt angeordnet werden; etwa dann, wenn eine wegzuweisende Person in Katastrophensituationen gefährdet war oder bei Behinderung von Einsatzkräften oder der Polizei (Moeckli/Keller 2012). Die Möglichkeit, auch allgemeiner, bei Vorliegen einer Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Aufenthaltsverbote auszusprechen und Wegweisungen durchzusetzen, wurde erstmals 1997 im Kanton Bern geschaffen. Bis Mitte der 2000er-Jahre verfügten dann die meisten Kantone über weitreichende Befugnisse, um Bürgerinnen und Bürger – gestützt auf kantonale Polizeigesetze – aus öffentlichen Räumen auszuschließen (vgl. ebd.; Gasser 2003; Piñeiro/Locher/Pasche. 2021). Inzwischen hat sich die polizeiliche Wegweisung zur Standartmaßnahme bei der Kontrolle und Regulierung des öffentlichen Raumes entwickelt (Moeckli 2016: 95). Richtete sie sich anfänglich noch hauptsächlich gegen die offene Drogenszene und gegen Alkoholabhängige im öffentlichen Raum, so wurde die Zielgruppe sukzessive auf weitere sozial marginalisierte Personen und Gruppen ausgeweitet. Gegenwärtig findet das Instrument bei einer breiteren Population von etikettierten „Außenseiter_innen“, „Randständigen“ oder „Randalierer_innen“ Anwendung, deren Präsenz bei Passant_innen Anstoß erregen, die Quartierbevölkerung verunsichern oder (diffuse) Angstgefühle auslösen: neben „Drogensüchtigen“ und „Alkoholiker_innen“ auch „aggressiv Bettelnde“, „Obdachlose“, „Punks“ oder Jugendliche, die in der Öffentlichkeit „exzessiv feiern, lärmen oder littern“ (Litscher et al. 2012: 97-117).

Nexus von Recht und Gewalt

Auf Anhieb fällt der repressive Charakter des polizeilichen Eingriffs auf. Mit der Wegweisung wird nicht versucht, durch Appelle an normative Standards oder die Vermittlung moralischer Werte Verhaltensänderungen herbeizuführen. Die Polizei erteilt lediglich den Befehl, sich von bestimmten Orten fernzuhalten; sie verbietet die Anwesenheit und verpflichtet zu räumlicher Abstinenz. Katherine Beckett und Steve Herbert (2010) wie auch Bernd Belina (2007) fassen solche Praktiken der räumlichen Ausgrenzung mit dem Begriff des „Banishment“ (Verbannung). Betont wird damit eine territoriale Qualität der Maßnahme, mit der man ausgewählte Personen von bestimmten geographischen Orten entfernt; weiter auch die zentrale und offenkundige Rolle von staatlicher Zwangsgewalt, die durch offizielle Erlasse herbeigeführt wird. Dem Recht kommt entscheidende Bedeutung zu (Butler 2005), wird doch in liberal-demokratischen Rechtsstaaten (so auch in der Schweiz) davon ausgegangen, dass das polizeiliche Handeln an Gesetze gebunden ist (Mohler 2012: 272; Pichl 2018). Erst das Recht (Polizeigesetze; Strafrecht u. a.) autorisiert die Polizei zu einer rechtmäßigen Verbannung aus Zonen, wenn nötig auch mit physischer Gewalt. Die „Gewaltlizenz“ (Herrnkind/Scheerer 2003) der Polizei und ihr hierarchisch-repressives Machtverhältnis der Über- und Unterordnung folgen dem „Postulat der Legalität“ (Deleuze 1992: 45). In Gestalt einer solchen „Gesetzes-Macht“ (Foucault 1983: 84) behauptet sich die polizeiliche Wegweisung als eine legitime Staatspraxis: Legitimität qua Legalität also – umso mehr, als die Wegweisung verschiedene Grundrechte wie die Bewegungs- oder Versammlungsfreiheit tangiert und der polizeiliche Eingriff rechtsstaatlich gesehen stets auf das Erforderliche zu beschränken ist (Moeckli 2016: 134 ff.; Mohler 2012: 47 ff.).

