sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(3/4), 255-266

doi.org/10.36900/suburban.v11i3/4.917

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CC BY-SA 4.0

Debatte zu: Daniela Zupan, Matthias Naumann, Gala Nettelbladt, Kristine Beurskens: „Was heißt hier Widerstand?“

Kommentare von: Kirsten Angermann, Sören Becker, Peter Bescherer, Tuba İnal-Çekiç, Alke Jenss, Felicitas Kübler, Leon Rosa Reichle, Lela Rekhviashvili, Andrei Semenov, Urszula Woźniak

Prekäre Allianzen zwischen subalternem Widerstand und urbaner Zivilgesellschaft

Kommentar zu Daniela Zupan, Matthias Naumann, Gala Nettelbladt und Kristine Beurskens „Was heißt hier Widerstand? Widerständige Praktiken im Kontext von autoritärem Urbanismus“

Lela Rekhviashvili

1. Wer kann zu Gewalt greifen?

Im März 2023 riefen zivilgesellschaftliche Organisationen in Georgien zu Massenprotesten gegen das von ihnen so bezeichnete „russische Gesetz“ auf, also den von der Regierungspartei eingebrachten Gesetzesentwurf gegen sogenannte „ausländische Agenten“. Im Fall seiner Verabschiedung hätte das Gesetz der Regierung erlaubt, alle Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, als „Agenten“ einzustufen, und es hätte dazu dienen können, bürgerliche und politische Rechte im ganzen Land einzuschränken. Nach einigen Tagen des Protests und angesichts der dabei eskalierenden Gewalt lehnte das georgische Parlament das Gesetzesvorhaben ab. Der Polizei wurde ein unverhältnismäßiger Einsatz von Gewalt gegen die Protestierenden vorgeworfen, aber auch aus deren Reihen kam es zu massiven Attacken gegen Polizei und Spezialkräfte und es wurde sogar ein Polizeifahrzeug in Brand gesetzt. Während derartige Gewalt im politischen Kontext Georgiens in der Regel scharf verurteilt wird, stieß sie in diesem speziellen Fall mehrheitlich auf Zustimmung seitens der Kommentator*innen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und oppositionellen Medien. Besonders viel Rückendeckung oder gar Bewunderung wurde vor allem den jungen Menschen der sogenannten „Generation Z“ (Gen Z) zuteil, die sich den Spezialkräften physisch entgegenstellten. Ein oppositionelles Medienportal erklärte, die Gen Z sei „eine Generation des Internet, die man nicht belügen kann. Sie ziehen eine zivilisierte, bunte und diverse Welt vor. Sie wollen Teil des Westens sein und nicht in einer Ecke mit dem isolierten Russland stehen.“ (Petrosiani 2023)

Ungefähr zwei Jahre vor diesen Ereignissen musste eine Bewegung, die das Rioni-Tal in den Bergen Westgeorgiens vor dem Bau eines großen Wasserkraftwerks bewahren wollte, ihre Friedlichkeit unter Beweis stellen. „Wenn so viele von uns hier zusammen sind, können wir es uns leisten zu sagen, dass wir kein Blutvergießen oder keine Steinwürfe brauchen, um diesen Kampf zu gewinnen“ (Fair Energy Politics Collective 2021), so Varlam Goletiani, ein junger Anführer der Anti-Staudamm-Bewegung auf einer Protestkundgebung im Februar 2021. Goletiani und die anderen führenden Köpfe der Bewegung hatten verstanden, dass es für Regierung und Wasserkraftlobby ein Leichtes wäre, die Bewegung im Fall von Ausschreitungen zu delegitimieren, denn sie war von dieser Seite bereits zuvor als unzivilisiert, xenophob, homophob, rückwärtsgerichtet und als „entwicklungs- und fortschrittsfeindlich“ etikettiert worden. Um solch diskreditierende Behauptungen nicht zu bestätigen, verpflichteten sich die führenden Köpfe der Bewegung, unter allen Umständen dafür zu sorgen, dass der Protest friedlich bleibt. Trotz anhaltender Repressionen, massiver Mobilisierung von Spezialeinsatzkräften, mehrfacher gewaltsamer Räumungen der Protestorte, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im gesamten Tal und der Errichtung eines Stahlzauns gelang es ihnen, eine gewalttätige Eskalation des Protests zu verhindern. Sie gingen Konfrontationen mit den staatlichen Ordnungskräften aus dem Weg, aber sorgten auch in den eigenen Reihen für Ruhe. Die rechtsradikalen Unterstützer*innen der Bewegung im Zaum zu halten und daran zu hindern, andere Protestierende ihrer offen gezeigten queeren, nicht heteronormativen und/oder sexuellen Identität wegen zu belästigen, wurde besonders schwierig, als die Bewegung in Tiflis ankam und im Mai 2021 große Demonstrationen in der Hauptstadt abhielt. Als dann die Anführer*innen der Rioni-Tal-Bewegung in der Nähe der gewalttätigen Anti-Pride-Proteste vom 5. Juli 2021 auftauchten, brachen sie mit ihren langjährigen Bemühungen um Gewaltlosigkeit. Dafür wurden sie von der Regierung, aber auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen und in den Medien scharf angegangen.

