sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2024, 12(1), 11-38

doi.org/10.36900/suburban.v12i1/1.923

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 16. August 2023

Veröffentlichung online: 3. Mai 2024

Rechte Refiguration

Räume der alltäglichen Normalisierung des populistischen Rechtsradikalismus

Valentin Domann

Obwohl der Aufstieg radikal rechter Kräfte auch innerhalb der Stadt- und Raumforschung einen immer prominenteren Platz einnimmt, fehlt es weitgehend sowohl an einer empirisch gesättigten Analyse ihrer tatsächlichen Effekte auf lokale Gemeinschaften als auch an einer konzeptionellen Debatte über die Rolle temporalen Wandels. Der Beitrag präsentiert Ergebnisse einer mehrjährigen qualitativen Längsschnittstudie mit dem Ziel, sich spezifischen lokalen Wandlungsprozessen anzunähern, denen im Kern die Normalisierung lokaler, radikal rechter Parteikader und ihrer Deutungsmuster zugrunde liegt. Norbert Elias’ Denken in Figurationen, so argumentiert der Text, kann dabei helfen, diese Prozesse sowie ihre räumlichen Dimensionen zu erschließen. Im Ergebnis zeigt die Studie, dass radikal rechte Normalität längst ein Faktum ist, das im Lokalen neue Verhältnisse zwischen Etablierten und Außenseiter_innen schafft und mit dem es politisch umzugehen gilt, anstatt es wegzureden. Mit dem Prozess der Etablierung radikaler Rechter gewinnen zudem exkludierende, antiurbane Raumbilder und -politiken an Gewicht – auch jenseits radikal rechter Kader und ihrer Unterstützer_innen. Für Gegner_innen ihrer Politiken verengen sich die Handlungsspielräume zunehmend und Ermüdung macht sich breit.

An English abstract can be found at the end of the document.

„Das Elend sind nicht die Anderen. Das Elend kommt nicht aus Sachsen. Das Elend kommt nicht aus dem Nichts, es kommt von hier.“

(Die Sterne 2020)

1. Von rechter Raumnahme zu Räumen rechter Normalisierung

Seit ihrer Gründung vor über zehn Jahren hat die AfD den bundesdeutschen Diskurs hauptsächlich in Form von kampagnenhaften Interventionen zu Themen nationaler Tragweite mitgeprägt. Zuletzt sind eine Stabilisierung der Partei und ein nachholendes Wachstum „von unten“, im Sinne eines Zugewinns an Personal und elektoralem Zuspruch auch unterhalb der Landesebene zu beobachten. Seit Sommer 2023 errang die AfD erste hauptamtliche Bürgermeister- und Landratsposten. Das zeigt, dass die Partei auf kommunaler Ebene und mit einem breiteren Themenspektrum reüssieren kann, das ihren rechtsradikalen Kern nicht bemäntelt. Diese Entwicklung versinnbildlicht eine ganze Reihe von Orten, an denen Akteur_innen der radikalen Rechten längst zur alltäglichen Normalität gehören und an denen ihre Ungleichwertigkeitsideologien wieder salonfähig geworden sind – sofern sie überhaupt je tabuisiert waren.

Dass den Wahlerfolgen der Partei des populistischen Rechtsradikalismus räumliche Dimensionen anhaften, ist vor dem Hintergrund facettenreicher externalisierender Territorialisierungsnarrative unübersehbar: Je nach Perspektive wohnt die Regression demnach im sogenannten braunen Osten, in abgehängten Regionen, in der Platte am Stadtrand oder schlicht auf dem Dorf (zur Kritik daran siehe Autor:innenkollektiv Terra-R i. E.). Aus der deutschsprachigen kritischen Raumforschung kam schon weit vor dem Aufkommen der AfD der Impuls, sogenannte rechte Räume nicht zu essenzialisieren, sondern auf deren jeweilige soziale Produziertheit zu schauen (Belina 2002; Bürk 2012; Schipper 2011). Oft wurde versucht zu klären, dass bei einer ehrlichen Analyse der Bedeutungszunahme des (populistischen) Rechtsradikalismus nicht ausschließlich „die Anderen“ für das Elend herhalten dürfen, wie es Die Sterne (2020) sangen. Mit Bezug auf die AfD konnten verwandte Forschungsbeiträge seither beachtliche Ergebnisse zur raumbezogenen Analyse des Phänomens liefern. Das umfasste eine Dekonstruktion der populären Stadt-Land-Dichotomie (Belina 2022; Deppisch et al. 2021; Domann 2024; Förtner et al. 2019; Geilen/Mullis 2021) sowie Deutungsangebote zu Zusammenhängen zwischen rechten Mobilisierungserfolgen und räumlichen Aspekten, etwa bezogen auf die Infrastrukturausstattung (Naumann 2021), den Städtebau (Kübler et al. 2022) oder die Wohnungsfrage (Bescherer/Reichle 2022; Ludwig/Mießner 2022). Besonders viel Erklärungskraft bergen Studien, die auf raumsensible Art und Weise fragen, wie verräumlichte Gemeinschaften mit je spezifischen Interessen sich zu rechten Narrativen und Politiker_innen in Beziehung setzen (Bescherer et al. 2021; Göpffarth 2021; Nettelbladt 2023; Reichle 2023a) und die dabei über lokale Alltage konkrete Subjektivierungsprozesse erklären können (vgl. Miggelbrink/Mullis 2022).

Dieser Beitrag adressiert drei Leerstellen der gegenwärtigen geographischen Forschung. Erstens zeigt die konzeptionelle Debatte innerhalb der kritischen Raumforschung einige Lücken bezüglich der Frage, wie genau diese normalisierenden Prozesse rechter Akteur_innen und Einstellungen zu verstehen sind, insbesondere im temporalen Verlauf (Reichle 2023b: 139). Zweitens besteht auch in der empirischen Forschung oft Klärungsbedarf, da Studiendesigns, die versprechen, lokalen Wandel greifbar zu machen, nur in Ausnahmefällen explizit auf die radikale Rechte angewandt werden (siehe etwa Jadhav 2021 zum Kontext einer US-amerikanischen Landstadt). Drittens steht – obwohl das Thema auch in der deutschsprachigen Raumforschung einen immer prominenteren Platz einnimmt und Wahlgeographien, Erklärungen und Hintergründe nicht zuletzt in der n (z. B. Förtner et al. 2019; Feustel 2019) umfassend debattiert wurden – eine empirisch gesättigte Analyse ihrer tatsächlichen Effekte auf lokale Raumproduktionen noch weitestgehend aus.

Dieser Beitrag analysiert ebenjene temporale Dimension und rückt Prozesse der Normalisierung in den Mittelpunkt. Dieser Fokus steht nicht nur im Einklang mit aktuellen Paradigmen internationaler Forschung (Brown et al. 2023; Mondon/Winter 2020; Wodak 2020), sondern positioniert sich auch explizit gegen die eingangs beschriebene Externalisierung des Rechtsradikalismus, die sich räumlich oft mit Begriffen wie Raumnahme oder Raumergreifung verbindet und dabei mehr verschleiert als erklärt:

„Der Begriff der ‚Raumergreifung‘ birgt die Gefahr, ein wesentliches Merkmal des nahezu flächendeckenden Problems des lokal und regional verankerten Rechtsextremismus zu verkennen: Im eigentlichen Sinne handelt es sich um die Sichtbarwerdung, das selbstbewusste Hervortreten und das Mainstreaming von Rechtsextremen, die i. d. R. schon immer vor Ort sozial eingebunden waren.“

(Salheiser/Quent 2022: 165; Herv. i. O.)

