sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2024, 12(1), 39-64

doi.org/10.36900/suburban.v12i1/1.920

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 7. August 2023

Veröffentlichung online: 3. Mai 2024

Institutionelle Normalität oder ostdeutsche Peripherisierung?

Eine ethnographische Annäherung an behördlichen Umgang mit Rassismus

Leon Rosa Reichle, Janine Dieckmann, Axel Salheiser

Anhand einer Ethnographie um die Behörden herum untersucht der Beitrag die sozialbehördliche Dethematisierung von Rassismus in einer ostdeutschen Mittelstadt. Der methodische Zugang ermöglicht eine raumsensible Analyse von institutionellem Rassismus. Lokale Austerität und Peripherisierung verstärken Ressourcenmangel und Arbeitsbelastung, rechte politische Machtverhältnisse beeinflussen behördliche Hierarchien und fördern die konfliktvermeidende Behördenkultur. Die insolvente Stadt hängt von einer rechten Unternehmer:innenschaft ab und versucht, ihr Image im neoliberalen Standortwettbewerb durch Wegschweigen von Rassismus – statt durch Diversity-Maßnahmen – zu wahren. Rassismus wird unsichtbar gemacht, entpolitisiert, normalisiert und institutionalisiert.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Einleitung

„In erster Linie muss man sagen, dass das […] mit dem gerade in der Stadt vorherrschenden gesellschaftlichen Klima [zusammenhängt] und wie dann die Menschen behandelt oder betreut werden. Und wir brauchen uns nichts vorzumachen, die Menschen, die in den Behörden arbeiten, sind Teil dieses gesellschaftlichen Spektrums und nicht frei von Einflüssen.“

(FN_150622)

Diese Einschätzung stammt aus dem Gespräch mit einem langjährigen Aktivisten in einer ostdeutschen Mittelstadt. Hier, in einer austeritäts- und schrumpfungsgeprägten Kommune mit starker AfD-Präsenz im Stadtrat und einem überschaubaren Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte, war der erste Untersuchungsstandort unseres Forschungsprojekts zur innerbehördlichen Auseinandersetzung mit Rassismus. Ziel war die Erforschung institutioneller Settings in Polizei- und Sozialverwaltungsbehörden, die den administrativen Umgang mit Rassismus bedingen. Während die Erhebung im polizeilichen Ermittlungsdienst durchgeführt werden konnte (dieser wird aus Platzgründen im Artikel ausgespart, siehe Reichle/Dieckmann/Salheiser 2023), blieben die Türen der Sozialverwaltung für die Forschenden fest verschlossen. Da uns die erlebte Abwehrhaltung als relevanter Teil des Forschungsgegenstands (Umgang mit Rassismus) erschien, entschieden wir uns, sie genauer zu betrachten. Analytisch wird die Abwehrhaltung hier als Teil der lokalbehördlichen Dethematisierung von Rassismus eingeordnet. Diese untersucht der vorliegende Beitrag durch eine stadtforscherische Brille: Worin liegen mögliche Ursachen für die abwehrende Haltung lokaler Sozialbehörden gegenüber einer (wissenschaftlichen) Auseinandersetzung mit Rassismus? Welche Rolle spielen dabei institutionsstrukturelle und kontextuelle Faktoren?

Wir verstehen institutionellen Rassismus als Reproduktionsweise von Rassismus, die vornehmlich durch machtvolle Organisationen – wie staatliche Behörden – geschieht. Diese Reproduktionsweise ist gekennzeichnet von Routinisierung, Legitimierung, Unsichtbarmachung, Normalisierung oder Entpolitisierung von Rassismus (Attia/Keskinkilic 2017; Gomolla 2017; Hamilton/Ture 1992; Miles 2003; siehe Abschnitt 2). Der Anspruch rassismuskritischer Forschung ist es, vermeintliche Normalitäten und Legitimitäten infrage zu stellen, Rassismus sichtbar zu machen und gegebenenfalls mit Routinen zu brechen. Die Dethematisierung von Rassismus sowie die Abwehr seiner Kritik oder eingehenden Beforschung befördern hingegen die Aufrechterhaltung bestehender Strukturen und institutioneller Abläufe und können somit als Bestandteil von institutionellem Rassismus selbst verstanden werden (siehe auch Ahmed 2021, 2006).

In Ermangelung des direkten Feldzugangs wurde das Forschungsdesign um einen multimodalen stadtethnographischen Zugang (Genz 2020) ergänzt – es entstand eine Ethnographie um die Behörden herum. Sie eröffnet raumsensible Zugänge, die das Verständnis von institutionellem Rassismus erweitern können. Erstens ermöglicht sie die forschungsanalytische Integration des behördlichen Umgangs, der „Abwehr von Rassismus als Thema“ an sich. Zweitens erweitert sie das analytische Verständnis von institutionellem Rassismus als Mehrebenenphänomen. Dieser wird auf individueller, organisationaler sowie außerorganisationaler Ebene verortet (Griffith et al. 2007). Bisher wurde die außerorganisationale Ebene jedoch selten operationalisiert, geschweige denn raumsensibel analysiert. Diese Lücke adressiert der Beitrag unter Rückgriff auf jüngere Forschungen zu rechten Räumen und beleuchtet, wie lokale rechte Machtverhältnisse den behördlichen Umgang mit Rassismus beeinflussen können.

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Im zweiten Abschnitt wird der Zugang zu institutionellem Rassismus erläutert und aktuelle Forschung rezipiert. Das Verständnis von institutionellem Rassismus in Behörden als Mehrebenenphänomen wird mittels materialistischer Staatstheorie präzisiert. Staatliches Behördenhandeln findet immer unter bestimmten räumlichen Voraussetzungen statt, in denen sich politökonomische Verhältnisse materialisieren (Poulantzas 2002). Beispielhaft werden in der jüngeren Stadtforschung städtische Austerität und ein lokales autoritäres „Meinungsklima“ als Gelingensbedingungen für rechte Politik analysiert (Salheiser/Quent 2022: 165), zwei relevante Kontextfaktoren für die hier zugrunde liegende Studie. Der dritte Abschnitt beschreibt den methodischen Zugriff des ethnographischen Forschungsansatzes: einer Ethnographie um die Behörden herum. Teil vier beinhaltet schließlich die raumsensible Auswertung unserer Erhebung – welche Faktoren beeinflussen den behördlichen Umgang mit Rassismus in der untersuchten Stadt? Einige Vorfälle von behördlichem Rassismus, der Umgang damit und schließlich das Zusammenspiel institutioneller und kontextueller Faktoren, die diesen bedingen, werden skizziert. Im darauffolgenden Ausblick wird die provokante Frage des Titels und damit das Verhältnis sozialräumlicher und institutioneller Faktoren diskutiert. Abschließend stellen wir den forschungspraktischen wie inhaltlichen Nutzen unserer ethnographischen Herangehensweise zur Debatte und kommen dabei auch auf seine Leerstellen zu sprechen.

