sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(3/4), 73-103

doi.org/10.36900/suburban.v11i3/4.871

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung:
15. Dezember 2022

Veröffentlichung online:
3. November 2023

„Gegen-Neoliberalisierung“ in Budapest

Großräumige Stadtentwicklungsprojekte in der populistischen Politik der aktuellen ungarischen Regierung

Marcell Hajdu

Seit dem Machtantritt der derzeitigen ungarischen Regierung im Jahr 2010 hat sich die ungarische Hauptstadt Budapest rasant entwickelt. Die meisten der wichtigen symbolischen Räume der Stadt werden im Rahmen großräumiger Stadtentwicklungsprojekte umgestaltet, die von der nationalen Regierung geleitet und vom Staat finanziert werden. Diese Projekte spielen eine wichtige Rolle in der populistischen politischen Artikulation der Regierung, die sich selbst als die einzig legitimen Vertreter der „Nation“ – im Gegensatz zu einer Koalition einheimischer und internationaler „neoliberaler Eliten“ – definiert. In diesem Artikel fokussiere ich auf drei emblematische Projekte der Budapester Stadtentwicklung nach 2010 und untersuche, wie ihre institutionellen und prozeduralen Strukturen den vermeintlichen Bruch des Regimes mit der hegemonialen neoliberalen Ordnung darstellen. Zugleich erörtere ich, inwiefern diese Entwicklungsprojekte wirklich einen Bruch mit der Rationalität der neoliberalen urbanen Governance darstellen. Ich nähere mich der Frage aus einer diskurstheoretischen Perspektive und stelle fest, dass die Stadtpolitik des Regimes starke Kontinuitäten zu neoliberalen Formen der Stadtentwicklung aufweist und einige ihrer Tendenzen radikalisiert. Der deutlichste Unterschied ist die starke Zentralisierung der Macht über die Stadtentwicklung in den Händen der nationalen Regierung, was gerade dadurch legitimiert wird, dass es einen Bruch mit der Politik des Vorgängerregimes und der neoliberalen Stadtpolitik in den westeuropäischen Kernländern darstellt.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Einführung: Populismus und Neoliberalismus

Der Vorwurf des „Populismus“ ist heute ein fester Bestandteil des politischen Diskurses. Wie der Philosoph Oliver Marchart (2017: 11) feststellt, dient der Begriff vor allem „dem Zweck der politischen Denunziation von Parteien und Bewegungen, die entweder nicht dem traditionellen Spektrum entstammen oder, wo sie das tun, sich gegen dieses wenden.“ Populismus wird in diesem Zusammenhang häufig mit rechtsradikalen politischen Bewegungen gleichgesetzt und erscheint so als Synonym für die „demokratische Regression“, die unsere Zeit kennzeichnet (z. B. Geiselberger 2017; Schäfer/Zürn 2021). Damit wird einerseits der Unterschied zwischen populistischen und nationalistischen Logiken politischer Mobilisierung verschleiert und andererseits werden inklusive und egalitäre Formen von Politik delegitimiert, die behaupten, „das Volk“ gegen ein korruptes Establishment zu vertreten (Stavrakakis et al. 2017). Populismus ist im Mainstreamdiskurs also keine analytische Kategorie, sondern steht für einen Antagonismus, eine zunehmende Polarisierung, die heute den politischen Raum der meisten westlichen Demokratien bestimmt. In den Worten des Soziologen Wolfgang Streeck (2017: 261): „Der Riss zwischen denen, die andere als ‚Populisten‘ bezeichnen, und denen, die von ihnen als solche bezeichnet werden, ist heute die dominante politische Konfliktlinie in den Krisengesellschaften des Finanzkapitalismus.“

Im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 entstanden in ganz Europa und darüber hinaus neue Bewegungen auf der rechten und linken Seite des politischen Spektrums als Reaktion auf die zunehmend autoritären Maßnahmen, die zur Rettung des Finanzsystems ergriffen wurden (Bruff 2014; Jessop 2019). Viele dieser Bewegungen können zu Recht als populistisch bezeichnet werden, da sie sich auf „eine bestimmte Art von Diskurs stützen, der behauptet, populäre Interessen zu vertreten und die damit verbundenen Identitäten und Forderungen (den ‚Willen des Volkes‘) gegen ein ‚Establishment‘ oder eine Elite zu verteidigen“ (Stavrakakis 2017: 527; Übers. d. A.). Was die hier zitierte diskurstheoretische Kurzdefinition von Populismus mit den meisten anderen Ansätzen der Populismusforschung gemeinsam hat, ist, dass sie Populismus nicht als Ideologie, sondern als eine mit unterschiedlichen Ideologien vereinbare Logik politischer Mobilisierung konzeptualisiert (Marchart 2017: 11 f.). Die oben beschriebene verallgemeinernde und negative Kodierung des Populismus verwischt die Unterschiede zwischen sehr unterschiedlichen Gruppierungen – von egalitären, für die Demokratisierung der Politik kämpfenden Akteur_innen bis hin zu rechtsextremen, autoritären Mobilisierungen.

„Neoliberalismus“ steht in diesem Zusammenhang fast ausnahmslos für die hegemoniale Ordnung, für die Eliten, gegen die sich die populistischen Mobilisierungen richten. Da der denunziatorische Gebrauch des Signifikanten „Populismus“ alle Bewegungen, die den Status quo kritisieren, gleichsetzt, lässt er auch die Unterschiede zwischen ihren verschiedenen Kritiken am Neoliberalismus verschwimmen. Der Signifikant „Neoliberalismus“ wird in diesem Prozess seines Inhalts entleert und steht für den Gegenpol des Populismus im oben beschriebenen dominanten Antagonismus. Die Verfestigung der Grenze zwischen „Populisten“ und „Neoliberalen“ führt so zu einer Schließung des politischen Raums um zwei dominante Positionen und beschränkt weitgehend die Themen, die politisiert werden können. Dies trägt nicht nur zum Rechtsruck der politischen Mitte bei, sondern isoliert zugleich den neoliberalen Kapitalismus von substanzieller Kritik (Marchart 2017). Neoliberalisierung und der Aufstieg rechtspopulistischer Regime erscheinen in diesem Zusammenhang als Gegensätze. Doch wie die politische Theoretikerin Wendy Brown (2019: 7; Übers. d. A.) argumentiert, ist es vielmehr so, dass „neoliberale Rationalität den Boden für die Mobilisierung und Legitimierung gewaltvoller antidemokratischer Kräfte im zweiten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts bereitet hat“. Die gegenwärtige Krise der Demokratie vollzieht sich nicht gegen die Neoliberalisierung, sondern weitgehend in Kooperation mit ihr (Heindl 2020: 11).

Populismus und Stadtentwicklung in Ungarn

Das aktuelle ungarische Regime, das 2010 an die Macht kam, ist ein Musterbeispiel hierfür. Die Vehemenz, mit der die europäische politische Mitte den Populismus der Regierung von Viktor Orbán[1] denunziert, und die Schärfe, mit der ungarische Politiker_innen im Gegenzug die Korruption der Brüsseler Eliten oder den Neoliberalismus im Allgemeinen kritisieren, sind sinnbildlich für unsere Zeit.[2] Die Reproduktion der Polarisierung des ungarischen politischen Raums zwischen einer sozialistisch-liberalen „Linken“ und einer konservativ-nationalistischen „Rechten“ war bereits seit den 1990er-Jahren eine Schlüsselstrategie der politischen Eliten des Landes zum Erhalt ihrer hegemonialen Positionen (Palonen 2009, 2018). Die Soziologin Ágnes Gagyi (2016) argumentiert, dass diese Dichotomie zwischen den von ihr sogenannten „demokratischen Antipopulisten“ und „antidemokratischen Populisten“[3] von außen geprägt wurde, als sich Ungarn in die globalen kapitalistischen Hierarchien (re-)integrierte. In diesem Zusammenhang waren die Kritik an der euro-atlantischen Macht und ein nomineller Antineoliberalismus seit Langem zentrale Elemente der ideologischen Struktur der ungarischen Rechten (ebd.: 354 f.) und blieben ein Schlüsselelement in der politischen Artikulation der aktuellen Regierung seit ihrer Machtübernahme. Dennoch haben mehrere Wissenschaftler_innen darauf hingewiesen, dass das ungarische Regime nach 2010 nicht durch einen Bruch mit dem Neoliberalismus gekennzeichnet ist, sondern vielmehr durch eine teilweise Verstärkung der autoritären Tendenzen des Neoliberalismus (z. B. Fabry 2019; Geva 2021; Pogátsa 2021; Scheiring 2022).