Was Jugendliche aus der urbanen Mittelschicht wagen und wofür sie auf Legitimation hoffen dürfen, das können sich soziale Bewegungen aus den peripherisierten Gebirgsregionen Georgiens tendenziell nicht beziehungsweise fast nie leisten. Ihnen wird von Anfang an der Zugang zu demokratischen Beteiligungsmechanismen verweigert. Wenn alle anderen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, ausgeschöpft sind, greifen sie zu unkonventionellen, mitunter auch tatsächlich gewalttätigen Strategien des Widerstands. Solche Taktiken mögen ihnen zwar helfen, ihre unmittelbaren Ziele zu erreichen, aber sie werden auch dazu genutzt, widerständige Bevölkerungsgruppen im vorherrschenden öffentlichen Diskurs noch weiter zu marginalisieren, indem sie als rückwärtsgewandt, unzivilisiert und aus der Zeit gefallen dargestellt werden (Qeburia/Chubabria 2017). Das ist der Grund, warum die Rioni-Tal-Bewegung so sehr darum bemüht war, sich von Gewalt zu distanzieren, und sofort an Unterstützung einbüßte, als sie einen Fehler machte. Anders ausgedrückt: Nicht alle widerständigen Bevölkerungsgruppen sind gleich.

2. Wessen Widerstand?

Ich erzähle diese Geschichte des Protests, der Gewalt und der (De-)Legitimi­sierung von Protestbewegungen, um den in diesem Themenschwerpunkt zu autoritärem Urbanismus bereits diskutierten Aspekten zum Verständnis von Widerstand noch einen weiteren hinzuzufügen. Der Themenschwerpunkt eröffnet zu Recht den Raum zur Klärung folgender Fragen: (1) Was ist Widerstand beziehungsweise wird als Widerstand definiert (offene oder nicht spektakuläre Formen des Widerstands)? (2) Wer definiert Widerstand (muss er vorsätzlich sein, um als solcher zu gelten)? Und (3) welche Formen kann Widerstand annehmen (muss er im Ergebnis notwendigerweise das Machtsystem infrage stellen)? Der zusätzliche Aspekt, den ich mit diesem kurzen Kommentar einbringen möchte, bezieht sich auf die Frage, über wessen Widerstand wir sprechen. Wer kann sich welche Formen des Widerstands leisten, was gilt in der Stadt und was jenseits der Stadt?

Mithilfe dieser Frage versuche ich, das verdächtig in Vergessenheit geratene Thema Klasse – und soziale Differenz im weiteren Sinne – wieder in die Diskussion über Widerstand einzubringen. Anhand des eingangs geschilderten empirischen Aufhängers und gestützt auf über zehn Jahre der Forschung zu verschiedenen urbanen und ländlichen Widerstandsbewegungen gegen neoliberale Vermarktlichung und die damit einhergehende autoritäre Politik in der kleinen Kaukasusrepublik Georgien, entwickle ich im Folgenden drei kurze Argumente. Ich behaupte erstens, dass unterschiedliche Gesellschaftsklassen zu unterschiedlichen Formen des Widerstands greifen beziehungsweise sich unterschiedliche Mittel und Wege dessen leisten können. Zweitens behaupte ich, dass die Frage nach dem Klassenunterschied sowohl empirisch als auch konzeptionell entscheidende Fragen nach Allianzen und Solidarität zwischen verschiedenen Widerstandsbewegungen aufwirft. Und mein drittes Argument ist schließlich, dass die Erforschung der komplizierten Allianzen zwischen Widerstand aus den Reihen der urbanen Mittelschicht und subalternem Widerstand in und jenseits der Stadt ein anderes Licht auf die Rolle der Stadt als Bollwerk gegen Autoritarismus wirft oder vielleicht sogar deren dunklere Seite offenbart.