2. Institutionellen Rassismus räumlich betrachten

Über allgemeine Rassismusdefinitionen als Ideologie (Hall/Gilroy/Gilmore 2021; Miles 2003), gesellschaftliches Verhältnis (Rommelspacher 2009) oder Apparat (Terkessidis 2004) hinaus beleuchten Analyseperspektiven des institutionellen Rassismus explizit die Routinisierung, gesellschaftliche Anerkennung und Etablierung von Rassismus – kurz seine Institutionalisierung im Sinne der Herstellung einer sozialen Ordnung (Hasse/Schmidt 2012). In seiner institutionalisierten Form ist Rassismus verdeckt, subtil, unsichtbar gemacht und entpolitisiert. Teil seiner Etablierung ist die Einschreibung in gesellschaftliche Organisationen und Institutionen, so wie den Staat. Durch seine machtvolle Funktion und Position wird er legitimiert und verstetigt – Rassismus wird institutionell und legal zementiert (Barskanmaz 2019; Demirović/Bojadžijev 2002; Jäger/Kauffmann 2002). Die Verhinderung der kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus ist zentraler Bestandteil dieser Institutionalisierung. Im deutschsprachigen Raum haben Astrid Messerschmidt (2014) und Manuela Bojadžijev (2014) verschiedene Formen der Abwehr von Rassismuskritik beleuchtet: Individualisierung; Verengung auf den Bereich des Rechtsextremismus; Bagatellisierung; Diskreditierung, Delegitimierung oder Skandalisierung von Kritik; Ignoranz gegenüber der Geschichte des institutionellen Rassismus auf der einen und seine komplette Verlagerung in die NS-Geschichte auf der anderen Seite.

Wegweisend für organisationale Umgangs- und Abwehrstrategien von Rassismuskritik sind die Arbeiten von Sara Ahmed (2021, 2006). In Complaint! zeigt sie, wie englische Universitäten der Kritik an Rassismus mit bürokratischen Abwehrmechanismen begegnen. Zentrales Ergebnis von Ahmeds Untersuchungen ist die Zusammensetzung von institutioneller Kultur, bestehend aus individueller wie struktureller Ebene, die sich als „web of past intimacies“ in die Institutionen einschreibt (2021: 197). Informell bestimmen neben etablierten Mechanismen und Hierarchien Loyalitäten, Bekanntschaften und wer überhaupt Teil der Institution ist, wie mit Kritik umgegangen wird beziehungsweise wie Diskriminierungsbeschwerden abgewehrt werden. Diese informellen Mechanismen verbinden die Organisation mit ihrem Umfeld und gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die durch die Biografien der Angestellten wirken.

Ahmeds Betrachtung institutioneller Mechanismen macht deutlich, wie Rassismus durch seine Abwehr auf verschiedenen Ebenen einer Organisation reproduziert wird. Mit Derek Griffith und Kolleg:innen (2007: 384) kann zwischen drei Ebenen von institutionellem Rassismus unterschieden werden: der extraorganisationalen zwischen Institutionen und ihrem Umfeld, der innerorganisationalen (Organisationsaufbau und -klima, Prozesse, Policies) und der individuellen Ebene der Mitarbeitenden.

Jüngere Forschungsprojekte zu Rassismus und Sozialverwaltungs­behörden beleuchten diese Ebenen. Nora Ratzmann (2022) beschreibt die Diskriminierung von EU-Migrant:innen bei der Ver­teilung von sozialen Dienstleistungen und nimmt dabei das konflikthafte Zusammenspiel von informellen innerinstitutionellen Praktiken und rechtlichen Rahmenbedingungen in den Blick. Entgegen rechtlicher Antidiskriminierungsvorsätze florieren alltägliche Diskriminierungspraktiken in institutionellen Settings, die von performanzorientierter Managementkultur, oberflächlichem Diversitymanagement und legalistischen Vorgehensweisen geprägt sind (ähnlich Price/Spencer 2014). Alexandra Graevskaia, Katrin Menke und Andrea Rumpel (2022) untersuchen, wie sich rassistisches gesellschaftliches Wissen in Gesundheits-, Arbeitsverwaltungs- und Polizeibehörden einschreibt. Sie argumentieren, dass individuelle Überforderung aufgrund von institutionellem Ressourcenmangel zum unreflektierten Rückgriff auf gesellschaftliche rassistische Wissensbestände führt. Tobias Neuburger findet bei seiner Untersuchung kommunaler antiziganistischer Praktiken, dass lokale „Unbequemlichkeitskulturen“ geschaffen werden, um befürchtete „massenhafte“ Migrationsbewegungen in die jeweiligen Städte zu verhindern (Neuburger 2022: 222). Reinhard Schweitzer (2019) zeigt, wie kommunale Dienstleister im Gesundheitsbereich mit restriktiven nationalen Immigrationsgesetzen umgehen. Und Ilker Ataç, Theresa Schütze und Victoria Reitter (2020) veranschaulichen, dass der Umgang mit restriktiven nationalen juristischen Rahmenbedingungen nicht nur von den formellen Kompetenzen der Kommunalbehörden abhängt, sondern auch von ihrer Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und NGOs.

Trotz ihrer aufschlussreichen Analysen über das Zusammenwirken individueller Verhaltensweisen, institutioneller Settings und verschiedener Rahmenbedingungen von Sozialbehörden bildet die Untersuchung spezifischer sozialräumlicher Faktoren, die das Behördenhandeln beeinflussen, eine Leerstelle dieser Arbeiten. Dieser Lücke begegnet der vorliegende Beitrag mithilfe materialistischer Staatstheorie und stadtforscherischen Untersuchungen zu rechten Räumen.

Wir fragen, wie konkrete, verräumlichte politökonomische Prozesse die behördliche Reproduktion von Rassismus durch seine Dethematisierung bedingen. Um die Verschränkung institutioneller und sozialräumlicher Ebenen in staatlichen Behörden zu verstehen, greifen wir auf Nicos Poulantzas Staatstheorie zurück. „Der Staat ist eine Gewohnheit“, schreibt er, die sich „in dem organisatorischen Gerüst des Staates verkörpert“ (Poulantzas 2002: 42, 96). Das organisatorische Gerüst, von dem auch die Sozialverwaltung ein Teil ist, besteht aus „Kreisläufen innerhalb des Staates“ (ebd.: 62), „‚Knoten‘ und ‚Brennpunkten‘ der realen Macht“ (ebd.: 171), durch die bestehende Verhältnisse reproduziert werden oder auch verändert werden können. Diese organisationale Struktur entsteht durch Institutionalisierung, basierend auf „struktureller Selektivität“ (ebd.: 164). Das bedeutet, dass sich gesellschaftliche Kämpfe, Macht- und Kräfteverhältnisse mittels bestimmter Akteurskonstellationen, Interessenvertretungen, widersprüchlicher Entscheidungsprozesse, „Nichtentscheidungen“, Prioritätensetzungen, Hierarchien und der Selektion von Maßnahmen in staatlichen Behörden sedimentieren (ebd.: 164 ff.; Demirović/Adolphs/Karakayalı 2010). Wie genau die spezifische Sedimentierung aussieht, ist abhängig von „Raum- und Zeitmatrizes als wichtigster materieller Rahmen für die Institutionen“ [sic!] (Poulantzas 2002: 129). Diese Matrizen sind als „tieferliegendes Raster“ zu verstehen, was die räumliche Materialität politökonomischer Prozesse verkörpert und somit gleichzeitig auf diese einwirkt (ebd.: 131).