Seit 2010 hat sich die ungarische Hauptstadt Budapest rasant entwickelt. Unter der Leitung der Nationalregierung wurden in der ganzen Stadt zahlreiche großräumige Stadtentwicklungsprojekte umgesetzt, die die wichtigsten symbolischen Räume der Stadt verändert haben. Diese Projekte sind von zentraler Bedeutung nicht nur für die wettbewerbsorientierte Restrukturierung des mit Abstand wichtigsten urbanen Zentrums des Landes[4], sondern auch für die Reproduktion der Spaltung zwischen der Regierung als einziger legitimer Vertreterin des nationalen Interesses und einer Koalition einheimischer und globaler neoliberaler Eliten. Das derzeitige politische System Ungarns im Allgemeinen (z. B. Bos/Lorenz 2021; Magyar/Vásárhelyi 2017; Krasztev/van Til 2015) und die Reproduktion der ideologischen Spaltung, die den politischen Raum des Landes strukturiert, im Besonderen (Barlai 2021; Gagyi 2016; Palonen 2009, 2018) sind in der (Fach-)Literatur viel thematisiert worden. Die Stadtentwicklung Budapests nach 2010, insbesondere seine Rolle bei der ideologischen Reproduktion des Systems, ist jedoch viel weniger untersucht worden. Emel Akçalı und Umut Korkut (2015) zeigten die zentrale Bedeutung der urbanen Transformation – insbesondere der symbolischen Entwicklungsprojekte in den Hauptstädten – für die Verknüpfung illiberaler und nationalistischer Ideologien mit einer zunehmend neoliberalen Politik in Ungarn und der Türkei. Die politische Theoretikerin Emilia Palonen (z. B. 2013, 2017: 107 ff., 2019), eine langjährige Forscherin des Populismus in Ungarn, konzentrierte sich auf die Rolle des städtischen Erbes bei der Reproduktion der „bipolaren Hegemonie“ (Palonen 2009: 318 f.) des Landes. Krisztina Varró und László Faragó (2016) untersuchten den Wandel der Raumplanungspolitik in Ungarn vor dem Hintergrund sich verändernder politischer Diskurse über die europäische Integration und beleuchteten dabei die Wechselwirkung zwischen ideologischen Kämpfen und der Produktion von Raum.

Die Ausbreitung symbolträchtiger Großprojekte im Rahmen der neoliberalen Stadtpolitik zunehmend antidemokratischer rechter Regime in der europäischen Semiperipherie war in jüngster Zeit ebenfalls Gegenstand zahlreicher Studien. Man könnte Moskau (z. B. Büdenbender/Zupan 2017), Istanbul (z. B. Tuğal 2022; Akçalı/Korkut 2015), Belgrad (z. B. Zeković/Maričić 2022) oder Skopje (z. B. Deets 2022) neben zahlreichen anderen Beispielen nennen. Die zentrale Rolle dieser Modalität der Stadtentwicklung in der nationalistischen Politik ist aber auch in den westeuropäischen Kernländern zu beobachten. Man denke nur an das Berliner Stadtschlossprojekt oder die Rekonstruktion der historischen Zentren von Frankfurt oder Dresden und deren Verbindung zu rechtsradikalen politischen Akteur_innen (z. B. Trüby 2020).[5] In dieser Hinsicht ist der Fall Ungarns und Budapests nicht einzigartig, wenngleich er weiter fortgeschritten ist als jene ähnlicher Regime innerhalb der Europäischen Union. Deshalb dient er als prägnantes Beispiel, um die Synergien zwischen antidemokratischer, rechtspopulistischer Politik und neoliberaler Stadtentwicklung zu untersuchen.

Zahlreiche neuere theoretische Beiträge sehen den aktuellen Erfolg antidemokratischer rechter politischer Akteure weltweit als „Mutation“ des Neoliberalismus und nicht als Bruch mit ihm oder als Herausforderung (z. B. Brown 2019; Callison/Manfredi 2020). Die Inszenierung eines Bruchs mit der hegemonialen neoliberalen Ordnung ist für den Erfolg rechtspopulistischer Regime wie dem aktuellen ungarischen jedoch notwendig. So soll auch die nationalistische und antineoliberale politische Artikulation der gegenwärtigen ungarischen Regierung den Eindruck eines solchen Bruchs erzeugen. Im Folgenden konzentriere ich mich darauf, wie sich diese Artikulationen in den institutionellen und prozeduralen Strukturen der großen symbolischen Stadtentwicklungsprojekte, die den Wandel in Budapest seit 2010 bestimmen, widerspiegeln und reproduzieren. Gleichzeitig stelle ich im Sinne der oben genannten Theorien die Frage, ob jenseits des Anscheins eines Bruchs mit der Stadtentwicklung der vorangegangenen Jahre in Wirklichkeit Kontinuitäten oder sogar eine Verstärkung der neoliberalen Tendenzen in den Entwicklungsprojekten der Hauptstadt zu beobachten sind.

Ich stelle zunächst kurz meine methodischen Überlegungen vor. Anschließend bestimme ich die zentralen Merkmale neoliberaler urbaner Governance. Dies ist notwendig, um anschließend anhand meiner Fallbeispiele feststellen zu können, inwieweit die jüngste Stadtentwicklung Budapests mit diesen Merkmalen bricht oder im Gegenteil ihre Vertiefung darstellt. Ich stütze mich auf eine umfassende Studie von Erik Swyngedouw, Frank Moulaert und Arantxa Rodriguez (2002) über 13 großräumige Stadtentwicklungsprojekte aus der Europäischen Union der 1990er-Jahre. In Anlehnung an diese Studie gliedere ich die Hauptmerkmale großräumiger Stadtentwicklungsprojekte, die für die neoliberale urbane Governance charakteristisch sind, in drei Punkte. Diese werden die empirische Analyse meiner Fallstudien strukturieren. Danach stelle ich kurz den politischen und städtischen Kontext der ungarischen Hauptstadt unter dem gegenwärtigen Regime sowie die Projekte vor, die als meine Fallstudien dienen. Anschließend analysiere ich die Projekte anhand der drei zuvor vorgestellten Perspektiven. Dabei soll deutlich werden, wie die ideologische Spaltung, die den politischen Raum des Regimes strukturiert, in den institutionellen und prozeduralen Strukturen dieser Projekte reproduziert wird und inwiefern sich diese Strukturen von denen der Stadtentwicklungsprojekte in den europäischen Kernländern vor 2007/2008 unterscheiden. Abschließend fasse ich meine Ergebnisse zusammen.