Viele Verhaltensweisen, die als Störung der öffentlichen Ordnung wahrgenommen werden, sind aber nicht per se illegal. Vielmehr verstoßen diese „undramatischen Alltagsphänomene“ (Wurtzbacher 2008: 156) gegen die Erwartungen der Bevölkerung, der Gemeinschaft oder Nachbarschaft an ein angemessenes oder ordentliches Verhalten (Thacher 2014; vgl. für den Schweizer Kontext Mohler 2012: 38 ff.). In den alltäglichen, lebensweltlich geprägten öffentlichen Nah-, Freizeit- oder Erholungsräumen der Menschen, die den urbanen Raum bevölkern, bleibt es häufig schwierig zu bestimmen, was als ordnungswidriges Verhalten gelten kann. Die Verhaltensregeln präsentieren sich unscharf, sie sind variabel, interpretationsbedürftig und bleiben meist auch implizit (Thacher 2014: 137). Häufig besteht kein Konsens darüber, was stört und welches Verhalten problematisch ist – und wie (repressiv oder liberal) damit umgegangen werden soll (Skogan 1990).

Für die große Mehrheit der geringfügigen Vergehen, zwischenmenschlichen Konflikte und einer ganzen Reihe von incivilities und Bagatelldelikten scheint die volle Autorität der strafrechtlich agierenden Polizei weder geeignet noch unbedenklich zu sein (Moeckli 2016; Matthews 1992). Zum einen erscheint das Strafrecht aufgrund der hier gültigen formalen Verfahrens-, Berufungs- und Überprüfungsstandards (Verfahrensrechte, Rechtsschutzmöglichkeiten, Überprüfungen durch richterliche Behörden etc.) zu umständlich, um soziale Störungen und sozialräumliche Ordnungswidrigkeiten im öffentlichen Raum ad hoc anzugehen (Moeckli/Keller 2012: 18). Zum anderen ist das Strafgesetz retrospektiv, auf bereits erfolgtes Vergehen ausgerichtet. Der Ausschluss von Personen aus öffentlichen Räumen erfolgt aber meist in präventiver Absicht, damit sich diese künftig nicht mehr an einem bestimmten Ort aufhalten oder sich nicht mehr störend verhalten (Moeckli 2016: 103).

So kommt die polizeiliche Wegweisung als präventive Maßnahme des order maintenance policing nicht primär als strafrechtliche, sondern als verwaltungsrechtliche Maßnahme zur Anwendung (Moeckli/Keller 2012; vgl. z. B. Art. 84 Abs. 1 PolG Bern). Erst bei schwerwiegenden Fällen wird sie strafrechtlich angeordnet (bei wiederholter Wegweisung, bei Missachtung einer Wegweisung; vgl. etwa Art. 42a Abs. 3 PolG Basel-Stadt). Mit Adam Crawford (2008: 778 f.)[5] lässt sich hier von einem zweistufigen Verbotsverfahren („two-step prohibitions“) sprechen: Eine erste verwaltungsrechtliche Anordnung wird von einer nachgelagerten zweiten strafrechtlichen Sanktion unterstützt. Als Straftat gilt dann erst die Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Gebots.

Strukturelles Legitimationsdefizit

Auch wenn die Polizei wie keine andere Institution das staatliche Monopol der legitimen physischen Gewalt verkörpert, bleibt die Verknüpfung von Recht und Gewalt bei der polizeilichen Wegweisung grundsätzlich prekär. Bereits auf Ebene der Polizeigesetze zeigt sich, dass der Anwendungsbereich der polizeilichen Wegweisung in den meisten Kantonen offen und recht vage umschrieben wird: In Bern kann der territoriale Ausschluss anberaumt werden, wenn zum Beispiel „Dritte erheblich belästigt oder gefährdet werden“ (Art. 83 Bst. b PolG Bern). Das Polizeigesetz des Kantons Graubünden wiederum autorisiert die Polizei, „zur Wahrung der Sicherheit und Ordnung sowie zur Gefahrenabwehr ereignisbezogen die notwendigen Massnahmen an[zu]ordnen“ (Art. 12 Abs. 1 PolG Graubünden). Bereits das Herumstehen, „ungehöriges“ Benehmen oder das Herumliegenlassen von Abfällen können Anlass zu einer Wegweisung geben (vgl. Litscher 2017: 131 ff.). Die Polizei kann diese in schriftlicher Form verfügen oder auch lediglich mündlich anordnen. Im Kanton Genf beispielsweise kann die Polizei Personen bis zu 24 Stunden mündlich wegweisen, bis zu drei Monaten jedoch nur in schriftlicher Form (Art. 53 Abs. 2 LPol Genève). Überhaupt ist die maximale Dauer einer Wegweisung in der Schweiz je nach Kanton sehr unterschiedlich geregelt: Einige Kantone sehen gar keine zeitliche Obergrenze vor, in anderen wird diese in den entsprechenden Gesetzen sehr offen mit „vorübergehend“ umschrieben (Moeckli/Keller 2012: 7). Während gewisse Kantone eine enge Definition des betroffenen geographischen Bereichs vornehmen, kann der Ausschluss in anderen Kantonen weite Gebiete (Quartiere) oder das ganze Territorium einer Stadt umfassen (Moeckli 2016: 110).