Ziel dieses Beitrages ist es daher, anhand von Langzeitbeobachtungen in zwei Gemeinden zu bilanzieren, wie genau die Normalisierung der AfD verläuft und wie sich die sozialen Verhältnisse vor Ort dabei verändern. Dabei argumentiert der Text auf konzeptioneller Ebene, dass raumfokussierte Forschung für derlei Fragestellungen sensibel für temporalen Wandel sein muss. Abschnitt 2 schlägt für dieses Vorhaben den Begriff der Refiguration vor. Hierfür werden nach einer Einführung in das verwendete qualitative Längsschnittdesign der zugrunde liegenden Studie (Abschnitt 3) drei Fragen an das Material herangetragen (Abschnitt 4):

  1. Wie wandeln sich Interdependenzgeflechte der lokalen Gemeinschaft im Anschluss an Wahlerfolge der AfD?
  2. Wie wandelt sich die Wahrnehmung von Ort und Raum unter dem Eindruck (zunehmender) rechter Narrative?
  3. Wie wandelt sich lokaler Protest durch die Etablierung der AfD vor Ort?

Abschnitt 5 verdichtet die Erkenntnisse abschließend und diskutiert die konzeptionellen wie empirischen Beiträge der vorgestellten Studie. Resümierend zeigt sich, dass in mehrschichtigen An- und Umordnungen lokaler Interdependenzverhältnisse rechte Normalität längst ein Fakt ist. Diese legitimiert exkludierende (Raum-)Politiken schon heute, womit es politisch umzugehen gilt.

2. Refiguration als raum- und zeitrelationale Perspektive

Ein zentrales Dilemma durchzieht aktuelle Debatten zur Normalisierung des (populistischen) Rechtsradikalismus. Wichtige Autor_innen des Feldes schwanken zwischen dem Anspruch, das Phänomen als nicht exzeptionell und als gesellschaftlich eingelagert zu verstehen und der Anforderung, den Untersuchungsgegenstand zugleich als etwas Spezifisches zu konzipieren:

„We argue against demonization and pathologizing of the far right that serves to separate them (and analysis) from the mainstream and wider structures and institutions of power, particularly in term of race and racism. […] The very focus on the far right[, however,] requires one to set out a particular category of the extreme and exceptional, which separates it from the mainstream and ‚normal‘ and marks it out as an issue of specific concern.“

(Mondon/Winter 2020: 374)

Der kontingente und fluide „Mainstream“ (ebd.: 371) wird demnach oft als Residualkategorie missverstanden, in den sich eine ihm äußerliche Rechte einkuppelt (Brown et al. 2023: 166), und das, obwohl doch Einigkeit darüber besteht, dass der Rechtsradikalismus erst dadurch zur realen Bedrohung wird, dass sich dessen Anhänger_innen „quer durch die Gesamtbevölkerung“ verteilen (Adorno 2019 [1967]: 14). Dieses Dilemma ist zwei zentralen Begriffen eingeschrieben, die bei der Erforschung in Anschlag gebracht werden: Normalisierung und Mainstreaming. Beide werden trotz ihrer unterschiedlichen ontologischen Hintergründe im Feld oft nahezu synonym verwendet (vgl. Krzyżanowski/Ekström 2022: 721). Der Begriff der Normalisierung wird hier vorgezogen; auch weil er eine machtkritische Komponente umfasst. Diese begreift umfangreiche, von Michel Foucault beschriebene Techniken ihrer Herstellung ein. Dabei hebt das hier verwendete Verständnis von Normalisierung auf die letzte der drei Bedeutungsebenen von „(industrieller) ‚Normung‘, (sozialer) ‚Normierung‘ (im Sinne von ‚Dressur‘) und (allgemein kultureller) ‚Normalisierung‘ (im Sinne der Produktion von Normalitäten, Normal-Machung)“ (Link 2014: 243) ab.

Eine raum- und zeitrelationale Perspektive kann helfen, Normali­sierungsprozesse klarer zu konturieren. Hierfür schlägt der Text vor, lokale Gemeinschaften mit Norbert Elias als Figurationen anzusprechen. Diese Denkfigur verspricht den Widerspruch einer notwendigen Separierung der radikalen Rechten als Teilgruppe des Normalen aufzulösen. Figurationen beschreiben demnach einen spezifischen Stand von Verflechtungsprozessen, die aus den grundlegenden Interdependenzen von „aufeinander ausgerichtete[n], voneinander abhängige[n]“ Individuen in Gruppen hervorgehen (Elias 1997 [1939]: 70). Elias versteht Figurationen nicht als etwas Essenzielles. Dennoch sind sie genau so, also nicht mehr oder weniger real als die Individuen, aus denen sie entstehen. Dabei setzt Elias allerdings das Wechselverhältnis zwischen kurzfristigen Veränderungen einzelner Individuen (Psychogenese) und langfristigen Wandlungsprozesse ihrer Figurationen (Soziogenese) ins Zentrum:

„Die einzelnen Menschen wandeln sich. Die Figurationen, die sie miteinander bilden, wandeln sich ebenfalls. Aber die Veränderungen der einzelnen Menschen und die Veränderungen der Figurationen, die sie miteinander bilden, obgleich unabtrennbar und ineinander verwoben, sind Veränderungen auf verschiedener Ebene und auf verschiedene Art.“

(Elias 2018 [1986]: 116)

Da sich Wandlungsprozesse von Figurationen und die Veränderungen von Individuen gegenseitig bedingen, kann keine der beiden Entwicklungen als der anderen äußerlich gedacht werden. Als relationales Gebilde entspringt eine Figuration den Beziehungen der Individuen und deren Tun. Zugleich strukturiert sie deren Beziehungen und ihr Tun.

In der Studie Etablierte und Außenseiter beschreibt Elias gemeinsam mit John Lloyd Scotson (2002 [1965]), wie figuratives Denken lokale Settings als spezifische „Gemeinde-lnterdependenzen“ (ebd.: 234 f.) konkret aufschlüsseln und analysieren kann. In der Beforschung einer kleinen britischen Vorortgemeinde zeigen sie auf, wie sich der Erhalt von und der Griff nach Macht und Anerkennung durch unterschiedliche Gruppen in alltäglichen und scheinbar harmlosen Alltagspraktiken äußern. In der Summe bestimmen sie Zugänge und Einflussmöglichkeiten, wobei die Etablierten ihren Status durch exklusive Solidarität und Zusammenhalt gegen Außenseiter_innen absichern. Damit wird verständlich, was Elias und Scotson „Kohäsions- und Integrationsdifferentiale als Aspekte von Machtdifferentialen“ nennen (ebd.: 16).

Auch in Anwendung auf rechte Normalisierungsprozesse bringt Elias, die lokale Ebene verlassend, dieses Denken in Stellung. Dies gilt insbesondere für seine seit den frühen 1960er Jahren entstandenen Studien über die Deutschen (Elias 1994 [1989]), in denen er sich der „Aufgabe widmet, systematisch zu untersuchen, welche Faktoren in der langfristigen Entwicklung Deutschlands und des sogenannten deutschen ‚Nationalcharakters‘ zum Aufkommen der Nationalsozialisten beigetragen haben“ (ebd.: 412). Elias, der sein Hauptwerk zum Prozess der Zivilisation (in den Auflagen nach 1945) seinem Vater und seiner von den Nazis ermordeten Mutter widmet (Elias 1997 [1939]: 8), verknüpft hierbei unterschiedlichste Aspekte einer sich entwickelnden spezifischen Figuration: Von Unglück zeugenden „eigentümlichen Trinksitten der Deutschen“ (Elias 1994 [1989]: 12), deren Geringschätzung der Stadtkultur (ebd.: 17) oder durch Militär- und Duellkultur tief eingeschriebenen Ungleichheitsvorstellungen (ebd.: 19, 27) kumulieren demnach in einem überhöhten, rückwärtsgewandten Nationalismus nicht egalitären Charakters, der in Notzeiten die vollständige Unterwerfung des Individuums erfordert (ebd.: 200 f., 210, 427).