2. Forschungsziel und Methodik

Mein Ziel ist es einerseits, einen Beitrag zur bisher spärlichen Literatur über die Stadtentwicklung Budapests nach 2010 zu leisten und die Verflechtungen zwischen der ideologischen Struktur des gegenwärtigen ungarischen Systems und seiner urbanen Governance besser zu konzeptualisieren. Methodisch betone ich die Materialität des politischen Diskurses, indem ich zeige, dass nicht nur der materielle Raum eine wichtige Rolle bei der Reproduktion ideologischer Strukturen spielt, sondern auch die institutionellen und prozeduralen Bedingungen der städtischen Raumproduktion. Andererseits bin ich der Meinung, dass diese Fallstudie – neben ihrem Beitrag zur Literatur über die neuesten Stadtentwicklungen in Budapest – auch eine politische Relevanz hat. Indem der Artikel die Aufmerksamkeit auf die Kontinuitäten zwischen dem autoritären Charakter der Stadtentwicklung im Neoliberalismus und seinen rechtspopulistischen Mutationen lenkt, argumentiert er für die Notwendigkeit einer Kritik des Populismus, die ihn als Ergebnis einer weit verbreiteten Unzufriedenheit mit der hegemonialen neoliberalen Ordnung begreift. Der denunziatorische Gebrauch des Populismus durch die neoliberalen Eliten und der nur nominelle Bruch mit dem Neoliberalismus, zusammen mit den ausgrenzenden nationalistischen Narrativen der Rechtspopulisten, bestimmen heute den politischen Raum der meisten westlichen Demokratien. Die antagonistische Politik, für die diese Spaltung steht, bietet keine Alternativen, die eine Demokratisierung der Politik im Allgemeinen und der Stadtentwicklung im Besonderen unterstützen würden. Eine fundierte Kritik des Rechtspopulismus muss daher auch eine Kritik des Neoliberalismus sein.

Bei dieser Studie habe ich mich stark auf die Ergebnisse meines Dissertationsprojekts gestützt, in dem ich die Rolle des städtischen Erbe(n)s bei der Konstruktion der politischen Identität des derzeitigen ungarischen Regimes untersuche. Dabei stütze ich mich auf einen diskurstheoretischen Ansatz, der auf der politischen Theorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (2014) basiert, die in den letzten Jahrzehnten eine breitere Anwendung in politischen Analysen gefunden hat.[6] Für mein Vorhaben ist vor allem wichtig, dass diese Konzeption der Diskurstheorie die Unterscheidung zwischen diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken zurückweist und den materiellen Charakter ideologischer Kämpfe bekräftigt (ebd.: 93 f.). Um es kurz zusammenzufassen: Die Diskurstheorie erklärt, wie bestimmte Signifikanten, wie in unserem Fall „Neoliberalismus“ oder „die Nation“, ihres positiven Inhalts entleert werden, wenn sie für antagonistische Beziehungen zu stehen kommen – wie in diesem Zusammenhang die zwischen „Populisten“ und „Neoliberalen“. Solche politischen Artikulationen konstruieren Äquivalenzketten sowohl zwischen den verschiedenen Feindbildern, gegen die sich eine bestimmte Gruppe definiert, als auch zwischen den verschiedenen Werten, um die ihre Identität konstruiert wird.[7] Im ungarischen Fall zum Beispiel werden die neoliberalen Eliten, die Oppositionsparteien, Kommunist_innen, Migrant_innen und so weiter in den Artikulationen der aktuellen Regierung als Feind_innen der Nation identifiziert. Gleichzeitig stehen die Nation, Religion und Familienwerte, die „Arbeitsgesellschaft“ et cetera für den regierenden Block.

Eine wichtige Rolle bei der Konstruktion dieser Äquivalenzketten spielen die symbolischen Großprojekte, die die Stadtentwicklung Budapests seit 2010 prägen. Die entstehenden materiellen Räume sowie die Bedingungen ihrer Produktion repräsentieren das neue politische Regime – im Gegensatz zu Entwicklungsprojekten in Budapest vor 2010, die im Narrativ der Regierung mit den inneren und äußeren Feinden des Regimes in Verbindung gebracht werden. Mit anderen Worten: Die neoliberale Stadtentwicklung wird mit der Raumproduktion der beiden Jahrzehnte vor dem Aufstieg des gegenwärtigen Regimes gleichgesetzt. In dieser Zeit – unter einem liberalen Oberbürgermeister – war die Entwicklung Budapests durch einen Mangel an öffentlichen Ausgaben für die Stadtentwicklung und damit durch eine auffällige Abwesenheit großer staatlicher Repräsentationsprojekte gekennzeichnet, mit wenigen Ausnahmen.[8] In diesem Sinne stellt die starke Zunahme von symbolischen Großprojekten unter der Leitung der nationalen Regierung nach 2010 einen Bruch mit der lokalen Variante des Neoliberalismus dar. Doch in welchem Maß bilden diese Projekte einen Bruch mit den Organisationsstrukturen privater oder öffentlich-privater Stadtentwicklungen, die die neoliberale Governance in Budapest und in den europäischen Kernländern vor der Krise 2007/2008 geprägt haben? Meine These ist, dass diese Entwicklungsprojekte, auch wenn sie auf der Ebene der politischen Artikulation wichtig sind, um die Grenze zwischen der Regierung und ihren „neoliberalen“ Gegnern zu reproduzieren, keinen Bruch mit der Grundlogik der neoliberalen Stadtentwicklung darstellen, sondern vielmehr deren Autoritarisierung.

Um diese These zu überprüfen, habe ich drei emblematische Projekte aus der Stadtentwicklung Budapests nach 2010 ausgewählt. Anhand von rechtlichen Dokumenten, öffentlich zugänglichen Machbarkeitsstudien, den offiziellen Kommunikationsplattformen der Projekte und öffentlichen Äußerungen der Projektverantwortlichen untersuche ich, wie die oben beschriebene politische Polarisierung in den institutionellen und prozeduralen Strukturen dieser drei Entwicklungsprojekte reproduziert wird. Um zu sehen, inwieweit die Projekte von der neoliberalen Logik urbaner Governance abweichen, verwende ich als Kontrastfolie die oben genannte umfassende Studie von 13 großräumigen Stadtentwicklungsprojekten aus der gesamten Europäischen Union (Swyngedouw/Moulaert/Rodriguez 2002). Die meisten Projekte in der Auswahl der Studie wurden in den westeuropäischen Kernländern vor der Finanzkrise 2007/2008 durchgeführt, in der Zeit also, in der Ungarn in die Hierarchien des neoliberalen kapitalistischen Systems integriert wurde. Dementsprechend repräsentieren diese Projekte das Ideal der Stadtentwicklung, an dem sich die ungarischen Visionen der „Modernisierung“ in dieser Zeit orientierten.[9]

3. Neoliberalismus und urbane Governance

Es gibt keine allgemeingültige Definition von Neoliberalismus. In wissenschaftlichen Debatten wird der prozesshafte, geographisch ungleiche und kontextuell eingebettete Charakter des real existierenden „Neoliberalismus“ betont (Peck/Brenner/Theodore 2018). Weiter existieren verschiedene Ansätze zur Analyse des Neoliberalismus (vgl. Cahill et al. 2018: xxvii), von denen zwei miteinander kompatible Perspektiven für meine aktuelle Studie am produktivsten erscheinen. Einerseits wird der Neoliberalismus aus einer neomarxistischen Perspektive als ein klassenbasiertes politisch-ökonomisches Projekt globalen Ausmaßes verstanden. Aus dieser Sicht ist er durch eine Politik gekennzeichnet, die darauf abzielt, die Kapitalist_innenklasse durch die Deregulierung der Märkte, die Übertragung von Souveränität von den Nationalstaaten auf internationale Institutionen, den Abbau des Sozialstaats, die weitgehende Privatisierung öffentlicher Güter und die Disziplinierung der Arbeiterschaft zu stärken (Brown 2019: 17 ff.; Harvey 2010; Davidson 2018). Analysen, die diesen Ansatz verwenden, konzentrieren sich in der Regel auf „Institutionen, Politiken, wirtschaftliche Beziehungen und Auswirkungen und vernachlässigen die weitreichenden Auswirkungen des Neoliberalismus als eine Form der Kontrolle der politischen Vernunft und der Produktion von Subjekten“ (Brown 2019: 21; Übers. d. A.). Andererseits konzeptualisiert der Foucault’sche Ansatz Neoliberalismus als eine Form politischer Rationalität oder „Gouvernementalität“ (Foucault 2008: 186; Lorenzini 2018). Demnach sorgt der Staat nicht nur für das freie Funktionieren der Märkte, sondern die Marktprinzipien regieren den Staat, die Gesellschaft und die einzelnen Subjekte selbst (Brown 2019: 19 f.).

