sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2024, 12(1), 65-96

doi.org/10.36900/suburban.v12i1/1.925

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 19. August 2023

Veröffentlichung online: 3. Mai 2024

Die Koproduktion sozialer Infrastrukturen in Ankunftsquartieren

Borderscapes in ostdeutschen Großwohnsiedlungen

Madlen Pilz, Katja Friedrich, Stefanie Rößler

Ostdeutsche Großwohnsiedlungen wurden in der Folge von Strukturwandel, Bevölkerungswegzug und Leerstand bis 2015 vielerorts zu sogenannten Rückbauquartieren. Insbesondere seit der Einwanderung von Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien flohen, ist eine Anpassung der kommunalen Perspektive auf diese Stadtteile notwendig. Adressiert werden müssen dabei der neue Bedarf nach Wohnraum sowie die Entwicklung von Infrastrukturen, die Inklusion und Beteiligung erleichtern. Der Beitrag analysiert am Beispiel zweier sozialer Infrastrukturen in der Schweriner Großwohnsiedlung Mueßer Holz – eines Stadtteilparks und eines Bildungsangebots – die zentrale Rolle zivilgesellschaftlicher Akteur*innen bei der Infrastrukturversorgung in diesem Ankunftsquartier. In einer Verschränkung aus Infrastrukturanalyse und dem Borderscape-Konzept richten wir den Fokus auf zentrale Aspekte der Aushandlung von Widersprüchen zwischen zivilgesellschaftlichen und kommunalen Akteur*innen. Diese artikulieren sich in der Überschneidung von Integrations- und Quartierspolitiken sowie deren unterschiedlichen Verständnissen und Förderprogrammen im Prozess der Koproduktion der Infrastrukturen und erweisen sich als Barrieren für eine Inklusion von Migrant*innen.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Großwohnsiedlungen und Infrastrukturperspektiven

Großwohnsiedlungen (GWS) in ostdeutschen Städten sind seit der politischen Wende 1990 grundlegenden Veränderungsprozessen unterworfen – mit vielfältigen ökonomischen, demografischen, sozialen und räumlichen Folgen (Kabisch/Pössneck 2022; Hess et al. 2018). Die wirtschaftlich bedingte Abwanderung von Menschen aus Ostdeutschland, niedrige Geburtenraten und Wegzüge in sanierte Innenstädte oder neue suburbane Standorte führten in den GWS zu einer sinkenden Nachfrage nach Wohnraum, Gewerbe und Infrastruktur. Mit der Einführung staatlicher Subventionen für den Rückbau leer stehender Wohngebäude und überflüssig gewordener Infrastrukturen 2002 (durch das Städtebau­förderungsprogramm „Stadtumbau Ost“) wurden die GWS zu „Quartieren auf Zeit“ (Milstrey 2017). Die Forschung diskutierte diese Entwicklung unter dem Stichwort Schrumpfung (Rink 2020). Der Abriss von Wohn- und Funktionsgebäuden (Jugendklubs, Restaurants, Kindergärten und Schulen) hinterließ häufig begrünte Brachen – weite Flächen zwischen Wohngebäuden, isoliert stehenden Discountern, Schulen und Kitas (Rößler 2010). Belebte Plätze oder Begegnungsorte mit einer Vielfalt an Angeboten gibt es in den GWS heute kaum noch (Friedrich/Rößler 2023a). Kennzeichnend sind hohe Arbeitslosenquoten, niedrige Einkommen, eine hohe Abhängigkeit von staatlichen Unterstützungsleistungen und ein hoher Anteil von Kindern in Armut (Helbig/Jähnen 2019; Helbig 2023).

Aufgrund der in großer Zahl verfügbaren Wohnungen, für die Jobcenter die Miet- und Heizkosten übernehmen, wurde in den GWS das Gros der seit 2015 ankommenden Geflüchteten untergebracht. Infolgedessen weisen diese Quartiere mittlerweile die höchste Diversität in den Städten auf. Als Folge dessen steigt die Nachfrage nach Infrastrukturen sowie sozialen Dienstleistungen wieder an und die sozioökonomische Ungleich­heit im Vergleich zu anderen städtischen Gebieten verschärft sich (El-Kayed et al. 2020). Durch diese Entwicklung rücken die GWS erneut in den Fokus der Politik, während die Forschung zunehmend ihre Funktionen und Spezifika als eine neue Form von Ankunftsquartieren untersucht (ebd.). Diese Betrachtungsweise greift auf die qualitativen Charakteristika der Definition von Ankunftsquartieren zurück. Diese richtet den Fokus auf die Dichte ethnischer Diversität sowie sogenannter migrantischer Ökonomien und Netzwerke (Kurtenbach 2015; Meeus et al. 2019; Hans et al. 2019; Hanhörster/Wessendorf 2020). Damit rücken die positiven Effekte der vorhandenen Ressourcen für Eingewanderte für die Forschung in den Vordergrund, zusammen mit spezifischen Infrastrukturen, die das An- und soziale Weiterkommen erleichtern.

Infrastrukturen bilden den Kernbestandteil der staatlichen Daseins­vorsorge (Schmidt/Monstadt 2018), ihr Verständnis wurde in der Forschung zunehmend semantisch erweitert und auf zusätzliche Gesellschaftsbereiche bezogen (Barlösius 2019). Im engeren Sinne versteht die Stadtentwicklung darunter Einrichtungen, Anlagen und Betriebsmittel, die sowohl individuelle als auch kollektive Nutzeneffekte für die wirtschaftliche Entwicklung und das Zusammenleben haben. Traditionell zählen dazu sogenannte technische, graue oder harte Infrastrukturen – die physischen Netze, welche die Ströme von Menschen, Gütern, Energie, Wasser, Abfall oder Informationen ermöglichen (Addie et al. 2020). Jüngst werden darunter auch städtische Grünräume (sogenannte grüne Infrastruktur, siehe Seiwert/Rößler 2020) oder Wasserflächen (sogenannte blaue Infrastruktur) gefasst, ebenso wie sogenannte soziale oder weiche Infrastrukturen. Dazu gehören Kultur-, Freizeit-, Erholungs-, Sport-, Gesundheits- sowie Bildungseinrichtungen und ergänzend die öffentliche Verwaltung (Latham/Layton 2019). Die genannten Infrastrukturen zeichnen sich in Deutschland dadurch aus, dass sie in der Regel staatlich und damit großteils steuer- beziehungsweise gebührenfinanziert bereitgestellt werden und eine entsprechend hohe Regelungsdichte für Anlage, Betrieb und Nutzung besteht. Sie stellen überwiegend kommunale Pflichtaufgaben dar (Schmidt/Monstadt 2018). Jüngere Arbeiten (u. a. Müller et al. 2017; Latham/Layton 2019) setzen sich verstärkt mit dem sozialen Charakter von Infrastrukturen und deren Beitrag zur Teilhabe und zum Miteinander in städtischen Räumen auseinander. Sie zeigen, dass soziale Infrastrukturen sowie deren Verteilung und Wirkung von politischen Machtverhältnissen abhängig sind. Damit reproduzieren Infrastrukturen soziale Ordnungen: Sie versorgen, verbinden und inkludieren, so wie sie auch Räume, Nutzer*innen und Nutzungsformen exkludieren und hierarchisieren (Gandy 2005; Steele/Legacy 2017; Meeus et al. 2019; Latham/Layton 2019, 2022).

Die Migrations- und Integrationsforschung hat sich daran anknüpfend mit der Bereitstellung spezifischer Angebote zur Förderung der Inklusion und Beteiligung Eingewanderter beschäftigt (Meeus et al. 2019; Hans et al. 2019). Sie hat dazu formelle Institutionen und Einrichtungen, aber auch informelle Gelegenheitsstrukturen und Orte in den Blick genommen, die wichtige Aufgaben bei der Erstorientierung, Informations- und Kontaktvermittlung erfüllen. Neben Erstaufnahmeeinrichtungen (Steigemann 2019), staatlichen Beratungsangeboten (Swyngedouw 2019), Wohnungsunternehmen (Hanhörster et al. 2023) und Infrastrukturen der Arbeitsvermittlung (Maaroufi 2023) untersuchte sie auch migran­tische Netzwerke und Ökonomien (Schillebeeckx et al. 2019) sowie Einzelakteur*innen in ihrer Rolle als Broker (Hans 2023; Hans/Hanhörster 2020; Wessendorf/Phillimore 2018).

