sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(3/4), 301-310

doi.org/10.36900/suburban.v11i3/4.904

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Debatte zu: Daniela Zupan, Matthias Naumann, Gala Nettelbladt, Kristine Beurskens: „Was heißt hier Widerstand?“

Kommentare von: Kirsten Angermann, Sören Becker, Peter Bescherer, Tuba İnal-Çekiç, Alke Jenss, Felicitas Kübler, Leon Rosa Reichle, Lela Rekhviashvili, Andrei Semenov, Urszula Woźniak

Was heißt hier – und dort – Widerstand?

Kommentar zu Daniela Zupan, Matthias Naumann, Gala Nettelbladt und Kristine Beurskens „Was heißt hier Widerstand? Widerständige Praktiken im Kontext von autoritärem Urbanismus“

Peter Bescherer, Leon Rosa Reichle

1. Widerstand als analytische Perspektive?

Unsere Antwort auf die Frage des Debattenaufschlags (Zupan et al. 2023) – wer definiert, was Widerstand ist – lautet: Wir sind uns einig, dass wir es nicht tun, auch weil Widerstand schwer zu greifen, diffus und selten klar definiert ist. Deshalb arbeiten wir selbst nicht mit dem Begriff. Politisch-aktivistisch reagieren wir mit Zurückhaltung, changiert die Beschreibung der eigenen Praxis als widerständig doch zwischen Großmäuligkeit (Befinden wir uns tatsächlich „im Widerstand“?) und falscher Freundschaft („Widerstand gegen die Corona-Diktatur“). Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen nehmen wir die Einladung an, einen Beitrag zum Bild der Komplexität von Widerstand zu zeichnen. Unsere anekdotische Herangehensweise speist sich aus zwei völlig verschiedenen Projekten in zwei Städten, die zwar geographisch nicht weit auseinanderliegen, alltagsweltlich jedoch sehr: Gera und Leipzig. Wir können und wollen die beiden nicht miteinander vergleichen, doch aber an ihnen verschiedene Aspekte herausarbeiten, die uns in den im Debattenaufschlag vorgeschlagenen Skizzen von Widerstand im autoritären Urbanismus etwas zu kurz kommen: die Verquickung von Anpassung und Widerstand; seine affektive (statt intentionale) Komponente und seine parallele Organisierung und Desorganisierung.

Dabei fassen wir, als Ergebnis unserer Erfahrungen, autoritären Urbanismus als Zusammenhang zwischen städtischer Austerität und zunehmender Vermarktlichung der Sphäre der sozialen Reproduktion (mit allen damit einhergehenden antidemokratischen Tendenzen) einerseits und autoritärer Subjektivierung andererseits. Letztere manifestiert sich darin, dass politökonomische Entwicklungen zwar in Teilen infrage gestellt werden, dabei jedoch auf gesellschaftliche Hierarchisierungen rekurriert wird und marginalisiertere Sündenböcke für eigene Entfremdungserfahrungen gesucht werden.

Unser Verständnis von Widerstand bleibt nah am Sprachbildlichen: den Strom der Dinge aufhalten, eine starke und riskante Verhaltensweise, selten mit ausformuliertem Programm. Gegen die rationalistische Verengung des Begriffs möchten wir herausstellen, dass Widerstand mit starken Affekten, mit Wut und Angst, aber auch mit Mut und Kraft einhergeht. In die Kategorien der Bewegungsforschung will das Widerständige nicht passen; es ist schwer greifbar und hat keinen klaren politischen Vektor. Wir beobachten ein Spannungsfeld von Anpassung und Widerstand im Kontext von Organisierung und Desorganisierung. Die betrachteten Unschärfen und Ambivalenzen stellen nicht zuletzt eine praktisch-aktivistische Herausforderung dar.