Die unterschiedlichen und offenen Regelungen in den Polizeigesetzen zeigen, dass die polizeiliche Wegweisung mit großen Ermessensbefugnissen einhergeht und so angelegt ist, dass sie mit einem Minimum an rechtlichen Beschränkungen funktioniert (Moeckli 2016: 197). Die kantonalen Polizeigesetze überlassen die Umsetzung und situative Übersetzung des geltenden Rechts weitgehend der Polizei. Eine solche Zunahme von erheblichen Ermessensspielräumen und Entscheidungsbefugnissen eröffnet der Polizei als eigentliche Exekutivbehörde ein quasi-judikatives Aktionsfeld. In zahllosen Situationen ist sie gefordert, Recht fallspezifisch anzuwenden und zu interpretieren (Feth 2016: 91 ff.; Valverde 2008). Als Street-level bureaucracy (Lipsky 2010) begibt sie sich oftmals in unübersichtliche „soziale Gemengelagen vor Ort“ (Scheffer et al. 2017: 21) und wird in dynamische Handlungssituationen mit offenem Ausgang verwickelt. Die Polizei muss an der Front situativ flexibel reagieren und häufig auch ohne klare Rechtslage zeitnah handeln und entscheiden (Piñeiro/Koch/Pasche 2021; Pichl 2018: 111; Howe 2016). Sie nutzt die „Lücken des Rechtes aus“, „füllt diese mit ihren eigenen Zwecken“ und „verhüllt“ ihre Zwecke „praktisch mit den Worten des Rechts“ (Pichl 2014: 265). Auch bei ihrer Wegweisungspraxis unterhält die Polizei ein taktisches Verhältnis zum Recht. Walter Benjamin (2015) hatte bereits die Ununterscheidbarkeit einer rechtsetzenden und rechtserhaltenden Gewalt im polizeilichen Handeln grundsätzlich kritisiert und damit die Legitimität polizeilicher Gewalt gründlich erschüttert (Loick 2012: 181 ff.; Krasmann/Opitz 2007: 144 ff.). Ausgerechnet bei ihr erscheint die Trennung der staatlichen Gewalten suspendiert. Dieser Kritik polizeilicher Gewalt wird in liberalen Demokratien mit rechtlicher Kontrolle unter Verweis auf geltende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit begegnet, mit einer prozeduralen Umhegung des polizeilichen Handelns, die dem polizeilichen Eingriff Legitimität verleiht. Gerade in dieser Hinsicht kritisiert Daniel Moeckli (2016: 198) die polizeiliche Wegweisung: die mangelhaften Rechtsschutzmöglichkeiten, das geringe Maß an ordnungsgemäßem Verfahrensschutz für Betroffene, die der Rechtsstaat bei hoheitlichen Eingriffen eigentlich gewährleisten müsste.[6]

Im Falle der polizeilichen Wegweisung treffen wir auf einen autoritären Urbanismus, der sich dem polizeilichen Legalitätsprinzip folgend als kohärentes Verhältnis von Recht und hoheitsstaatlicher Gewalt zu erkennen gibt: Die polizeilich angeordnete Wegweisung wird also qua „Geltung legaler Satzung“ (Weber 1992: 8; Herv. i. O.) als ein legitimer Eingriff inszeniert. Allerdings zeigt die Analyse, dass das Instrument rechtlich ungenügend präzise verankert ist und der Polizei große Handlungsräume eröffnet, in denen sie ohne hinreichende rechtliche Kontrolle agieren kann (Pichl 2018: 114). Damit wird die Polizei nicht nur zur Agentin des Rechts, sondern potenziell auch des „Rechtsbruchs“ (Loick 2012: 183). Möglich wird dies insbesondere dadurch, dass der Polizei – gestützt auf Polizeigesetze – die Möglichkeit eingeräumt wird, „sich im Rahmen des Rechts zu entgrenzen“ (Pichl 2014: 263). Fernab von Parlaments- oder Gerichtsbeschlüssen entscheidet sie weitgehend autonom, wann und wie die Wegweisung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zur Anwendung gebracht wird.