Wie verräumlichte politökonomische Verhältnisse wirken, verrät ein Blick in die empirische Stadtforschung. Um unsere Erfahrungen aus der hier nur anonymisiert genannten Stadt, im Folgenden „X-Stadt“, einzuordnen, nutzen wir zwei Analyseperspektiven jüngerer Arbeiten der Stadt- und Raumforschung, die sich den Phänomenen Autoritarismus beziehungsweise extreme/radikale Rechte widmen (Mullis/Miggelbrink 2022; Redaktion sub\urban 2023).

Erstens untersuchen Stadtforscher:innen die Bedeutung lokaler politökonomischer Prozesse für rechte Erfolge. So können persönliche Erfahrungen städtischer Austerität, mangelnder demokratischer Einflussmöglichkeiten und Gentrifizierung Zustimmung zu autoritären Projekten begünstigen (Mullis 2021). Dem ähnlich lassen sich autoritäre Einstellungen und Sündenbockdenken auf neoliberale Stadtpolitik und den damit verbundenen Kontrollverlust über Wohn- und Lebensbedingungen zurückführen (Bescherer et al. 2021; Reichle/Bescherer 2021; Reichle i. E.). Hypothesen zur Rache der Peripherien, Provinzen oder der „places that don’t matter“ (Rodríguez-Pose 2018) sind zwar umstritten (vgl. Belina 2022 vs. Bescherer 2022), nichtsdestotrotz bringen einige Studien rechte Erfolge mit Prozessen der Peripherisierung in Verbindung (Deppisch 2022; Freiheit/Sitzer/Heitmeyer 2022). Verstanden als „sozialräumlichen Prozess […] der Abhängigkeit, der Abkopplung, der Abwanderung […] oder der Stigmatisierung“ (Kühn/Weck 2013: 24), ist Peripherisierung ein zentrales Merkmal der hier untersuchten Stadt.

Zweitens beschreiben Studien zur Normalisierung rechter Ansichten und Praxen das „Mainstreaming von Rechtsextremen […]. Sie prägen das gesellschaftliche und politische Meinungsklima im Sozialraum mit ihren nationalistischen, rassistischen und antiliberalen Einstellungen und Alltagspraxen – sodass ganze Gemeinden, Städte oder gar Regionen als ‚rechte Räume‘ gelten.“ (Salheiser/Quent 2022: 165) Insbesondere Fallstudien aus Ostdeutschland zeigen, dass lokale rechte Hegemonien maßgeblich durch ausbleibende zivilgesellschaftliche Gegenbewegungen ermöglicht werden (Domann/Nuissl 2022; Zschocke 2022).

Was wir im Folgenden in Erweiterung von Axel Salheisers und Matthias Quents „Meinungsklima“ als rechtes Raumklima bezeichnen, beschreibt solche historisch gewachsenen Normalitäten, in denen sich die Dominanz rassistischer Einstellungen und Praxen und der ausbleibende (oder sehr leise) Widerspruch gegen diese wechselseitig bedingen. Unabhängig von unserer ursprünglichen Fragestellung ergab sich das „gerade in der Stadt vorherrschende gesellschaftliche Klima“ (FN_150622), wie es ein Aktivist und einer unserer ersten Gesprächspartner nannte, als zentrale Kategorie des Materials. Im Sinne einer lokalen Hegemonie weist es jedoch über Einstellungen hinaus und beinhaltet Praxen, Gewohnheiten sowie Machtverhältnisse und wird somit sowohl im Alltag als auch in Behörden institutionalisiert.

3. Behördlicher Umgang mit Rassismus: ein kompliziertes Forschungsfeld

Die vorliegende Analyse der kommunalbehördlichen Dethematisierung von Rassismus wird durch eine raumsensible Methode ermöglicht. Diese ergab sich in unserem Forschungsprojekt aus der Herausforderung, dass die Untersuchung des Umgangs mit Rassismus nicht innerhalb der Behörde stattfinden konnte. In Ergänzung wurde eine Ethnographie um die Behörden herum entwickelt. Beides wird im Folgenden reflektiert.

Das ursprüngliche Forschungsdesign

Im Februar 2022 begann das Forschungsprojekt zum innerbehördlichen Umgang mit Rassismus als ein Teilprojekt der BMI-geförderten Verbundstudie „Institutionen und Rassismus“ am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). Untersucht werden zwei Behördentypen: Polizei und Sozialverwaltung. Die Ortswahl für die erste Fallstudie fiel auf eine ostdeutsche Mittelstadt, die auch als innere Peripherie im Osten bezeichnet wird, geprägt von Überalterung, Schrumpfung und einem extrem prekären Stadthaushalt. Der lange Zeit sehr geringe Migrant:innenanteil stieg erst seit 2014, liegt aber noch immer unter 10 Prozent. Im Stadtrat ist die AfD eine starke Fraktion, und rassistische Praxen wie „negative Anfeindungen, Bespucken, Beschimpfen, Versuche von anderen, dass die Kopftücher runtergerissen werden [… sind] hier gesellschaftlich akzeptiert, […] salonfähig“, berichtet eine Migrationsberaterin (I1). Dem entgegen gibt es laut einer anderen Sozialarbeiterin „viel zu wenig Auseinandersetzung mit dem Thema und dann auf einem Niveau, (atmet aus) wo man denkt, das haben andere Gegenden in Deutschland vor 20 Jahren vielleicht gehabt“ (I2).

Das Forschungsdesign sah eine vergleichende qualitative Unter­suchung vor. Geplant war, in zwei Städten Leitfadeninterviews und Gruppendiskussionen in Polizei- und Sozialverwaltungsbehörden durchzuführen. Ziel war die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen behördlichen Settings wie Organisationsaufbau, Behördenkultur und Arbeitsabläufen und dem behördlichen Umgang mit dem Thema Rassismus. Darauf aufbauend sollten Anknüpfungspunkte für mögliche institutionelle Veränderungen im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung mit Rassismus erarbeitet werden.

Insbesondere im Polizeibereich wurde der Feldzugang als schwierig antizipiert (Jacobsen/Bergmann 2022; Kemme et al. 2022; Praunsmändel/Schmidt/Thurn 2022), stellte sich jedoch – wenn auch langsam – als durchführbar dar, während die Sozialverwaltungsbehörden sich jeglicher Auseinandersetzung verweigerten (Reichle/Dieckmann/Salheiser 2023). Aus Platzgründen und aus Interesse für diese grundliegende Abwehrhaltung fokussiert der vorliegende Beitrag auf Letzteren.

Ethnographische Umwege

Für den Behördenzugang wurde bereits im April 2022 Kontakt mit der Integrationsbeauftragten der Stadt aufgenommen. Der Anfrage wurde mehrmals mit Verschiebungen und Abwehr begegnet. Im November 2022 wurde die Anfrage vom September erneut abgewiesen, „gutes Gelingen“ gewünscht und auf den Gesprächswunsch nicht weiter eingegangen. Auf eine anschließende offizielle Anfrage an die Sozialdezernentin wurde der Studie aus Kapazitätsgründen eine grundsätzliche Absage erteilt. Aufgrund der Ermutigungen seitens zivilgesellschaftlicher Akteure und einzelner Behördenmitarbeitenden entschieden wir dennoch, weiter „um die Behörden herum“ zu forschen. Dies geschah mittels neun Interviews mit Sozialarbeiter:innen, Aktivist:innen, Übersetzer:innen und Lokalpolitiker:innen sowie sieben informellen Gesprächen mit weiteren Aktivist:innen und zwei Behördenmitarbeiter:innen. Drei der Gesprächspartner:innen berichteten von eigenen (inner- und außerbehördlichen) Rassismuserfahrungen. Zudem bezieht sich die Analyse auf teilnehmende Beobachtung von zwei städtischen Veranstaltungen unter Beteiligung von Mitarbeitenden der Sozialverwaltung und bestehende journalistische wie aktivistische Literatur zur Stadt, die aufgrund der Anonymisierung nicht zitiert wird.