Der Beitrag kann an dieser Stelle nicht vertiefender auf problematische Aspekte von Elias’ Arbeiten eingehen, etwa auf das eurozentrische Entwicklungsdenken im Zivilisationsprozess oder auf den „naiven Objektivismus“ (Rehbein 2016: 176), der sich aus dem Anspruch einer wertfreien Wissenschaft ergibt. Auch muss angemerkt werden, dass der hier gewählte empirische Ausschnitt auf Wandlungsprozesse innerhalb einiger Jahre den Elias’schen Begriffsapparat herausfordert, da dieser sich gern auf Generationen oder ganze Epochen bezieht. Dennoch dient ein prozesssoziologisch informiertes Denken hier dazu, rechte Normalisierungsprozesse als etwas nicht Exzeptionelles zu verstehen, indem Beobachtungen unterschiedlicher Zeitpunkte miteinander in Beziehung gesetzt werden (Baur/Ernst 2011: 132). Dieses Denken kann einerseits den Blick darauf richten, wie rechte Akteur_innen innerhalb interdependenter Gruppen sich über alltägliches Handeln mit Blick auf Kohäsion und Integration zu etablieren versuchen – wie also eine vormalige Außenseiter_innen gruppe „an Macht gewinnt und ihre Vertreter in die Position eines Establishments neuer Stufe emporträgt“ (Elias/Scotson 2002 [1965]: 34) und damit wiederum neue Außenseiter_innen gruppen produziert (vgl. Vieten/Poynting 2022: 6). Andererseits kann damit der Werte- und Normenkanon des sogenannten Mainstreams in seinen Übergängen angesprochen werden: Er erscheint als ein Akzeptanzkontinuum, das in Abhängigkeit der Machtdifferenziale zu einem Zeitpunkt radikal rechte Positionen zu tabuisieren vermag, dem jedoch stets auch eine vermeintlich düstere Potenzialität an Ungleichheitsvorstellungen innewohnt, die an einem anderen Zeitpunkt zutage treten kann (Kallis 2021).

Nachdem die Perspektive gesellschaftlichen Wandels auf rechte Normalisierungsprozesse angelegt ist, müssen nun auch ihre räumlichen Relationen erschlossen werden, denn jede Verschiebung von Normen einer Gesellschaft fordert stets auch deren räumliche Ordnung heraus (vgl. Cresswell 1996: 166). Hilfreich hierfür sind die Überlegungen von Martina Löw und Hubert Knoblauch (2021). Sie buchstabieren einige grundsätzliche ontologische Annahmen aus, die Elias’ Figurationsbegriff um eine räumliche Dimension erweitern. Als konkrete Grundannahmen benennen die beiden, dass sich verändernde Gesellschaften ihre relationalen Abhängigkeiten neu definieren und räumlich neu anordnen, „dass diese räumliche Formung prozesshaft ist“ und dass in diesem Prozess Individuen, ihre Figurationen und ihre Räume sich gegenseitig konstruieren (ebd.: 31). Das damit zusammenhängende Forschungsprogramm erlaubt es somit, die „Refiguration von Räumen“ als Neuanordnungs- und Umordnungsprozesse von Interdependenzen zu begreifen. In diesem Artikel findet der Refigurationsbegriff Anwendung, unter der Prämisse, dass sich hiermit unter räumlich-relationaler Perspektive ein „Figurationswandel“ (Elias 2006 [1970]: 218) ansprechen lässt, auch wenn im späteren Verlauf einige notwendige Anpassungen ausgewiesen werden müssen.

Betrachtet man unter dieser Perspektive das, was gemeinhin als Rechtsruck angesprochen wird, so wird deutlich, dass dieser mechanistische Begriff irreführend sein muss: Refigurationsprozesse werden erst wirklich verständlich, wenn die sich (oft langsam) ändernden Relationen von Sozio- und Psychogenese inklusive ihrer räumlichen Bezüge in den Blick genommen werden. Um dem oben aufgezeigten Dilemma des Normalisierungsbegriffes einen nicht exzeptionellen Forschungsansatz gegenüberzustellen, empfiehlt es sich, auf zwei Dimensionen der Veränderung von Interdependenzgeflechten zu blicken. So kann man die Bedeutungszunahme radikal rechter Inhalte als (psychogenetische) Akzeptanzsteigerung und die zunehmende Integration entsprechender politischer Akteur_innen als (soziogenetisches) Dominantwerden bereits angelegter Ideologien und Kräfte verstehen.

Zu beiden Untersuchungsdimensionen liegen einschlägige Studien vor, auch für die lokale Ebene. Erstere umreißen insbesondere die Arbeiten Ruth Wodaks, die die „Enttabuisierung und Akzeptanz früher tabuisierter Inhalte wie Äußerungsformen“ (2018: 324) ins Zentrum ihres Normalisierungsbegriffes rückt. Wodak betont besonders die „Schamlosigkeit“ (ebd.) dieses Prozesses, also die dezidiert normüberschreitende Strategie rechter Propaganda sowie den kombinatorischen, adaptiven und kontextabhängigen Charakter selbiger (Wodak 2020: 339). Um rechter Propaganda im Lokalen nachzuspüren, lohnt es sich, auf ihre skalaren Relationen und Reartikulationen zu blicken, die sich vor Ort zum Teil ganz anders ausdrücken als auf nationaler Ebene (Domann/Nuissl 2022a). Dabei spielen lokalistische Diskursstrategien eine besondere Rolle (Chou et al. 2022). Gala Nettelbladt (2023) gelingt es etwa zu zeigen, wie rechte Ideologien durch spezifische Rekontextualisierungen in lokalen Partizipationsprozessen hinter den Kulissen hervor- und auf die öffentliche Bühne treten.

Die zweite Untersuchungsdimension wird durch Studien zur Erosion des Cordon sanitaire auf der Akteur_innenebene informiert. Während die Unvereinbarkeit zwischen regierenden Parteien und der AfD auf bundesstaatlicher Ebene (noch) aufrechterhalten wird, zeigt sich deren Erosion auf subnationaler Eben schon seit Langem (Heinze 2022: 9). Gerade auf lokaler Ebene, in kleineren Gemeinden, kann die Normalisierung der AfD von konkordanten, also auf Ausgleich und politischer Harmonie beruhenden Settings profitieren (Domann/Nuissl 2022b). Auch etablierte Dispositive eines lokalen, status- und klassenübergreifenden Zusammenhalts gegenüber als äußerlich wahrgenommenen Bedrohungen ebenso wie Wagenburgmentalität oder Provinzialismus als Geisteshaltung werden als hierfür förderlich diskutiert (Belina 2022). Diese Aspekte führen in der Praxis oftmals dazu, dass vor Ort nicht die Normalisierung der radikalen Rechten, sondern die Kritik an ihr als störend empfunden wird (vgl. Salheiser/Quent 2022: 167). Daneben wurden die fließenden Übergänge zwischen lokaler Zivilgesellschaft und kommunalpolitischem Establishment beschrieben. Das rückt die Enttabuisierung von Akteur_innen der AfD im vermeintlich vorpolitischen Lokalraum in den Fokus, zu dem Sportvereine, lokale Initiativen oder Verwaltungsakteur_innen zählen (Nettelbladt 2023: 16; Salheiser/Quent 2022: 177).

Für das Design der vorliegenden Studie folgt aus diesen Überlegungen, dass es darum geht, mit Schlüsselfiguren der lokalen Figurationen zu sprechen, die rechte Normalisierung in ihren Alltagen vor Ort hautnah miterleben und – ob gewollt oder nicht – mitgestalten. Sie sind es, die präzise Auskunft über die sich wandelnden Interdependenzen liefern können. Dieser Zugang wird im Folgenden näher beschrieben.

3. Geographische Längsschnittforschung zur Erschließung von Refigurationsprozessen

Die ausgeführten konzeptionellen Überlegungen machen es notwendig, einen methodisch-empirischen Zugriff auf rechte Normalisierung zu entwickeln. Die qualitative Längsschnittforschung (QLF) bietet hierfür einen reichhaltigen Fundus an Erhebungs- und Analysemethoden. Mittels diachroner Vergleiche von Subjekten oder Gruppen lässt sich erschließen, wie sie sich selbst verändern oder auf Wandel reagieren. Da auch Elias (2004 [1984]) sich intensiv mit Wandel und der sozialen Konstruktion von Zeit auseinandersetzte, verwundert es nicht, dass sein Analyseapparat auch in der QLF (Baur/Ernst 2011) zunehmend rezipiert wird. Auch wenn die QLF in der Raumforschung zunächst nicht sehr prominent vertreten war und sich sogar gegen kartographisch orientierte Methoden behaupten musste (Saldaña 2003: 62), ist sie inzwischen mehr und mehr kanonisiert (Brickell et al. 2023).