Um die neoliberale städtische Governance zu beschreiben, stütze ich mich auf die Studie von Swyngedouw, Moulaert und Rodriguez (2002), die sich dem Thema vor allem aus der ersten Perspektive nähert, aber auch Hinweise darauf gibt, wie die Logik des Marktes die Subjekte und die Funktionsweise der Institutionen in den Strukturen prägt, die den städtischen Wandel bestimmen. Im Mittelpunkt der Studie stehen großräumige Stadtentwicklungen, die in erster Linie in Form von Public-private-Partnerships (PPP) organisiert sind, die sich seit den 1980er-Jahren als zentrales Instrument der neoliberalen Stadtpolitik etabliert haben. Zu diesen symbolträchtigen Projekten gehören unter anderem Megaevents, kulturelle Entwicklungsprojekte und Businesszentren. Sie sind für die kompetitive Restrukturierung der Städte auf dem globalen Markt, die Anziehung von internationalem Kapital und die Herstellung neoliberaler Subjekte weltweit unerlässlich geworden (Swyngedouw 2013: 143). Des Weiteren kennzeichnen sie den Übergang von einer regulierenden und umverteilenden Politik hin zu einer Stadtpolitik, die ausschließlich auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist. Eine Politik, in der die Stadt wie ein Unternehmen behandelt wird, das auf dem globalen Markt konkurriert, und ihre Bürger_innen als „Unternehmer_innen des Selbst“ (Foucault 2008: 226). Die Macht wird innerhalb eines scheinbar horizontalen Netzwerks von Akteur_innen des Marktes, der Zivilgesellschaft und des Staates umverteilt, die oft als „Stakeholder“ bezeichnet werden (Swyngedouw 2009: 608). In einer umfassenden Studie über 13 solcher Projekte in der gesamten Europäischen Union haben Swyngedouw, Moulaert und Rodriguez (2002) ein detailliertes Bild dieser Form der Stadtplanung aufgezeigt. Ich fasse ihre Ergebnisse kurz zusammen und gliedere sie in drei Punkte, die mir als Kontrastfolie dienen, mit deren Hilfe ich meine Fallstudien analysieren werde.

  1. Großräumige Stadtentwicklungsprojekte spiegeln die Neuskalierung der Governance im Neoliberalismus wider. Das bedeutet einerseits die Verschiebung von Souveränität weg vom Nationalstaat hin zu extranationalen Akteur_innen wie zum Beispiel der EU, dem IWF oder der Weltbank. Andererseits werden formale staatliche Strukturen und Verfahren geschwächt und im Namen größerer Flexibilität und Effizienz quasiprivaten spezialisierten Agenturen und Institutionen untergeordnet. Solche subnationalen Akteur_innen werden regelmäßig vom Staat durch spezielle Gesetze und andere politische Instrumente ermächtigt, wodurch rechtliche Ausnahmesituationen geschaffen werden.
  2. Diese neuen, angeblich horizontalen und demokratischeren Strukturen sind durch Defizite in Hinblick auf Verantwortlichkeiten und Reprä­sentation gekennzeichnet, da sie keine klaren formalen Regeln für die Beteiligung definieren. Die Entscheidungsfindung liegt häufig in den Händen eines geschlossenen Kreises, was zum Klientelismus beiträgt. Kritik, Diskussionen, gesellschaftliche und politische Debatten werden durch eine Geheimhaltung vermieden, die mit dem Argument der geschäftlichen Vertraulichkeit und technischen Unparteilichkeit legitimiert wird.
  3. Solche auf Rentabilität ausgerichteten Projekte sind in der Regel zumindest teilweise staatlich geleitet und staatlich finanziert, während im europäischen Kontext auch der Wettbewerb um Fördermittel der EU eine zentrale Rolle spielt. Aufgrund ihres spekulativen Charakters stellen sie ein hohes Risiko dar, das größtenteils auch vom Staat getragen wird. Gewinne, die durch die Aufwertung von Boden erzielt werden, realisieren jedoch meist die privaten Akteur_innen. Mit vernachlässigbaren „trickle-down“-Effekten konzentriert sich der Wohlstand in bestimmten Gebieten und stimuliert weitere Entwicklungen, die nur den wohlhabenden Teilen der Bevölkerung dienen.

Wie bereits erwähnt, waren solche Entwicklungsprojekte, die damals in den westeuropäischen Ländern die übliche Form der städtischen Transformation darstellten, vor 2010 auch für die Entwicklung von Budapest ein Vorbild. Die markanteste Veränderung in der Entwicklung der ungarischen Hauptstadt nach dem Amtsantritt der jetzigen Regierung war die Ausbreitung von Repräsentationsprojekten, die ausschließlich von der nationalen Regierung geleitet wurden. Zwar spielen private Stadtentwicklung und Public-private-Partnership-Projekte nach wie vor eine wichtige Rolle, doch sind es heute vor allem solche symbolischen Projekte, die das Bild der Hauptstadt am stärksten prägen. Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels war die überwiegende Mehrheit der historisch bedeutsamen Räume Budapests im Rahmen dieses umfangreichen Bauprogramms für die nationale Repräsentation umgebaut worden. Diese Entwicklung der Hauptstadt wird als Abkehr von der neoliberalen Rationalität dargestellt. Ich wende mich nun der Analyse der drei symbolträchtigsten dieser Projekte zu, um zu zeigen, wie diese Entwicklungsprojekte nach 2010 mit der Stadtentwicklung Budapests in den zwei Jahrzehnten davor und mit der neoliberalen Stadtentwicklung in der EU im Allgemeinen kontrastieren. Dabei achte ich jedoch nicht nur darauf, wie diese Projekte vom neoliberalen Standardansatz abweichen, sondern konzentriere mich auch auf mögliche Kontinuitäten und Intensivierungen im Vergleich zu den in diesem Teil des Artikels beschriebenen Tendenzen.

4. Gegenneoliberalisierung der Stadtentwicklung in Budapest seit 2010

Das derzeitige ungarische Regime kam am 25. April 2010 an die Macht, als die Koalition aus zwei konservativen Parteien unter der Führung von Viktor Orbán bei den Parlamentswahlen eine überwältigende Mehrheit der Stimmen erhielt. Mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bekam die Regierungskoalition die Macht, die Verfassung des Landes zu ändern, was sie in den folgenden Jahren wiederholt tat (Jakab/Bodnár 2021: 60 f.). In ihrem neuen Programm, das kurz nach den Wahlen veröffentlicht wurde, kündigte sie an, „ein neues politisches, wirtschaftliches und soziales System zu schaffen, das auf neuen Regeln in allen Lebensbereichen beruht“ (Office of the National Assembly 2010: 3; Übers. d. A.). In den folgenden Jahren setzte das Regime zunehmend autoritäre Maßnahmen ein, um alle bisher autonomen Bereiche des gesellschaftlichen und politischen Lebens unter seinen Einfluss zu bringen.