Die Anonymisierung der Stadt ist aus raumwissenschaftlicher Perspektive ungewöhnlich und für die Analyse sperrig. Sie resultiert aus dem behördenforscherischen Usus, dem Rat des wissenschaftlichen Projektbeirats und unseren Reflektionen zu Forschungsethik. Um Behördenmitarbeitenden Anonymität zu garantieren, genügt die Auslassung ihrer Namen nicht. Insbesondere wenn behördenstrukturelle Merkmale wie Arbeitsteilung, Entscheidungsstrukturen oder Hierarchien in den Blick genommen werden, ist überschaubar, von wem eine Aussage kommen kann oder wen eine Erzählung meint. Zwar stammt ein Gros unserer Ethnographie nicht aus dem Behördeninneren, nichtsdestotrotz sind insbesondere die Interviewten und Gesprächspartner:innen, die Rassismus problematisieren, in der untersuchten Mittelstadt schon durch ihre kritische Haltung in einer exponierten Position. Im Kontext des rechten Raumklimas sind sie aus forschungsethischer Perspektive besonders zu schützen. Zudem soll die teils verdeckte Erhebung durch diese weitreichende Anonymisierung ausgeglichen werden. Dieses Vorgehen entstand aus der forschungspolitischen Überlegung, dass gerade die fehlgeleiteten Feldzugangsversuche Aufschluss über den Forschungsgegenstand (behördlicher Umgang mit Rassismus) geben könnten (zur ausführlichen Diskussion verdeckter Forschung siehe Calvey 2017).

Die Methode bedingt den Analysegegenstand – Außenbeziehungen erforschen

Wenn das heterodoxe ethnographische Vorgehen auch ungeplant und beschwerlich war, ermöglichte es doch insbesondere die Analyse der Außenbeziehungen der Behörde. Der Critical Grounded Theory folgend, war der Forschungsprozess als retroduktive, das heißt spiralenartige Hin- und Herbewegung konzipiert zwischen: (1) bestehender Theorie und Forschung zum Thema institutioneller Rassismus (sensitizing concepts), (2) induktiver Offenheit im Feld, um diese zu ergänzen, zu kritisieren, zu bestätigen oder zu komplementieren, (3) vorläufiger Kodierung, (4) dem Hinzuziehen neuer Literatur, um Beobachtungen einzuordnen, und (5) weiteren Feldphasen (Belfrage/Hauf 2017). Basierend auf unseren Forschungsfragen sowie bestehender Literatur und Theorie zum institutionellen Rassismus, waren lediglich die groben Analysekategorien „potenzielle Diskriminierungserfahrungen“ (Vorgespräche mit Betroffenen­beratungsstellen), „Rassismusverständnis“ (hier aus Platzgründen ausgespart), „behördlicher Umgang mit Rassismus“ und „institutionelle Faktoren der Behörden“ vorgegeben. Im Rahmen der vielfältigen Gespräche mit behördenexternen Personen ergaben induktive Offenheit im Feld und ein zweifacher Kodierungsprozess (offen zusammenfassend, axial abstrahierend, vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010) jedoch zusätzlich einen starken Fokus auf das „Raumklima der Stadt“ und die „politökonomischen Bedingungen“, in die die Behörden eingebettet sind. Durch einen stadtethnographischen Zugang, „der eine holistische Perspektive auf Bedeutungsstrukturen städtischer Akteur_innen und deren sozial-räumliche Praktiken eröffnet und darüber Machtverhältnisse und politische Logiken stadtgesellschaftlichen Miteinanders sichtbar werden lässt“ (Genz 2020: 11), gelangten die lokalen behördlichen Außenbeziehungen in den Blick, an denen es in den eingangs zitierten Forschungsarbeiten zu institutionellem Rassismus und Sozialverwaltung mangelt.

4. Rassismus in der ostdeutschen Peripherie und seine Institutionalisierung durch behördliche Dethematisierung

Unfreundlichkeit, Verschleppung und Intransparenz: Rassismuserfahrungen in der Sozialverwaltung

Um den Umgang mit Rassismus zu verstehen, versuchten wir zunächst, unseren Blick für mögliche rassistische Behördenpraktiken zu sensibilisieren. In den Gesprächen und Interviews beschrieben drei Aktivist:innen und Dolmetscher:innen ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus in Sozialbehörden und einige Sozialarbeiter:innen aus Beratungsstellen die ihrer Klient:innen.

Erstens werden den Berichten zufolge vor allem Geflüchtete, die einen großen Teil der Migrant:innen in X-Stadt ausmachen, in der Sozialverwaltung nicht ernst genommen und abgewiesen, unfreundlich oder herablassend behandelt oder mit Vorurteilen und mangelnder Sensibilität bis hin zu Schikane konfrontiert. Eine Sozialarbeiterin resümiert: „Die Mitarbeiter sind nicht offen für ausländische Menschen, respektlos, diskriminierend, nehmen Beschwerden, nehmen Anliegen nicht ernst.“ (I3) Und ein Übersetzer mit Migrationsgeschichte berichtet: „Solange sie deutsch sprechen, gut deutsch sprechen, bleibt alles gut auf Deiner Seite. [Aber wenn] Du diese Sprache nicht sprichst …“ (I5).

Zweitens werden nach Einschätzung der Gesprächspartner:innen bestimmte Vorgänge so lange hinausgezögert, dass sich die Rahmen­bedingungen verändern, Antragstellende den Prozess neu beginnen müssen, Leistungen ausbleiben, der Aufenthaltsstatus einer Person ungeklärt bleibt und die betreffende Person in weiteren bürokratischen und lebensweltlichen Handlungsschritten gelähmt ist. Ein betroffener Aktivist, der derzeit einen kollektiven Umgang mit der Ausländerbehörde zu organisieren sucht, schilderte, wie sein Familiennachzug verschleppt wurde (I7).

Diese Verschleppung geht drittens mit Intransparenz der Behörden einher, so die Sozialarbeiter:innen. Nach Ihrer Einschätzung werden Klient:innen oft nicht angemessen oder überhaupt nicht beraten oder sie erhalten falsche Informationen bezüglich bestehender Möglichkeiten, Programme und Rechte. Ein Beispiel dafür betrifft die Unterbringung von Geflüchteten: Wollen sie aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen, wird ihnen fälschlicherweise mitgeteilt, dass sie anschließend nur eine Wohnung vom Sozialamt anmieten könnten. Das verstetigt ihre Abhängigkeit von städtischen Behörden. In den Sozialwohnungen wiederum werden Miete und Nebenkostenabrechnungen unnachvollziehbar abgerechnet, wie eine Beraterin schildert: „Natürlich sieht keiner von denen irgendeine Betriebskostenabrechnung. Sondern es gibt dann zum Ende des Jahres immer mal eine große Rechnung.“ (I4) Intransparenz potenziert sich für Personen, die die deutsche Sprache nicht fließend sprechen. Obwohl die Behörden ein Kontingent für Sprachmittlung haben, schöpfen einige Sachbearbeiter:innen es offenbar nicht aus und weisen Klient:innen teilweise sogar mit den Worten ab: „Nö, bringen Sie einen Dolmetscher mit“ (I8), berichtet ein Sozialarbeiter. Allerdings sind solche Prozesse aufgrund fehlender Dokumentation kaum nachweisbar.