Anknüpfend an diese Arbeiten beschäftigen wir uns in diesem Beitrag anhand des Schweriner Stadtteils Mueßer Holz – einem für im beschriebenen Sinne äußerst repräsentativen Quartier (StadtumMig-Projektteam 2023) – mit der infrastrukturellen Ausstattung ostdeutscher GWS.[1] In einer vergleichenden Analyse zweier Infrastrukturen – eines Stadtteilparks und eines Bildungsangebots – widmen wir uns den Potenzialen und Grenzen der Inklusion sowie den Beteiligungsmöglichkeiten[2] und damit auch den Ankommensfunktionen von Infrastrukturen vor Ort. Dabei gehen wir folgenden Fragen nach: (1) Wie gestaltet sich der Prozess der Koproduktion im Spannungsfeld zwischen staatlichen oder kommunalen Integrations- und Stadtentwicklungspolitiken, kommunalen Versorgungsaufgaben und -möglichkeiten, den Bedarfen der diversen Bewohner*innenschaft und zivilgesellschaftlichem Engagement? (2) Mit welchen Barrieren werden die Akteur*innen im Prozess der Organisation und Umsetzung dieser Infrastrukturen konfrontiert und welche Lösungsansätze entwickeln sie?

Um diese Fragen genauer herauszuarbeiten, verschränken wir die Infrastrukturanalyse mit dem Konzept der borderscapes (Brambilla 2015; Brambilla et al. 2015; Brambilla/Jones 2019). Dieses fokussiert Praktiken der Koproduktion und (mitunter konflikthaften) Aushandlung von Grenzen. Es beschreibt diese dabei nicht nur als Repräsentationen nationalstaatlicher Politiken verschiedener Formen und Grade von Inklusion oder Exklusion, sondern auch als Räume zivilgesellschaftlichen Handelns und zivilgesellschaftlicher Selbstermächtigung von Exkludierten und somit als Räume, die durch dieses Handeln auch verändert werden können. Der Rückgriff auf dieses Konzept ermöglicht einen detaillierten Blick auf die Barrieren und Widersprüche, die aus den handlungspolitischen Kontextbedingungen von Infrastrukturen sowie aus den verschiedenen Interessen der beteiligten Akteur*innen resultieren. Außerdem diskutieren wir mithilfe des Konzepts die Formen der Aushandlung und die dabei entstehenden neuen Selbstverständnisse und sozialen Beziehungen zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen.

Unseren theoriegeleiteten analytischen Zugang zu Infrastrukturen entwickeln wir – in Kombination mit dem Konzept borderscape – im folgenden zweiten Abschnitt. In Abschnitt 3 umreißen wir die infrastrukturelle Situation unseres Untersuchungsgebiets, des Schweriner Stadtteils Mueßer Holz. Im vierten Abschnitt nutzen wir unseren analytischen Rahmen zur Beschreibung der ausgewählten Infrastrukturbeispiele. Abschließend reflektieren wir im fünften Abschnitt die Ergebnisse unserer Analyse und diskutieren den Wert der Zusammenführung beider Ansätze.

2. Forschungsansatz: Infrastrukturen als borderscapes

Während die Stadtforschung die infrastrukturelle Versorgung städtischer Räume untersucht, die insbesondere für marginalisierte Gruppen wichtig ist (Latham/Layton 2019: 7), interessiert sich die Migrations- und Integrationsforschung vorrangig für die Inklusivität von Infrastrukturen und die sich daraus ergebenden Beteiligungsmöglichkeiten für Migrant*innen. In beiden Forschungsfeldern arbeiteten Forschende wesentliche Charakteristika von sozialen Infrastrukturen heraus. Im Folgenden fassen wir diese mit Blick auf unsere Analyse zusammen.

Durch die Verteilung, das Angebot und die Qualität von Infrastrukturen werden gesellschaftliche Machtverhältnisse und damit soziale Ordnungen reproduziert (vgl. u. a. Latham/Layton 2019; Müller et al. 2017; Orth et al. 2023). Somit reproduzieren Infrastrukturen (über ihre Ausstattung, Arbeitsweise und Teilhabeangebote) auch zentrale Politiken der (graduellen) Exklusion, die den Integrationsregulierungen zugrunde liegen. Dazu gehören etwa temporäre oder eingeschränkte Aufenthaltstitel, die Nichtanerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und die damit einhergehenden eingeschränkten Zugänge zum Arbeitsmarkt oder auch Wohnsitzauflagen, die Partizipation und Mobilität für Migrant*innen einschränken (Xiang/Lindquist 2014; Meeus et al. 2019; Steigemann 2019; Swyngedouw 2019; Maaroufi 2023). Dabei entfalten soziale Infrastrukturen für verschiedenen Gruppen eine unterschiedlich inkludierende Wirkung (El-Kayed/Keskinkiliç 2023). In diesem Sinne symbolisieren und reproduzieren Infrastrukturen nicht nur soziale Ordnungen, sondern bringen diese ebenso hervor und stabilisieren sie (Müller et al. 2017: 5). Studien mit Rückgriff auf die Science and Technology Studies haben aufgezeigt, dass soziale Infrastrukturen ein relationales Zusammenspiel humaner und nicht humaner, physischer, materieller, netzwerkartiger, formeller und informeller Elemente darstellen – beispielsweise politischer Regulationen, ökonomischer Ressourcen, Institutionen oder auch Akteur*innen (Gandy 2005; Xiang/Lindquist 2014; Niewöhner 2014). Dadurch können Infrastrukturen auch einer permanenten dynamischen Veränderung, Erweiterung oder Einschränkung unterliegen (Schillebeeckx et al. 2019; Swyngedouw 2019; Steigemann 2019; Hanhörster/Wessendorf 2020; Maaroufi 2023; Orth et al. 2023).

Verschiedene Autor*innen haben bei ihrer Auseinandersetzung mit Infrastrukturen analytische Leitfäden erarbeitet, so etwa Latham und Layton (2019) für die Untersuchung infrastruktureller Ausstattung und Funktionsweise oder Xiang und Lindquist (2014) für eine Analyse des Zusammenspiels verschiedener gesellschaftlicher Bereiche bezogen auf die Arbeitsweise von Infrastrukturen. Anknüpfend an diese Vorschläge beginnen wir unsere Analyse mit einem Überblick über die charakteristischen funktionellen und räumlichen Muster der infrastrukturellen Versorgung in unserem Untersuchungsquartier (Abschnitt 3). Im zweiten Schritt (Abschnitt 4) analysieren wir die Planung, Organisation und Umsetzung der beiden ausgewählten Infrastrukturen – eines Stadtteilparks und eines Arabischkurses. Dazu beschreiben wir Bedarf und Ziel der beiden Infrastrukturangebote, die Zielgruppe sowie die Ausgestaltung der Angebote, etwa ihre temporäre, räumliche und physische Zugänglichkeit (Latham/Layton 2019: 8). Zusätzlich nehmen wir die regulatorischen, handlungspolitischen und finanziellen Bedingungen für die Einrichtung und den Unterhalt der Infrastrukturen in den Blick (Xiang/Lindquist 2014: 124).

Die beiden analysierten Infrastrukturen weisen eine wesentliche Spezifik auf: Sie gehen in erster Linie auf zivilgesellschaftliche und zum Teil migrantische Initiative zurück. Ihre Existenz ist das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen zwei sehr ungleich mit Ressourcen sowie politischer Entscheidungs- und Umsetzungsmacht ausgestatteten Gruppen von Akteur*innen: einerseits aus der Zivilgesellschaft und andererseits in staatlichen Institutionen. In diesem Fall ist die Planung und Organisation von Infrastrukturen bereits als ein Akt der Aushandlung von Integrations- beziehungsweise Quartierspolitiken und Ressourcen zu verstehen. Um die Problematik dieser Gemengelage sowie ihre Bedeutung für die Organisation und das Funktionieren der Infrastrukturen genauer zu analysieren, erweitern wir unsere Infrastrukturanalyse um Aspekte des Konzepts borderscape.