Das Programm der nationalen Zusammenarbeit zeichnete das Bild einer vereinten Nation, welche die Zerstörungen der „letzten acht Jahre“ sozialistisch-liberaler Regierung überwinden würde (ebd.: 7). Darüber hinaus beschrieb das Dokument die Wahlen als eine „Revolution in der Wahlkabine“, die mit der Politik der letzten zwei Jahrzehnte brechen würde (ebd.: 5). Bereits während der Krisenjahre wurden die „neoliberalen Eliten“ beziehungsweise der Liberalismus im Allgemeinen von den ungarischen Rechten immer häufiger als zentraler Feind des „Volkes“ artikuliert. In seinen jährlich gehaltenen programmatischen Reden in der siebenbürgischen Stadt Băile Tuşnad (Tusnádfürdő) skizzierte Orbán (2007, 2009) wiederholt das Ende einer politischen Ära in Europa, in deren Folge die „moralisch relativistischen“ neoliberalen politischen Eliten eines linken dritten Weges[10] von einer neuen Generation konservativer Politiker abgelöst werden würden. Im Zuge dessen würde das Volk seine Souveränität über den Markt wiederherstellen, was das Ende der unbegrenzten Macht der globalen Wirtschaftseliten bedeuten würde. Ein starker Staat, der sich auf die Werte „Gott, Nation und Familie“ gründet, würde zurückkehren. Das Gespenst des (Neo-)Liberalismus blieb auch nach dem Wahlsieg 2010 der Gegner des Regimes. Es nahm die Form verschiedener Feindbilder an, die von den europäischen politischen Eliten in Brüssel bis hin zum Finanzier George Soros reichten (Langer 2021). Der Höhepunkt wurde mit der Ausrufung einer „illiberalen Demokratie“ (Orbán 2014a; Palonen 2018: 316) im Jahr 2014 erreicht.

Parallel zur grundlegenden Umstrukturierung des Staates hat sich seit 2010 auch Budapest stark verändert. Im selben Jahr, in dem die Regierung an die Macht kam, wurde der langjährige liberale Bürgermeister der Hauptstadt bei den Kommunalwahlen im Oktober 2010 abgewählt. Der neue Oberbürgermeister, ein Mitglied der Regierungskoalition, blieb bis Oktober 2019 im Amt. In dieser Zeit gab es keine nennenswerten Hindernisse für das Regime, die Hauptstadt in seinem eigenen Sinne zu gestalten.[11] Es wurde ein breites öffentliches Bauprogramm gestartet, in dessen Rahmen viele der wichtigsten öffentlichen Räume und kulturellen oder politischen Einrichtungen Budapests nach Jahrzehnten der Vernachlässigung renoviert wurden. Der Ministerpräsident bezeichnete das Bauprogramm als die Wiederherstellung des Glanzes der nationalen Hauptstadt, die durch die „nationale Einheit“ ermöglicht wurde (z. B. Orbán 2014b).

Bekannt ist die ungarische Hauptstadt für den spektakulären Blick auf die Donau, die Buda von Pest trennt. Hierbei dominieren vor allem zwei Bauwerke: die grüne Kuppel des Burgpalastes auf dem Budaer Burgberg auf der Westseite und das Pendant der roten Kuppel des neogotischen Parlamentsgebäudes auf der Ostseite des Flusses. Sowohl das Burgviertel als auch das Donauufer stehen unter dem Schutz des UNESCO-Weltkulturerbes (UNESCO o. J.). Die Welterbe-Zone erstreckt sich bis zur Andrássy-Allee, einem breiten historischen Boulevard, der die Burg über die älteste Brücke der Stadt, die Kettenbrücke (Lánchíd), mit dem Stadtpark (Városliget) verbindet. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als Budapest zur Hauptstadt des Landes wurde und mit Wien innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie konkurrierte, sind diese Räume untrennbar mit der Repräsentation der ungarischen Nation verbunden. Während der gesamten modernen Geschichte des Landes blieben sie eine zentrale Bühne des politischen Geschehens. Seit 2010 wurden das Burgviertel, der Kossuth-Platz rund um das Parlament und der Stadtpark im Rahmen von großräumigen Stadtentwicklungsprojekten der Regierung umgestaltet. Diese drei Projekte werde ich im Folgenden als Fallstudien untersuchen.

Im Rahmen des Liget-Budapest-Projekts (LIGET)[12] wird der Stadtpark, Budapests ältester öffentlicher Park, renoviert und in ein hochmodernes Kulturquartier umgewandelt. Hoch ästhetisierte Grünflächen sollen die eher vernachlässigte Parksubstanz ersetzen, zahlreiche neue Sporteinrichtungen werden installiert und überall in dem Areal entstehen neue kommerzielle Funktionen. Besonders umstritten ist die Errichtung mehrerer neuer Gebäude für kulturelle Einrichtungen, von denen einige bereits gebaut und in Betrieb sind, während die Bauarbeiten an anderen derzeit stillstehen. Das Steindl-Imre-Programm (SIP)[13] beinhaltete die vollständige Renovierung des „Hauptplatzes der Nation“ (Zsuppán 2020), des Kossuth-Platzes rund um das ungarische Parlamentsgebäude. Die seit der Zeit des Staatssozialismus unrenovierten Flächen wurden neu gestaltet, ein unterirdisches Besucherzentrum für das Parlament eingerichtet und die meisten Denkmäler dem historischen Kanon des neuen Regimes angepasst. Schließlich ließ die Regierung im Rahmen des Nationalen Hauszmann-Programms (NHP) zahlreiche Gebäude im Burgviertel renovieren und einige im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gebäude mit modernen Baumethoden wiederaufbauen.[14] Parallel zu den Rekonstruktionsarbeiten werden Regierungsbüros in das Burgviertel verlegt. So ist das Büro des Ministerpräsidenten nun im renovierten Gebäude des Karmeliterklosters oberhalb der Donau untergebracht, das sich neben dem Sándor-Palast mit Präsidentenbüro und dem Burgpalast befindet. Der Umbau des ehemaligen Gebäudes des Finanzministeriums steht kurz vor dem Abschluss, während der Umzug des Verteidigungsministeriums in das Burgviertel erst kürzlich angekündigt wurde (Magyar Nemzet 2023). Nun komme ich auf die institutionellen und prozeduralen Strukturen dieser Projekte aus den drei oben dargestellten Perspektiven zurück.

Zu (1): die Rückkehr des Staates, aber nicht der Transparenz

Nach ihrem Wahlerfolg 2010 interpretierte die neue ungarische Regierung ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament als direktes Mandat, im Namen „des Volkes“ alle ihr notwendig erscheinenden Änderungen durchzuführen. Infolgedessen wuchs die Macht der Exekutive im Verhältnis zur Legislative beträchtlich, ein typisches Merkmal des „autoritären Populismus“ (Davies 2021: 97). Dies spiegelt sich deutlich in der Entscheidungsfindung zu großen Stadtentwicklungsprojekten in Budapest wider. Keinem der drei Projekte ging eine öffentliche Konsultation[15] voraus, obwohl sie die Umgestaltung der wichtigsten symbolischen Räume der Hauptstadt betrafen. Die Öffentlichkeit erfuhr zum ersten Mal von den Plänen in den rechtlichen Dokumenten, die ihre Ausführung anordneten. SIP und LIGET kündigte die neue Regierung in ihrer ersten Amtszeit 2011 beziehungsweise 2013[16] an (Országgyűlés 2011; Magyarország Kormánya 2013a), NHP beschloss sie nach den Wahlen im Jahr 2014[17] (Magyarország Kormánya 2014a). Die Pläne für LIGET wurden in einem Gesetz festgelegt, NHP durch einen Regierungsbeschluss angekündigt und SIP durch einen Beschluss der Nationalversammlung. Während der gesamten Projektplanung herrschte Geheimhaltung, neue Details erschienen in der Magyar Közlöny, der offiziellen Zeitschrift des Staates, in der Regierungsmaßnahmen veröffentlicht werden.

