sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2024, 12(1), 97-128

doi.org/10.36900/suburban.v12i1/1.927

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 23. August 2023

Veröffentlichung online: 3. Mai 2024

Kartieren als Methode dekolonialer Erinnerungspraxis in europäischen Städten

Sybille Bauriedl, Linda Pasch

Kartieren ist eine Methode, die seit einigen Jahren in europäischen Städten – insbesondere in vielen deutschen Städten – Konjunktur hat als Medium der öffentlichen Wahrnehmung kolonial geprägter Orte und trägt damit zu einer Diskursverschiebung postkolonialer Erinnerung bei. Die produzierten Karten machen auf die Vielfalt verdrängter oder vergessener Spuren des Kolonialismus im öffentlichen Raum aufmerksam. Sie machen außerdem Orte des Erinnerns an koloniale Gewaltverhältnisse, rassistische Ausbeutung und antikolonialen Widerstand sichtbar. Die Methode des Kartierens bezeichnen viele Autor*innen dieser Karten explizit als Praxis der Gegenerzählung zur eurozentrischen Kolonialgeschichte sowie als eine kollektive und partizipative Praxis herrschaftskritischer Wissensproduktion. Der Beitrag zeigt, in welcher Weise Kartierungsprojekte einerseits Argumente kritischen Kartierens und andererseits Ansätze dekolonialer Erinnerungspolitik berücksichtigen. Dafür haben wir alle auffindbaren analogen und digitalen postkolonialen Karten deutscher Städte sowie zehn Karten weiterer europäischer Städte vergleichend analysiert und nach der jeweils angewandten Kartierungspraxis typisiert. Für drei identifizierte Kartentypen – Karten mit punktuellen Informationen, Karten mit Informationen zu räumlichen Verflechtungen und Karten mit Visualisierungen multiperspektivischer Erfahrungen – stellen wir jeweils Beispielkarten vor. Wir untersuchen die Umsetzung von Perspektiven Kritischer Kartographie sowie postkolonialer Geographie und diskutieren die dekolonialen Potenziale des Kartierens.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Einleitung: Kartieren als soziale und politische Praxis in kolonialen Zentren

Europäische Städte – insbesondere Haupt- und Hafenstädte – waren über Jahrzehnte, oft sogar über Jahrhunderte, Zentren des globalen Kolonialismus. Diese Orte haben von kolonialer Aneignung und Ausbeutung profitiert und einen Wohlstand generiert, der bis heute sichtbar ist, von der Mehrheitsgesellschaft jedoch nicht als Ergebnis kolonialer Ökonomien adressiert und problematisiert wird. Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Einschreibungen gewaltvoller kolonialer Vergangenheit in europäische Städte und den bis in die Gegenwart wirksamen Verhältnissen zwischen kolonialen Metropolen und ehemals kolonisierten Regionen steht noch relativ am Anfang. Urbane Räume bilde(te)n eine „contact zone“ (Pratt 1991) für asymmetrische Begegnungen zwischen Menschen, die durch (post-)koloniale Verhältnisse miteinander verbunden sind (King 2006). Paul Gilroy argumentiert in seinem Buch After Empire eindrücklich dagegen, den Kolonialismus als abgeschlossenes Projekt zu beschreiben und damit auch das verschuldete Leiden in den kolonisierten Regionen und der zu Zwangsarbeit in die Kolonien verschleppten Menschen zu relativieren (2005: 20).

Die Repräsentation und Deutung von Kolonialgeschichte ist ein umkämpfter Prozess. In vielen europäischen Großstädten sind soziale Bewegungen und postkoloniale Netzwerke entstanden, die gegen das Vergessen, Verdrängen und Verklären kolonialer Spuren und Erfahrungen protestieren. Sie richten sich insbesondere gegen Denkmäler und Benennungen von Plätzen, Gebäuden oder Straßen, die Protagonist*innen, Orte oder Ereignisse des Kolonialismus ehren, ohne die damit verbundene rassistische Gewaltherrschaft und Genozide zu benennen. Um diese Spuren des Kolonialismus sichtbar zu machen, produzieren kolonialismuskritische Aktivist*innen und Studierendenprojekte seit einigen Jahren in vielen europäischen und besonders vielen deutschen Städten Karten als Gegenerzählungen zu hegemonialen Repräsentationen.