2. Prekärer Alltag und urbaner Autoritarismus

Unsere Perspektive auf autoritären Urbanismus basiert auf wissenschaftlichen und aktivistischen Beobachtungen in zwei ostdeutschen Städten: dem nach einer Postwendedürre boomenden Leipzig und Gera, der deindustrialisierten, ehemaligen Bezirks- und Großstadt, die 2012 mit ihrer kommunalen Insolvenz und jüngst mit rechts geprägten Coronademos mediale Aufmerksamkeit erregte. Unsere daraus entstehenden Überlegungen bewegen sich an der Schnittstelle von urbanen Neoliberalisierungsprojekten und autoritärer Subjektivierung.

Das bedeutet konkret, dass wir uns mit historischer wie aktueller ostdeutscher städtischer Austerität auseinandersetzen: mit Schrumpfung, Deindustrialisierung, Kapitalabfluss, Transferabhängigkeit, Privati­sierungen und der neoliberalen Wohnungsfrage. Im Leipziger Kontext beobachten wir die zunehmende Finanzialisierung von Mietwohnungen samt starker (wohnungs-)politischer Einflussnahmen seitens der Wohnungswirtschaft sowie Stadtbewohner:innen, die zunehmend die Kontrolle über die Entwicklung ihres Lebensumfeldes verlieren. Diesen Zusammenhang begreifen wir als Entfremdung beziehungsweise Wohnentfremdung. In Gera folgte im Kontrast zu Leipzig auf Austerität und Schrumpfung kein Boom. So existiert hier keine einflussreiche Wohnungswirtschaft. Dennoch ist die Stadtpolitik enorm abhängig von ökonomischen Netzwerken, die von rechtsoffenen bis rechten Betrieben und Immobilieneigentümern durchzogen sind.

In Verbindung damit nimmt unsere Arbeit die alltägliche Dimension von urbanem Autoritarismus in den Blick, also die subjektive Auftreffstruktur autoritärer Machtausübung und deren Verarbeitung, die selbst in autoritäre Verhaltensweisen verstrickt sein kann (Bescherer et al. 2021). Die wissenschaftliche Analyse rassistischer Umgangsweisen mit Wohnentfremdung oder ideologisch-nostalgischer Aneignungsversuche in Leipzig begleitet unsere aktivistischen Fragen zu Organizing (Reichle/Bescherer 2021). Im Geraer Kontext beobachten wir eine Zivilgesellschaft, die auf rechte Hegemonie und grassierendem Alltagsrassismus größtenteils mit Schweigen und manchmal mit Widerspruch reagiert (Hallawe 2021). Hierzu liegen uns erste Ergebnisse eines Forschungsprojekts zum lokalstaatlichen Umgang mit Rassismus vor (Reichle et al. i. E.).[1]

3. Geraer Braune Soße und Leipziger Allerlei

In der thüringischen Mittelstadt Gera zeigt sich eine autoritäre Normalität, in der bereits unscheinbare Handlungen zum widerständigen Kraftakt werden. Zugleich zeigen sich starke Beharrungskräfte, die diesen Widerstand desorganisieren. Beides ist geprägt von affektiven Elementen, die im Spannungsfeld von Anpassung und Auflehnung entstehen.

Die autoritäre Normalität zeigt sich beispielsweise an der unscheinbaren Wochenzeitung Neues Gera. Sie versammelt Berichte aus Sport, Kunst und Sozialarbeit, gesäumt von zahlreichen Anzeigen. Auffällig blau unterlegt findet sich darin ein langes Pamphlet eines Thüringer Landtagsabgeordneten der „Alternative für Deutschland“ (AfD) sowie einige Seiten später Werbung für den nächsten AfD-Bürgerstammtisch. Etwas Recherche offenbart, dass der Verleger der Zeitung selbst AfD-Politiker ist, und zwar Vorsitzender der Geraer Stadtratsfraktion. Ob die Kleinunternehmer:innen, die sich in den Anzeigen tummeln, entschlossen hinter den rechtsdominierten Inhalten stehen, sei dahingestellt, – sie akzeptieren sie jedenfalls. Einige Geraer Betriebe sind für ihre rechte Ideologie sogar bekannt (Recherche in Gera und Umgebung 2021). Sie prägen nicht nur das städtische Bild oder die wütenden Coronademos, sondern ganz konkret den Alltag all jener, die nicht in ihr Weltbild passen. Genannt sei etwa ein Sicherheitsunternehmen, an das die Stadt die Kontrolle von Fahrkarten im städtischen ÖPNV delegierte (Stichwort Privatisierung) und das Interviewpartner:innen zufolge dafür bekannt ist, Neonazis zu beschäftigten. Beratungsstellen und Betroffenen schildern wiederholt unrechtmäßige bis gewalttätige Kontrollen von mi­grantisch gelesenen Personen.