4. Autoritärer Urbanismus unterhalb des Rechts: Wegweisungspraxis der Sozialpräventiven Kommunalen Ordnungsdienste (SKOD)

In den letzten 20 Jahren bildete sich ein eigenes organisationales Feld von nichtpolizeilichen Ordnungsdiensten heraus, die sich auf eine soziokommunikative Bearbeitung individueller oder gruppenbezogener Ordnungsstörungen im öffentlichen Raum spezialisierten (vgl. Gasser 2003; Litscher et al. 2012). Es handelt sich dabei um staatliche Organisationen, die formal in Kommunalverwaltungen eingebunden und in der Regel entweder dem Sozial-, Gesundheits- oder Sicherheitsdepartement unterstellt sind. Die unterschiedlich großen SKOD (von 3 bis zu 60 Mitarbeitenden) operieren uniformiert im öffentlichen Raum (z. B. mit Gilets/Westen oder T-Shirts mit grellem Aufdruck). Ähnlich der Polizei richtet sich das order maintenance policing dieser nichtpolizeilichen Dienste auf eine Vielfalt von unerwünschten Verhaltensweisen, die in einer öffentlich-räumlichen Dimension in Erscheinung treten. Die SKOD identifizieren mehrheitlich strafrechtlich irrelevante disorder-Phänomene, incivilities oder „Anti-social Behaviour“ (Piñeiro/Pasche/Locher 2023). Mit ihrem sozialen Profiling orten sie Personen, die „negativ auffallen“ oder „stören“, um sie wegzuweisen, an andere Orte oder soziale Einrichtungen zu verweisen, wo sie toleriert werden (z. B. Konsumräume, niederschwellige soziale Treffpunkte), oder um sie kurzerhand wegzubringen (z. B. in ihre Wohnung begleiten, gleich mit dem Dienstwagen in die Notschlafstellen oder auf den Polizeiposten fahren). SKOD operieren mit einer weitreichenden Auftragsoffenheit und großem Ermessen: Ihr Mandat ist oftmals ohne klare Nennung von konkreten Aufgaben formuliert und erlaubt dadurch eine rasche Anpassung an Situationen und aktuelle Herausforderungen.

Während sich mit der Polizei eine rechtlich verankerte Eingriffs­autorität ankündigt (Herrnkind/Scheerer 2003), die über hoheitliche Sicherheits- und Ordnungskompetenzen des Überwachens und repressiven Eingreifens verfügt, kommt mit den SKOD eine weniger hierarchische, weichere Mächtigkeit der Staatsverwaltung ins Spiel, die ihr Handeln nicht auf Basis eines Legalitätsprinzips zu legitimieren versucht. Gibt sich die Polizei in ihrem repressiven Einsatz (Wegweisung) als Gesetzes-Macht zu erkennen, so zeigt unsere Forschung, wie SKOD auf einer administrativen Ebene überwachen und intervenieren, quasi „unterhalb der Schwelle hoheitlicher Zuständigkeiten“ einer formellen Eingriffsautorität (Wurtzbacher 2003: 113; vgl. Scheffer et al. 2017: 26). Mit den SKOD setzt der Regulationsstaat auf taktische Kalküle des informellen Anreizens und Forderns. Auch wenn die SKOD sozialpräventiv angelegt und nicht auf Strafverfolgung und Bestrafung aus sind, präsentieren sie sich gleichwohl als staatliche Autoritäten (behördliche Einbettung, staatliche Embleme/Uniform, regulatorischer Auftrag in der Öffentlichkeit). Ihr hierarchischer Anspruch bleibt dabei diffus, ihr Soft Policing und ihre Wegweisungspraxis in rechtlicher Hinsicht amorph. Dieses soziotechnologische Format von „Verwaltungsmacht“ (Butler 2005: 81) ist „nicht auf das Recht reduzierbar“ (ebd.: 74); ihre Praktiken und Aktionen entziehen sich einer legitimatorischen Einhegung und Kontrolle qua Recht.