3. Klasse, soziale Differenz und Widerstand

Dieses Themenheft und eine Reihe anderer Beiträge zeigen, dass die Widerstandsformen, zu denen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen greifen (können), davon abhängen, wie demokratisch oder autoritär die politischen Verhältnisse in einer Stadt oder einem Land sind (z. B. Aidukaite/Fröhlich 2015). Anknüpfend an eine große Zahl von Arbeiten zu sozialen Bewegungen und Widerstand jenseits des westlichen Kontexts, befassen sich Forschende nun mit den weniger spektakulären, informellen, basisbezogenen und alltäglichen Formen urbanen Widerstands (Jacobsson/Korolczuk 2019; Jacobsson 2016; Aliyev 2014). Während es inzwischen anerkannt und verstanden zu sein scheint, dass verschiedene politische Kontexte und Kulturen unterschiedliche Formen des Widerstands hervorbringen, erfährt die Frage, wie sich Klassenunterschiede hierauf auswirken, weitaus weniger Beachtung. Die Frage nach Klassen- und anderen sozialen Differenzen bleibt nicht nur in diesem Themenheft außen vor, sondern man findet auch profilierte Überblicksartikel, die zusammenfassen, wie die Humangeographie Widerstand theoretisch begreift, ohne dabei jemals Klassenunterschiede als einen für das Verständnis von Widerstand relevanten Aspekt zu erwähnen (Hughes 2020). Insbesondere in der Weltgegend, die ich erforsche, das heißt im postsozialistischen Europa und Eurasien, gilt es als nicht zeitgemäß, bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Widerstand auch Klassenunterschiede zu thematisieren. Abgesehen von seltenen Ausnahmen (z. B. Gagyi 2021; Ishchenko 2023; Mikuš 2018) wird nicht nur Widerstand, sondern der gesamte gesellschaftliche Wandel der vergangenen drei Jahrzehnte in den Begriffen von Staat, Märkten und Zivilgesellschaft diskutiert. Hier wird davon ausgegangen, dass sich Widerstand, vor allem gegen Autoritarismus, in der Zivilgesellschaft zusammenbraut, und mitunter wird sogar das Scheitern demokratischer Konsolidierung in der Region der Schwäche der jeweiligen Zivilgesellschaften angelastet (Foa/Ekiert 2017; Howard 2012).

Die Klassenfrage und andere Formen sozialer Differenz – ob auf Hautfarbe, ethnischer Herkunft, Gender oder Sexualität basierend – auszublenden, erscheint einigermaßen merkwürdig, da nicht wenige der kritischen Beiträge, auf die in Diskussionen über urbanen Widerstand gern Bezug genommen wird, aus der Auseinandersetzung mit Klassenunterschieden entstanden sind. Dies gilt für Arbeiten, die an Lefebvres Theorie des Rechts auf Stadt anknüpfen, denn hier geht es explizit um die Frage, wessen Rechte (d. h. die Rechte welcher gesellschaftlichen Klassen – sowohl im materialistischen als auch im kulturellen Sinne) wir meinen, wenn wir uns dieses Ansatzes und seiner Terminologie bedienen. Peter Marcuse (2009) beispielsweise konstatiert ausdrücklich, dass die kritische Stadttheorie sich nicht mit den Rechten jener Klassen befassen müsse, die bereits über die Gestaltungsmacht in der Stadt verfügen, sondern mit den Rechten derer, die benachteiligt, ausgeschlossen, ausgebeutet oder entfremdet sind. Auch andere klassische Arbeiten zu eher verdeckten Formen des Widerstands thematisieren klassenbedingte Unterschiede im Widerstand ganz explizit, sei es James C. Scott mit seinem Fokus auf bäuerlichen Widerstand (1985, 1989, 2012) oder Asef Bayat (1997) mit seinem Blick auf das „leise Eindringen des Gewöhnlichen“. Aber wenn solche Arbeiten für die Erforschung urbaner Basisbewegungen herangezogen werden, wird der Klassenfrage trotzdem oftmals ausgewichen (Jacobsson/Korolczuk 2019; Aidukaite/Fröhlich 2015).