Jüngere Arbeiten in den Border Studies haben gezeigt, dass im Kontext von Globalisierung und Europäisierung eine Transformation staatlicher Grenzen und der durch sie repräsentierten Politiken von Zugehörigkeit und Abgrenzung stattfindet: Diese vollziehen sich jetzt in einer Vielzahl sehr diverser Alltagsorte und führen vielfältige Graduierungen der Anerkennung und Inklusion von Eingewanderten ein (Mezzadra/Neilson 2013; Brambilla 2015; De Genova 2002). Diesen Gedanken nehmen wir in die Diskussion über die Funktionsweisen sozialer Infrastrukturen und ihrer Reproduktion staatlicher Quartiers- und Integrationspolitiken auf (siehe u. a. Meeus et al. 2019; Swyngedouw 2019; El-Kayed/Keskinkiliç 2023; Maaroufi 2023; Orth et al. 2023). Das Konzept borderscape (Brambilla et al. 2015) bietet einen Rahmen für die Untersuchung der komplexen Konstruktion und räumlich-materiellen Mannigfaltigkeit aktueller Grenzen. Dabei rücken unter anderem die Beziehungen zwischen Grenzen und Nationen, zwischen Repräsentation und Aushandlung sowie – bei unserer Analyse – zwischen Infrastrukturen und Politiken, zwischen Produzenten und Nutzer*innen in den Mittelpunkt (Brambilla 2015: 16). Unser Untersuchungsgegenstand ist somit der dialogische Charakter, der die jeweiligen Herstellungs- und Funktionsprozesse von Infrastrukturen kennzeichnet. Es geht um die Veränderungen und Verschiebungen, die aus dem Wechselspiel zwischen Repräsentation und Aushandlung entstehen sowie aus der Übersetzung von Regulationen des politischen Mehrebenensystems in lokale soziale Praktiken und kulturelle Produktionsmechanismen (Brambilla et al. 2015: 2 f.). Mithilfe des Borderscape-Konzepts können verschiedene Momente, Formen und Grade der Inklusion sowie der Aushandlung untersucht werden, die den Prozess der Koproduktion von Infrastrukturen kennzeichnen. Dabei lenken wir den Blick auch auf niedrigschwellige Konflikte und deren Verhandlung, etwa Verschiebungen oder die Re-Positionierungen zwischen Elementen oder Akteur*innen, die mit einer Ermächtigung oder der Entstehung neuer politischer Subjekte einhergehen können (Brambilla 2015: 20). Daher widmet sich der dritte Analyseschritt (Abschnitt 4) den Akteur*innen der Koproduktion der zwei untersuchten Infrastrukturbeispiele. Er zielt darauf ab, die Handlungsräume staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, ihre Limitierungen durch Quartiers- und Integrationspolitiken sowie die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu unterscheiden, aber auch die Verschiebungen innerhalb der Beziehungen zwischen verschiedenen Akteur*innen im Laufe des Prozesses zu beschreiben. Im vierten Schritt (Abschnitt 4) analysieren wir zentrale Widersprüche zwischen den Koproduzent*innen der Infrastrukturen, die sich hinderlich auf deren Realisierung auswirken sowie auf spezifische Momente und Formen der Aushandlung, die einer Lösung oder Verschiebung dieser Widersprüche dienen.

Unsere Analyse stützt sich auf städtische Daten zur Infrastruk­turversorgung, eigene Kartierungen und Beobachtungen, Quartiersbegehungen mit lokalen Akteur*innen, städtische Hand­lungs­konzepte und Planungsdokumente[3] sowie Interviews[4] mit Mit­arbeiter*innen der städtischen Verwaltung und Personen, die sich in zivilgesellschaftlichen beziehungsweise migrantischen Organisa­tionen engagieren.

Die raumwissenschaftliche Analyse des Quartiers basiert auf Raum­konzepten des gebauten und gelebten Raums (Friedrich 2011). Unsere Untersuchung und kartographische Darstellung dieses gebauten Raums umfasste bauliche, freiräumliche, infrastrukturelle und städtebauliche Daten. Die physischen Voraussetzungen haben wir zudem hinsichtlich der Möglichkeiten einer Raumaneignung sowie der Begegnung bewertet (Friedrich/Rößler 2023a, 2023b).

Die städtischen Dokumente und die Interviews wurden mit Blick auf stadtplanerische und integrationspolitische Rahmenbedingungen sowie Governancekonstellationen einer systematischen Textanalyse unterzogen, die an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) angelehnt ist. Im Mittelpunkt standen dabei die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der städtischen Dokumente und Konzepte, ihre Zielsetzungen und ihr Öffentlichkeitsgrad sowie die Identifikation und inhaltliche Analyse von a) Beschreibung und Problemanalyse b) Handlungsstrategien beziehungsweise Leitbild- oder Zielsetzungen, c) konkreten Maßnahmen und Projekten und d) Evaluierungen und Schlussfolgerungen (Bernt et al. 2020).

3. Untersuchungsgebiet: Die Schweriner Großwohnsiedlung Mueßer Holz

Dieser Abschnitt beschreibt unseren ersten Analyseschritt und zen­trale qualitative Aspekte der Entwicklung der untersuchten GWS zum Ankunftsquartier. Der Fokus liegt daher auf den Spezifika der infrastrukturellen Ausstattung.

Das Schweriner Quartier Mueßer Holz wurde zwischen 1978 und 1989 in Plattenbauweise errichtet. Die städtebauliche Struktur ist von der funktional-räumlichen Trennung in der modernen Stadtplanung geprägt (Kasten/Rost 2005). Die bauliche Grundsituation besteht aus relativ gleichförmigen langen, fünf- bis elfgeschossigen Wohngebäuden und ergänzenden Sonderbauten wie Schulen.

In Folge des Strukturwandels nach der Wiedervereinigung und der Abwanderung sank die Einwohner*innenzahl von 23.470 im Jahr 1996 auf 9.587 im Jahr 2011. Aufgrund des daraus folgenden Leerstands wurde das Mueßer Holz zum Rückbauquartier. Parallel dazu wurden zahlreiche Wohngebäude im Quartier privatisiert, weshalb der geplante Rückbau vom Rand her, mit dem Ziel der Erhaltung kompakter Siedlungsstrukturen, nicht gelang. Stattdessen kam es vor allem im Süden des Quartiers zu einer Perforierung der Stadtstruktur. Es entstanden weiträumige Freiflächen zwischen den Wohngebäuden, die den Charakter von Brachen annahmen. Vor allem im Süden des Quartiers fehlen Versorgungs- und Bildungsinfrastrukturen gänzlich.

Aufgrund des Wohnungsleerstands zeichnete sich im Mueßer Holz bereits vor 2015 eine Entwicklung zum Einwanderungsquartier ab, die sich seitdem zunehmend manifestiert: Die Diversifizierung der Bewohner*innen erhöhte sich maßgeblich: Der Anteil von Menschen ohne deutschen Pass lag 2000 noch bei 6 Prozent. 2011 betrug er 10 Prozent und 2021 knapp 30 Prozent.[5] Durch den Zuzug stabilisierte sich die Bewohner*innenzahl des Quartiers erstmalig seit 1990 wieder – 2021 betrug sie 11.045. In der Folge entwickelten sich im Quartier neue Bedarfe nach Kinderbetreuungs- und Bildungsmöglichkeiten, Beratungs- und Sprachlernangeboten sowie Freizeitangeboten – insbesondere für Kinder und jüngere Menschen – aber auch nach Orten der Begegnung im öffentlichen Raum. Damit einher gingen kommunale Strategien zur verstärkten Entwicklung von Infrastrukturen, um Eingewanderten Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Inklusion und Partizipation zu bieten.