Die hier vorgestellte prospektive qualitative Längsschnittuntersuchung wurde zwischen Frühjahr 2019 und Frühjahr 2023 in zwei Orten Brandenburgs durchgeführt. Der Beobachtungszeitraum dokumentiert Veränderungen der Orte vom Kommunalwahlkampf der AfD 2019 über ihren erstmaligen Einzug als Fraktionen in Kommunalparlamente bis hin zu ihrer Etablierung in scheinbar unpolitischen Vereinigungen und Protestgruppen. Im Laufe der Zeit wurden unterschiedliche qualitative Methoden eingesetzt und miteinander kombiniert (vgl. Neale 2017: 6). Sie umfassen teilnehmende Beobachtungen, Presse- und Dokumentenanalysen, Interviews mit Anwohner_innen sowie Vertiefungsinterviews mit Expert_innen und antifaschistischen Aktivist_innen. Das Gros der hier präsentierten Daten speist sich aus einem Panel mit lokal engagierten Personen.[1]

Die Befragten wurden aufgrund ihres (meist ehrenamtlichen) Engagements in der örtlichen Gemeinschaft ausgewählt, weil sie für sich beanspruchen, die lokal relevanten Themen (relativ) gut zu kennen. Für diese Studie war es jedoch wichtig, dass keine dieser Personen ein Rats- oder Parlamentsmandat hat oder für ein solches kandidiert. Das Sample besteht aus einer Vielzahl von Informant_innen von Pastor_innen bis zu Sporttrainer_innen, die ein bedeutendes Segment der kleinen Gemeinden repräsentieren.[2] Aufgrund der genannten Stichprobenkriterien sind die Befragten (im Vergleich zur lokalen Bevölkerung) überdurchschnittlich alt (viele befinden sich bereits im Ruhestand) und weiß. In Bezug auf Geschlecht ist die Stichprobe hingegen ausgewogen.

Mit insgesamt 39 Befragten wurden kurz vor den Kommunalwahlen in Brandenburg im Mai 2019 Basisinterviews durchgeführt. Aufgrund der Coronapandemie musste der Zeitmaßstab der Erhebung angepasst werden (siehe dazu Baur 2015: 359). Die Folgeinterviews mit 19 Interviewten konnten erst im Sommer 2021 durchgeführt werden. Um auch während Pandemiezeiten mit den Befragten der ersten Erhebungsrunde in Kontakt zu bleiben, wurde regelmäßig mit diesen kommuniziert und auch Zwischenergebnisse ausgetauscht. Dies löste bei einigen Interviewten Skepsis gegenüber der Studie aus, weil sie die kritische Thematisierung der radikalen Rechten in ihrer Heimat als unangenehm empfanden. Auch dieser Umstand erklärt den hohen Rückgang von 39 auf 19 Befragte zwischen der ersten und der zweiten Befragung. Er zeigt eine von vielen Schwierigkeiten der empirischen Arbeit antifaschistischer Geographien. Auch wenn die Konturen dieser forschungsethischen und -praktischen Perspektive sehr ungleich beschrieben werden (Ince 2019; Marquardt 2021; Philo 2021), verortete sich die vorgestellte Studie politisch. Dies geschah nicht zuletzt dadurch, dass während des Forschungsprozesses der Kooperation mit Akteur_innen, die sich gegen radikale Rechte vor Ort engagieren, stets höhere Priorität eingeräumt wurde als dem Ziel, den Lauf der Dinge möglichst störungsfrei beobachten zu können. Dass die Studie keinen Anspruch auf Wertfreiheit erhebt, sondern sich der Grundidee kritischer Theorie verpflichtet und „die Idee eines besseren Lebens“ (Rehbein 2013: 12) verfolgt, prägte sowohl das Sample als auch den Untersuchungsgegenstand selbst mit. Die postkoloniale Kritik an Elias’ Werk diskutierend fordert Boike Rehbein (2016: 178) ein reflektierendes Verständnis von Forschenden als wirksamen Akteur_innen in Interdependenzgeflechten ein.

Die Analyse diachroner qualitativer Daten gilt als ein komplexes Unterfangen, das zweierlei erfordert: zunächst eine detaillierte Analyse der Interviewtranskripte auf Wort- und Satzebene – Johnny Saldaña (2003: 46) beschreibt QLF-Interpret_innen als „word cruncher“ – und ferner eine regelgeleitete Verschneidung von Quer- und Längsschnittvergleichen (Holland et al. 2006: 33). Für die Auswertung der vorliegenden Daten wurde ein mehrstufiges Verfahren entwickelt, das an anderer Stelle ausführlicher dargestellt wird (Domann i. E.).

Die Untersuchung fand in zwei Kommunen in Brandenburg statt, die an dieser Stelle anonymisiert eingeführt werden sollen. Wie auch in anderen Studien zu dem Thema (Bürk 2012; vgl. auch Elias/Scotson 2002 [1965]) soll diese Anonymisierung dazu beitragen, das Phänomen nicht zu externalisieren – „das Elend sind nicht die Anderen“ (Die Sterne 2020). Für das Verständnis soll hier genügen, dass eine Gemeinde (Sub) im engeren Verflechtungsraum von Berlin liegt, wo intensive Wirtschafts- und Pendelbeziehungen mit der Hauptstadt bestehen. Die andere Kommune ist eine Kleinstadt (Rur) im ländlich geprägten Osten Brandenburgs, nahe der polnischen Grenze. Als Mittelzentrum erfüllt sie für die umliegende Region wichtige Verwaltungs- und Versorgungsfunktionen. Für die Auswahl der beiden Orte der Fallstudie war ferner relevant, dass ausgehend von den Ergebnissen der Bundestagswahl 2017 bei den in den Kommunalwahlen 2019 ein im regionalen Vergleich durchschnittliches Abschneiden der AfD zu erwarten war. Dies bestätigte sich mit 14 Prozent (Sub) beziehungsweise 19 Prozent (Rur) der Stimmen auf Gemeindeebene später auch.

4. Alltägliche Normalisierungsprozesse

Im Folgenden werden einige zentrale Ergebnisse der Studie vorgestellt und diskutiert. Dies erfolgt entlang der drei eingangs eingeführten Fragen nach dem Wandel von Interdependenzgeflechten, der räumlichen Repräsentation und lokalen Protesten im Kontext rechter Normalisierungsprozesse.

Die Nachbarn, die Ratten

Es ist anzunehmen, dass sich mit dem Einzug neuer Vertreter_innen in entscheidende Gremien und der Verschiebung kommunalpolitischer Kräfteverhältnisse Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse auch weit über diese politische Arena hinaus wandeln. Tatsächlich lösen die Erfolge der lokalen AfD-Listen bei den Kommunalwahlen 2019 beim Gros der Befragten Irritationen aus, insbesondere bei der großen Gruppe Interviewter, die die untersuchten Figurationen zunächst als intakte soziale Gebilde in einer krisengerüttelten Gesellschaft präsentierten. Vor der Wahl auf Prognosen angesprochen, vermuteten sie, dass es zwar immer die „paar Nasen“ (Rur_14_2019)[3] gäbe, die rechts wählten, dass die generellen Kräfteverhältnisse auf kommunalpolitischer Ebene jedoch davon unberührt bleiben würden. Die nun unübersehbare Kräfteverschiebung zugunsten der AfD beschreiben die Befragten in der zweiten Interviewphase mit bereits eingeübten Erklärungsmustern. Diese ermöglichen es zugleich, die vorgestellte intakte lokale Gemeinschaft zu behaupten und rechte Wähler_innen als nicht zugehörig zu brandmarken. Dabei treten teilweise chauvinistische Gruppenzuweisungen zutage, die das Problem von den Etablierten fernhalten – so bezeugt etwa durch die Beschreibung eines Interviewpartners, der sich bei der ersten Befragung an die Bundestagswahl 2017 und in der zweiten Erhebungswelle an die Kommunal- und Europawahl 2019 erinnert und beide Male die nahezu wortgleiche Formulierung in Stellung bringt.[4]

