sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(3/4), 233-244

doi.org/10.36900/suburban.v11i3/4.885

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Debatte zu: Daniela Zupan, Matthias Naumann, Gala Nettelbladt, Kristine Beurskens: „Was heißt hier Widerstand?“

Kommentare von: Kirsten Angermann, Sören Becker, Peter Bescherer, Tuba İnal-Çekiç, Alke Jenss, Felicitas Kübler, Leon Rosa Reichle, Lela Rekhviashvili, Andrei Semenov, Urszula Woźniak

Was heißt hier Widerstand?

Widerständige Praktiken im Kontext von autoritärem Urbanismus

Daniela Zupan, Matthias Naumann, Gala Nettelbladt, Kristine Beurskens

Widerstand gegen autoritäre Verhältnisse, das zeigt nicht zuletzt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, wird aktuell wieder wichtiger. Dabei ist das Phänomen Widerstand alles andere als eindeutig fass- und beschreibbar. Ein die Machthabenden karikierendes Graffiti auf der Hausmauer eines von Abriss und Zwangsumsiedlung bedrohten Wohnareals in Bangkok, eine politisch inspirierte, marginalisierten und diskriminierten Gruppen eine Stimme und Anerkennung gebende Straßenumbenennung in einem neuen Stadtentwicklungsvorhaben in Budapest, Demonstrationen gegen den geplanten Stadtumbau auf dem Gezi-Park-Gelände in Istanbul oder eine ironische Auseinandersetzung mit industrieller Wohnungsproduktion in Form eines sowjetischen Films – dies sind nur einige Beispiele für die vielfältigen Formen von Kritik an gegenwärtigen und vergangenen Formen autoritären Urbanismus. Doch wann und wodurch wird etwas zum Widerstand und welche verschiedenen Formen kann das im Kontext von autoritärem Urbanismus annehmen?

Indem wir die Formen und das Potenzial von Widerstand in autoritär geprägten, urbanen Kontexten in den Vordergrund rücken, ergänzt diese Debatte das Themenheft zu autoritärem Urbanismus um eine wichtige Facette. Dieses Heft beschäftigt sich vorwiegend mit dem Wechselverhältnis von Stadt und Autoritarismus, indem es Städte als entscheidende Orte für autoritäre Interventionen sichtbar macht, den gezielten Einsatz von Stadtentwicklung für den Erhalt und die Stabilisierung autoritärer Praktiken und autoritär geprägter Formen des Regierens diskutiert sowie die Rolle von Urbanismus für aktuell vielerorts zunehmende Prozesse der Autokratisierung in den Vordergrund rückt. Städte sind aber auch zentrale Orte für prodemokratische Bewegungen und gelten gemeinhin als Bastionen des Widerstands gegen Illiberalismus und Autoritarismus. Mit dieser Debatte möchten wir Raum bieten, um die vielseitigen und komplexen Formen des Widerstands gegen autoritären Urbanismus zu thematisieren, und zu weitergehenden Auseinandersetzungen einladen. Uns interessiert, welche Ansätze von Widerstand die Stadtforschung bereithält, ob sich diese kontextübergreifend anwenden lassen oder ob Widerstand – je nach Kontext – immer etwas anderes bedeuten kann.