Typen sozialpräventiver Ordnungsdienste

Im Rahmen unseres Forschungsprojektes rekonstruierten wir drei verschiedene SKOD-Typen, die auf unterschiedliche öffentliche Ordnungsprobleme, geographische Kontexte und regulatorische Maßnahmen spezialisiert sind: Der Typus des fürsorgerischen Ordnungsdienstes ist in der Schweiz am weitesten verbreitet. Er konzentriert sich auf Individuen, die im öffentlichen Raum wahrgenommen werden. Der Dienst wird von der Wohnbevölkerung oder von Geschäften kontaktiert, wenn jemand durch „lästiges“, „aufdringliches“ oder „aggressives“ Verhalten „auffällt“, und auch, wenn Handlungen oder der psychische Zustand einer Person Anlass zu subjektiver Unsicherheit oder Sorge geben. Adressiert werden auch Gruppen von Jugendlichen, deren Lärm, Abfall oder Vandalismus die Anwohner_innenschaft stört. Situationen und Vorfälle werden unter dem Blickwinkel sozialer Probleme betrachtet, die sich sozialräumlich verfestigen können. Der SKOD ist „dazu da, die Spitze des Eisbergs zu brechen“, meint eine Stellenleiterin und bezeichnet den Dienst als „Care-Team für soziale Notfälle“ (Stellenleiterin SKOD 5). Fürsorgerische SKOD suchen den Kontakt zu ihrem Gegenüber und versuchen eine Beziehung aufzubauen, die zur „Mithilfe“ (Stellenleiterin SKOD 5) animieren soll. Die Dienste beschreiben sich als „aufsuchende Sozialarbeit“ (öffentliche Dokumente SKOD 1 und SKOD 2/14) und agieren als präventive „mobile Interventionsgruppen“, die eine Art „professionalisierte Zivilcourage“ (Stellenleiter SKOD 7) darstellen. Sie weisen auf Verhaltensregeln und Konsumrisiken hin und fordern zuweilen auch Personen auf, bestimmte Zonen zu verlassen, „vernetzen“ diese in „passendere“ Räume (Notschlafstellen, soziale Tagesstätten, medizinische Organisationen) oder begleiten sie nach Hause. Hier kommt eine soziomoralische Taktik der Wegweisung zur Anwendung, die auf Basis von Einsicht oder moralischem Druck operiert; allenfalls wird auch mit dem Hinzuziehen der Polizei gedroht. Die Dienste geben sich sozial und hilfsbereit, agieren aber in einem „raumanwaltschaftlich[en]“ (Stellenleiter SKOD 2) Sinne regulatorisch. Sie „helfen, dass es nicht zum Polizeieinsatz kommt“ (Stellenleiterin SKOD 5), und arbeiten dennoch eng mit der Polizei zusammen: SKOD werden von der Polizei einbezogen, um soziale oder mediative Aufgaben zu übernehmen (bspw. bei Lärmklagen oder wenn eine soziale oder gesundheitliche Abklärung ansteht); SKOD wiederum involvieren die Polizei bei Bedarf (Abklärung von Personendaten, bei aufenthaltsrechtlichen Unklarheiten; vgl. Piñeiro/Locher/Pasche 2021; Piñeiro/Pasche/Locher 2023).