Die rechten Kontrolleure agieren dabei nicht im luftleeren Raum. Sie wurden von den städtischen Verkehrsbetrieben beauftragt. Die Strafanzeigen, die infolge der Kontrollen erhoben werden, landen bei Justizbehörden, die über Gera hinaus für ihre unverhältnismäßig harte Entscheidungen gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte bekannt sind. Das geht so weit, dass kritische Migrationsrechtsanwält:innen bundesweit abwinken, wenn sie angefragt werden, Klient:innen in Gera zu vertreten.

Ökonomisch ist die massiv von Schrumpfung betroffene Kommune von solchen Betrieben abhängig – von ihren Leistungen, aber auch von ihren Steuerzahlungen. Welche Farbe das wenige städtische Kapital hat, hat politische Auswirkungen – nicht nur bei der Finanzierung von Medien und Wahlkämpfen. Die Eigentumslandschaft hat auch einen Einfluss darauf, welche Projekte sich wo in der Stadt etablieren – so kokettiert etwa ein immobilienreicher Unternehmer mit dem Verkauf eines ehemals jüdischen Kaufhauses an die AfD, während er unter dem Vorwand des Neutralitätsgebots ein linkes Künstler:innenkollektiv aus einem Ladenlokal wirft. Im Endeffekt entscheiden die Eigentumsverhältnisse darüber, welche vermeintliche Neutralität in der Stadt vorherrscht.

Die Inhaber:innen und Angestellten dieser rechten Unternehmen sind selbst Teil der Geraer Zivilgesellschaft. Unabhängig von seiner Größe übt dieser Teil der Gesellschaft große Macht aus. Das begünstigt das Schweigen vom Rest der Zivilgesellschaft – mit wenigen, dafür aber prägnanten Ausnahmen. „Das Böse braucht das Schweigen der Mehrheit“, zitiert Soha Hallawe (2021: o. S.) in ihrer Bachelorarbeit zu Alltagsrassismus in Gera eingangs Kofi Annan.

Deshalb fängt an Orten wie Gera Widerstand bereits dort an, wo das Schweigen gebrochen wird. Das erfordert unglaublich viel Kraft, Mut und Frustrationstoleranz, wie Hallawes Arbeit zeigt. Basierend auf einer Befragung von 138 Personen – also ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität –, formuliert die Absolventin der Sozialen Arbeit einige diplomatische Handlungsempfehlungen für die Sozialarbeit und die kommunalen Institutionen in Gera. Kritische Migrationsberatungsstellen sowie einige andere Akteur:innen in der Stadt sind froh über die erhobenen Daten und die sachlichen Empfehlungen zu dem, was ihnen längst bekannt ist. In ihren alltäglichen Versuchen, mit dem institutionalisiertem Rassismus in Gera zu brechen, kennen sie die Desorganisierungsstrategien, die auch Hallawe konstatiert. Bei einer Abendveranstaltung bei der neuangesiedelten Zweigstelle der Bundeszentrale für Politische Bildung präsentiert sie ihre Arbeit und es erscheint ein Artikel in einer überregionalen Zeitung (Kehrer 2022). Daraufhin setzen sich höhere Vertreter:innen verschiedener Behörden in Bewegung: Sie kanzeln Hallawes Arbeit als nicht repräsentativ ab, unterbinden auf informellem Wege weitere Veranstaltungen zu der Arbeit und streichen so das Thema Rassismus von der öffentlichen Agenda.