Ganz im Sinne der Konzeption dieses Heftes beschränkt sich diese Debatte nicht auf Widerstand in autoritären Staaten. Praxistheoretische Ansätze von Autoritarismus heben die Koexistenz liberaler und illiberaler beziehungsweise demokratischer und autoritärer Praktiken in allen, demokratischen wie autoritären, Regierungsformen hervor (z. B. Jenss/Schuetze 2021; Koch 2022). Dadurch wird Widerstand gegen autoritären Urbanismus zu einem potenziell global zu beobachtenden und analysierenden Phänomen. Wir nehmen also nicht von vornherein eine Trennung zwischen Widerstand in autoritären und demokratischen Staaten vor, sondern folgen Christian Krohn-Hansen (2005: 117), wenn dieser fordert, dass „[w]e must examine authoritarian histories – like other histories – on the basis of detailed explorations of power relationships, forms of agency and meanings“. Aus einer solchen Perspektive zeigt sich, dass auch in stark autoritär geprägten Kontexten verschiedene Formen von Widerstand vorhanden sind (Kotkin 1995; Scott 2000; Yurchak 2006). Ein solches Vorgehen darf selbstverständlich nicht dazu führen, dass wir profunde Unterschiede zwischen autoritären und demokratischen Staaten ignorieren, übersehen oder vernachlässigen, aber es bedeutet, den ebenso verschiedenen wie vielseitigen Kontexten zunächst mit Offenheit und Unvoreingenommenheit zu begegnen.

Bevor wir konkrete Fragen zu Widerstand gegen autoritäre Praktiken und Politik in urbanen Kontexten für die Diskussion formulieren (vgl. Abschnitt 3), wollen wir uns dem Phänomen Widerstand zunächst aus unterschiedlichen Perspektiven nähern, diese anhand einflussreicher Ansätze und Beispiele der Stadtforschung veranschaulichen (vgl. Abschnitt 1) sowie einige Aspekte hinsichtlich deren Übertragbarkeit auf autoritäre Kontexte diskutieren (vgl. Abschnitt 2).

1. Was heißt Widerstand? Ein Blick in die Stadtforschung

Widerstand fand im Zuge des „Foucauldian Turn“ und seiner berühmten Aussage „where there is power there is resistance“ ab den 1970er-Jahren schrittweise als analytisches Konzept Eingang in die sozialwissenschaftliche Forschung (Rabinowitz 2014: 475). Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass „[a]t its core, resistance involves opposition – active, passive, artfully disguised, attributed, or even inferred“ (Viola 2000: 46).

Was aber konkret als Widerstand verstanden wird, wo dieser beginnt und aufhört und in welchem Bezug er zu anderen Phänomenen, wie etwa Protest oder sozialen Bewegungen, steht, wird in der Forschung unterschiedlich und immer wieder neu diskutiert. In der Stadtforschung ist es vor allem die Forschung zu städtischen sozialen Bewegungen und urbanem Aktivismus, die häufig auf den Begriff des Widerstands rekurriert und dessen Verständnis stark geprägt hat. Unter Widerstand werden hier vor allem kollektive und zielgerichtete Handlungen meist in irgendeiner Weise marginalisierter, unterdrückter Gruppierungen verstanden, die sich gegen dominante gesellschaftliche Verhältnisse richten (z. B. Leitner/Sheppard/Sziarto 2008). Vielfach findet eine Bezugnahme auf Lefebvres „Recht auf Stadt“ und auf die Möglichkeiten des Widerstands gegen aktuelle Formen des Neoliberalismus statt (z. B. Novy/Colomb 2016; Gestring/Ruhne/Wehrheim 2014; Mayer 2013; Purcell 2002, 2009). Gleichwohl fällt auf, dass der Begriff Widerstand nicht immer klar definiert oder von anderen Begriffen abgegrenzt wird. Beispielsweise umgehen Claire Colomb und Johannes Novy in ihrem 2016 erschienenen Sammelband Protest and resistance in the tourist city eine klare Definition und Abgrenzung ihrer Kernbegriffe Protest und Widerstand, indem sie beide gleichermaßen als Kämpfe rund um gegenwärtige Prozesse von Stadtentwicklung, Urban Governance und dem „Recht auf Stadt“ deuten (Novy/Colomb 2016: 6). Protest und Widerstand werden hier primär als sichtbare Formen kollektiver Mobilisierung verstanden, das heißt als „fully-fledged social mobilizations“, wobei die Autor_innen darauf hinweisen, dass sich die Formen unterscheiden und mancherorts auch in „micro-practices of resistance“ äußern könnten (ebd.: 13). Es ist aber sicherlich kein Zufall, dass solche micro-practices eine eher marginale Rolle in diesem Forschungsfeld einnehmen, das viele seiner Konzepte aus der Beobachtung von Prozessen in Großstädten westlich-liberaler Demokratien generiert hat.