Für meine eigene Forschung dazu, welchen Einfluss eine ganz bestimmte Form der Klassenspaltung – nämlich die zwischen subalternen und Mittelschichten – auf verschiedene Widerstandsbewegungen in Georgien hat, haben sich die Arbeiten von Partha Chatterjee, einem der wichtigsten postkolonialen Autoren Indiens, als hilfreich erwiesen. Chatterjee (2004) verficht die These, dass, auch wenn angeblich alle Mitglieder einer Gesellschaft mit bürgerlichen Rechten ausgestattet und daher Teil der Zivilgesellschaft sind, tatsächlich ein großer Anteil der Bevölkerung postkolonialer Staaten wie Indien (oder, wie Chatterjee behauptet, des größten Teils der Welt) über diese Rechte nur bedingt oder nur teilweise verfügt. Wenn eine demographisch relativ begrenzte Mittelschicht innerhalb der institutionellen Architektur des Staates auf dem zivilgesellschaftlichen Terrain Rechte für sich in Anspruch nehmen kann, dann werden die subalternen Klassen auf dem politischen Terrain jenseits des formalen Rahmens staatlicher Institutionen aktiv (ebd.). Überträgt man dieses Argument auf den postsozialistischen Kontext, wo Zivilgesellschaft in erster Linie ein Ergebnis westlicher Vorstellungen von Staat und Gesellschaft und durch die Unterstützung und Intervention westlicher Geber entstanden ist (Gagyi/Ivancheva 2019), so zeigt sich, dass die Streitigkeiten um die Definition von Zivilgesellschaft ihrerseits in zunehmendem Maße mit Prozessen der Herausbildung von Klassen verwoben sind. Wie in einigen meiner Veröffentlichungen ausgeführt, hat die diskursive Darstellung bestimmter Bürger*innen als rechtsunwürdig oder im Unrecht, als unzivilisiert, rückwärtsgewandt und damit außerhalb des zivilgesellschaftlichen Terrains stehend den Regierungen ein wirksames Instrument zur Schaffung subalterner Klassen an die Hand gegeben (Rekhviashvili 2022a, 2022b). Solch eine diskursive Produktion von Subalternität oder epistemischer Verdrängung wird natürlich nicht isoliert eingesetzt, sondern in Kombination mit anderen Instrumenten der Marginalisierung und materiellen Deprivation, wie etwa der Verweigerung formaler Arbeitnehmer*innenrechte für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder der unzureichenden Bereitstellung basaler sozialer Infrastrukturen.

Zu welcher Art des Widerstands verschiedene soziale Gruppen greifen, hängt entscheidend davon ab, ob sie innerhalb oder außerhalb des zivilgesellschaftlichen Terrains agieren, ob sie als legitime und mit Rechten ausgestattete Bürger*innen angesehen und behandelt werden. Nicht nur die Bewegungen aus den peripherisierten Gebirgsregionen Georgiens werden substanziell anders behandelt als zivilgesellschaftliche Gruppen aus der Mittelschicht, sondern auch urbane subalterne Klassen wie informell oder prekär Beschäftigte oder Selbstständige. Wenn ihre „zivilgesellschaftsartigen“ Mittel des Widerstands, wie die kollektive Mobilisierung zum Zweck der Gründung von Vereinigungen oder zur Durchführung von Protestkundgebungen, von den staatlichen Institutionen gewaltsam unterdrückt oder ignoriert werden, greifen urbane wie auch ländliche subalterne Gruppen zu informellen, unspektakulären und mitunter auch gewalttätigen Formen des Widerstands. Für Letzteres werden sie in der Regel scharf verurteilt und noch weiter dämonisiert, was ihre subalterne Stellung noch weiter verfestigt (Rekhviashvili 2015, 2016). Obwohl urbane Subalterne – wie etwa Kleingewerbetreibende, informelle Parkplatzwächter*innen und Transportarbeiter*innen oder Binnenmigrant*innen – entscheidend zur Umgestaltung von Tiflis beigetragen haben, wurden ihre Akte des Widerstands nie als Teil urbaner (Basis-)Bewegungen begriffen oder erforscht (Rekhviashvili 2018; Berikishvili/Sichinava 2016). Diese Nichtbeachtung lässt sich dadurch erklären, dass subalterner Widerstand eher stiller und unsichtbarer Natur ist. Aber recht häufig nimmt er auch konventionelle Formen der Mobilisierung an. Anders ausgedrückt: Die Klassenzugehörigkeit bestimmt, wer sich welche Art des Widerstands leisten kann, und sie bestimmt auch, wessen Widerstand überhaupt als solcher anerkannt wird. Schlussendlich, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt, beeinflusst der aktive, gezielte und kontinuierliche Prozess der Delegitimisierung und des Mundtot- und Unsichtbarmachens bestimmter Widerstandformen den Prozess der Klassenbildung oder trägt zumindest zur Herstellung von Subalternität bei.