Dass der Tonfall von Behördenmitarbeiter:innen, Geschwindigkeit, Transparenz und sogar der materielle Umfang von Leistungen nicht für alle in X-Stadt gleich ist, zeigt sich an rassistischen Hierarchisierungen. Allen Interviews zufolge werden beispielsweise in der Gruppe der Geflüchteten ukrainische Personen freundlicher und schneller behandelt als arabischsprachige. Zudem werden Personen stigmatisiert und abgewertet, denen zugeschrieben wird, Rom:nja oder Sinti:zze zu sein. Diese Diskriminierung zeigt sich durch informelle Unterscheidungen in „Ukrainer und Bunte“ (I8), wie ein Sozialarbeiterteam erzählt. Ein materielles Ergebnis für ihre Klient:innen ist, dass Personen in Abhängigkeit ihres durch Sachbearbeiter:innen eingeschätzten „Kulturkreises“ beispielsweise neue Möbel verweigert werden, die ihnen rechtlich zustehen, weil von vornherein angenommen wird, sie würden schlecht mit ihnen umgehen. In einem anderen Fall bekommen als Rom:nja eingeschätzte Familien ihre Leistungen ohne Begründung wöchentlich statt monatlich ausgezahlt.

Verharmlosung, Delegitimierung und Einschüchterung: Wie die Auseinandersetzung mit Rassismus verhindert wird

Ausgehend von dieser Dokumentation gilt unsere Forschungsfrage dem Umgang der Behörden – wie gehen sie mit dem Thema Rassismus, solchen Vorfällen oder Kritik daran um? Für Betroffene selbst ist es schwierig, ihre Erfahrungen zurückzumelden, da es keine formelle Beschwerdemöglichkeit gibt. Nichtsdestotrotz tragen Einzelpersonen, Beratungsstellen und zivilgesellschaftliche Initiativen immer wieder Kritik an die Behörden heran. In direkten Beziehungen zwischen Sozialarbeiter:innen und Sachbearbeiter:innen werden Probleme angesprochen und teilweise bearbeitet. Diese Fälle stellen jedoch die Ausnahme dar. Der überwiegende geschilderte behördliche Umgang mit Rassismuskritik besteht aus Abwehr und Dethematisierung.

Auf individuelle Thematisierungsversuche von rassistischen Praktiken oder Aussagen seitens der Sozialarbeiter:innen, die behördliches Verhalten kritisieren, wird mit Verharmlosung oder Rechtfertigung reagiert; „[H]abt Euch doch mal nicht so […,] kann doch jedem mal passieren“ (I2); oder: „[D]a wird dann darauf verwiesen, dass sie intern ne [Anm. d. A.: rassifizierende] Kurzform bräuchten, damit man schneller im Ablauf ist, aber die Zeit, dann darüber noch zu schmunzeln, die ist ja dann auch immer noch da, ne?“ (I8)

Überschreitet die Kritik am Behördenhandeln die individuelle Ebene, fallen auch die Abwehrmechanismen schärfer aus. Um Verhältnisse und Vorgänge im Unterbringungsbereich von Geflüchteten zu verändern, entscheidet sich eine städtische Sozialarbeiterin, Kontakt mit der Integrationsbeauftragten des Landes aufzunehmen. Beim Besuch der Integrationsbeauftragten wird das Thema ausgelassen und die Begehung einer Unterkunft durch die zuständige Dezernentin „ausdrücklich […] untersagt“ (I4). Die Sozialarbeiterin wird versetzt. Zum Zeitpunkt des Gesprächs hat sie sich für einen Wegzug aus der Stadt entschieden, weil sie den Druck durch die Behördenleitung, ihre Ohnmacht und die Unveränderlichkeit des rassistischen Status quo nicht mehr aushält.

Bei einer Veranstaltung zu Alltagsrassismus und Zivilcourage, von einer engagierten Behördenmitarbeiterin organisiert, wird die Kritik an rassistischen Zuständen öffentlich diskutiert. Nach der Vorstellung einer kleinen Studie zu Erfahrungen von Alltagsrassismus in der Stadt ist man sich im langen Publikumsgespräch einig, die Stadt bräuchte „mehr als einen Integrationskurs“, wie es ein Zuhörer formuliert (FN_140322). Es folgt ein Zeitungsbericht zur Studie. Danach bricht jegliche Auseinandersetzung mit dem Thema ab. Wie sich zeigt, wird sie informell behördlich unterbunden.

Der Umgang mit der Studie ist als Kristallisationspunkt der De­thema­tisierung von Rassismus und der Abwehr seiner Kritik einzuordnen, sie kommt in fast jedem Gespräch zur Sprache. Seitens Behördenmitarbeiter:innen wird die Studie als interessant, jedoch „nicht repräsentativ“ (FN_171122) beschrieben und somit ihre Kritik delegitimiert. Eine an der Veranstaltung beteiligte Aktivistin kommentiert das lachend: „[D]as ist der Satz – nicht repräsentativ.“ (Ebd.) Sie berichtet, dass die Initiatorin der Veranstaltung informell beauftragt wurde, nicht weiter Aufsehen um die Studie zu erregen. Über kurze Wege gebe ihre Vorgesetzte zu verstehen, dass keine ähnlichen Veranstaltungen mehr stattfinden sollen. Auf die Frage, ob das dokumentiert sei, antwortet sie: „Weißt Du, die begegnen sich, die sehen sich, die reden, die müssen keine Mails schreiben.“ (Ebd.) Die Folge ist, dass kritische Behördenmitarbeiter:innen „sehr auf[passen], was sie [sagen], was sie [äußern]“, denn teilweise haben sie „schon paar Mal ein paar auf die Finger bekommen […] und natürlich auch die Information, dass man sich dann auch gerne jemand anderes suchen kann für diesen Job.“ (I4)

So schweigen Personen innerhalb wie außerhalb der Behörden weiter – mit Blick in die Stadtforschung ist das eine Voraussetzung für rechte Hegemonien (Domann/Nuissl 2022; Salheiser/Quent 2022; Zschocke 2022). Anstatt kritisiert zu werden, bleibt bestehender Rassismus unsichtbar, unwidersprochen und anerkannt, und genau darin besteht seine Institutionalisierung durch die Behörden (vgl. Ahmed 2021).

Überarbeitung, Konfliktvermeidung und Hierarchien: institutionelle Bedingungen für die Dethematisierung von Rassismus

Wie kommt es zur Dethematisierung von Rassismus? Die Erklärungen der Interviewpartner:innen beziehen sich auf den ersten Blick vor allem auf die Ebene der Sachbearbeiter:innen und Behördenleitungen. Bei genauerem Hinsehen geben diese jedoch auch Auskunft über Arbeitsbedingungen, Behördenstruktur und -kultur.