Frühjahr 2019

Sommer 2021

„In den Wahllokalen, in denen ich letztes Mal gewesen bin, weiß ich ja ungefähr, das ist aufgeteilt Straßen, wer da wohnt. Und die, die die AfD gewählt haben, das sind alles die Neuen. Die bauen ein Riesenhaus, neue, junge Leute ziehen da ein. […] Die bauen sich ein Riesenhaus, haben zwei Autos vor der Tür, nutzen alles und sind-, wählen AfD. Ich begreife das nicht.“ (Sub_02_2019)

„Ich habe gedacht, ich bin im falschen Kino, ja? […] Ich hatte den Wahlbezirk, wo die meisten Zugezogenen sind. Einmal wie das neue Baugebiet und noch so einiges da. Wahnsinn. Immer noch einen Zettel AfD, noch einen Zettel AfD. […] Die leben wie Gott in Frankreich hier. Die leisten sich Einfamilienhäuser, die haben zwei Autos und […] die haben so eine Meinung. “ (Sub_02_2021)

Analog dazu steht ein Sequenzpaar aus der untersuchten ländlichen Kleinstadt. Hier vermutet ein Befragter in ähnlicher Weise, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen, lokale AfD-Stimmen bei „bildungsfernen Schichten“ (Rur_10_2019) und „Leuten, die beim Denken Pech haben“ (Rur_10_2021), also bei Personen, die über weniger ökonomisches und kulturelles Kapital verfügen als die imaginierte gesellschaftliche Mitte. Ob die Demarkationslinie akzeptabler Wahlentscheidungen nun zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen oder zwischen vermeintlich Gebildeten und Ungebildeten gezogen wird – ihre Funktion ist dieselbe: Wie Elias und Scotson (2002 [1965]: 166) beschreiben, wirkt „Schimpf- oder Schmähklatsch“ nicht nur abwertend gegenüber Gruppen von Außenseiter_innen, sondern versichert auch den Etablierten, dass ihre Sicht auf die „kommunalen Normen und Glaubensaxiome[…]“ sowie ihre Position in „kommunalen Beziehungen“ (noch) die dominante ist.

Die Vorstellung, AfD-Wähler_innen sei aufgrund defizitärer Charak­teristika der vermeintlich richtige Blick auf die Zusammenhänge lokaler Wirkungsgefüge versperrt, bildet die Grundlage für das sogenannte Rattenfängermotiv, mit dem das Gros der Interviewten die lokalen Erfolge der AfD zu erklären versucht. In der suburbanen Fallstudie formuliert ein Aktiver einer Denkmalinitiative, der sich vor dem historischen Hintergrund der deutschen NS-Vergangenheit nicht vorstellen kann, dass seine Nachbar_innen die Folgen ihrer Stimmabgabe für die AfD vollumfänglich verstehen: „Und manche Rattenfänger sind halt besser und manche schlechter und in manchen Regionen, […] da treffen sie genau auf das, was sie brauchen und sprechen genau das an, was die hören wollen“ (Sub_03_2021). Die angeblichen Fänger_innen, so der Konsens unter den Befragten, schaffen es, unbestimmte Ängste zu kanalisieren. Sie treten demnach in Gestalt konkreter AfD-Politiker_innen auf Landes- oder Bundesebene auf. Die vermeintlich gefangenen oder zumindest verführten Ratten bleiben bei diesem Motiv hingegen oft amorph – die lokalen AfD-Wähler_innen bleiben leere Signifikanten.

Entlarvend wirken demgegenüber die Interviews mit Personen, die offener mit der AfD sympathisieren und die Gefahr der radikalen Rechten bagatellisieren. Unter dem Eindruck der von ihnen als sachlich erlebten Gremienarbeit von AfD-Vertreter_innen akkumuliert sich diese Deutung bei einigen Interviewpartner_innen über die Zeit. Im Gegensatz zum Rattenfängermotiv rückt hier das „Guter-Nachbar-Motiv“ die AfD-Politiker_innen zunehmend ins Zentrum lokaler Figurationen. Dieses Motiv, das sie als festen Bestandteil (alteingesessener) Beziehungsgeflechte beschreibt, wird oftmals dadurch gestützt, dass ihren Kritiker_innen eine Außenseiter_innenposition zugeschrieben wird. Ein interviewter Vorsitzender eines Sportvereins bezieht sich beispielsweise in beiden Gesprächen auf eine kommunale Wähler_innengemeinschaft, die als einzige Fraktion im Gemeinderat problematisiert hatte, dass AfD-Ratsmitglieder gemeinsame Fotos mit dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke, dem Gesicht der radikalsten Strömung der Partei, veröffentlicht hatten. Das Agieren dieser Wähler_innengemeinschaft ist in den Augen vieler Befragter ein Affront gegen die Gepflogenheiten der Ratsarbeit und damit stärker zu verurteilen als die Unterstützung des Rechtsaußenpolitikers.

Frühjahr 2019

Sommer 2021

„Die AfD hat – es ist kein Personal der – wie soll ich das erklären? Ich kenne von denen, die für die AfD antreten, einen. Das ist […] von einem Kumpel von mir, ein Nachbar. Ein ganz normaler Mann. Das ist jetzt nicht so, was Sie so im Fernsehen sehen, ein ganz normaler Bürger. Mit dem können wir in der Gemeinde arbeiten, denke ich mir. Da sind andere schlimmer, die sich unter anderem Namen geben.“ (Sub_10_2019)

„Ich bin ja nur Verwaltungsmitarbeiter hier und Bürger. […] Die von der AfD […] leitet jetzt zum Beispiel den Sozialausschuss, macht sie sehr souverän, sehr freundlich, sehr höflich, sehr kompetent. Politische Sachen so, wie man es in der großen Politik hört, sind hier kein Thema. Das bringen nur die Unabhängigen rein, die dann den Leuten Vorwürfe machen, mit wem sie sich mal getroffen haben.“ (Sub_10_2021)

Einige Befragte nahmen zunächst an, dass die kommunale Wähler_innengemeinschaft selbst die Rolle einer Version lokaler Elitenkritik einnehmen könne: Sie sei „eine Möglichkeit, sich kritisch einzubringen[, sodass] die AfD da nicht Fuß fassen kann, weil andere demokratische Kräfte […] den kritischen Blick besetzt haben“, so ein Befragter (Sub_22_2019). Diese Hoffnung zerstreut sich in der zweiten Interviewphase. Nun erachtet derselbe Interviewte vielmehr die Wähler_innengemeinschaft selbst als „eingeschossen auf das Zerstörerische, Destruktive“ (Sub_22_2021) sowie als störend für Aushandlungsprozesse. Damit fungiert die kommunale Wähler_innengemeinschaft zusehends als negative Blaupause. Sie sind die „schlechten“ Nachbar_innen im Vergleich mit den AfD-Politiker_innen, die sich ihr gegenüber erfolgreich als besonnene Sachpolitiker_innen inszenieren.

Zwischen Rattenfängermotiv und Guter-Nachbar-Motiv gibt es wenig Bewegung und wenn überhaupt, kennt diese nur eine Richtung. So zeichnet sich bei einigen Interviewten ab, dass sie einen kategorialen Ausschluss von AfD-Vertreter_innen aus Ratsentscheidungen zunehmend problematisch finden – insbesondere angesichts der sachpolitischen Kompetenzen, die ihnen zugeschrieben werden und des zivilgesellschaftlichen Engagements, das sie in den lokalen Vereinen zeigen. Das Argument bringen vor allem Befragte aus der suburbanen Gemeinde ein. Damit zeigen sich an beiden untersuchten Orten Hinweise für eine tiefgreifende Refiguration, also für eine Neusortierung der Interdependenzverhältnisse, insbesondere hinsichtlich der Verhältnisse zwischen Etablierten und Außenseiter_innen.