Der kommunalrechtliche Ordnungsdienst konzentriert sich auf die situative Bearbeitung geringfügiger Rechtsverstöße wie die Missachtung von Fahrradfahrverboten oder der Leinenpflicht für Hunde, bei Littering und Lärm, Grillbenutzung mit Rauchentwicklung, „Wildpinkeln“ oder falsches Parken von Kleinfahrzeugen (Fahrräder, Trottinetts/Roller). Diese „strafrechtlich nicht relevanten Störungen“ (politisches Dokument SKOD 3) werden lediglich kommunikativ bearbeitet, dies im präventiven Sinne eines „Erteilens kompetenter Auskunft zu geltenden Gesetzen und Regelungen“ (politisches Dokument SKOD 8). Nicht die Wegweisung einer Person aus einer bestimmten Zone, sondern die Zurechtweisung bei einem Fehlverhalten steht hier im Vordergrund. Statt mit Buße oder Anzeige zu strafen, wird auf das geltende Recht aufmerksam gemacht und verbal auf die Übertretung hingewiesen; statt gleich die Polizei herbeizurufen, wird auf Verbotstafeln oder Lautsprecherregelungen im öffentlichen Raum hingewiesen. Das Aufgabenprofil ist primär sicherheitstechnisch angelegt (z. B. Vermeidung von Unfallgefahren durch Fahrradfahrende in Fußgänger_innenzonen), die Praxis auf die Herstellung eines „Wunschzustand[es] der Konformität mit den geltenden behördlichen Normen und Regelungen für den öffentlichen Raum“ (politisches Dokument SKOD 8) ausgerichtet. Die Dienste orientieren sich am Modell der Gemeindepolizei und sind organisational stark polizeilich geprägt. So treten sie etwa in Ganzkörperuniform und mit Pfefferspray zum Selbstschutz auf. Auch die internen Hierarchiestufen ähneln der Polizei.

Für die Implementierung des nachbarschaftlichen Ordnungsdienstes bildet die politische Konstruktion sozial prekarisierter, gefährlicher Wohnsektoren in urbanen Agglomerationsgemeinden eine zentrale Legitimationsfolie. Die Mitarbeitenden operieren im öffentlichen Wohnumfeld verdichteter Wohnsiedlungen, die politisch und medial als „sensible Zone“ (SKOD 13) oder als „Problemquartier“ (SKOD 12) markiert werden. Die Erhöhung der „subjektiven Sicherheit“ (Webseite SKOD 16) bildet ein zentrales Ziel dieser SKOD, die sich als „soziale Wache im Quartier“ (internes Dokument SKOD 10) verstehen. Adressiert werden die „Bewohner“ (Mitarbeiter SKOD 10) dieser Wohngebiete, vor allem Jugendliche oder junge Erwachsene, die sich in Gruppen öffentlich zugängliche Siedlungsräume aneignen. Die SKOD erhalten häufig Anrufe von Anwohner_innen, die sich von ihnen gestört oder verängstigt fühlen. Problematisierte Individuen oder Gruppen können aber nicht weggewiesen werden, leben sie doch in diesen Wohngebieten. Entsprechend spezialisierten sich die Dienste auf ein Mikromanagement der Selbst-In/Exklusion von Individuen und Gruppen (Piñeiro/Pasche/Locher 2023). Statt sie wegzuweisen, wirken sie auf eine räumliche Verstetigung in ausgewählten Zonen innerhalb des Siedlungsgebiets hin, in denen sie toleriert werden – womit sie sich uno actu aus anderen Zonen des öffentlichen Wohnumfeldes selbst exkludieren. Mit Jugendlichen wie auch mit der Anwohner_innenschaft führen sie lockere Gespräche und appellieren bei konkreten Klagen an die Einhaltung gemeinschaftlicher Regeln (z. B. Lärmpegel senken oder Abfall entsorgen). Weitere Kernaufgaben beziehen sich auf die Lösung von „Nachbarschaftskonflikten“ (SKOD 13) und auf „Friedensstiftung“ (Leiterin SKOD 16): „Wir sind für alles da, was nachbarschaftliche Probleme betrifft: unziviles Verhalten, Sachbeschädigung, Sittenzerfall, Schlägereien“ (Mitarbeiter SKOD 10). Patrouilliert wird im gut sichtbaren „Tenue“ (Mitarbeiter SKOD 10; „Uniform“, Anm. d. A.): „Man kann uns von Weitem erkennen“ (Mitarbeiter SKOD 10), was den Mitarbeitenden zufolge bereits eine präventive, deeskalierende Wirkung habe. Die physische Präsenz der SKOD signalisiert potenziellen „Störer_innen“, dass der öffentliche Raum überwacht wird. Gleichzeitig trägt sie zur Beruhigung von Anwohner_innen bei, die sich nachts unsicher fühlen – ohne gleich „ein bewaffneter Ninja zu sein“ (Mitarbeiterin SKOD 13).