Unfreundlicher Tonfall, fehlende Reflexivität bezüglich eigener rassistischer Verhaltens- oder Ausdrucksweisen ebenso wie mangelhafte Dienstleistungen werden von Interviewpartner:innen auf fehlende Erfahrung oder Unwillen der Sachbearbeiter:innen zurückgeführt. Letzteres wird mit Frust, Müdigkeit und Abstumpfung begründet, „die sind einfach nur müde, […] die stumpfen dann quasi ab“, mutmaßt die Sozialarbeiterin einer Beratungsstelle, die seit vielen Jahren im Behördenkontakt steht (I1). Diese Abstumpfung von Sachbearbeiter:innen erklärt ein Aktivist und ehemaliger Securitymitarbeiter von Behörden­stellen mit mangelnder Förderung, Überarbeitung und Unterbesetzung der jeweiligen Behörden: „[D]ie Stellen [sind] total unterbesetzt und die Leute total überfordert.“ (FN_150622)

Neben den Arbeitsbedingungen benennen die Interviewpartner:innen als Grund für die fehlende Auseinandersetzung mit Rassismus eine Institutionenkultur, die von Konfliktvermeidung geprägt ist. Selbst Mitarbeiter:innen mit einem kritischen Blick auf Rassismus wollen „keine Probleme“ (I4). Dass die Behördenmitarbeiterin, die die oben genannte Veranstaltung zu Alltagsrassismus initiiert hat, sich nicht entgegen innerbehördlicher Widerstände weiter für eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus eingesetzt hat, begründet eine Aktivistin wie folgt: „[D]ie will einfach keine Kopfschmerzen haben.“ (FN_171122) Von einer anderen Aktivistin mit regem Behördenkontakt wird das auf die Mitarbeiter:innenstruktur der Behörden zurückgeführt: „Ich glaube innerhalb, da gibt es einfach viele Kleinbürger, die einfach an ihrem Pöstchen festhalten. Ich glaube, das ist auch wirklich einfach ein verschimmelter Sesselpupserhaufen. […] Und es geht darum, Pöstchen festzuhalten. Und bloß nicht für irgendwas Farbe zu bekennen.“ (I9) Durch diese konfliktvermeidende Institutionenkultur entstehen „Nichtentscheidungen“, die Prioritätensetzungen und die „Filtrierung“ von Maßnahmen beeinflussen (Poulantzas 2002: 166). Es gibt keine Entscheidung für eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, rassismuskritische Interventionen werden verhindert.

Wo hingegen die Prioritäten liegen, wird an „‚Knoten‘ und ‚Brenn­punkten‘ der realen Macht“ (ebd.: 171) entschieden – und diese sind durch behördeninterne Hierarchien bestimmt. Probleme bekommt im Zweifelsfall, wer sich den Vorgesetzten widersetzt. Laut den Interviewten ist die Rolle von Einzelpersonen in Leitungspositionen entscheidend für die Dethematisierung von Rassismus. Uns wird berichtet, dass Mitarbeiter:innen der Behörden sich beispielsweise nicht aus freien Stücken entscheiden können, mit uns über das Studienthema zu sprechen, weil ihnen durch Vorgesetzte „die Hände gebunden“ sind (I2). Das zeigt sich deutlich auch in den Antwortschreiben verschiedener Personen unterhalb der höchsten Hierarchiestufe, die immer auf ihre Vorgesetzten verweisen, selbst seien sie „nicht in der Position, Forderungen stellen zu können oder sich aufzubegehren“ (I3). Die Macht einiger Vorgesetzter verstärkt sich aus Sicht materialistischer Staatstheorie durch „ein Geheimnis der Bürokratie und der Macht. Dieses Geheimnis beruht […] auf der Errichtung von bestimmten Kreisläufen innerhalb des Staates, die ausgehend von bestimmten Stellen den Austausch von Informationen begünstigen.“ (Poulantzas 2002: 62) So hat beispielsweise laut einer Migrationsberaterin in der Ausländerbehörde eine Leitungsperson den gesamten Arbeitsablauf so umstrukturiert, dass „jede Entscheidung auf ihrem Tisch landet“ (I6). Das verstärkt nicht nur ungemein Verzögerungen und Verschleppungen, sondern ist auch ein Paradebeispiel dafür, wie Sachbearbeiter:innen der Entscheidungsspielraum entzogen wird.

Kontextfaktoren zwischen rechtem Raumklima und Austerität der Peripherie

Diese behördenstrukturellen Faktoren wirken eng mit dem spezifischen Kontext der Stadt zusammen: Erstens beinhaltet das gesellschaftliche Raumklima im Sinne einer lokalen, alles durchdringenden Hegemonie individuelle Einstellungen, die Behördenkultur und wer in Machtpositionen sitzt. Zweitens begünstigt die wirtschaftliche Lage der Stadt eben jenes Raumklima und führt zu Ressourcenmangel, der sich im Handeln der Behörden niederschlägt. Schließlich ist die austeritätsgebeutelte Stadt erpicht darauf, ein gutes Bild im neoliberalen Standortwettbewerb abzugeben, was in Kombination mit mangelnden Ressourcen eher zu einer Vermeidung des Themas Rassismus als zu einer kritischen Auseinandersetzung anregt.

Induktiv hat sich aus allen Gesprächen und Interviews die Kategorie des Raumklimas für die Analyse aufgedrängt. Zentraler Grund für die unmöglich scheinende Auseinandersetzung mit Rassismus ist die lokale „Selbstverständlichkeit, dass man genervt ist von Ausländern“, wie es, im Einklang mit vielen Interviewpartner:innen, auch ein Polizist formuliert (FN_070722). Rechte Selbstverständlichkeiten durchdringen den städtischen Alltag, die untersuchten Behörden, den Stadtrat, die Lokalpresse, das Kleinunternehmer:innentum. Zwar sind die Gegenstimmen, die dieser Artikel hervorheben möchte, vorhanden – doch ist es für sie kein Leichtes, ihren Widerspruch öffentlich zu machen. Eine Sozialarbeiterin, die im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus Öffentlichkeits­arbeit für ihr Stadtfest machen möchte, berichtet: „’Nen Reporter zu finden, der bereit ist, das dann in die Zeitung so aufzunehmen, ist recht schwierig. [… und selbst, wenn das gelingt,] ist dann nur fraglich, [ob] das dann auch in die Zeitung kommt“ (I1).

Die hohen rechten Zustimmungswerte machen auch vor den Behörden nicht halt: „Die letzte Wahl hat gezeigt, [… sehr viele Personen wählen] die AfD, das gilt auch für die Stadtverwaltung […], sie sind überall“ (FN_040722). Bei einer Veranstaltung der Ehrenamtszentrale, ein direkt unter dem OBM angesiedelter Bereich der Stadtverwaltung, wird dieser Zusammenhang besonders deutlich. Im Hintergrund der Präsentationen von Vereinen und Initiativen im Bereich der Unterstützung von Migrant:innen erzählt einer der organisierenden Ehrenamtlichen einem anderen von seiner Teilnahme an den montäglichen Anti-Establishment-Protesten, die für die Präsenz von Reichsbürger:innen und Neonazis bekannt sind (FN_130922).