Das Mueßer Holz – etwa zehn Kilometer südöstlich des Zentrums gelegen – ist durch eine Straßenbahnlinie an die Innenstadt angebunden. Wie sich der Karte zur Infrastrukturausstattung (Abb. 1) entnehmen lässt, ist die Grundversorgung des Quartiers mit Waren des täglichen Bedarfs und mit Bildungs-, Betreuungs- sowie medizinischen Einrichtungen gewährleistet. Daneben gibt es vier Quartierszentren in der Hand freier oder sozialer Träger oder der Stadt. Soziale Infrastrukturen wie Spiel- und Sportplätze oder Jugendklubs sind allerdings selten. Die städtebauliche Entwicklung und das Ankommen im Mueßer Holz planen und koordinieren verschiedene Akteur*innen der Stadtverwaltung.[6] Des Weiteren sind im Quartier zahlreiche soziale Träger und ehrenamtliche Vereine aktiv. In der Mehrheit handelt es sich um rein migrantische Organisationen.[7] Das Angebot aller Vereine ist sehr vielfältig und hängt vor allem von den zur Verfügung stehenden Personalressourcen ab, da die Arbeit meist ehrenamtlich erfolgt. Punktuell haben sich im Quartier auch migrantische Ökonomien angesiedelt wie Lebensmittelkioske, Imbisse und ein arabischer Supermarkt.

Eine im Rahmen des Projekts durchgeführte Bewohner*innenumfrage ergab, dass eine Mehrheit der Befragten mit der Grundversorgung zufrieden ist. Bemängelt wird jedoch das Fehlen alltäglicher Treffpunkte für Menschen mit verschiedenen Interessen sowie insbesondere kultureller und gastronomischer Angebote (El-Kayed et al. 2023). Das zeigt auch die in Kartenform aufgearbeitete Analyse des Infrastrukturangebots im Quartier (Abb. 1).

Abb. 1 Infrastrukturkarte der Schweriner
					Stadtteile Neu-Zippendorf und Mueßer Holz (südlich der Strichlinie) (Quelle: Friedrich/Rößler
					2023a).
Abb. 1 Infrastrukturkarte der Schweriner Stadtteile Neu-Zippendorf und Mueßer Holz (südlich der Strichlinie) (Quelle: Friedrich/Rößler 2023a).

Für die vorliegende Analyse haben wir zwei Infrastrukturbeispiele ausgewählt, die zum einen direkt auf die Veränderungen im Quartier und Bedarf der Bewohner*innen reagieren und zum anderen nicht originär auf staatlichem Handeln beruhen. Damit repräsentieren die beiden Beispiele zwei typische soziale Infrastrukturen, die sich jedoch in ihrem Angebot unterscheiden. Das erste ist der sogenannte Plattenpark. Dieser einzige Stadtteilpark im Quartier ist eine Reaktion auf den Rückbau und bietet einen öffentlichen Freiraum für individuelle und kollektive Nutzungen sowie für Begegnungen. Diese sind wichtig, um Menschen vor Ort die Aneignung von Räumen und damit auch ein gelingendes Ankommen zu ermöglichen. Zudem entstand der Plattenpark – was für einen Park recht unüblich ist – auf zivilgesellschaftliche Initiative hin und auch heute wird die Nutzung und Unterhaltung nahezu ausschließlich von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen organisiert. Das zweite Beispiel ist die arabische Sonntags:Schule! – eine migrantisch organisierte und nicht kommerzielle Bildungsinfrastruktur, die direkt auf die Bedarfe arabischsprachiger Eingewanderter reagiert. An ihr lassen sich die Bedingungen untersuchen, unter denen sich insbesondere Eingewanderte an der Gestaltung des Quartierslebens beteiligen können.

4. Zwei exemplarische Infrastrukturen im Mueßer Holz

In diesem Abschnitt analysieren wir die beiden Infrastrukturbeispiele entlang der in Abschnitt 2 beschriebenen Analyseschritte. Dabei gehen wir in den Abschnitten 4.1.1. und 4.2.1. auf zentrale Aspekte der Planung, Organisation und Umsetzung des Angebots ein (zweiter Analyseschritt). In den Abschnitten 4.1.2. und 4.2.2. widmen wir uns der spezifischen Akteur*innenkonstellation (dritter Analyseschritt). In den Abschnitten 4.1.3. und 4.2.3. stellen wir charakteristische Widersprüche zwischen den Akteur*innen sowie Momente ihrer Aushandlungen vor (vierter Analyseschritt).

4.1. Plattenpark

4.1.1. Planung, Organisation und Umsetzung

Die etwa 1,8 Hektar große freie Fläche des heutigen Plattenparks und dessen Umfeld entstanden durch Gebäuderückbau. Die Gestaltung des Parks und sein Name gehen auf den Verein „Die Platte lebt“ e. V. (Die Platte lebt o. J.) zurück. Diesen gründeten mehrheitlich deutschsprachige Mitglieder auf Initiative des damaligen Quartiersmanagements im Jahr 2004. Der Verein hatte ursprünglich das Ziel, dem schrumpfungsbedingten Niedergang des Quartiers mit Aufwertungsmaßnahmen entgegenzuwirken und den Bewohner*innen einen Identifikationsanker anzubieten (Die Platte lebt 2020). Die Rückbaubrache sollte als grüner Aufenthalts- und Begegnungsort für die Anwohner*innen entwickelt werden. Öffentliche Parkanlagen, die grundsätzlich von allen Bewohner*innen im Quartier voraussetzungs- und barrierefrei nutzbar sein sollen, haben als Orte der Begegnung sowie als Aneignungsangebote in Ankunftsquartieren eine große Bedeutung (Haase/Schmidt 2019). Den öffentlichen Raum auch als Teil des eigenen (neuen) Zuhauses zu verstehen, ist Teil von Inklusion und Partizipation. Damit sind Parkanlagen auch offen, eine Form von Ankunftsinfrastrukturen anzubieten.

Eine anfängliche Idee bei der Anlage des Parks war die Verwendung vorhandener Abbruchmaterialien. Ein ganzheitliches Gestaltungs- und Nutzungskonzept für den Park gab es jedoch nicht. Die damals aufgestellten und bis heute von Kindern bemalten Plattenbauelemente prägen die Freifläche (Abb. 3).

„Wenn wir hier schon so eine Freifläche haben, bevor die einfach nur mit Unkraut vor sich hin wuchert – die Stadt hat kein Geld und will da auch nichts investieren […] – könnten wir uns vorstellen, da einen Erlebnispark zu machen.“

(Die Platte lebt 2020)

Nach der Eröffnung des Parks im Jahr 2014 erfolgten sporadisch weitere gestalterische Maßnahmen, finanziert mit Investitions­mitteln der Kommune. So wurden etwa als naturschutzfachliche Ausgleichs­maßnahme Obstbäume gepflanzt. Einzelne Gestaltungselemente gehen auf Ad-hoc-Aktivitäten von im direkten Umfeld tätigen Vereinen sowie auf Projekte aus der Umgebung zurück.[8] Der Verein „Die Platte lebt“ bespielt den Park mit einzelnen Veranstaltungen wie Stadtteilfesten oder Seifenkistenrennen. Der Park ist frei zugänglich, wird aber aufgrund seiner abgelegenen Lage im Quartier vor allem von Anwohner*innen als Durchwegung genutzt. Er wirkt über weite Tagesabschnitte eher verwaist. Die Analyse der Infrastrukturausstattung (Abb. 1) sowie unsere eigenen Beobachtungen vor Ort zeigen, dass ein Grund hierfür die fehlende funktionale Vielfalt und Dichte des Parks ist: Der Mangel an Angeboten rings um den Park sowie die aktuelle Ausstattung des Parks selbst – so gibt es etwa keinen Spielplatz – führen dazu, dass er für Anwohnende nur während bestimmter organisierter Events zu einem öffentlichen Ort wird; daher dominieren gegenwärtig einzelne Nutzungen. Darunter sind positiv konnotierte wie temporäre Sportangebote von Vereinen für einzelne Zielgruppen, aber auch negativ konnotierte, wie der Aufenthalt alkoholisierter Gruppen oder abendlich randalierender Jugendlicher. Die in alle Richtungen vorhandene Offenheit des Parks führt, zusammen mit dem Fehlen tatsächlich breiter Alltags­angebote für alle Bevölkerungsgruppen, eher zu weniger Öffentlichkeit und in Teilen sogar zur Ausgrenzung von Gruppen, etwas von Familien oder Kindern.