Im Gegensatz dazu stehen solche micro-practices im Zentrum jener Arbeiten, die sich mit widerständigen urbanen Praktiken in stark autoritären Kontexten befassen. Diese werden in der Literatur durch unterschiedliche Begrifflichkeiten wie „everyday resistance“ (Kozlov 2011; Scott 2000), „slow resistance“ (Fung/Lamb 2023), „quiet resistance“ (Clément/Zhelnina 2020), „liminal resistance“ (Fröhlich/Jacobsson 2019) oder „the little tactics of the habitat“ (Kotkin 1995) zu fassen gesucht. Was diese Arbeiten von den zuvor genannten unterscheidet, ist, dass sie Widerstand nicht primär auf kollektive, organisierte und offen artikulierte Formen, wie wir sie vor allem aus demokratischen Kontexten kennen (z. B. Demonstrationen), beschränken, sondern stattdessen stärker auf die individuelle Ebene und auf alltägliche und oft auch „leisere“ Praktiken fokussieren.

In den folgenden Abschnitten diskutieren wir anhand von Erkennt­nissen aus diesen beiden exemplarisch genannten Feldern, was als Widerstand definiert wird, wer das definiert, und welche Formen dieser annehmen kann. Wir tasten uns damit an das komplexe Phänomen des Widerstands heran, indem wir es aus verschiedenen Blickwinkeln diskutieren, nämlich hinsichtlich seiner Formen, Intentionen und Wirkungen.

Als erste Facette findet sich in der Literatur häufig die Unterscheidung zwischen offen als Widerstand deklarierten Formen und nicht offen deklarierten. Zu den typischen Formen des offenen Widerstands zählen etwa Demonstrationen und Protestmärsche, Petitionen, Streiks und Arbeitsniederlegungen, Flugblätter, Aufstände, aber auch Brandstiftung, Anschläge und vieles andere mehr (Kotkin 1995: 46). Daneben existieren allerdings viele weitere Formen des Widerstands, die jedoch von den Widerständigen nicht offen als solche kenntlich gemacht werden. Dazu können beispielsweise Sabotage und Diebstahl ebenso zählen wie jene „everyday forms of resistance“, wie sie etwa James C. Scott bereits 1985 in Weapons of the weak beschrieben hat. Während die offenen Formen des Widerstands relativ unstrittig sind, besteht Uneinigkeit darüber, was als nicht offene Form des Widerstands gilt und unter welchen Bedingungen diese auftreten.

An dieser Stelle schließt eine zweite Facette an, nämlich die Frage nach der Intention. Bildet die jeweilige Motivation der Handelnden den entscheidenden Faktor, durch den Handlungen zum Widerstand werden? Durch diesen Fokus wird es möglich, all jene (offenen wie nicht offenen Formen) als widerständig zu deuten, wenn diese von den handelnden Akteur_innen als solche intendiert sind. Das klingt zunächst plausibel, öffnet aber mehrere weiterführende Fragen. Zum einen stellt sich die Frage, wie „weit“ der intendierte Widerstand gehen muss. In anderen Worten: Ist es nur dann Widerstand, wenn systemische Veränderungen im Sinne eines radikalen Gesellschaftswandels verfolgt werden (z. B. Harvey 2013), oder auch, wenn inkrementell die Spielräume innerhalb bestehender Systeme zu verändern und zu erweitern gesucht werden? Handelt es sich nur um Widerstand, wenn bestehende Regeln überschritten werden?