Diese Widerstände gegen den Widerstand machen sich auch in Leon Reichles Versuchen bemerkbar, die sozialbehördliche Auseinandersetzung mit Rassismus zu erforschen. Sie äußern sich in Ausweichen, fehlenden Antworten, Verweisen, Verzögern, Verschieben, Vertagen und schließlich in einer wütenden Generalabsage der Verwaltung an das Projekt. Auf der Suche nach Erklärungen für dieses ausweichende Verhalten, das weit aufwendiger scheint als das angefragte kurze Interview, verweisen Kontaktpersonen immer wieder auf Hallawes Bachelorarbeit. Diese symbolisiert eine Störung der Normalität, die, den Einschätzungen von Beobachter:innen zufolge zu viel „Kopfschmerzen“ oder „Ärger“ bereite. Wer die Arbeit ernsthaft zur Kenntnis nimmt, agiert in einem Spannungsfeld von Anpassung und Widerstand gegen die Desorganisierung – und riskiert damit Unannehmlichkeiten oder gar einen Jobverlust.

Im Geraer Alltag bedeutet das: Die wenigen Handlungen, die sich der autoritären, rassistischen Normalität entgegenstellen, sind mit enormer Anstrengung, mit Risiko, Wut, Frust oder Angst verbunden. Nicht nur sich körperlich wöchentlichen rechtsgeprägten Demonstrationszügen entgegenzustellen, sondern auch einfach engagierte Migrationsberatungen, täglicher Widerspruch gegen diskriminierende Weltbilder oder der sogenannte Kampf gegen Windmühlen – also der Versuch, institutionalisierte Normalitäten aufzubrechen – kann als widerständiger Kraftakt angesehen werden.

Diesen Einblicken in widerständiges Handeln in Gera möchten wir aktivistisch informierte Überlegungen zum transformativen Community-Organizing in Leipzig gegenüberstellen, in das Peter Bescherer involviert ist. Organizing hat verschiedene Ursprünge in der Sozial- und Gemeinwesenarbeit, in gewerkschaftlichen Kämpfen sowie im sogenannten bürgerschaftlichen Engagement. Sie alle betonen die Bedeutung selbstorganisierter Interessenvertretungen in Betrieben, Nachbar:innenschaften oder anderen Alltagskontexten. Als (transformative) Strategie sozialer Bewegungen fokussiert Organizing auf die Ausweitung scheinbar isolierter Konflikte sowie auf die breit getragene Verschiebung gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Das kann nur gelingen, wenn die sowohl die Schwerfälligkeit etablierter Formen politischer Interessenvertretung als auch die Selbstbezüglichkeit linksalternativer Szenen überwunden werden.

Stadtteil- und Nachbar:innenschaftsinitiativen in einer Reihe deutscher Städte griffen den Ansatz in den letzten Jahren auf. Im Leipziger Nordosten bauten Akteur:innen aus verschiedenen sozialen Bewegungen zwei Initiativen auf, in denen sie sich gemeinsam mit Mieter:innen des Wohnungskonzerns Vonovia organisieren. Das Mietverhältnis steht dabei aus mehreren Gründen im Zentrum: Der Konzern besitzt mehrheitlich ganze Straßenzüge und Siedlungen, sodass Probleme mit dem Vermieter Vonovia eine kollektive Betroffenheit erzeugen. Durch die schiere Größe und Marktmacht des Unternehmens kann diese zudem zur Grundlage für exemplarische Auseinandersetzungen um die Wohnungsfrage werden. Die Thematisierung der Bereitstellung von Wohnungen und der Mietkosten erlaubt es darüber hinaus Grundfragen der Daseinsvorsorge zu stellen und besitzt somit ein transformatives Potenzial.