Abb. 2 Strukturierung des Parks durch
					Wege, Bäume und Einzelobjekte (Plattenbauelemente, Bienenstöcke, Bücherkarren und Bänke). Der Park
					grenzt an weitere Freiflächen und Brachen an. Nördlich und westlich des Parks befinden sich soziale
					Angebote für Kinder und Jugendliche (Quelle: Friedrich/Rößler 2023a).
Abb. 2 Strukturierung des Parks durch Wege, Bäume und Einzelobjekte (Plattenbauelemente, Bienenstöcke, Bücherkarren und Bänke). Der Park grenzt an weitere Freiflächen und Brachen an. Nördlich und westlich des Parks befinden sich soziale Angebote für Kinder und Jugendliche (Quelle: Friedrich/Rößler 2023a).

4.1.2. Akteur*innenkonstellation

Der zentrale Akteur bei der Entwicklung des Parks war und ist der Verein „Die Platte lebt“. Eigentümerin der Fläche ist die Stadt Schwerin. Sie gestattet die Gestaltung und Bespielung des Parks durch den Verein und unterstützt im Rahmen verschiedener Förderprogramme einzelne Maßnahmen und Aktivitäten mit öffentlichen Geldern. Da der Park nicht als öffentliche Grünfläche gewidmet ist, übernimmt der kommunale Grünpflege­betrieb nicht die Parkpflege. Diese führen stattdessen bei Bedarf Personen aus, die von der Stadt über Fördergelder des Europäischen Sozialfonds finanziert werden.

An den Park angrenzende Gebäude von Vereinen wie der Kindertafel und des Jugendklubs Ost 63 sowie Sportanlagen – etwa ein kleiner Bolzplatz sowie das sogenannte Gorodki-Feld – sind mit regelmäßigen Sport- und Freizeitangeboten wichtige Anlaufstellen auch für Kinder und Jugend­liche aus eingewanderten Familien. Die, teilweise migrantischen, Vereine nutzen den Park auch für einzelne Aktivitäten. Die Akteur*innen im und um den Park verbindet das Ziel, Kinder und Jugendliche in prekären Verhältnissen zu betreuen.

Die Anwohner*innen als Zielgruppe nehmen die organisierten Angebote an. Eine tatsächliche Aneignung des Parks als öffentlicher Freiraum in Form eigener Aktivitäten oder einer aktiven Nutzung ist jedoch kaum zu beobachten. Die Bespielung und Pflege der Parkfläche geht somit vielfach auf die koproduktive Zusammenarbeit unterschiedlicher Vereine, geförderter Projekte und der Stadt (im Rückgriff auf Förderprogramme) zurück.

4.1.3. Aushandlungsmomente

Bei der Entwicklung des Parks lassen sich verschiedene Widersprüche und Aushandlungsmomente ausmachen, die dessen Funktion als inklusive soziale Infrastruktur im Sinne des Borderscape-Konzepts einschränken.

Ein erster und sehr zentraler Widerspruch ergibt sich aus den umfangreichen städtebaulichen Herausforderungen, konkret aus den ungestalteten Rückbaubrachen, der Reduzierung von Infrastrukturangeboten und der räumlichen wie funktionalen Entdichtung. Diese sollen zwar mit dem Park adressiert werden, allerdings bietet dieser nur unzureichende gestalterische und funktionale Antworten auf diese Herausforderungen. Die Gestaltung erfolgt in Form punktueller Einzelmaßnahmen eines Vereins (etwa das Bemalen aufgestellter Plattenbauelemente), durch externe Akteur*innen (so das Aufstellen von Bienenstöcken durch einen Bienenzüchter) und durch die partielle Unterstützung der Kommune. Diese Einzelmaßnahmen reichen jedoch nicht aus, um den genannten Herausforderungen zu begegnen. Damit ist der Plattenpark insgesamt eine unzureichende und einseitige Form der Aushandlung beziehungsweise des Umgangs mit städtebaulichen Aufgaben.

Ein zweiter Widerspruch liegt in den begrenzten Ressourcen und in den daraus folgenden geringen Handlungsspielräumen der Haupt­akteur*innen (also dem Verein „Die Platte lebt“ und der Kommune), einen Park dieser Größe zu gestalten und zu unterhalten: Weder sind die professionellen Kompetenzen und materiellen Ressourcen des Vereins ausreichend für eine bedarfsgerechte Gestaltung des Parks, noch ermöglicht es die kommunale Haushaltslage aktuell,[9] die für einen öffentlichen Park in diesem Quartier erforderlichen finanziellen Mittel bereitzustellen. Der einzige Umgang mit diesem Widerspruch ist die Beantragung von Fördermitteln, bei der sich die Akteur*innen gegenseitig unterstützen. Doch selbst wenn es Fördermöglichkeiten für investive bauliche Maßnahmen gibt, so ist eine dauerhafte Unterhaltung des Parks über Förderprogramme in der Regel nicht finanzierbar. Dies bleibt der Stadt überlassen, die aufgrund ihrer Haushaltsnotlage nur über sehr begrenzte eigene Möglichkeiten verfügt:

„Auf jeden Fall könnten wir da nicht [mehr tun], weil das Innen­ministerium gleich sagen würde: ‚Nee, nee, keine Pflichtaufgabe.‘ [...] Die wollen immer einen Folgekostennachweis haben. Also die Investitionskosten sind noch nicht mal so unbedingt das Problem.“

(Stadtplanungsamt 2020)

Das Vorgehen der Stadtverwaltung, einem lokalen zivilgesellschaftlichen Akteur die Gestaltung und Bespielung eines Parks von durchaus erheblichem Ausmaß zu überlassen, zeigt im Sinne eines dritten Widerspruchs die in der Wissenschaft bereits verschiedentlich kritisch diskutierte Verschiebung öffentlicher Aufgaben in den zivilgesellschaftlichen Sektor (Swyngedouw 2005). Problematisch daran sind die sich von einer kommunalen Verwaltung unterscheidenden Zeit- und Handlungsperspektiven des Vereins: Eine öffentliche Grünfläche ist als langfristig angelegte Infrastruktur eine öffentliche Aufgabe, die einer kontinuierlichen und fachgerechten Unterhaltung bedarf. Fragen des täglichen Betriebs bleiben im Plattenpark jedoch im Wesentlichen offen oder der Zivilgesellschaft überlassen. Darunter fällt auch die regelmäßige Pflege (Baum- und Rasenschnitt, Bewässerung). Ein Verein verfügt aber nicht über ausreichende Kapazitäten, um diese Daueraufgabe zu übernehmen. Zudem sind Vereine auf ehrenamtliches Engagement angewiesen. Dieses unterliegt gewissen Dynamiken (wechselnde Personen, individuell unterschiedliche Kompetenzen und Ziele, unsichere Finanzierungsperspektiven), die zwar die temporäre Bespielung eines Parks ermöglichen, nicht aber dessen dauerhafte Unterhaltung und Weiterentwicklung. Die Zusammenarbeit von Vereinen und Kommune führt zwar zu einer Verbesserung der insgesamt eher defizitären Situation im öffentlichen Freiraum; das Engagement aller Beteiligten – sowohl der Vereine als auch der Stadt – und die guten Ansätze bei Einzelmaßnahmen reichen jedoch nicht aus, um die Grünfläche so zu entwickeln, dass sie als offener und attraktiver Aufenthalts- und Begegnungsort wirken kann. Die Fläche wird den Erwartungen vieler Bewohner*innen in puncto Gestaltung, Funktionalität und Pflegezustand nicht gerecht – auch im Vergleich zu anderen, beispielsweise innerstädtischen Grünflächen. Im Gegenteil: Die minimalen gestalterischen Eingriffe und der Mangel an Pflege verstärken eher noch den vernachlässigten Charakter und das Gefühl des Abgehängtseins des Quartiers – entgegen der Intention der beteiligten Akteur*innen.