Keine Bronx in Brandenburg

Geht man davon aus, dass unterschiedliche Machtkonstellationen unterschiedliche Räume produzieren (Lefebvre 1992 [1974]: 26), so stellt sich die Frage, wie ein oben beschriebener Wandel der Interdependenzverhältnisse die räumlichen Verhältnisse beeinflusst. Der folgende Abschnitt soll konkret aufzeigen, wie sich zunehmend selbstbewusst vorgetragene Narrative der AfD in die räumliche Wahrnehmung in den untersuchten Figurationen einprägen. Beide Gemeinschaften unterlagen im Untersuchungszeitraum einem längerfristigen Wandel ihrer räumlichen Relationen. Beide Orte sind einer fortschreitenden Verstädterung unterworfen: Die Bevölkerung der suburbanen Gemeinde wächst beständig und auch die ländliche Kleinstadt verzeichnet nach zwischenzeitlichem Bedeutungsverlust wieder eine Zunahme der Wohnbevölkerung sowie zentralörtlicher Funktionen. Der noch in einigen Interviews 2019 vorkommende und teils den öffentlichen Diskurs spiegelnde Topos abgehängter Räume spielt dementsprechend in den Interviews von 2021 kaum noch eine Rolle. Entscheidend ist dabei der Zuzug. In der suburbanen Gemeinde eher durch einkommensstärkere Haushalte – klassische Suburbanist_innen, die in Berlin arbeiten, aber im Grünen wohnen wollen. In der ländlichen Kleinstadt spielen Rückkehrer_innen und Fluchtmigration eine größere Rolle. Die Subjektivierung dieser Entwicklungen unterliegt dabei dem Einfluss der Wortergreifungen Rechter und ihrer Beanspruchung von Deutungshoheit.

In beiden Orten setzen lokale AfD-Kader auf eine doppelte Großstadt­feindschaft. Ein nach außen gerichteter Antiurbanismus beschreibt oftmals das nahe Berlin als gefährlichen und unüberschaubaren Ort. Urbanität wird als Geisteshaltung verdinglicht, der die praktische Vernunft des Landes gegenübergestellt wird (siehe Abb. 1).

Abb. 1 AfD-Wahlwerbeplakat „Berlin macht mehr Mist als unser Vieh“ zur Brandenburger Landtagswahl 2021 (Quelle: d. A.)
Abb. 1 AfD-Wahlwerbeplakat „Berlin macht mehr Mist als unser Vieh“ zur Brandenburger Landtagswahl 2021 (Quelle: d. A.)

Ein nach innen gerichteter Antiurbanismus zielt zudem auf die Kontrolle bestimmter statusniedriger Gruppen, denen vorgeworfen wird, in bestimmten Nachbar_innenschaften für Verunsicherung zu sorgen. Diese Programmatik baut auf etablierten rechten Diskursen auf, die von einem tief sitzenden Hass auf städtische Widersprüchlichkeit und dem Verlangen nach Disziplinierung zeugen (vgl. Braun 2024). Daraus ergeben sich konkrete Stadtpolitiken, in deren Zentrum Sicherheit und Eindeutigkeit stehen (Bescherer et al. 2019: 39).

In der ländlichen Kleinstadt richtet sich das Hauptaugenmerk dabei auf eine Wohnsiedlung, in der geflüchtete Familien untergebracht sind. Dies diskursivieren Rechte permanent als Gettoisierung der Kleinstadt (dazu Domann et al. 2023). Mit der Zeit setzt sich dieses Raumbild selbst in den alltäglichen Deutungen ausgesprochener AfD-Gegner_innen fest. Einer von ihnen spricht etwa davon, dass „wenn welche sich in die Haare kriegen, dann ist es im Milieu, dahinten in der Bronx“ (Rur_14_2021). Eine weitere Interviewpartnerin versinnbildlicht den Übergang von einer Gerechtigkeitsfrage zu einer essenzialisierenden Raumzuschreibung. Im ersten Gespräch identifiziert sie „eine Art Sozialneid“ durch die „gettomäßige“ (Rur_12_2019) Konzentration statusniedriger Alteingesessener und Geflüchteter. Im späteren Interview verdichtet sich dieses Bild des – im Vergleich zum Rest des Ortes hochgradig diversen Viertels – zum lokalen „Manhattan“ (Rur_12_2021).

In der suburbanen Gemeinde bezieht sich die lokale Reartikulation eines nach innen gerichteten Antiurbanismus hingegen auf ein neu ausgewiesenes Baugebiet, in dem mehrgeschossige Mietshäuser entstehen sollen – was einen Bruch mit der suburbanen Eigenheimkultur darstellt. Diese Verschiebung, so mutmaßen einige Befragte, beruhe auch darauf, dass internationale Migration in dem Ort schlichtweg kaum sichtbar sei, da unter den Etablierten eine Abwehrhaltung vorherrsche, die den Zuzug migrantisierter Personen verhindere:

„Man merkt halt doch schon, […] dass halt mehr Weißhäutige da sind. Und wenn man dann halt wieder mehr nach Berlin reinfährt, dass man gleich den krassen Unterschied von der Population sieht. Und das ist ja nicht, dass […] die Ausländer nicht hier wohnen wollen, aber die kriegen halt einfach keine Wohnung. Und da drüben, wenn man mal so guckt in dem neu bezogenen Haus wohnen, da wohnen acht Parteien, sind acht Deutsche. Ist schon komisch und da haben sich garantiert auch Ausländer beworben. […] Aber es ist schon kurios und das ist dann unser Dorfkneipier und der hat schon vorher ausgesucht.“

(Sub_03_2021)

In diesem Kontext baut eine AfD-Kampagne gegen das Baugebiet auf dem lokal tief verankerten Rassismus auf und lässt diesen wirksam werden. Eine Interviewte, die im ersten Gespräch kein Wort zum Thema Migration verlor, erhält im zweiten Interview über das auch von der AfD mobilisierte wirksame Raumbild die Möglichkeit, das Dörfliche in Stellung zu bringen:

Frühjahr 2019

Sommer 2021

„Es ist schön. Es ist ein Dorf. Und es hat immer noch den Dorfcharakter, auch wenn es immer mehr wächst. Auch bei 13.000 Einwohnern. Man kennt sich immer noch.“ (Sub_05_2019)

„Wir machen hier ein Getto draus. […] ich wohne gerne auf dem Dorf und wir sind mittlerweile so weit, dass [wir] gucken, weiter raus zu ziehen, um wirklich noch das Dörfliche zu haben. […] Wenn ich mir jetzt vorstelle, alle meine Nachbarn würden raus und hier würden, weiß ich, klingt jetzt blöd, aber lauter Türken und Iraner einziehen, würde ich auch ein bisschen komisch gucken und würde sagen: ‚Okay, ich auch. Bin weg.‘“ (Sub_05_2021).

Während in der suburbanen Gemeinde also eine nostalgisch verklärte und von der AfD propagierte Ländlichkeit als einendes Motiv im Abwehrkampf gegen den Zuzug statusniedriger oder migrantischer Menschen in Stellung gebracht wird, verfangen in der ländlichen Kleinstadt die antiurbanen Narrative auf eine andere Weise. Hier werden mit einem gewissen ironischen Stolz Verknüpfungen zu New York hergestellt, jedoch ebenso durch alltägliche Praxis rassistische Zuweisungen verräumlicht.

Diese Beobachtungen zeigen, dass der diagnostizierte Wandel von lokalen Interdependenzverhältnissen, der mit der Normalisierung einer radikal rechten Partei einhergeht, auch mit einem Deutungswandel hinsichtlich der räumlichen Ordnung einhergeht. Die Zuschreibungen, die über einfache Raumbilder bestimmten Nachbar_innenschaften anhaften, wirken innerhalb der jeweiligen Interdependenzverhältnisse statuswirksam. Sie transportieren Legitimitätsgewinne für jene, die in lokalistischer Manier statusniedrige und migrantisierte Gruppen fernzuhalten versprechen und gleichzeitig einen Statuserhalt für jene, die sich diesseitig räumlicher Demarkationslinien von Zugehörigkeit verorten können – also etwa gegenüber dem vermeintlichen Getto.