Zum anderen sind es durchaus nicht immer die Intentionen der Widerständigen, sondern die Zuschreibungen anderer Akteur_innen, die etwas zum Widerstand machen. Stephen Kotkin (1995: 277) beispielsweise zeigt anhand spontan entstandener Märkte in der neu gegründeten Stadt Magnitogorsk in der Sowjetunion, dass diese während des Stalinismus primär als Instrument des Überlebens oder der privaten Bereicherung dienten. Erst dadurch, dass die Machthabenden diese Märkte als politische Opposition im Sinne einer ökonomischen Gegenrevolution deuteten, wurden sie zu Räumen des Widerstands und bestimmte Praktiken zu politischen Statements, die nicht unbeträchtliche Konsequenzen nach sich ziehen konnten (ebd.: 277, 505). Die Frage nach der Deutungsmacht von Widerstand steht somit im Fokus. An dieser Stelle ist zudem Vorsicht geboten, denn eine wie eben geschilderte Politisierung kann durchaus nicht nur von beteiligten Akteur_innen und Machthabenden erfolgen, sondern auch durch Wissenschaftler_innen selbst (vgl. z. B. Viola 2000: 50).

Schließlich kommt eine dritte Facette hinzu, indem Widerstand in Relation zu seinen Wirkungen diskutiert wird. Selbst wenn es möglich wäre, die Intention der Akteur_innen freizulegen – reicht dies aus oder müssen nicht vielmehr die Wirkungen widerständiger Praktiken als maßgebender Faktor in den Blick genommen werden? Braucht es gar beides, um von Widerstand sprechen zu können? Gerade an Beobachtungen von Widerstand in autoritären Kontexten zeigt sich, dass die Bezüge zwischen Intention und Wirkung äußerst komplex sein können, sodass etwa nicht als Widerstand intendierte Praktiken zu profundem Systemwandel oder intendierter Widerstand zur Stabilisierung eines Regimes beitragen können. Hinsichtlich des ersten Falles zeigt Alexei Yurchak (2006: 34) anhand urbaner kultureller Milieus in der Sowjetunion der 1960er- und 1970er-Jahre, dass die Mitglieder dieser Gruppierungen sich nicht unbedingt als Widerstand gegen den sozialistischen Staat verstanden, ihre Praktiken aber dennoch zu profunden Verschiebungen geführt haben, die letztlich mit zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen haben. Hinsichtlich des zweiten Falles ist ein Beispiel aus Scotts (1985) auch in der Stadtforschung einflussreichem Buch Weapons of the weak aufschlussreich. So beschreibt er, wie die Bauernschaft unterschiedliche Tricks anwandte, etwa das Zugeben von Steinen in die Ernte, um damit die Eintreiber zu täuschen. Christine P. White (1986) interpretiert das Beispiel jedoch weniger als Selbstermächtigung. Sie argumentiert stattdessen, dass solche als widerständig intendierte Praktiken in manchen Fällen lediglich die Illusion von mehr Macht und Handlungsfähigkeit vermitteln würden, wodurch sie blind machten für die schmerzhafte Realität und das Ausmaß von Machtlosigkeit und Ausbeutung der Akteur_innen. In anderen Worten, widerständige Praktiken können die jeweils herrschenden Mechanismen der Unterdrückung gegebenenfalls sogar verstärken.

2. Was heißt hier Widerstand? Urbaner Widerstand jenseits liberaler Regierungsformen

Der russische Historiker Vladimir A. Kozlov (2011: 25) berichtet von einem 1974 erschienenen Interview, in dem der russische Poet Aleksandr Galich nach seiner Emigration aus der Sowjetunion zur sowjetischen Dissidentenbewegung befragt wurde. Galich wies sowohl die damals in der westlichen Presse übliche Bezeichnung des „Dissidenten“ als auch die des in der Sowjetunion gebräuchlichen „Nonkonformisten“ zurück. Sich stattdessen des französischen Wortes „résistance“ bedienend, schlug Galich vor, mit Blick auf die Sowjetunion vielmehr von „stiller résistance“ zu sprechen, um auf den kulturell wie historisch spezifischen Kontext genauso wie auf die vielfältigen in der Sowjetunion gebräuchlichen subversiven Praktiken des Widerstands aufmerksam zu machen (ebd.).