Legitimatorischer Schatten der Polizei

Alle drei SKOD-Typen bearbeiten unerwünschtes Problemverhalten als sozialräumliches Risiko, um diesem proaktiv vorzubeugen (vgl. dazu Groenemeyer 2015; Thacher 2014; Füller/Marquardt 2010). Mit Überwachungstechniken (Monitoring sozialer Problemräume; gezielte Inspektion von Infrastrukturanlagen) und personenbezogen Interventionen (flüchtiges Grüßen, intensivere Gespräche, Beziehungspflege) lassen sich ihnen zufolge Problem- und Risikoverhalten scheinbar frühzeitig erkennen, rechtzeitig einschätzen und präventiv angehen. Dabei geben sich SKOD gemeinde- und bürgernah, (vordergründig) offen und verhandlungsbereit. Sie bauen auf die Einsicht, Überzeugung und Fügsamkeit der adressierten zivilen Personen. Die soziale bzw. sozialräumliche Dimension wird zum Ausgangspunkt ihrer regulatorischen Aktionen: Nicht hoheitlich angeordnete Platzverweise oder Aufenthaltsverbote kommen hier zum Zug, sondern eine soziokommunikative Bearbeitung von ordnungswidrigem Verhalten und mangelndem Bewusstsein im Rahmen von persönlichen Begegnungen und Interaktionen vor Ort. Diese staatlichen Organisationen operieren mit einem Ensemble diffuser, informeller Taktiken des Soft Policing und der Lenkung von Menschen, mit denen sich ordnungspolitische Erwartungen „sanfter“ erreichen lassen (Bröckling 2018; Krasmann 2003; Wurtzbacher 2008). Verfolgt wird damit aber letztlich eine pragmatische „‚Unsichtbarmachung‘ missliebiger Personen“ (Ziegler 2019: 667) bzw. von negativen Effekten eines bestimmten (Risiko-)Verhaltens von (Risiko-)Populationen (Groenemeyer 2015).

Auch wenn diese Dienste selbst nicht mit einem hoheitlichen Eingriffsmandat ausgestattet sind, aktualisieren sie mit ihrer Soft Policing Praxis dennoch einen sozialräumlichen Regulierungsanspruch, über den sie nicht im eigentlichen Sinne verfügen – eine parahoheitliche, aber gesetzlose Eingriffskompetenz, die in Form von gouvernementalen Taktiken des Regierens Gestalt annimmt. Als staatliche Einrichtungen operieren SKOD nämlich mit informeller Verhaltensbeeinflussung und moralischem Druck und halten gleichzeitig jenen rechtlich-formellen Eingriff als Drohmoment wach, der die hoheitlich agierende Polizei (qua Legalität) auszeichnet. Der staatliche Autoritätsanspruch der SKOD vitalisiert sich aus dem Umstand, dass sich mit ihnen auch jene hoheitliche Eingriffsmacht der Polizei ankündigt, die „ultima ratio“ zur Anwendung kommen wird, „wenn andre Mittel versagen“ (Weber 1992: 6). Die nichtpolizeilichen SKOD instrumentalisieren diese hoheitliche Eingriffsmacht der Polizei – meistens symbolisch über die eigenen staatlichen Embleme wie Uniform und offizielle Logos der Staatsverwaltung, die ihre Nähe oder mögliche Konvergenz zur Eingriffsautorität der Polizei anzeigen; häufig aber auch ganz pragmatisch, wenn mit dem Hinzuziehen der Polizei gedroht wird oder mit ihr an Ort und Stelle eng kooperiert wird. Als staatliche Einrichtungen der öffentlich-räumlichen Regulation bleiben SKOD mit jener Gesetzes-Macht symbolisch und praktisch verbunden, die die Eingriffsautorität des hoheitlich agierenden Staates auszeichnet. Die SKOD operieren im „Schatten der [hoheitlichen] Hierarchie“ (Töller 2008), insofern sie dem zwangsförmig-repressiven Eingriff der Polizei vor-, neben- oder nachgelagert sind und diesen (als staatliche Akteure) gleichzeigt anzeigen und zuweilen auch explizit ankündigen oder veranlassen. Obwohl nicht mit hoheitlichen Kompetenzen ausgestattet, „verfügen“ sie durch diese Nähe zur und Identifikation mit der Polizei mittelbar über solche: Potenziell kann die nichtpolizeiliche Intervention der SKOD immer und unvermittelt in eine polizeiliche umschlagen, was für die zivile Bevölkerung unberechenbar bleibt (Piñeiro/Locher/Pasche 2021). Das erinnert an das von Crawford (2008: 778 f.) herausgestellte zweistufige Verbotsverfahren. Im Falle der SKOD wirkt der (symbolisierte, aufgeschobene, realisierte) polizeiliche Eingriff aber gleichsam als gouvernementale Taktik der Wegweisung, die erst durch diesen polizeilichen Schatten gepowert an Autorität gewinnt.