Vereinnahmte und vereinsamte Proteste

Abschließend soll betrachtet werden, wie sich lokale Proteste und die sie tragenden Gruppen in Bezug auf eine sich etablierende AfD wandeln. Zum Zeitpunkt der ersten Interviews formierten sich in beiden Orten Protestinitiativen, die angesichts zunehmend frequentierter Bundesstraßen eine Entlastung vom Durchgangsverkehr forderten. Anfangs nahmen sich AfD-Kandidat_innen des Themas zwar auf diskursiver Ebene an, spielten aber in diesen Initiativen keine sichtbare Rolle. Während der zweiten Erhebungsphase war festzustellen, dass der Konflikt um die Bundesstraße in der ländlichen Kleinstadt konstant weiter schwelte, während er sich in der suburbanen Gemeinde zuspitzte. Dort setzten sich lokale AfD-Vertreter_innen (gemeinsam mit anderen Lokalpolitiker_innen) an die Spitze des Protests und professionalisierten ihn innerhalb des Gemeinderates weiter. Dies kulminierte in einer Demonstration im Frühjahr 2023, die maßgeblich vom örtlichen AfD-Fraktionsvorstand organisiert wurde (siehe Abb. 2).

Abb. 2  Eine Demonstration zur Entlastung der Durchfahrtsstraße, unter anderem geleitet vom Vorsitzenden der lokalen AfD-Gemeinderatsfraktion (Quelle: d. A.)
Abb. 2 Eine Demonstration zur Entlastung der Durchfahrtsstraße, unter anderem geleitet vom Vorsitzenden der lokalen AfD-Gemeinderatsfraktion (Quelle: d. A.)

Die AfD wird in diesem Kontext wie selbstverständlich in einer Reihe mit den etablierten lokalen Parteien als Sprachrohr der genuinen Interessen der Gemeinschaft verortet. Ein Befragter bringt dies exemplarisch auf den Punkt: „Ob es die freie Wählergemeinschaft ist oder die CDU oder die AfD oder FDP […] diese Parteien sind eigentlich im Interesse der Dorfgemeinschaft. Das heißt also, sie wollen, dass noch enger zusammengearbeitet wird […] [in Bezug auf] diese ganze Straßenentwicklung“ (Sub_21_2021). Diese Entwicklung zu einem etablierten Sprachrohr für Unzufriedenheit mit „einem Fuß innerhalb und einem Fuß außerhalb“ der lokalen Entscheidungszirkel (vgl. Albertazzi 2008: 110) verläuft in diesem Fall schleichend und ohne nennenswerten Widerspruch. Auf der anderen Seite flaut auch das Engagement von Initiativen und Aktiven, die sich aktiv gegen eine Etablierung der AfD vor Ort einsetzen, ebenso schleichend ab. In der ländlichen Kleinstadt zeigt sich, wie die ständigen und alltäglichen Kontestationen der AfD Widerstandsformen erodieren lassen. Stattdessen hält kaum merklich eine neue Normalität Einzug – und das auch durch das veränderte Handeln derjenigen, deren zugrunde liegende moralische Überzeugung konstant bleibt. So beschreiben folgende Passagen einer Befragten, die eine zentrale Stellung in der Senior_innenarbeit der ländlichen Kleinstadt innehat, wie anfangs bestehende Abgrenzungsgesten gegenüber der AfD (hier: sie als einzige Partei nicht zum Senior_innentreff einzuladen) offenbar unbemerkt verschwinden:

Frühjahr 2019

Sommer 2021

„Also, eigentlich, wir haben mit der AfD haben wir hier gar nichts. Die kommen auch nicht zu uns. Die werden auch nicht eingeladen von uns [Senior_innen­treff]. Die interessieren uns nicht. Ja, da war einmal einer, der war […] ziemlich frech.

(Rur_07_20219)

„Mit denen habe ich mich immer in der Wolle gehabt, wenn der [zur] Stadtverordnetenversammlung kam. Das weiß er auch. Wir [Senior_innentreff] hatten am Montag, waren die hier. Und dann sagt er bloß, […] ‚Sie sind ja mit der Zeit neunzig geworden‘. Ich sage, ‚Ja, ich bin neunzig‘. ‚Aber haben Sie Ihre Meinung geändert?‘ Ich sage ‚nein!‘“

(Rur_07_2021)

Auch bei Menschen, die dieser neuen Normalität nach wie vor stoisch standhalten, wandelt sich die Bewertung von Protesten gegen die AfD. Die zuvor noch ausgeschlossenen AfD-Vertreter_innen werden zunehmend Teil der Gemeinschaft. Die AfD schafft es nicht nur, aktiv einzelne lokale Proteste zu vereinnahmen, sondern auch, den zarten Protest gegen sich selbst auszusitzen und dabei ihre Gegner_innen zu ermüden. Eine Interviewpartnerin, die über zehn Jahre lang in der Hilfe für Geflüchtete aktiv war und die regelmäßig gewaltsamen Attacken von Neonazis ausgesetzt war, verweist darauf, wie kräftezehrend die Auseinandersetzungen unter den Bedingungen einer vielseitigen Normalisierung sind. Denn zu den gewaltorientierten Nazis, die in der Region seit der Wende präsent sind und der neueren AfD kommt der Umstand hinzu, dass der SPD-Landrat sich zunehmend entschieden gegen die Zuteilung von Geflüchteten durch das Land Brandenburg zur Wehr setzt und dabei nicht nur das Wohl der bereits strukturschwachen lokalen Gemeinschaft, sondern insbesondere die wachsende Zustimmung für die AfD in Stellung bringt (vgl. Domann et al. 2023). Sie resümiert vor dem Hintergrund dieser vielen Widerstände und dem Gefühl, dass es um ihre Initiative herum zunehmend einsamer wird: „Ich selber habe so das Gefühl, ich bin müde geworden. Ich kann nicht mehr. [...] Mit dem Landrat oder mit [Name des zuständigen Bereichsleiters] auseinandersetzen, das habe ich so lange gemacht. Das ging mir echt an die Gesundheit.“ (Vertiefungsinterview 2023)

Der Protest in den beiden Gemeinschaften läuft beständig weiter, allerdings immer weniger gegen die AfD und immer mehr mit ihr. Begreift man Figurationen als etwas Prozesshaftes und Protestbewegungen als zentrale Einflussgrößen für deren Entwicklung, so zeigt sich hier, dass die Normalisierung der radikalen Rechten den Modus dieser Veränderungen selbst beeinflussen kann.