In diesem Interview werden mehrere für unsere Debatte zentrale Punkte sichtbar. Zum einen, dass Widerstand immer verortet im jeweiligen Kontext verstanden und definiert werden muss. An dieser Stelle folgen wir Saba Mahmood (2001: 212), wenn diese postuliert: „[I]f the ability to effect change in the world and on oneself is historically and culturally specific (both in terms of what constitutes ‚change‘ and the capacity by which it is effected), then its meaning and sense cannot be fixed a priori.“ In diesem Sinne kann es unserer Ansicht nach weder eine universelle noch eine abschließende Definition von Widerstand geben. Vielmehr bedarf es eines genauen Blickes, um zu verstehen, wie Widerstand in verschiedenen Kontexten aussieht und praktiziert wird, wo gegebenenfalls Einschränkungen, aber auch Möglichkeiten bestehen und welche spezifischen Charakteristika und Formen daraus resultieren.

Zum anderen verweist das Interview auch auf ein strukturelles Problem, nämlich auf welche Verständnisse und Konzepte wir zugreifen, um in der Forschungscommunity und darüber hinaus miteinander zu kommunizieren. Galich greift bezeichnenderweise auf den französischen Begriff der résistance zurück in dem Versuch, einem westlichen Publikum etwas von der Spezifik des Widerstands im sowjetischen Kontext vermitteln zu können. Bis heute sind Verständnisse von Widerstand von westlich-liberalen Vorannahmen geprägt, weswegen verbreitete Verständnisse nicht nur kritisch hinterfragt, sondern auch daraus resultierende Ungleichheiten und Missverständnisse in der Kommunikation freigelegt werden müssen. So werden autoritäre Staaten häufig auf nicht liberale Regierungspraktiken reduziert und es wird angenommen, dass diese lediglich durch Unterdrückung, Zwang und Gewalt regieren. Aus einer solchen Perspektive heraus werden die Räume und Möglichkeiten für Widerstand entweder als äußerst beschränkt oder als gar nicht vorhanden verstanden (Chatterjee/Petrone 2008: 983). Es wurde jedoch mittlerweile umfassend belegt, dass selbst höchst autoritäre Regime Subjekte „capable of action and agency“ hervorbringen (ebd.: 978), genauso wie Praktiken des Widerstands. Die Formen, die Letzterer annimmt, werden allerdings häufig nicht als Widerstand erkannt, da es nicht unbedingt dieselben sind, wie sie in liberal-demokratischen Kontexten vorherrschen.

Doch die Frage ist nicht nur, welche Formen aus einer „westlichen“ beziehungsweise „liberal-demokratischen“ Brille heraus übersehen werden, sondern auch, auf welchen impliziten Vorannahmen gängige Verständnisse von Widerstand beruhen. Trotz zahlreicher, mittlerweile erschienener Studien hält sich das Bild vom vollständig unterdrückten, manipulierten oder „brainwashed“ Individuum in autoritären Regimen (ebd.: 983, 972). Dem/der Forscher_in kommt in der Folge die Aufgabe zu, hinter die angenommene „falsche Fassade“ zu blicken und dadurch die „wahre“ Position der befragten „Unterdrückten“ freizulegen, „which is invariably assumed to be resistance to ‚external‘ oppression“ (Koch 2013: 413). Viel zu vorschnell würde, so Natalie Koch (ebd.) weiter, daher manch Wissenschaftler_in in autoritären Kontexten widerständige Praktiken und Intentionen ausmachen, anstatt den komplexen und häufig viel weniger eindeutigen Staats-Gesellschafts-Beziehungen nachzugehen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass gängige Verständnisse von Widerstand von liberalen Subjekten und einem humanistischen Verständnis politischen Handelns ausgehen (Mitchell 1990: 564; vgl. auch Round/Williams/Rodgers 2008). Es muss dabei jedoch bedacht und anerkannt werden, dass liberale Subjekte durchaus nicht in allen Kontexten die Dominierenden sind (Koch 2013: 413).