4. Fragile Allianzen

Subalterner Widerstand und Widerstand aus den Reihen der urbanen Mittelschicht sollten nicht nur wegen ihrer unterschiedlichen Formen einander gegenübergestellt werden, sondern vor allem wegen der Verflechtungen und Allianzen zwischen ihnen. Subalterner Widerstand ist oftmals auf Unterstützung aus der urbanen Zivilgesellschaft angewiesen beziehungsweise leidet andersherum unter deren Nichtbeachtung. Die eingangs erwähnte Anti-Staudamm-Bewegung im Rioni-Tal war in bisher beispielloser Weise erfolgreich darin, landesweit Solidaritätsbekundungen zu erhalten, da sie eng mit den kritischen oder gegenhegemonialen Teilen der georgischen Zivilgesellschaft und Medienlandschaft kooperierte. Diese unterstützten die lokalen Anführer*innen der Bewegung mit juristischem Beistand, wissenschaftlicher Beratung und dem Zugang zu Medienberichterstattung. Auch wenn die Unterstützung leistenden zivilgesellschaftlichen Gruppen hinsichtlich ihrer Stellung in der Zivilgesellschaft insgesamt und ihrer medialen Reichweite eher unbedeutend waren, reichten ihre Ressourcen doch aus, um der Bewegung aus dem Rioni-Tal zu landesweiter Bekanntheit, Einfluss auf politische Diskurse und Solidarität seitens diverser anderer urbaner und ländlicher Bewegungen zu verhelfen. Umgekehrt konnten kritische zivilgesellschaftliche Gruppen die lokalen Köpfe der Bewegung gegen die zahllosen Diskreditierungsversuche aus Regierung und Wasserkraftlobby verteidigen, weil es den lokalen Anführer*innen gelang, sich innerhalb der festgelegten Grenzen von Zivilität und Friedlichkeit zu bewegen. Und in der Tat: In dem Moment, in dem die Bewegung diese Grenzen übertrat, verlor sie die Unterstützung der kritischen Zivilgesellschaft und wurde wieder zurück an den Rand gedrängt (Rekhviashvili 2022a).

Die Bedeutung wie auch die Fragilität der Allianzen zwischen subalternem Widerstand und Gruppen aus der vornehmlich urbanen Zivilgesellschaft ist eine der zentralen Fragen, die es sowohl empirisch zu untersuchen als auch konzeptionell zu erfassen gilt, zumindest im postsozialistischen Kontext. Wie solche klassenübergreifenden Allianzen und Solidaritäten entstehen und wieder zerfallen oder warum sie gänzlich fehlen, erscheint mir wesentlich relevanter, als über die Stärke oder Schwäche postsozialistischer Zivilgesellschaften zu sinnieren. Allerdings bringt die Auseinandersetzung mit diesen Fragen auch die dunklere Seite der Rolle der Stadt als Bollwerk gegen Autoritarismus ans Licht.

5. Die Stadt als Bollwerk der Demokratie?

Städte können in der Tat Bollwerke gegen Autoritarismus sein, aber die Ignoranz bestimmter urbaner Widerstände kann indirekt autoritäre Repressionen anderswo unterstützen oder reproduzieren. Wie ich oben zu zeigen versucht habe, kann die Rolle des urbanen Widerstands mehr umfassen als das Infragestellen des neoliberalen autoritären Urbanismus. Gruppen, die in der Stadt mobilisieren, um ihr Recht auf die urbane Umwelt einzufordern, und von der Stadt aus agierende zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich mit über den urbanen Tellerrand hinausgehenden Themen befassen, können subalternen Widerstand im städtischen oder ländlichen Raum stärken, aber genauso auch schwächen. Wer Antonio Gramsci gelesen hat, weiß sowieso, dass die Zivilgesellschaft eine Doppelrolle einnehmen kann, indem sie bestimmte Formen kapitalistischer Hegemonie einerseits reproduziert und stützt, andererseits aber Widerstand gegen sie leistet (Katz 2006). Für Forschende, die sich kritisch mit der postsozialistischen Zivilgesellschaft auseinandersetzen, ist es auch nicht verwunderlich, dass diese sich in der Region überwiegend eher als Komplizin der neoliberalen Marktagenda erwiesen hat (Mikuš 2018). Sogar jene Teile der Zivilgesellschaft, die man als kritisch und gegenhegemonial ansehen mag, können bei der Marginalisierung subalterner Widerstandsbewegungen in und jenseits der Stadt eine entscheidende und mitunter sogar destruktive Rolle spielen.