Transformatives Community-Organizing, wie wir es in Leipzig beobachten und betreiben, ist unseres Erachtens nicht unmittelbar als Widerstandspraxis zu bezeichnen. Organizing ist vielmehr eine aktivierende und vermittelnde Tätigkeit, die gewissermaßen darauf abzielt, den Widerstand anderer zu organisieren. Zwar können sich verschiedene Rollen überlagern und im besten Fall machen sich externe Organizer:innen selbst überflüssig, aber es ist nicht ungewöhnlich, dass der Anstoß zur Organisierung von außen kommt. Im Sinne von Solidarität als Überbrückung von Differenzen ist das auch nicht weiter problematisch. Das bedeutet aber auch, dass aktivistische Organizer:innen in der Regel nur wenig riskieren, während es für die organisierten Mieter:innen tatsächlich um Elementares geht: ihr oftmals langjähriges Zuhause und ihr vertrautes Wohnumfeld. Trotzdem gegen dessen Gefährdung einzutreten, kostet viel Überwindung. In diesem Sinne leisten die Mieter:innen sehr wohl Widerstand. Dabei kommen das Wechselverhältnis von Organisierung und Desorganisierung, starke Affekte sowie das Ineinandergreifen von Widerstand und Anpassung zum Tragen:

  1. Das Wechselverhältnis von Organisierung und Desorganisierung: Bevor sie sich organisieren, müssen die Mieter:innen eine Vielzahl von Hindernissen überwinden. Diese Hürden legen es nahe, die eigene prekäre Wohnsituation zu dulden oder etwa Erfahrungen von Ungerechtigkeit zur Normalität oder zu Sachzwängen zu verklären. Demgegenüber setzt Protest voraus, dass Menschen eine Situation als veränderbar ansehen. Genau daran arbeiten Organizer:innen und Mieter:innen beispielsweise bei der detaillierten Analyse unstimmiger Betriebskostenabrechnungen. Dabei wird immer wieder klar, dass es sich gerade nicht um vereinzelte Rechenfehler oder Versehen handelt. Immer wieder muss gegen die Individualisierung des Mietrechts oder die Befriedung Einzelner die Stärke kollektiven Handelns herausgearbeitet werden. Gegen die Vonovias Selbstdarstellung als Vorreiter klimaneutralen Wohnens oder Unterstützer sozialer Projekte muss immer wieder der Blick in den Maschinenraum des Unternehmens gelenkt werden –, wo sich die Kosten für die Mieter:innen permanent erhöhen, die Kosten des Unternehmens für Instandhaltung aber stagnieren.
  2. Die starken Affekte: Sie werden bei den Nachbar:innenschafts­versammlungen bemerkbar, aber auch im Schwarzbuch Vonovia – einer Sammlung von Mieter:innenbeschwerden – ist viel von Wut und Angst, Ohnmacht und Überwindung zu lesen (Mietergemeinschaften 2023). Eine Mieterin berichtet etwa, wie sie mundtot gemacht werden soll: „Es ist also nicht möglich, sich beraten zu lassen und zu informieren. Denn sofort wird gedroht und dann denkt man sich: Ich will ja die Wohnung nicht verlieren!“ In einem anderen Beitrag wird erzählt, wie Vonovia versucht, insbesondere ältere Mieter einzuschüchtern, einfach nur damit diese dann klein beigeben und bezahlen, um die Konfrontation im Gericht zu vermeiden.“ (ebd.: 18) Für Ärger sorgen auch regelmäßige Versuche des Vermieters, Verantwortung unsichtbar zu machen oder den Mieter:innen zuzuschieben. Dementsprechend heißt es in einem Erfahrungsbericht: „Die erzählen dir was vom Pferd, grundsätzlich ist die Devise: Die Mieter:innen sind schuld, niemals Fehler zugeben.“ (ebd.: 21) Im Schriftverkehr „gehen sie gar nicht auf die vorgebrachten Argumente ein, sondern schreiben was ganz anderes“, berichtet eine weitere Mieterin (ebd.: 29).
  3. Das Ineinandergreifen von Widerstand und Anpassung: Der Widerstand gegen autoritären Urbanismus kann selbst autoritäre Züge annehmen. Mieter:innen wenden sich gegen das Wohnungsunternehmen, das sie entmündigt, verdächtigt und in eine unterlegene Position drängt. Bei der subjektiven Verarbeitung der eigenen prekären Wohnsituation mobilisieren Menschen jedoch teilweise abwertende und ausgrenzende Deutungen. Kritik am Mietenwahnsinn kann sich etwa auch auf rechtspopulistische Ressentiments oder territoriale Kontrollansprüche stützen. Beispiele sind die Umdeutung der Wohnungskrise in Ressourcenkonflikte zwischen „uns Deutschen“ und „den Ausländern“ oder die Zurückweisung von Diversität als einer perfiden Strategie der Verdrängung Alteingesessener zum Zwecke der Profitsteigerung der Wohnungswirtschaft.