Ein vierter Widerspruch erweist sich als hinderlich dafür, dass der Plattenpark als (einziger) Park des Stadtteils wie ursprünglich angestrebt zum Aufenthalts- und Begegnungsort für alle Bewohner*innen – alte und neue – wird und damit zu einem inklusiven und lebendigen öffentlichen Ort mit einem positiven Quartierseffekt. Mit der beschriebenen diffusen Verantwortungslage verbindet sich auch eine Unklarheit darüber, wer über die Gestaltung und Nutzung der Fläche bestimmen darf oder wer Nutzungskonflikte moderiert und Ausgrenzungen von einzelnen Gruppen durch dominierendes Verhalten anderer Gruppen mindert. Verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen verfolgen jeweils unterschiedliche Ziele, in welchen infolge des individuellen Engagements häufig auch persönliche Vorstellungen zum Ausdruck kommen. Dadurch werden diese Initiativen nicht allen Zielgruppen und Interessen gerecht. Ein Wesensmerkmal öffentlicher Grünflächen als soziale Infrastruktur ist die zunächst voraussetzungs- und barrierefreie Nutzbarkeit für die gesamte Bevölkerung. Dies erfordert allerdings eine gleichberechtigte Adressierung verschiedener Nutzungsanforderungen bei Planungsentscheidungen. Das ist wiederum eine regelmäßige Aufgabe kommunaler Verwaltungen, kann jedoch nicht von Vereinen oder Projekten mit begrenzten Aufgaben und Ausrichtungen geleistet werden. Zudem verfügen diese weder über die personellen Kapazitäten noch über eine ausreichende Legitimation, um die genannten unerwünschten Nutzungen einzuschränken. Ein Verein kann an einem solchen Interessensausgleich sicherlich mitwirken, das ersetzt allerdings nicht das hoheitliche Agieren einer Kommune.

Die beteiligten Vereine versuchen – unterstützt durch die Stadt – durch den Plattenpark und verschiedene Angebote städtebauliche, funktionale und sozialräumliche Herausforderungen miteinander zu verhandeln und zu bearbeiten. Die Akteur*innen übernehmen dabei ein hohes Maß an infrastrukturierender Arbeit und Verantwortung im Quartier – in Zusammenarbeit mit der Stadt. Aufgrund der hohen Aufgaben- und Ressourcenlast beim Unterhalt von Parkflächen gelingt die Herstellung eines inklusiven Quartiersraums, der tatsächlich zu einer Aneignung durch breite Zielgruppen einlädt, jedoch nur bedingt. Das führt wiederum dazu, dass der Plattenpark den Mangel an öffentlichen, attraktiven und vielfältigen Räumen für die Anwohner*innen nur bedingt löst, dass er nur begrenzt als Ort der Begegnung und Teilhabe wirken kann und stattdessen als Zeichen ungelöster Widersprüche im Raum sichtbar wird.

Abb. 3 Bemaltes Plattenbauelement im
					Plattenpark (Quelle: Katja Friedrich).
Abb. 3 Bemaltes Plattenbauelement im Plattenpark (Quelle: Katja Friedrich).

4.2. Sonntags:Schule!

4.2.1. Planung, Organisation und Umsetzung

Die Sonntags:Schule! bietet im Mueßer Holz an Wochenenden für Kinder von Eingewanderten arabischen Sprachunterricht „fern von Politik oder Religion“ an (Ma’an 2020). Das Kursangebot entwickelte der Schweriner Verein „Miteinander – Ma’an“ 2016. Ihm ging es erstens darum, die Kommunikation zwischen den Kindern Eingewanderter aus dem arabischen Sprachraum und ihren Familienangehörigen in den Herkunftsländern zu unterstützen. Zweitens gab es auch in Schwerin unter den Eingewanderten Lehrer*innen, deren Abschlüsse nicht anerkannt wurden und die Probleme hatten, alternative Arbeitsmöglichkeiten zu finden (ebd.).

Große Unterstützung erhielt der Verein bei der Umsetzung der Idee vom Internationalen Bund (IB), der im Quartier Räumlichkeiten für die Kurse zur Verfügung stellte. Bis zur Coronapandemie wurden sechs Kurse angeboten, unterrichtet von 18 Lehrenden. Die Kurse entwickelten sich zu einem sozialen Treffpunkt der arabischsprachigen Community im Quartier (Ma’an 2023).

Finanziert von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zu­sammenarbeit konnte eine pädagogische Fortbildung für die Lehrer*innen organisiert werden. In der Folge begann ab 2018 auch die Stadt Schwerin die Sonntagsschule zu unterstützen, sodass das Lehr­personal Aufwandsentschädigungen und der IB Mietkosten erhalten konnte.

Während des pandemiebedingten Lockdowns wurde der Schulbetrieb in digitaler Form weitergeführt. Danach wurden wieder vier Kurse in Präsenz angeboten, allerdings nur zwei in den Räumlichkeiten des IB, dem es an Raumkapazitäten fehlt. Zwei weitere Kurse finden vorübergehend in den eigenen, beengten Büroräumen des Vereins Ma’an statt. Die Kurse sind jedoch nicht mehr Anlass für Treffen der arabischsprachigen Community, der Vereinsvorsitzende vermutet als Grund, dass nicht mehr alle Kurse am selben Ort stattfinden (ebd.).

Das Angebot des Vereins richtet sich an partikulare Bedarfe einer migran­tischen Gruppe. Es ist für seine Organisator*innen und Nutzer*innen Teil eines selbst gestalteten Quartiersalltags. Für die Umsetzung des Angebots ist jedoch die Unterstützung weiterer Akteur*innen erforderlich.

4.2.2. Akteur*innenkonstellation

Die arabische Sonntagsschule ist ein koproduziertes Infrastrukturangebot im Quartier. Zentral für die regelmäßige Umsetzung des Angebots sind der Verein und die ehrenamtlichen Lehrer*innen, aber auch der IB und die Stadtverwaltung. Die Akteur*innen zeichnen sich durch unterschiedliche sich durch Handlungsspielräume und -bedingungen sowie gegenseitige Abhängigkeiten aus.

Ma’an ist einer der wenigen multinational organisierten Vereine im Quartier. Er teilt sich dort auch ein kleines – von außen kaum sichtbares – Büro mit einem weiteren Verein (Ma’an 2023). Der Name des Vereins Miteinander – Ma‘an verweist auf dessen Ziel, das Zusammenleben zu fördern. Dazu bietet er verschiedene Aktivitäten an, die sich sowohl an einzelne Gruppen von Eingewanderten mit ihren Bedarfen richten (etwa Schwimmkurse oder Nachhilfeunterricht) als auch an die gesamte Stadtgesellschaft (etwa ein jährlich stattfindendes internationales Lesefest; Miteinander – Ma‘an o. J.). Die Arbeit des Vereins wird ausschließlich durch Ehrenamtliche geleistet, der Verein verfügt nicht über finanziellen Ressourcen (Ma’an 2020). Seine Angebote sind daher auf die Kooperation mit anderen Vereinen, Institutionen oder auf temporäre Förderungen angewiesen. Der Vereinsvorsitzende verweist in diesem Zusammenhang auf die große Unterstützung „deutscher“ (ebd.) Mitarbeitender, die bei der Vereinsgründung, bei Antragstellungen und Abrechnungen ihre Kenntnisse einbringen. Er sagt: „Ohne sie hätten wir vieles nicht erreichen können“ (ebd.). Damit ist der Verein in besonderer Weise von aktiven Einheimischen abhängig sowie im Falle der Arabischkurse von eingewanderten Lehrer*innen aus Syrien. Den Kontext ihres Engagements bildet die fehlende Anerkennung ihrer im Ausland erhaltenen Abschlüsse und ihre in Folge geringen Chancen auf dem Schweriner Arbeitsmarkt. Der Verein bietet ihnen die Möglichkeit, im Arabischunterricht Arbeitspraxis zu sammeln und sich bei pädagogischen Fortbildungen weiterzuqualifizieren.

Der IB, der zweite wichtige Akteur der Arabischkurse, ist ein großer, bundesweit agierender freier Träger. Im Quartier betreibt er ein Mehrgenerationenhaus mit einem vielfältigen Angebot, zu dem es gehört, andere Engagierte durch die kostenfreie Überlassung von Räumen für Veranstaltungen zu unterstützen (Dreesch-Schwerin.de o. J.). Dabei stößt der IB mittlerweile jedoch an seine eigenen Kapazitätsgrenzen.