Die eingangs erwähnte Mobilisierung gegen das „Gesetz gegen ausländische Agenten“ war zweifelsohne ein entscheidender Moment des Widerstands gegen die weitere autoritäre Konsolidierung Georgiens, weil es hier zu einem Zusammenschluss von sowohl etablierten als auch einigermassen kritischen und randständigen zivilgesellschaftlichen Organisationen kam. Dieser Allianz gelang es, beeindruckend breite gesellschaftliche Unterstützung zu gewinnen und so über einige Tage hinweg recht große Protestkundgebungen in der Hauptstadt abzuhalten, bis sie die Gesetzesinitiative gestoppt hatte. Um die Notwendigkeit des „Gesetzes gegen ausländische Agenten“ argumentativ zu untermauern, machte sich die Regierung die Entfremdung zwischen zivilgesellschaftlichen und subalternen Gruppen zunutze, indem sie Nichtregierungsorganisationen als privilegierte, gut situierte und moralisch wie auch finanziell vom Westen unterstützte Akteure darstellte. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen, denen der Angriff galt, versuchten, dieser Darstellung entgegenzutreten, aber solidarisierten sich nie mit subalternen Gruppen, die von der Regierung ins Visier genommen und diskreditiert wurden, wie beispielsweise die Bewegung zur Rettung des Rioni-Tals. Diese Bewegung, die schlagkräftigste Widerstandsbewegung gegen hegemoniale Entwicklungspolitik, die Georgien in den vergangenen Jahren, wenn nicht sogar in Jahrzehnten hervorgebracht hat, war das Ziel heftiger Attacken seitens der Regierungspartei. Und während zivilgesellschaftlichen Organisationen vorgeworfen wurde, Agenten des Westens zu sein, wurden die Aktivist*innen aus dem Rioni-Tal der Komplizenschaft mit Russland bezichtigt, und dass sie im Sinne Russlands die Energieunabhängigkeit Georgiens verhinderten. Die Bewegung war zudem Opfer einiger der offenkundigsten und anhaltendsten Akte staatlich sanktionierter Gewalt und Repression, der mehrfachen Räumung ihrer Protestplätze, monatelanger massiver Polizeipräsenz rund um die Ortschaften, in denen protestiert wurde, sowie der Inhaftierung zahlreicher Aktivist*innen. Die fehlende Solidarität mit dieser Bewegung während der prodemokratischen Demonstrationen von Anfang März ist nur ein Hinweis darauf, dass die Unterstützung der urbanen Mittelschicht für subalterne Bewegungen äußerst zerbrechlich ist.

Bei meinem Beharren darauf, die Fragilität der Allianzen zwischen den Widerstandsbewegungen der urbanen Mittelschicht und denen subalterner Gruppen sowie ihre Bruchstellen offenzulegen, geht es mir keineswegs darum, die urbane Mittelklasse komplett zu verteufeln. Neben der Unterstützung durch eher prekäre städtische Bevölkerungsgruppen (z. B. Studierende) waren Rückendeckung und Solidarität aus den Reihen der Mittelschicht von großer Bedeutung für diverse subalterne Kämpfe.[1] Gerade weil solch eine Unterstützung für subalternen Widerstand in und jenseits der Stadt den entscheidenden Unterschied ausmachen kann, erscheint es mir wichtig, die Macht, die selbst relativ marginale urbane oder in der Stadt ansässige Aktivist*innen aus der Mittelschicht im Vergleich zu subalternen Bewegungen haben, anzuerkennen und kritisch zu reflektieren.[2] Zusammengefasst gesagt: Wenn urbaner Widerstand sich gegen autoritären Urbanismus und Kapitalismus richtet, dann sollten wir als Wissenschaftler*innen mehr Sensibilität für die sozialen Unterschiede entwickeln, von denen die Formen des Widerstands wie auch die Allianzen und Solidaritäten (bzw. ihr Fehlen) zwischen widerständigen Bevölkerungsgruppen abhängen. Dies beinhaltet auch, dass wir vorsichtiger damit sein sollten, Städte als rebellische Bollwerke der Demokratie zu idealisieren, und genauer erforschen müssen, welche anderen antiautoritären und antikapitalistischen Widerstände übersehen oder punktuell auch unsichtbar gemacht werden, während wir auf den Kampf der urbanen Mittelschichten für Demokratie fokussiert sind.