5. Das Elend kommt nicht als Ausnahme – empirische und konzeptionelle Reflexion

Die vorliegende Studie ist eine Momentaufnahme einer tiefgreifenden Refiguration. Dieser liegt im Kern eine rechte Normalisierung zugrunde, verstanden als soziogenetisches Dominantwerden rechtsradikaler Akteur_innen und psychogenetische Akzeptanzsteigerung rechtsradikaler Ideen. Die Effekte dieser Normalisierung umfassen weite Bereiche des Alltags. In Rückgriff auf die drei eingangs gestellten Fragen kann dies wie folgt aufgeschlüsselt werden:

  1. Bezogen auf die Frage, wie sich Interdependenzgeflechte der lokalen Gemeinschaft im Anschluss an Wahlerfolge der AfD wandeln, lässt sich ein verändertes Verhältnis zwischen Etablierten und Außenseiter_innen identifizieren. Das durch Schmähklatsch gestützte Narrativ der nachbar_innenschaftlichen Figuration, das AfD-Wähler_innen eine Rolle am Rande der jeweiligen Gemeinschaften zuweist, gerät angesichts des anhaltend hohen Zuspruchs für die Partei ins Wanken. Die Annahme, dass ein defizitär verstandener Teil des Elektorats lediglich der geschickten Agitation des populistischen Rechtsradikalismus aufsäße, steht dabei einer ernsthaften politischen Auseinandersetzung mit dessen Unterstützer_innen im Wege. Dieses Rattenfängermotiv erodiert zudem mit jedem Tag, an dem AfD-Kader einen Ausschuss oder das Fußballspiel eines E-Jugend-Teams leiten, an dem sie dem Bild sachorientierter Ratsmitglieder oder guter Nachbar_innen gerecht werden, denen ausschließlich am Wohle der Gemeinde gelegen ist. Mit dem Aufrücken von AfD-Kadern in die Kreise der lokal Etablierten werden andere Außenseiter_innen produziert: vornehmlich jene, die nicht aufhören, diese neue lokalpolitische Kraft zu problematisieren und sich folgend selbst Schmähklatsch ausgesetzt sehen, der sie als Querulant_innen brandmarkt, die kein Interesse am Gemeinwohl hätten. Dass die „alltagspraktischen Routinen der Selbstverharmlosung“ (Salheiser/Quent 2022: 177) von rechts nicht automatisch solche Effekte zeitigen müssen, liegt auf der Hand. In beiden untersuchten Orten spielen die Positionen von AfD-Lokalpolitiker_innen in den Interdependenzgeflechten – etwa ihre familiären oder wirtschaftlichen Beziehungen – eine zentrale Rolle. Die Glaubwürdigkeit ihrer Inszenierungen als gute Nachbar_innen, Vereinsvorstände oder Ratsmitglieder hängt stets von der spezifischen Nachbar_innenschaft und den konkreten Vereins- oder Ratsmitgliedern ab. Das erschwert eine Generalisierung der Ergebnisse.
  2. Zur Frage, wie sich die Wahrnehmungen vom Ort und der Raum unter dem Eindruck (zunehmender) rechter Narrative wandeln, kann festgehalten werden, dass eine von rechts propagierte doppelt ausgerichtete Großstadtfeindschaft bereits angelegte exkludierende Raumbilder mobilisiert. Hierdurch erfahren zwei Formen politischer Angebote Legitimitätsgewinne: erstens Politiken der Enturbanisierung, verstanden als Ordnen und Versicherheitlichung städtischer Widersprüchlichkeiten (Bescherer et al. 2019: 37), die im Untersuchungskontext insbesondere die Verhinderung von Nachbar_innenschaften migrantisierter und vermeintlich statusniedriger Bevölkerung verfolgt sowie zweitens lokalistische Politiken, die (anstatt unterschiedliche lokale Interessen abzuwägen) die Durchsetzung eines vermeintlichen lokalen Kollektivinteresses gegen supralokale Abhängigkeiten ins Zentrum rücken und die im Untersuchungskontext hauptsächlich auf Migrationsabwehr ausgerichtet sind. In beiden Fällen verschleiern etablierte Raumbilder (etwa das einer praktischen Vernunft des Landes oder das von abgehängten Regionen) rassistische oder chauvinistische Effekte. Dadurch werden diese Raumbilder auch für politische Kräfte jenseits der AfD attraktiv. Weiterführend müsste also auch gefragt werden, wie sich die radikale Rechte durch zunächst nicht (partei-)politische lokalistische Politiken artikulieren kann und wie sie sogar in der Lage ist, deren progressive Momente ins Gegenteil zu verkehren (vgl. Chou et al. 2022; Wills 2016).
  3. Mit Blick auf die Frage, wie sich lokaler Protest durch die Etablierung der AfD vor Ort wandelt, lässt sich resümieren, dass dieser immer seltener von Gruppen bestimmt wird, die gegen die AfD mobilisieren und immer häufiger von solchen, die sich bereits mit ihr arrangiert haben. Das wirkt sich nicht nur auf den politischen Raum aus, sondern auch auf Grundfragen kommunaler Entwicklung. Die Strategie der Vereinnahmung einiger und der Isolierung anderer Proteste kann zwar situativ entlarvt werden, ihre beständige Wiederholung führt jedoch fast unausweichlich zu einer Ermüdung der Mahner_innen. Ihre Haltung kann in Einzelfällen zwar entscheidend wirken, doch können sie ihr Engagement in Anbetracht der mehrdimensionalen Normalisierung ganz offenbar langfristig nur schwer aufrechterhalten.

Im Lichte der bundesweiten Massenproteste gegen die AfD Anfang 2024 und insbesondere angesichts der Tatsache, dass diese auch in kleinen Gemeinden stattfanden – auch in den beiden untersuchten Orten – ist allerdings zu fragen, inwiefern solche Mobilisierungen nicht auch zur Neuformierung alltagspraktischen Widerstands gegen rechte Normalisierung beitragen können.

Die präsentierten Ergebnisse können als Plädoyer gegen analytische Kurzschlüsse einer (räumlichen) Externalisierung und eines (prozesshaften) Exzeptionalismus verstanden werden. Die betrachteten Figurationen stellen keine lokale rechte Normalität her, weil sie ländlich oder suburban verortet sind, sondern weil dort Menschen leben, die in ihren Alltagen aufeinander angewiesen sind, deren Kapazitäten endlich sind und deren Überzeugungen davon, was politisch akzeptabel ist, jeden Tag aufs Neue durch rechte Präsenz infrage gestellt werden. Dies zeigt auch, dass für ein Verständnis rechter Normalisierung die temporale Dimension mindestens ebenso wichtig ist wie die räumliche.

In dem Sinne kann die kritische Raumforschung vom Begriff der Refiguration lernen. Die vorliegende Studie hebt einige Aspekte hervor, die dabei zu beachten sind. So sehr Figurationen als Hilfskonstrukt zur Entschlüsselung sozialer Prozesse dienlich sein können, so vorsichtig sollte man bei ihrer Verdinglichung sein. Beispielsweise tendiert die Fokussierung auf einen figurativen (National-)Charakter (vgl. Elias 1994 [1989]: 412) dazu, Probleme zu kulturalisieren und die situative Handlungsmacht der Beteiligten zu unterschätzen. Bezogen auf die Studie ist etwa die Ausladung eines AfD-Vertreters vom lokalen Senior_innentreff eine aktive Entscheidung, die auch entgegen konkurrierenden etablierter Normen (etwa dem Wunsch nach Harmonie) getroffen werden kann. Auch beim Fokus auf Interdependenzen zwischen den Individuen einer Figuration sollte nicht vernachlässigt werden, dass ihre Abhängigkeitsverhältnisse stets in (sich wandelnde) politökonomische Strukturen eingebettet sind. Diese machen bestimmte Entwicklungen wahrscheinlicher als andere (Belina 2017). So kann beispielsweise die beschriebene Zuspitzung von Ländlichkeit ihr Mobilisierungspotenzial nur entfalten, weil in der Peripherie tatsächlich wahrnehmbare räumliche Abhängigkeiten bestehen. Ferner sollte der Blick auf das Prozesshafte nicht dazu verleiten, die Verfestigungen zu vernachlässigen, in denen sich Machtverhältnisse konservieren: Der sich herausprägende Lokalismus regressiver Raumpolitiken ist etwa nicht zu verstehen, ohne den Kontext von interkommunalem Wettbewerb und skalaren Regulations- und Regierungssystemen (Swyngedouw 2019).

Dieser Beitrag kann politisch als Plädoyer dafür verstanden werden, beharrlicher als die radikale Rechte im Alltäglichen, Normalen und oft Langweiligen zu agieren, also dort, wo sich Figurationen, deren Teil man selbst ist, beständig herausbilden und deren Normen letztlich definieren, was zu akzeptieren übrig bleibt. Elias (1994 [1989]: 25) erinnert uns: „Man ist immer, ob man es will oder nicht, ein Mitglied von Gruppen. Die Sprache, die man spricht, ist eine Gruppensprache. Man ist mitverantwortlich, wird mitverantwortlich gemacht für das, was die Gruppe tut.“