Dies war auch die Quelle, aus der die Öffentlichkeit von der Ernennung der Regierungsbeauftragten erfuhr, die ihr Mandat erhielten, um die Umsetzung der Entwicklungsprojekte zu steuern (z. B. Magyarország Kormánya 2011b, 2013b).[18] Direkt dem Amt des Premierministers unterstellt, erhielten die Beamten[19] weitreichende Befugnisse, um die Projekte zu beschleunigen. Die personelle Konstanz, welche diese Positionen kennzeichnet, deutet auf die Wichtigkeit des direkten Kontakts zwischen der Regierung, insbesondere dem Premierminister, und den Ausführenden zentraler politischer Entscheidungen hin. Diesen Verdacht bestätigte am anschaulichsten die Verbreitung von Gerüchten, dass bestimmte Elemente von LIGET auf persönliche Intervention des Premierministers hin fallen gelassen wurden.[20] Trotz regelmäßiger Veränderungen in der Zusammensetzung der Regierung nach Wahlen sind die für diese Großprojekte zuständigen Regierungsbeauftragten durchgehend in ihren Ämtern geblieben. Nur im Fall des NHP gab es einen Wechsel in der Projektleitung, aber die abtretenden Funktionäre fanden neue Aufgaben in ähnlichen Projekten.

Bei allen drei Projekten wurden quasiprivate staatliche Unternehmen gegründet, um die Arbeit der Beauftragten zu unterstützen (Magyarország Kormánya 2013a; Nemzeti Fejlesztési Minisztérium 2015, 2017). Diese waren im Fall von LIGET und NHP nicht nur für die Projektentwicklung, sondern auch für den weiteren kommerziellen Betrieb der geschaffenen Räume verantwortlich. Dabei geht es nicht nur um die Vermietung und den Betrieb von Veranstaltungsräumen und kommerziellen Funktionen, die in erster Linie den touristischen Bedürfnissen dienen, sondern auch um die Ermöglichung verschiedener – meist gastronomischer – Festivals in diesen öffentlichen Räumen. Formale Regelungen wurden in allen Fällen durch Eingriffe der Regierung umgangen. Der Status einer „Investition von herausgehobener volkswirtschaftlicher Bedeutung“ (nemzetgazdasági szempontból kiemelt jelentőségű beruházás) entwickelte sich zum Symbol für die Stadtpolitik des Regimes und dessen Bestreben, die lokale Verwaltung zu schwächen. Das Instrument schuf die sozialistisch-liberale Vorgängerregierung im Jahr 2006, um die Durchführung von EU-finanzierten Projekten effizienter zu machen (Magyarország Kormánya 2006). Nach 2010 wurde das Gesetz wiederholt geändert und die Schwelle für seine Anwendbarkeit gesenkt. Das Regime setzte es daher immer häufiger ein, um die von ihm geförderten Entwicklungsprojekte zu beschleunigen und jeglichen Widerstand von Anwohner_innen, politischen Akteur_innen oder Expert_innen zu unterdrücken. Bestimmte Elemente des SIP wurden ab 2012, die des LIGET ab 2013 und die des NHP ab 2015 mit einer solchen besonderen Rechtsstellung versehen (Magyarország Kormánya 2012a, 2013c, 2015). Im Fall von LIGET verabschiedete die Regierung ein Sondergesetz, das einzigartige Bauvorschriften für den gesamten Stadtpark schuf (Magyarország Kormánya 2013a). Dies war notwendig, da die Einstufung des Gebiets als Park den Bau neuer Gebäude nicht zuließ, was jedoch ein wesentlicher Bestandteil des Projektkonzepts ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die wichtigste Neuerung in der Stadtpolitik des gegenwärtigen ungarischen Regimes die starke Rolle der nationalen Regierung bei der Stadtentwicklung Budapests ist. Im Vergleich zur Stadtpolitik der vorangegangenen zwei Jahrzehnte, die unter der Leitung eines liberalen Bürgermeisters stand, spielt die Verbreitung von symbolträchtigen Projekten, finanziert von der nationalen Regierung, eine wichtige Rolle in der populistischen Artikulation des Regimes: Hierüber reproduziert es die Spaltung zwischen sich selbst als einzig legitimem Vertreter der Nation und einer sozialistisch-liberalen politischen Elite, die zur Verwahrlosung Budapests beigetragen habe. Gleichzeitig wirkt die starke staatliche Einflussnahme auch in die Narrative der Regierung hinein, die sich gegen die Austeritätspolitik der internationalen politischen und monetären Organisationen richtet.

Es gibt jedoch auch Ähnlichkeiten zwischen westeuropäischen neoliberalen Stadtentwicklungsprojekten und den hier untersuchten. Vor allem bleibt die Rolle der spezialisierten Entwicklungsorganisationen bei der Durchführung der Projekte zentral. Aufgrund ihrer direkten Verbindung zur ermächtigten Exekutive, insbesondere zu ihrem Leiter, sind sie mit noch mehr Macht ausgestattet. Der Einsatz spezieller rechtlicher Instrumente, um diese Institutionen weiter zu befähigen und die Projekte zu beschleunigen, stellt eine weitere Kontinuität im Vergleich zur neoliberalen Governance dar. In dem heutigen ungarischen Kontext ist der Einsatz solcher Instrumente sogar weitaus häufiger zu beobachten.

Zu (2): das Fortbestehen der betriebswirtschaftlich-technologischen Rationalität

Die nationale Regierung hat zwar einen entscheidenden Einfluss auf diese städtischen Entwicklungen, dennoch übernehmen intermediäre Institutionen die Verantwortung. Die für die Projekte verantwortlichen Regierungsbeauftragten treten in der Öffentlichkeit häufig als Expert_innen für Stadtentwicklung und City Branding auf, die über die neuesten Trends bestens informiert sind. Mit anderen Worten stehen sie für betriebswirtschaftlich-technologische Rationalität im Namen der „Nation“.[21] In diesem Zusammenhang werden oft ähnliche Projekte aus allen westlichen Ländern als Beispiele angeführt: Das Berliner Kulturforum oder das Wiener MuseumsQuartier zum Beispiel werden explizit als Vorbilder für LIGET genannt (KPMG 2014). Die meisten Kritiken an den Projekten werden durch rationale, wirtschaftliche und technische Argumente entschärft. Gegensätzliche Stellungnahmen von Expert_innen werden entweder ignoriert, so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit gebracht oder aus politischen Gründen delegitimiert, mit dem Argument, sie gehörten zum antagonistischen antinationalen, neoliberalen Block.

Wie bei neoliberalen Stadtentwicklungsprojekten typisch, mangelt es auch in Ungarn an finanzieller Transparenz. Neben dem Anspruch auf unternehmerische Vertraulichkeit oder technische Unparteilichkeit dient in einigen Fällen auch die Staatssicherheit als zentraler Grund für die Klassifizierung von Verträgen. Sowohl beim SIP als auch beim NHP wird die Präsenz von Regierungsinstitutionen, wie zum Beispiel das Büro des Ministerpräsidenten oder das Bürogebäude der Nationalversammlung, als Begründung für die Klassifizierung von öffentlichen Aufträgen im Zusammenhang mit den Projekten herangezogen (Magyarország Kormánya 2012b; 2014b). Die Überschreitung der Fristen für die Projektfertigstellung und die Aufblähung ihrer Budgets sind keine Seltenheit.