Auch die Stadt und ihre verschiedenen Institutionen spielen in dieser Konstellation eine wichtige Rolle, in diesem Falle in besonderer Weise das Büro der Integrationsbeauftragten im Sozialdezernat.

Die Betrachtung der Akteur*innen rund um die Sonntagsschule zeigt, dass der Verein Ma’an im Quartier durch verschiedene Angebote in Erscheinung tritt. Einige davon stellen ein ergänzendes Angebot zu den pflichtigen kommunalen Versorgungsaufgaben im Bildungsbereich dar, andere betreffen eher partikulare Interessen im freiwilligen Bereich. Damit ist der Verein trotz seines fehlenden ökonomischen Handlungsspielraums sehr aktiv an der Infrastrukturausgestaltung beteiligt. In der täglichen Arbeitspraxis bedeutet das jedoch eine große Abhängigkeit des Vereins von weiteren Akteur*innen im Quartier sowie von der Stadtverwaltung. Das führt für den Verein bei allen Angeboten zu einem großen Koordinationsaufwand.

4.2.3. Aushandlungsmomente

Während die Stadt viele Angebote des Vereins frühzeitig unterstützte (Landeshauptstadt Schwerin 2018a), war die arabische Sonntags­schule von Anfang an von verschiedenen Schwierigkeiten begleitet. Bei der Stadtbevölkerung und in der städtischen Verwaltung fehlte es zunächst an Verständnis und Akzeptanz für das Projekt, wie der Vereinsvorsitzende berichtet:

„Viele haben uns gefragt: ‚Warum Schule auf Arabisch, die Kinder müssen doch Deutsch lernen?‘ Und wir haben gesagt: ‚Wir sind da gar nicht dagegen, aber man könnte auch einen Tag in der Woche Arabisch lernen.‘ Und an diesem Tag findet auch das Leben auf andere Art und Weise statt. Da sind die arabischen Kinder unter sich mit den arabischen Lehrerinnen und Lehrern und das Leben sieht anders aus. Also nur in diesen 6 Stunden. [...] [Ein weiteres Problem bestand in der Befürchtung, Anm. d. A.] da wird vielleicht Religion unterrichtet.“

(Ma’an 2020)

Dieses fehlende Verständnis für das Projekt der arabischen Sonntags­schule findet sich auch in zahlreichen Integrationspapieren auf städtischer und nationaler Ebene wieder, in denen deutsche Sprachkenntnisse als wichtige Integrationsvoraussetzung gesetzt werden:

„Die wichtigste Voraussetzung für eine umfassende Teilhabe von Migrantinnen und Migranten in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, für einen gelingenden Wissenserwerb und daher grundlegend für eine erfolgreiche Zukunft in Schule, Ausbildung und Berufsleben ist das Erlernen der Landessprache. Somit ist die Förderung der Sprachkompetenz im Integrationsprozess von herausragender Bedeutung.“

(Landeshauptstadt Schwerin 2018b: 28; Landeshauptstadt Schwerin 2018a: 28; Integrationsbeauftragte 2019)

Das Zitat spiegelt das in Schwerin dominante mehrheitsgesell­schaftliche Verständnis wider. Das Bewusstsein über die Bedeutung mutter­sprachlicher Kenntnisse für den Sozialisations- und Identitäts­bildungsprozess migrantischer Jugendlicher sowie für das Erlernen von Fremdsprachen (also in diesem Falle auch des Deutschen) scheint bislang weniger verbreitet zu sein, obwohl sich dieser Gedanke ebenfalls in einer Reihe integrationspolitischer Papiere findet (siehe u. a. Landeshauptstadt Schwerin 2011: 14 f., 2022: 16; Schupp/Wohlfarth 2022). Damit wird eine Machtasymmetrie zwischen einem in der Aufnahmegesellschaft weitverbreiteten Standpunkt, der einen ausschließlichen Fokus auf Deutschkenntnisse legt, und den Interessen von Angehörigen migrantischer Gruppen, für die auch Kenntnisse der jeweiligen Herkunftssprache wichtig sind, wirksam. Diese hat Auswirkungen auf die Verteilung von Ressourcen und wird so für das Angebot des Vereins zu einem (allerdings nicht unüberwindbaren) Hindernis: Der Verein bekommt erst mal keine Förderung für Unterrichtsräume, Lehrmaterialien oder eine Kompensation der Leistungen ehrenamtlicher Lehrkräfte.

Diesen Schwierigkeiten begegnete der Verein mit verschiedenen Maßnahmen, die für ihn einen zusätzlichen Arbeittsaufwand bedeuten. Zum einen ging der Verein eine Kooperation mit dem IB ein und nutzte dessen kostenloses Raumangebot im Quartier. Zum anderen lud der Verein verschiedene Akteur*innen wie das Schulamt oder die Integrationsbeauftragte zu den Arabischkursen ein und stellte das Projekt vielfach öffentlich vor (Ma’an 2023). Zusammen mit pädagogischen Weiterbildungen für die Lehrkräfte führte dies zu entscheidenden Veränderungen der Position in der städtischen Verwaltung. In der Folge konnte der Verein ab 2018 eine Förderung für Aufwandsentschädigungen für das Lehrpersonal beantragen. Lehrkräften, die Sozialleistungen vom Jobcenter beziehen, wurden diese allerdings davon abgezogen.

Ein weiteres zentrales Moment der Aushandlung entspann sich rund um die prekäre Stellung ehrenamtlicher Tätigkeit von Migrant*innen und die damit einhergehenden Ressourcen. Staatlicherseits wird ehrenamtliches Engagement als Aspekt zur Aktivierung der Bewohner*innenschaft betrachtet. Das Beispiel des Vereins Ma’an verdeutlicht, dass ehrenamtliche Initiativen und Angebote im Quartier nicht nur sehr spezielle Bedarfe ansprechen, sondern auch Versorgungslücken schließen. Das Fehlen verschiedener Ressourcen (Wissen, Finanzen, Räume) bildet dabei jedoch eine entscheidende Barriere.

Die Komplexität der Beantragung von Fördergeldern hat auf ehrenamtliche migrantische Organisationen einen ausgrenzenden Effekt. Dazu kommen Schwierigkeiten mit dem Behördendeutsch sowie der buchhalterische und damit auch personelle Aufwand bei größeren (geförderten) Projekten.[10] Die Gründung des Vereins Ma’an 2016 beschreibt der Vereinsvorsitzende als unkompliziert. Das sei der Mitarbeit engagierter deutscher Schweriner*innen zu verdanken. Er merkt jedoch kritisch an: „Ehrenamt wird immer gelobt, aber wenn es um Finanzierung geht, dann muss man auch Anträge schreiben. Aber wie kann man davon ausgehen, dass ein Flüchtling, der aus Syrien kommt, so einen Antrag schreiben kann. Das ist problematisch für migrantische Vereine.“ (Ma’an 2020).