Karten präsentieren und privilegieren in der Regel westliche Weltsichten und weiße[1] Wissenssysteme. Die kritische Kartographie benennt diese Macht der Karten und zeigt Praktiken gegenhegemonialen Kartierens auf. Kritisches Kartieren steht in diesem Zusammenhang für die Entwicklung einer reflexiven kartographischen Praxis, die mit Ansätzen partizipativen, kollektiven und digitalen Kartierens sowie mit alternativen Formen der Wissensvermittlung arbeitet (Crampton/Krygier 2006; Dammann/Michel 2022b). Auf diese Weise kann kritisches Kartieren auch einen Beitrag dazu leisten, erinnerungspolitische Aufklärung in postkolonialen Städten zu befördern. Seit den 2010er Jahren haben sich in zahlreichen Städten postkoloniale Netzwerke gegründet, die dieses Ziel verfolgen.[2] Zudem fanden kolonialismuskritische Hochschulseminare statt, die die Kolonialgeschichte der jeweiligen Stadt untersuchten und dieses lokale Wissen in Form von Karten veröffentlichten. Karten fungieren hierbei als Medium der Sichtbar- und Bewusstmachung, als Diskursanstoß und als Anlass für antikolonialen Protest.

Auch die Autorinnen dieses Beitrags engagieren uns für eine kolonialismuskritische Erinnerungspolitik – sowohl in postkolonialen Netzwerken in Flensburg und Hamburg als auch in unserer Forschung und Lehre, die sich mit postkolonialen Theorien und Geographien der Kolonialität auseinandersetzt. Vor diesem Hintergrund interessieren wir uns für Kartierungsprojekte und die Frage, in welcher Weise in kolonialismuskritischen Karten eine Auseinandersetzung mit postkolonialen Erinnerungs- und Repräsentationspolitiken mit einer kritischen Reflexion der Kartenproduktion und der Macht von Karten verbunden wird. Um diese Frage zu beantworten, haben wir eine Vollerhebung kolonialismuskritischer Karten deutscher Städte durchgeführt und diese um Karten europäischer Städte mit expliziter Kolonialgeschichte ergänzt. Diese Karten haben wir einerseits typisiert nach den jeweiligen Kartierungspraktiken und anderseits systematisiert nach den jeweils verwendeten Kartengrundlagen, den Initiator*innen der Karten und deren Entstehungsdatum. Mit Letzterem wollten wir erkennen, ob sich die Kartierungspraxis im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat.

Uns ist es wichtig, kritisches Kartieren als dekoloniale Praxis zu verstehen, als räumliche Visualisierung des in der öffentlichen Wahrnehmung Abwesenden, aber auch als eine Technik der diskursiven und medialen Sichtbarmachung (post-)kolonialer Spuren und damit der politischen Verhandelbarkeit postkolonialer Erinnerung. Zur spezifischen Bezeichnung der Phasen beziehungsweise der Prozesse nach dem formalen Ende des europäischen Kolonialismus nutzen wir die Präfixe post und de: Postkolonial benennt sowohl etwas nach dem Kolonialismus als auch etwas, das darüber hinausgeht. Dagegen steht dekolonial dafür, sich vom Kolonialen loszulösen und ihm entgegenzutreten. Eine Dekolonisierung des öffentlichen Raums bedeutet in diesem Sinne, dessen historische Gewordenheit im Kolonialismus erkennen zu können (zur Spannweite verschiedener de- und postkolonialer Ansätze vgl. Bauriedl/Carstensen-Egwuom 2023: 35 f.)