Getragen wird die politische Verantwortung beziehungsweise Rechenschaftspflicht für die Projekte über die quasiprivaten Institutionen und die für sie zuständigen Regierungsbeauftragten. Entscheidungen werden als rein wirtschaftlich und technokratisch dargestellt, was die Regierung zumindest teilweise von einer potenziellen politischen Verantwortung aufgrund möglicher Konflikte und Kostenüberschreitungen befreit. Dies ist vor allem von Vorteil bei Protesten gegen die Projekte, die dann mit staatlicher Gewalt aufgelöst werden. Am deutlichsten wurde dies bei den Protesten im Jahr 2016 im Stadtpark gegen LIGET: Nicht nur die Polizei kam zum Einsatz, sondern auch Mitarbeitende einer privaten Sicherheitsfirma. Augenzeug_innen filmten sie dabei, wie sie mit Gewalt gegen Demonstrant_innen vorgingen (Czinkóczi 2016). Dies weist auf eine besorgniserregende Entwicklung hin, bei der das staatliche Gewaltmonopol an private Akteure ausgelagert wird. Im Zuge der Proteste leitete die Regierung schließlich einen partizipatorischen Prozess ein, der allerdings wenig substanziellen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Stadtparks hatte, sondern lediglich einen Teil der Spannungen entschärfte.

Gleichzeitig wurde bei allen drei Projekten, insbesondere bei NHP und LIGET, ein starker Fokus auf die Etablierung eines positiven öffentlichen Images gelegt. Diese langfristigen PR-Kampagnen nutzen alle verfügbaren Instrumente, die von Immobilienentwicklungen rund um den Globus bekannt sind. Es werden einheitliche Websites, Kampagnen in den sozialen Medien, temporäre Ausstellungen, geführte Spaziergänge durch die Entwicklungsgebiete sowie unzählige Publikationen mobilisiert. Im Fall von NHP veröffentlicht das ausführende quasiprivate Unternehmen zum Beispiel regelmäßig ein buntes Kulturmagazin mit Prominenteninterviews und informativen Artikeln, außerdem kann von der Website des Projekts auch ein Malbuch für Kinder zum Thema Burgviertel heruntergeladen werden. Architekturwettbewerbe, an denen einige der bekanntesten Architekturbüros der Welt teilnahmen, nutzte das Regime ebenfalls, um auf LIGET aufmerksam zu machen.

Die drei untersuchten Projekte unterscheiden sich in Bezug auf demokratische Rechenschaftspflicht und Repräsentation kaum von den üblichen neoliberalen Großprojekten der Stadtentwicklung. Die für die Projekte verantwortlichen Beauftragten und Unternehmen kommunizieren gegenüber der Öffentlichkeit aus einer Expert_innenposition heraus. Sie steuern die Entwicklungen, indem sie sich auf ihr Wissen über die neuesten Trends in den Bereichen Architektur, Planung, City Branding und so weiter stützen. Die Entscheidungsfindung ist undurchsichtig, und abweichende Meinungen auf lokaler Ebene werden, wenn notwendig, mit Gewalt unterdrückt. Zudem wird die Undurchsichtigkeit der Vergabeverfahren manchmal unter Berufung auf die Staatssicherheit gestärkt. Die für die Projekte verantwortlichen staatlichen Unternehmen wenden die partizipativen Instrumente der neoliberalen Urban Governance in der Regel erst an, wenn wichtige Entscheidungen bereits getroffen wurden. Werden solche Verfahren eingesetzt, dann meist nur in Bezug auf kleinere Detailfragen ohne nennenswerten Einfluss auf die Entwicklungsprojekte. Die Unklarheit bezogen auf die Repräsentation der Interessen betroffener Bürger_innen ist von Vorteil für das Regime. So heißt es, die Entwicklung der Hauptstadt sei nicht nur im Interesse der Einwohner_innen Budapests, sondern auch für den Erfolg des ganzen Landes von größter Bedeutung (z. B. Orbán 2014b). Die „Nation“ ist in diesem Zusammenhang ein äußerst flexibler und letztlich leerer Begriff, für dessen Artikulation es eben solch vage definierter Container bedarf. Man kann dies als eine zirkuläre Bewegung sehen, bei der einerseits die vermeintliche „Einheit der Nation“ als Grundlage für die Souveränität der Regierung dient und durch Stadtentwicklungsprojekte gestärkt wird. Und andererseits dient es gleichzeitig als ultimative Rechtfertigung für die Projekte selbst. Diese bleiben jedoch innerhalb des regulären Rahmens der neoliberalen Stadtentwicklung – mit den westeuropäischen Entwicklungen als Beispielen, die „eingeholt“ werden müssen.

Zu (3): nationale Wirtschaftsinteressen

Ein wesentlicher Unterschied zu den üblichen neoliberalen Groß­projekten besteht darin, dass LIGET, SIP und NHP vollständig vom Staat finanziert werden. Dementsprechend werden die regelmäßigen Kostenüberschreitungen aller drei Projekte mit öffentlichen Geldern bezahlt. Da es sich bei SIP in erster Linie um ein Repräsentationsprojekt handelt, waren keine Gewinne aus den Investitionen vorgesehen. Das NHP ist ebenfalls ein weitgehend repräsentatives Entwicklungsprojekt, das jedoch teilweise durch seinen Beitrag zum Tourismus legitimiert wurde. Allerdings gab es keine Studien dazu, um das Ausmaß dieses Beitrags abzuschätzen. Einzig LIGET, von Anfang an als „Kultur- und Freizeitunterhaltungszentrum“ (Magyarország Kormánya 2013d) konzipiert, ist eindeutig auf die Erzielung von Einnahmen für den Staat ausgerichtet. Ein internationales Beratungsunternehmen wurde beauftragt, eine Prognose über die voraussichtlichen Auswirkungen des Projekts auf die nationale Wirtschaft zu erstellen. Die Studie rechnete mit einer Fertigstellung des Projekts bis 2018 und behauptete, dass die Steuereinnahmen aus Bau und Betrieb die Investitionen bis 2028, also innerhalb von zehn Jahren, wieder einbringen würden (KPMG 2014: 99). Bis heute wurden mehrere geplante Elemente des Entwicklungsprojekts entweder noch nicht begonnen oder ihre Fertigstellung scheint unwahrscheinlich.

Alle drei hier untersuchten Räume werden so umgestaltet, dass sie die Bedürfnisse von Touristen und wohlhabenderen Bevölkerungsschichten erfüllen. Die Projekte betreffen einige der zentralsten Gebiete der ungarischen Hauptstadt, die bereits vor diesen Bauvorhaben als Wohngebiete für die meisten Einwohner_innen der Stadt unbezahlbar waren. Daher führen die Umgestaltungen nicht zu einer weiteren signifikanten Fragmentierung des sozioökonomischen Gewebes der Stadt, auch wenn sie zur Verschärfung bereits bestehender Ungleichheiten beitragen.[22] Nur im Fall von LIGET wurde ein emblematischer alternativer kultureller Raum aus der Umgebung des Stadtparks verdrängt, um Platz für ein großes Bauvorhaben eines der Regierung nahestehenden Unternehmens zu schaffen (Kalácska-Nagy 2022). Wie Akçalı und Korkut (2015) zeigen, legen die geschaffenen Räume implizit die von der Regierung bevorzugte Öffentlichkeit fest und schließen demographische Gruppen aus, die nicht in das Selbstbild des Regimes passen.[23]

Schon früh nach der Wende positionierten sich die ungarischen Rechten gegen die zunehmende Dominanz des internationalen Kapitals und befürworteten die Herausbildung einer „nationalen Bourgeoisie“, die „‚ungarische‘ Interessen“ vertrete (Gagyi 2016: 355). Nach 2010 wurde die Förderung einer solchen neuen wirtschaftlichen Elite als zentrales Element des Widerstands des Landes gegen die Austeritätspolitik der internationalen Organisationen zu einem zentralen Narrativ innerhalb der populistischen Artikulationen der Regierung. Öffentliche Bauaufträge stellen eine zentrale Einnahmequelle dar für eine neu entstehende nationale Kapitalist_innenklasse, die eng mit der politischen Elite des Landes verbunden ist (Pogátsa 2021: 164 ff.). Die Stadtentwicklungen tragen auch zum Wachstum des Tourismussektors bei, vor allem des Billigtourismus (Geva 2021: 84), einer weiteren Säule der Wirtschaftspolitik des Regimes (Office of the National Assembly 2010: 19). Prekäre Arbeitsplätze im Bausektor und im Tourismus sind auch für das Versprechen der Regierung, „1 Million neue Arbeitsplätze“ zu schaffen, das im Programm der Nationalen Zusammenarbeit verkündet wurde, von entscheidender Bedeutung (ebd.: 18).