Das Interview macht schließlich deutlich, dass es vielfältige Stimmen braucht, um die oben angeführte notwendige Diversität der Phänomene von und Blickwinkel auf Widerstand gegen autoritären Urbanismus sichtbar zu machen. Entsprechend kommen als Beitragende für diese Debatte bewusst verschiedene Stimmen zu Wort, die nicht nur dazu eingeladen sind, ihre Verständnisse von Widerstand, sondern auch dessen kontextspezifische Verortung zu reflektieren.

3. Fragen zu Widerstand im Kontext des autoritären Urbanismus

Mit diesem Debattenaufschlag wollen wir nicht nur auf die Komplexität des Phänomens Widerstand hinweisen, etwa hinsichtlich seiner Formen, Intentionen und Wirkungen, sondern auch auf seine vielfältigen und lokal situierten Bedeutungen. Diese beiden übergeordneten Aspekte halten wir für zentral, wenn es darum geht, mögliche Antworten auf die Frage „Was heißt hier Widerstand?“ zu formulieren. Ausgehend von diesen Aspekten laden wir die Autor_innen dazu ein, sich mit folgenden Fragen auseinanderzusetzen:

  1. Wie kann Widerstand im Kontext autoritärer urbaner Praktiken gefasst werden? Welche Beispiele können dazu beitragen, das Verständnis von Widerstand gegen autoritäre Stadtpolitik/Urbanismus beziehungsweise für städtischen Widerstand gegen autoritäre Politik allgemein zu erweitern?
  2. Welche Potenziale bieten wissenschaftliche Praxis oder künstlerische Interventionen für den Widerstand gegen autoritären Urbanismus?
  3. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen Widerstand gegen autoritären Urbanismus in autokratischen Kontexten auf der einen und in tendenziell demokratisch geprägten Kontexten auf der anderen Seite?
  4. Können selbst höchst autoritäre und geschlossene Regime Subjekte und Praktiken des Widerstands hervorbringen? Und wenn ja, wo fängt Widerstand an und wo hört er auf?
  5. Ist die im Aufschlag knapp skizzierte „Teilung“ der Forschungsliteratur in jene Ansätze, die Widerstand vorrangig als kollektive, organisierte und offene Formen des Protests verstehen, und jene, die die alltäglichen Mikropraktiken des Widerstands hervorheben, schlichtweg eine Reflexion dessen, welche Formen von Widerstand in welchem Kontext (nicht) möglich sind, oder spiegelt sie grundsätzliche Unterschiede zwischen widerständigen Praktiken in stark autokratischen Kontexten und tendenziell demokratisch geprägten Kontexten wider?
  6. Beschränken erstere Ansätze Widerstand zu sehr, indem sie diesen auf bestimmte (kollektive und organisierte) Formen fokussieren und von liberalen Subjekten ausgehen? Oder neigt umgekehrt letzterer Ansatz dazu, Widerstand zu depolitisieren, indem eine derart breite Palette von Praktiken als Widerstand zu fassen gesucht wird, die es eigentlich gar nicht ist?
  7. Können die Bezüge zwischen Intention und Wirksamkeit widerständiger Praktiken so ambivalent sein, dass nicht intendierter Widerstand zu profundem Systemwandel oder intendierter Widerstand zur Stabilisierung eines Regimes beitragen kann? Ist das dann noch Widerstand?

Diese Fragen stehen exemplarisch für eine lohnenswerte Auseinander­setzung der Stadtforschung mit urbanen Räumen als Arenen von Widerstand, aber auch mit der eigenen Rolle als politische_r Akteur_innen. Die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse zeigen dabei nicht nur die Bedeutung von Widerstand, sondern auch die Notwendigkeit einer kritischen Forschung zu Konzepten und Praktiken von Widerstand.