Organizing greift vorhandene Momente von Widerstand auf und versucht, sie einem transformativen Prozess zuzuführen. Dafür ist schlussendlich die subjektivierende Seite von Widerstand bedeutsam. Politische Subjektivität ist in ihrer ganzen Bedeutungsspanne zu berücksichtigen, denn eine politische Haltung ist für gewöhnlich nicht allein das Ergebnis rationaler Überlegungen. Nicht die bessere Herrschaftsanalyse, sondern Beziehungsweisen und Erfahrungen, in denen sich der wilde Mix aus Identitäten, Interessen und Kränkungen Prozessen der Bewährung und Veränderung aussetzt, sind Grundlage politischer Kämpfe.

4. Hier so, dort anders?

Unser Beitrag erhebt nicht den Anspruch, einen Vergleich der beiden Städte zu leisten. Er soll aber die Bedeutung des Lokalen für das Verständnis von Widerstand im oder gegen autoritären Urbanismus illustrieren: In Gera scheint jeglicher Protest gegen autoritäre Hegemonien Widerstand zu sein, während es im liberaleren Leipziger Kontext deutlich mehr Freiräume für differenzierte Bewegungsstrategien gibt. In dieser Differenzierung werden jedoch auch die Ambivalenzen von Widerstand sichtbar. Diese bewegen sich im Spannungsfeld von Anpassung und Dagegenhalten und werden an den autoritären Dimensionen des Widerstands gegen autoritären Neoliberalismus deutlich.

Beide Beispiele verbindet, dass uns das Handeln der Involvierten widerständig erscheint, das mit persönlichem Aufwand, Risiko, Frust oder Angst einhergeht. Dennoch bleibt es schwer zu entscheiden, wo Widerstand anfängt, weil Anpassung und Widerstand ineinandergreifen und sich gerade in den affektiven Dimensionen die Frage nach der Relevanz von Machtverhältnissen und lokalen Hegemonien stellt: Was ängstigt wen auf welche Art und Weise und mit welchen realen Machtpositionen korreliert das jeweils? Wie sind zum Beispiel die Angst vor einem Statusverlust oder die „Kopfschmerzen“ von stummen Profiteur:innen der autoritären Normalität ins Verhältnis zu setzen zu existenziellen Fragen nach rassistischer Gewalt oder einem Wohnungsverlust von tendenziell marginalisierten Menschen?

Angesichts der beiden Beispiele ist es aus unserer Sicht nicht sinnvoll, Widerstandspraxen dichotom in kollektive, organisierte Praxis und alltägliche Mikropraktiken, in politisch oder unpolitisch, in progressiv oder autoritär aufzuteilen. Stattdessen muss – auch in Hinblick auf eine aktivistische Praxis – Sensibilität für die ständige, affektiv geprägte Spannung zwischen Anpassung und Auflehnung entwickelt werden, auch in Hinblick auf den jeweiligen sozialräumlichen und politischen Kontext.