Auch wirkt sich das Raumklima auf die machtvollen Hierarchien aus, die die Behörden umgeben und durchdringen. Das Wahlverhalten ermächtigt eine rechte Stadtregierung, die von oben auf die Behörden einwirkt – oder eben nicht. Einige Interviewpersonen sind der Meinung, für eine konstruktive Auseinandersetzung mit Rassismus bedürfte es an erster Stelle klares Durchgreifen von oben, aber „da sagen manche, dass der OBM [Oberbürgermeister] eben auch der AfD zuhören muss“ (FN_171122). Auch die Dezernate und Dezernent:innen sind eingebunden in rechte Mehrheitsverhältnisse: „Wenn ich da eine AfD-Fraktion im Hauptausschuss hab, und die Sozialdezernentin will machen, was sie muss, und dann bildet sich die neue nationale Front […] und alles wird abgeschmettert.“ (FN_150622) Resultat der Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat ist schließlich die behördeninterne Besetzung von Amtsleitungen. So mutmaßt eine Sozialarbeiterin, dass die Personalie der Ausländerbehörde kein Zufall sei, sondern abhängig von politischen Entscheidungen: „[M]an hat von der Stadt […] bewusst eine Leiterin dort hingesetzt vor zweieinhalb Jahren, die Geflüchtete nicht mag.“ (I4)

Greifbar wird die politisch rechte Hegemonie im wiederkehrenden Argument des Neutralitätsgebots. Damit werden behördeninterne Einschüchterungen gegen laute Kritiker:innen ebenso wie ausbleibende Interventionen von Leitungspersonen in rassistische Alltags- und Behördenpraktiken begründet. Es ergibt sich „ein ziemlich enges Korsett, was bedeutet, dass du […] vieles kannst, und dann aber auf keinen Fall dich positionieren“, resümiert eine Aktivistin (I9). Dieser Begründung gegen Rassismuskritik liegt bereits eine politische Bewertung dessen zugrunde, was neutral ist und was nicht. Demokratische Teilhabe und Gleichberechtigung, ganz zu schweigen von ausgleichender Gerechtigkeit, werden als Politikum abgetan und der diskriminierende Status quo zur Neutralität erklärt. Rassismus wird normalisiert, entpolitisiert und Kritik an ihm delegitimiert.

Sowohl das Raumklima als auch das Behördenhandeln sind von der wirtschaftlichen Lage der Stadt beeinflusst. Unsanierte großbürgerliche Häuser aus der Gründerzeit zeugen vom einstigen industriellen Wohlstand, doch mittlerweile ist die Stadt von Peripherisierung gekennzeichnet: Die massive Deindustrialisierung nach der Wende begünstigte jahrelang einen sozioökonomischen und soziodemographischen Schrumpfungsprozess, im Zuge des wirtschaftlichen Abschwungs musste die Kommune schließlich Insolvenz anmelden, und am Hauptbahnhof sucht man vergeblich nach ICE-Verbindungen. Eine Anwohnerin sieht die Gleichgültigkeit gegenüber der rassistischen Normalität in dieser Geschichte begründet: „Und nach der Wende ist das ganz schnell zusammengebrochen […], ich habe das Gefühl, dass die städtische Gesellschaft und die Menschen […] dass die wie so eine Art chronische depressive Episode haben oder […] wie Verbitterungsstörung.“ (I9) Diese Interpretation lässt sich stadtforscherisch als affektive Vermittlung neoliberaler Stadtentwicklung deuten (Reichle 2023). Diesem Argument folgend, ist die konfliktvermeidende, träge Behördenkultur eingebettet in eine demobilisierende Nachwende-Austeritätsdepression.

Die stets drohende Insolvenz beeinflusst auch direkt das Behörden­handeln: „Wenn ich ’ne Kommune hab, die kurz vor der Haushaltssperre steht, bekomm’ ich nur so grade bewilligt, was ich brauche“, erklärt der Aktivist und ehemalige Securitymitarbeiter einer Sozialbehörde (FN_150622). Das begünstigt einerseits die Überlastung der Mitarbeitenden und andererseits die schnelle Abwehr jeglicher rassismuskritischer Maßnahmen, für die Ressourcen notwendig wären. Was in Zeiten von Neoliberalisierung des Städtischen, Austerität und lokalem Standortwettbewerb allgemein gilt (Belina/Schipper 2009), ist in Anbetracht der prekären ökonomischen Situation verschärft: Politische Kräfte der Stadt sind auf allen Ebenen angewiesen auf Geld.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Stadt – ein zentrales Merkmal von Peripherisierung (Kühn/Weck 2013) – schlägt sich beispielsweise im Bereich der Geflüchtetenunterbringung nieder. Sowohl Gemeinschaftsunterkünfte als auch Sozialwohnungen werden von einem städtischen Unternehmen vermietet. Dieses ist von jahrelanger Austerität geprägt, urteilt man nach dem Zustand der Häuser und den Erzählungen von Bewohner:innen (FN_130922). Die Unterbringung von Geflüchteten scheint für dieses Unternehmen eine gute Einnahmequelle zu sein: „Ja. Also der Vermieter ist auch die Stadt, ne? […] Und auch hier zahlen die Leute wirklich gutes Geld“ (I4), berichtet die ehemalige städtische Sozialarbeiterin. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die Falschaussagen über die Pflicht zur Anmietung einer Sozialwohnung für jene, die aus den heruntergekommenen Sammelunterkünften ausziehen wollen, in neuem Licht.

Die Stadt ist außerdem angewiesen auf Kooperationen mit einer lokalen, spürbar rechts geprägten Unternehmer:innenschaft. Wahlkämpfe werden von Sympathisanten der Rechten finanziert und Behörden, die Dienstleistungen auslagern, beschäftigen Betriebe, deren Belegschaften von Neonazis durchsetzt sind. Laut verschiedenen Interviewten wird im zentralen Bürger:innenbüro der Sozialverwaltungsbehörden eine Securityfirma eingesetzt, in der stadtbekannte Neonazis arbeiten. Die Verkehrsbetriebe haben die Kontrollen an ein Sicherheitsunternehmen externalisiert, „die kontrollieren gezielt [people of color], und haben auch Handschellen und Pfefferspray dabei“, bemerkt ein Polizist, der sich gerade nicht im Dienst befindet (FN_070722). In verschiedenen Interviews tauchen unverhältnismäßige Fahrkartenkontrollen als krasseste Form des Alltagsrassismus auf, die in der Folge häufig zu gewaltvollem Polizeikontakt und harten Verfahren im Namen einer ebenfalls als rechts bekannten Staatsanwaltschaft führen.

Schließlich ist die Stadt – insbesondere in Persona des Ober­bürgermeisters – besonders bemüht, auch über ihre Grenzen hinaus einen Platz im hart umkämpften Standortwettbewerb zu ergattern. Einer der Hauptgründe für mangelnde Reflexion und Auseinandersetzung mit Rassismus in den Behörden ist die angestrebte Repräsentativität der Stadt: „[D]ie Stadtverwaltung möchte einen guten Blick auf [sich …] haben […]. In der Behörde gab’s mal so’n Projekt irgendwie […] weltoffene Kommune und von fünf Schritten, die man erreichen konnte, hatte[n wir] Schritt 4 bereits erreicht und […] es wird nicht mal Englisch gesprochen“ (I3), reflektiert eine Sozialarbeiterin, die regen Netzwerkkontakt zu den Lokalbehörden hat. Das zeigt: Ebenso wie „Diversitymanagements“ eine Marketingstrategie der von Ahmed (2006) untersuchten Institutionen sind, ist „Weltoffenheit“ ein relevanter Standortfaktor, um den es sich, insbesondere als quasiinsolvente Kommune, zu bemühen gilt. Statt einer aktiven Auseinandersetzung, die sich gut verkaufen lässt, aber auch Ressourcen benötigt, wird der Schein der Weltoffenheit durch die Dethematisierung von Rassismus gewahrt.