Hier haben wir es mit einem autoritären Urbanismus zu tun, der sich jenseits der „Geltung legaler Satzung“ (Weber 1992: 8; Herv. i. O.) vollzieht, dennoch aber auf Basis ihrer Nähe zur hoheitlich agierenden Polizei wirksam wird. Damit eröffnen sich den SKOD große Handlungsräume, in denen sie ohne hinreichende rechtliche Kontrolle und Rechtsschutzmöglichkeiten für Betroffene agieren können – was deshalb möglich wird, weil die SKOD sich sozial, hilfsbereit geben und mit weichen, kommunikativen Methoden operieren. Die SKOD verkörpern einen illegitimen Autoritätsanspruch, der den darauf bezogenen regulatorisch eingreifenden Staat intransparent werden lässt (vgl. Bruff/Tansel 2019; Glasius 2018; Di Giovanni 2017: 111).

5. Fazit

Autoritärer Urbanismus ist ein Phänomen, das sich nicht nur in autokratisch regierten Staaten oder autoritären politischen Regimen identifizieren lässt. Als staatlich organisierte Urban-Governance-Praxis ist er auch in liberal-demokratischen Rechtsstaaten wie der Schweiz zu beobachten. Sowohl die polizeiliche Wegweisung als auch die Regulierungs- und Wegweisungspraxis der SKOD lassen sich mit dem Begriff des autoritären Urbanismus analytisch fassen. Polizei und SKOD operieren als staatliche Autoritäten mit der Berechtigung „zu sagen, was für die soziale Welt als Ganzes gut ist, was offiziell anerkannt ist, und Worte zu äußern, die in Wahrheit Befehle sind, weil sie die Kraft des Offiziellen im Rücken haben“ (Bourdieu 2014: 70). Anders als die Polizei aber, verfügen SKOD bei der Durchsetzung der Ordnung über kein hoheitliches Mandat und über keine Gewaltlizenz. Für ihr Soft Policing scheinen sie die „Geltung legaler Satzung“ (Weber 1992: 8; Herv. i. O.) auch nicht zu benötigen: Ordnet die Polizei Wegweisungen qua Polizeirecht an, so operieren die SKOD mit einem „Maß an sozialer Geschmeidigkeit bei gelegentlicher Autoritätsanrufung“ (Scheffer et al. 2017: 16; vgl. Piñeiro/Pasche/Locher 2021), die ohne eine umständliche Rechtsverankerung und ohne rechtliche Absicherungen ihres regulatorischen Handelns auszukommen scheint. In diesem extralegalen Aktionsfeld stellt sich weder die Frage nach einer rechtsstaatlichen Einhegung, noch wird die Legitimität und Reichweite ihrer Autorität zum Gegenstand einer verfahrensmäßigen judikativen Kontrolle. Im Schatten der Polizei verfügen die SKOD über eine gesetzlose parahoheitliche Eingriffskompetenz, die im Rahmen ihrer Soft-Power-Praxis zum Tragen kommt.

Demgegenüber inszeniert sich die Polizei mit ihrer repressiven Wegweisungspraxis als legitimes Autoritätsverhältnis qua Recht. Demnach wird die unmittelbare Anwendung von Zwang als polizeirechtlich fundierter hoheitlicher Eingriff vollzogen. Allerdings unterhält die Polizei mit ihrer Wegweisungspraxis ein taktisches Verhältnis zum Recht. Damit bewegt sie sich in einer legitimatorischen Grauzone, die rechtsstaatlich nicht ausreichend eingehegt und abgesichert werden kann. Die SKOD wiederum operieren unterhalb einer hoheitlichen Schwelle, die die Eingriffsautorität des Staates kaum mehr greifbar werden lässt. Die analysierten Beispiele öffentlich-räumlicher Kontrolle zeigen, dass beide – die Polizei wie auch die SKDO – mit einem illegitimen Autoritätsanspruch operieren, der Ausprägungen eines gegenwärtigen autoritären Urbanismus erkennen lässt und in rechtsstaatlicher Hinsicht problematisch erscheint.