Zusammenfassend spiegeln die Stadtentwicklungsprojekte eine wichtige Neuausrichtung der ungarischen Wirtschaftspolitik nach 2010 wider. Der Staat spielt in diesem Zusammenhang die Rolle des „primären Vermittlers von Kapitalakkumulation“ (Geva 2021: 73; Übers. d. A.). Eine neue einheimische Wirtschaftselite wird durch öffentliche Aufträge unterstützt, was mit der Begründung legitimiert wird, dass diese sich gegen die wachsende Marktmacht des internationalen Kapitals stelle, die von den vorangegangenen sozialistisch-liberalen Regierungen unterstützt wurde. Wie die Soziologin Dorit Geva zeigt, gibt es dennoch viele „Elemente neoliberaler Kontinuität“ in der Politik der gegenwärtigen Regierung, wie zum Beispiel „die Intensivierung der Marktöffnung, die Flexibilisierung der Arbeit und die Kommodifizierung und sogar Finanzialisierung der sozialen Reproduktion“ (ebd.: 74; Übers. d. A.). In diesem Zusammenhang spielen SIP, NHP und LIGET nicht nur eine wichtige Rolle bei der nationalistischen Repräsentation, sondern sie tragen auch zur Herausbildung einer neuen, regierungstreuen nationalen Bourgeoisie bei.

5. Fazit

Seit das derzeitige ungarische Regime 2010 an die Macht kam, wurden die meisten der wichtigen symbolischen Räume Budapests im Rahmen von staatlich geleiteten großräumigen Stadtentwicklungsprojekten umgestaltet. In meiner Analyse habe ich mich auf die institutionellen und prozeduralen Strukturen von drei der symbolträchtigsten Projekte dieser Art konzentriert und zwei damit verbundene Fragen gestellt: Welche Rolle spielt diese Art der Stadtentwicklung bei der Reproduktion der dichotomen ideologischen Struktur des Landes? Welche Kontinuitäten oder Brüche stellen die untersuchten Projekte dar im Vergleich zur neoliberalen urbanen Governance von Budapest vor 2010 und zu den Projekten der westlichen Staaten, gegen die sich die Regierung in ihren populistischen Artikulationen abgrenzt?

In meiner Untersuchung habe ich mich darauf konzentriert, (1) wie die Reproduktion des Antagonismus zwischen „der Nation“ und „dem Neoliberalismus“ als negativer Grund dient, um die Entscheidungsfindung bei Stadtentwicklungsprozessen der Hauptstadt auf höchster Exekutiv­ebene zu zentralisieren. Dies spielt eine wichtige Rolle im Bestreben des ungarischen Regimes, lokale Regierungsstrukturen und demokratische Verfahren zu schwächen, die seine Macht einschränken. Die untersuchten Projekte spiegeln eine autoritäre Machtkonzentration in Bezug auf die Stadtentwicklung in den Händen der Exekutive wider, während sie sich auf dieselben institutionellen Strukturen stützen, die für neoliberale Stadtentwicklungsprojekte charakteristisch sind. Dies zeigt, wie populistische politische Artikulationen, die eine Grenze zwischen „dem Volk“ und einem bedrohlichen – neoliberalen – Außen ziehen, dem gegenwärtigen ungarischen Regime als ideologische Legitimation dienen, obwohl es faktisch nicht mit der neoliberalen Rationalität bricht. Des Weiteren (2) wird die betriebswirtschaftlich-technologische Rationalität, die in erster Linie mit der neoliberalen Stadtverwaltung in Verbindung gebracht wird, auch nicht vollständig aus der Umsetzung der vom Staat beschlossenen Projekte verbannt. Im Gegenteil: Die Institutionen und Beamt_innen, die als Vermittler_innen zwischen der Regierung und der Öffentlichkeit fungieren, versuchen, Kritik aus einer vermeintlichen Expert_innenposition heraus zu entschärfen. Es ist auch vorteilhaft, die Regeln für die Repräsentation der betroffenen Bürgerinnen und Bürger so vage wie möglich zu halten, denn es ist die „vereinigte Nation“, die als Nutznießer der Projekte artikuliert wird. Dies dient gleichzeitig als zentrale Legitimation. (3) Großräumige Stadtentwicklungsprojekte spielen eine wichtige Rolle bei der Umverteilung von Kapital an eine neue einheimische Kapitalist_innenklasse durch Bauaufträge. Die Herausbildung dieser neuen Wirtschaftselite wird als zentral für die Unabhängigkeit des Landes vom internationalen Kapital dargestellt und soll somit den Interessen der gesamten Nation dienen. Die Legitimation entsteht also ebenfalls aus der ideologischen Spaltung, die durch die populistischen Artikulationen der Regierung reproduziert wird.

Die Fallstudien zeigen, wie rechte Kritiker_innen der hegemonialen Ordnung mit der Legitimationskrise des Neoliberalismus dessen Instrumente neu artikulieren, zum angeblichen Nutzen eines vermeintlich geeinten Volkes, das sie direkt zu vertreten behaupten. Wie der Geograph Erik Swyngedouw (2013: 148 f.) betont, ist die neoliberale Governance selbst eine Form des urbanen Populismus, welche die Einheit „des Volkes“ oder der Stadtbewohner_innen gegen Bedrohungen von außen konstruiert. Seit 2008 ersetzen so aufstrebende „populistische“ Regime die vagen ökologischen und anderen Bedrohungen, vor denen die hegemoniale Ordnung geschützt werden muss. Gleichzeitig kanalisieren rechtspopulistische Regime nationalistische Stimmungen auf die andere Seite des gleichen antagonistischen Verhältnisses. Was auf den ersten Blick wie eine durchgreifende Politisierung aussieht, trägt in Wirklichkeit zur Stabilisierung des Neoliberalismus und zur Unterdrückung kritischer Stimmen bei (Marchart 2017). Politisch gesehen bleibt damit die Wahl zwischen den Befürworter_innen des Status quo, der zur Verarmung wachsender Teile der Gesellschaft führt, während ein kleiner elitärer Kreis immer reicher wird, oder zunehmend autoritären rechten politischen Akteur_innen, die die wachsende Unzufriedenheit in reaktionäre, rassistische, frauenfeindliche und homophobe Stimmungen kanalisieren und keine echten wirtschaftlichen oder sozialen Alternativen bieten.

Entsprechend meiner Analyse dieser drei großräumigen Stadt­entwicklungsprojekte in Budapest nach 2010 kann die Ausgangsthese des Artikels bestätigt werden. Alle drei untersuchten Projekte spielen eine wichtige Rolle bei der Reproduktion des Bildes einer ungarischen Regierung, die ihre Souveränität gegenüber ihrer nationalen und internationalen neoliberalen Opposition durchsetzt. Gleichzeitig folgen die institutionellen und prozeduralen Strukturen dieser Projekte jedoch weitgehend den für die neoliberale Stadtentwicklung seit den 1980er-Jahren charakteristischen Mustern. In diesem Zusammenhang erweist sich ein diskurstheoretischer Ansatz zum Populismus als aufschlussreich, um nachzuvollziehen, wie sich die Spaltung des politischen Raums Ungarns in den Organisationsstrukturen der Stadtentwicklung Budapests widerspiegelt und reproduziert und wie dies als Legitimation für die Verschärfung autoritärer Tendenzen der neoliberalen Stadtentwicklung dienen kann.