5. Ausblick

In keinem unserer Gespräche zur Forschungsvorbereitung für das Projekt Innerbehördliche Auseinandersetzung mit Rassismus verwendeten Behördenmitarbeiter:innen das Wort Rassismus. Auch in vielen anderen Gesprächen und Interviews blieb es aus. Ob Rassismus benannt wurde, schien ein Gradmesser dafür, wie kritisch sich die Gesprächspartner:innen zu Stadt und Behörden äußerten. Eine Aktivistin fand ein schönes Bild für diese Beobachtung – „das böse Wort [Rassismus], wie bei Harry Potter: der, dessen Name nicht genannt werden darf“ (FN_171122). Was für die Zauberwelt gilt, gilt auch für Behörden: Wenn man Voldemort oder Rassismus benennt, muss man sich mit ihm auseinandersetzen.

Dass Rassismus da ist, auch in Behörden, bezeugten unsere Ge­sprächs­partner:innen. Sie benannten unfreundliche, herablassende Behandlung, die Verschleppung von Vorgängen und Intransparenz sowie rassistische Hierarchisierungen. Zugleich konnten wir jedoch beobachten, dass Rassismus von behördlicher Seite weggeschwiegen wird. Damit wird eine Auseinandersetzung verhindert, Rassismus normalisiert, entpolitisiert, unsichtbar gemacht und institutionalisiert. Die Abwehr dieser Auseinandersetzung zeigte sich zum einen in der Abwehr unserer Studie. Zum anderen wurde die Auseinandersetzung mit konkreten Vorfällen oder die Kritik an ihnen durch Verharmlosung, Delegitimierung und Einschüchterung verhindert. Diese Abwehr als Kern der Institutionalisierung von Rassismus hat vorliegender Beitrag untersucht.

Der erste Blick aufs Feld war gelenkt vom Forschungsdesign, von der Literatur zu institutionellem Rassismus und dem Augenmerk auf institutionelle Settings und Logiken. Vor dem Hintergrund der Fallstudie, den Aussagen der Gesprächspartner:innen, die die Aufmerksamkeit wieder und wieder auf die Besonderheit von X-Stadt lenkten, und der jüngeren Literatur zu rechten Räumen stellte sich die Frage: institutionelle Normalität oder ostdeutsche Peripherisierung?

Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich diese Frage nicht eindeutig beantworten lässt. Vielmehr wirken institutionelle Settings wie Überarbeitung, strenge Hierarchien und eine konfliktvermeidende Behördenkultur mit kontextuellen Faktoren zusammen. Allgemeine behördliche Ressourcenknappheit und Fachkräftemangel sind Ursachen von Überarbeitung, Frust und dem vorschnellen Rückgriff auf rassistische Gewissheiten bei Behördenmitarbeiter:innen (Graevskaia/Menke/Rumpel 2022). Diese werden in einer wirtschaftlich ausgebluteten, deindustrialisierten und geschrumpften Stadt noch zusätzlich verstärkt. Die behördliche Konfliktvermeidungskultur ist eingebettet in eine lokale rechte Hegemonie, ein rechtes Raumklima. Die Normalität rassistischer Ansichten und Praktiken wird innerhalb wie außerhalb der Behörden geschützt durch ausbleibenden (oder sehr vereinzelten) Widerspruch. Dieser wird, wenn vorhanden, durch behördliche Hierarchien und Einschüchterungen kleingemacht. Weiterhin wird das mehrheitliche Schweigen zu Rassismus in X-Stadt auf eine Postwende-Austeritätsdepression zurückgeführt. Auch ganz konkret und ohne affektive Vermittlung bedingen wirtschaftliche Prozesse und politische Abhängigkeiten das Behördenhandeln. Die AfD-Fraktion im Stadtrat übt Druck auf Dezernent:innen aus (um Rassismuskritik zu verhindern) und beeinflusst die Besetzung von behördlichen Machtpositionen (mit Personal, was „Geflüchtete nicht mag“). Die Behörden der insolventen Kommune sind angewiesen auf Externalisierung (Fahrkartenkontrollen, Securities). Diese wird von rechten Betrieben übernommen, von denen es in der Stadt wimmelt. Die städtische Wohnungsbaufirma nutzt den Zuzug von Geflüchteten, um gegen ihre Pleite anzukämpfen – zum Nachteil der Geflüchteten, die mit intransparenten, horrenden Nebenkostenabrechnungen und fehlenden Informationen über alternative Wohnmöglichkeiten konfrontiert sind. Und schließlich versucht ein unternehmerfreundlicher Oberbürgermeister im neoliberalen Standortwettbewerb, das Gesicht seiner Stadt zu retten. Was anderswo durch vermarktbare Diversitykampagnen geschieht (Ahmed 2006), schlägt sich in X-Stadt, wo es dafür weder Ressourcen noch Mehrheiten gibt, durch eine komplette Vermeidung des Themas nieder.

Die Forschung zu institutionellem Rassismus in Sozialverwaltungs­behörden hat in den letzten Jahren vielversprechende Mehr­ebenen­analysen hervorgebracht, die eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen und so auch Hinweise für konstruktive Anknüpfungspunkte liefern (Ataç/Schütze/Reitter 2020; Graevskaia/Menke/Rumpel 2022; Neuburger 2022; Price/Spencer 2014; Ratzmann 2022). Was jedoch bislang unterbelichtet blieb, ist die Rolle und Relevanz des spezifischen sozialräumlichen Kontexts. Unsere ethnographische Reaktion auf den gescheiterten Feldzugang ermöglichte es, eben diesen Kontext holistisch zu betrachten (Genz 2020). Wir konnten zeigen, dass raumsensible Zugänge die Mehrebenenbetrachtung von institutionellem Rassismus erweitern können. Forschungspraktisch sind sie ein möglicher Umgang mit häufig schwierigen Behördenzugängen. Analytisch beleuchten sie, was mit Poulantzas (2002) als „Sedimentierung“ zu verstehen ist – wie sich historisch gewachsene und lokal spezifische politökonomische Verhältnisse in Behörden niederschlagen, in Wechselwirkung mit deren institutioneller Struktur.

Wenn die Ethnographie um die Behörden herum auch gewinnbringend war, ersetzt sie keine Forschung im Inneren der Behörden. Zwar sind einige institutionelle Settings auch von außen für behördennahe Personen sichtbar. Nicht zuletzt aber um zu verstehen, wie sich die Situation für die Mitarbeitenden selbst darstellt, wäre ein Feldzugang ins Innere der Behörden unerlässlich. Zudem kann die vorliegende Analyse des Verhältnisses zwischen Behördenstruktur und lokalen Faktoren nur als eine explorative verstanden werden. Vergleichende Forschung an anderen Standorten mit unterschiedlichen Bedingungen wäre notwendig, um entscheiden zu können, welches Gewicht politischen Hegemonien und wirtschaftlichen Situationen von Kommunen bei der Dethematisierung von Rassismus zuzuschreiben ist: ob diese auch unabhängig solcher Bedingungen betrieben wird oder ob es im Gegenteil auch Kontextfaktoren gibt, die eine konstruktive Auseinandersetzung mit Rassismus befördern.