Das Beispiel verdeutlicht, dass migrantisches Engagement in einen spezifischen Grundwiderspruch eingewoben ist. Migrantische Vereine müssen einen sehr hohen persönlichen Arbeitsaufwand zur Vernetzung und Kooperation mit anderen Akteur*innen betreiben, um die fehlenden Sprachkenntnisse, Wissens- sowie finanziellen Ressourcen ihrer Mitglieder auszugleichen und koproduzierend aktiv werden zu können. Gleichzeitig sind die personellen Ressourcen – wie im Falle von Ma’an und der ehrenamtlichen Lehrenden – von weiteren Institutionen wie dem Jobcenter abhängig, die das Engagement eingrenzen können. Unter diesen Bedingungen kann es schwerfallen, selbst ein gut laufendes Angebot auf Dauer sicherzustellen. Umso bemerkenswerter ist daher, dass die Sonntags:Schule! mittlerweile ihr sechsjähriges Jubiläum feiern konnte.[11]

5. Infrastrukturen als borderscapes

Ausgangspunkt unseres Beitrags war die beispielhafte Betrachtung der Spezifika der infrastrukturellen Ausstattung in der Schweriner Großwohnsiedlung Mueßer Holz. Der Fokus unserer Betrachtung lag weniger auf Infrastrukturen der Grundversorgung, sondern richtete sich auf soziale Infrastrukturen, die der Orientierung, Inklusion, Beteiligung und sozialen Mobilität von Eingewanderten im Ankunftsprozess dienen können. Dafür haben wir zwei soziale Infrastrukturen im Quartier aus dem Bereich der freiwilligen kommunalen Aufgaben analysiert – den Plattenpark und die arabische Sonntagsschule. Sie weisen wesentliche Unterschiede auf, einerseits mit Blick auf ihre Materialität und Organisation und andererseits bezüglich ihres Beitrags zur Ankunftsfunktion des Quartiers. Funktionierende öffentliche Räume bieten als individueller und kollektiver Bezugsraum ein großes, sehr vielseitiges und multidirektionales Potenzial für die Inklusion und Beteiligung von Eingewanderten. Bildungsangebote, die bestimmte Bedarfe migrantischer Gruppen adressieren, bieten demgegenüber einen vergleichsweise geschlosseneren Raum mit Möglichkeiten für gruppenspezifische Vernetzung und Engagement sowie die Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses. Damit übernehmen beide Angebote auch wichtige ankunftsspezifische Aufgaben.

Trotz ihrer materiellen und organisationalen Unterschiedlichkeit sind die Herstellungs- und Umsetzungsprozesse beider Infrastrukturen bis zu einem bestimmten Grad von vergleichbaren Konstellationen gekennzeichnet. In beiden Fällen treten im Netzwerk zivilgesellschaftliche Organisationen als maßgeblicher Akteur sowie die Stadt in unterstützender Funktion auf. Graduell verschieden ist jedoch die Involviertheit migrantischer Akteur*innen: Bei der Sonntagsschule sind sie Initiierende und Ausführende, beim Plattenpark Mitwirkende. Die Stadt spielt trotz ihrer lediglich unterstützenden Rolle im Koproduktionsprozess eine entscheidende Rolle (entweder befördernd oder verhindernd) bei der Bereitstellung der zur Umsetzung notwendigen Ressourcen. Als relevant erwies sich diesbezüglich im Fall der Sonntagsschule die anfänglich fehlende Anerkennung des Bedarfs, die sich auf die Wirkmacht älterer, aber noch immer dominanter integrationspolitischer Annahmen zurückführen lässt.

Für beide Infrastrukturen hat unsere Analyse die Bedeutung fachlicher Expertise, zeitlicher und finanzieller Ressourcen verdeutlicht. Dabei fällt der Unterschied zwischen beiden Infrastrukturen ins Gewicht: Die Umsetzung und Unterhaltung eines Parks erfordert weitaus größere Ressourcen als eine gruppenspezifische und in einem konkreten Zeitfenster operierende Bildungsinfrastruktur. Im Fall der Sonntags­schule konnten die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen die fehlende Anerkennung und sogar fehlende finanzielle Ressourcen durch einen erhöhten Einsatz eigener zeitlicher Ressourcen und fachlicher Expertise kompensieren. Beim Plattenpark waren trotz der Bereitschaft der Stadt zur Unterstützung keine ausreichenden finanziellen und professionellen Ressourcen vorhanden. Dies liegt vor allem am Umfang der dauerhaft erforderlichen Ressourcen und den eingeschränkten kommunalen Handlungsspielräumen aufgrund der städtischen Haushaltsnotlage und den Vorgaben in Fördermittelprogrammen. Diese konnten die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen nicht ohne einschneidende Folgen für die Qualität der Gestaltung und die Nutzungsmöglichkeiten des Parks kompensieren.

Unsere vergleichende Analyse mit ihrem Rückgriff auf das Border­scape-Konzept hat einen für beide Infrastrukturen relevanten Wider­spruch offengelegt: Dieser besteht zwischen den Regulierungen für die Quartiersentwicklung und den Bedingungen der entsprechenden Förderprogramme auf der einen Seite und den lokalräumlichen oder gruppenspezifischen Bedarfen auf der anderen. Er artikuliert sich auf für beide Angebote einschneidende Weise im Ausmaß der Anerkennung des Angebots und in der Höhe der finanziellen Zuwendungen.

Das Konzept borderscape stellt für unsere Analyse ein begriffliches Instrumentarium bereit, das die gesellschaftliche Tragweite solcher Widersprüche und die daraus resultierenden Handlungs- und Gelingensbarrieren verdeutlicht, auch in Bezug auf gesellschaftliche Prozesse wie Inklusion oder Beteiligung. Mit einem Verständnis von Grenzen als Aushandlungs- und Gestaltungsräume konnten wir auch die Umgangsformen der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen mit den Barrieren im Prozess der Koproduktion eingehender analysieren. Außerdem konnten wir untersuchen, wie diese zu einer Verschiebung der Barrieren und zu einer Ausweitung von Handlungsspielräumen beitragen. Bei beiden Infrastrukturen spielt sowohl die Kompensation fehlender städtischer Unterstützung durch ehrenamtliche Arbeitsleistungen als auch das permanente Gespräch über diese Art der Unterstützung eine wichtige Rolle.

6. Fazit

Die Analyse zweier Infrastrukturen in einer Kombination aus Infra­struktur- und Borderscape-Analyse zeigt exemplarisch die spezifische infrastrukturierende Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in ostdeutschen Großwohnsiedlungen auf, die sich in qualitativer Hinsicht zu Ankunftsquartieren entwickelt haben. Diese Akteur*innen übernehmen die tragende Rolle bei der Koproduktion freiwilliger, jedoch Inklusion und Beteiligungsmöglichkeiten fördernder Infrastrukturen. Der Beitrag arbeitet zentrale Widersprüche vor allem auf der Ebene der politischen und finanziellen Rahmenbedingungen heraus, die dieses zivilgesellschaftliche Handeln im Koproduktionsprozess maßgeblich einschränken. Diese Widersprüche resultieren aus den quartiers- und integrationspolitischen Vorgaben nach mehr Teilhabe und Partizipation der Bewohner*innenschaft einerseits und den finanzpolitischen Vorgaben und Vorannahmen unter anderem in der Stadtpolitik, aber auch in Förderprogrammen des Bundes und der Länder anderseits. Mithilfe des Borderscape-Konzepts konnten wir die Reproduktion dieser Widersprüche in Form von Handlungs- und Erfolgsbarrieren im Rahmen der Koproduktion sozialer Infrastrukturen zeigen. Dabei arbeiteten wir heraus, welche Lösungsansätze zivilgesellschaftliche Akteur*innen im Umgang mit diesen Widersprüchen und bei der Bearbeitung der daraus resultierenden Barrieren entwickeln. Deutlich wurde auch, dass sich finanzielle Rahmenbedingungen als harte border­scapes erweisen, die zivilgesellschaftliche Akteur*innen mit ihren genuinen Handlungsmöglichkeiten nur bedingt kompensieren können. Für die weitergehende Forschung in diesem Feld ist aus unserer Sicht die Frage relevant, wie sich die aufgezeigten Widersprüche und Barrieren innerhalb des Koproduktionsprozesses auch im Prozess der Nutzung auf Inklusion und Beteiligung auswirken. Außerdem legt unsere Analyse nahe, dass die Bearbeitung dieser Barrieren und Widersprüche durch zivilgesellschaftliche Akteur*innen ebenso positive Effekte haben kann, etwa eine zunehmende Professionalisierung. Daher erscheint uns eine systematische Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen und Widersprüchen im Kontext von Ankunftsinfrastrukturen sinnvoll.

Danksagung

Wir bedanken uns bei unserem Fördermittelgeber – dem Bundes­ministerium für Bildung und Forschung (BMBF), beim Projekt­träger – dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt, bei unseren Verbund­partner*innen – dem Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität zu Berlin, der Brandenburgischen Beratungsgesellschaft für Stadt­erneuerung und Modernisierung und der Stadt Schwerin sowie bei unseren Interview­partner*innen, ohne deren Unterstützung die vorliegende Analyse nicht möglich gewesen wäre.