Im folgenden Abschnitt stellen wir die Gemeinsamkeiten des herrschaftskritischen Anspruchs des (Gegen-)Kartierens und der dekolonialen Erinnerungsforschung heraus. Im nächsten Abschnitt untersuchen wir die Umsetzung in den untersuchten Karten und gehen dabei auf die Kartierungspraxen, Produzent*innen, Kartierungsanlässe und Adressat*innen der jeweiligen Karten ein. Dabei stellen wir auch Kartierungen als explizite Protestform vor. Zum Schluss diskutieren wir die Herausforderungen und Potenziale des dekolonialen Kartierens.

2. Ansprüche und Praktiken kritischen Kartierens und dekolonialer Erinnerungsforschung

2.1. Kritisches und postkoloniales (Gegen-)Kartieren

Die vermeintliche Neutralität von Karten wird durch eine poststrukturalistisch inspirierte Kritische Kartographie schon seit Ende der 1980er Jahre kritisiert und dekonstruiert (Harley 1989; Wood 1992). Dies hat zu einer kritischen Reflexion der Kartenproduktion und des damit verbundenen hegemonialen Wissens geführt. In seinem wegweisenden Text „Deconstructing the Map“ schlug Brian Harley (1989: 7) vor, Karten als kulturelle Texte zu verstehen und im Verständnis von Michel Foucault die von Karten transportierten Macht/Wissen-Komplexe diskurstheoretisch zu analysieren (Mose/Strüver 2009: 317; Glasze et al. 2021: 406). Harley versteht Karten als Produkte eines spezifischen zeit-räumlichen Kontexts, in denen die Weltanschauungen des*der Kartograph*in vermittelt und privilegiert werden. Auch Dennis Wood argumentiert in The Power of Maps (1992), dass Macht in Karten eingeschrieben ist und beschreibt, wie auf diese Weise herrschende politische Strukturen reproduziert werden. An anderer Stelle kritisiert Wood außerdem das Vermessen und Klassifizieren als dominante Methoden der Kartographie (Wood 2010: 120). Von Kartograph*innen, Vermessungsämtern oder Kartenverlagen, aber auch von Onlinekartendiensten produzierte Karten priorisierten eine „Ästhetik und Rhetorik der Nüchternheit, Eindeutigkeit und der Klarheit mathematischer Zeichen“ (Michel 2021: 146) und vermieden explizit subjektive und künstlerische Darstellungsformen. Damit werde ein Macht- und Autoritätsanspruch von Karten verfestigt.

Vertreter*innen einer Kritischen Kartographie sehen in solchen Karten hingegen keine neutralen und objektiven Darstellungen, sondern ein politisches Werkzeug, um Räume zu benennen, zu begrenzen und zu kontrollieren (Alderman et al. 2021: 68). Karten sind demnach zudem „eine visuelle Manifestation kolonialer Herrschaftsansprüche“ (Dammann/Michel 2022b: 16), schließlich waren sie Voraussetzung für Grenzziehungen im Interesse europäischer Kolonialmächte und deren Aneignung außereuropäischer Territorien (McGurk/Caquard 2020: 51 f.).

Gleichzeitig mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Macht von Karten aus poststrukturalistischer Perspektive haben sich in verschiedenen sozialen Kontexten an den Rändern oder gar außerhalb geographischer Wissenschaft kreative und innovative Formen des Kartierens entwickelt (Herb et al. 2009: 339). Seit den 2010er Jahren ist dabei ein Trend zum intersubjektiven, kollektiven und partizipativen Kartieren zu beobachten (Bittner/Michel 2018; Singer/Neuburger 2022). Dieses setzt sich mit experimentellen Darstellungsformen über kartographische Konventionen hinweg und wird primär von künstlerischen Interventionen, sozialen Bewegungen und Stadtaktivist*innen vorangetrieben (Crampton/Krygier 2006: 17 f.). In den letzten Jahren haben mehrere Sammelbände zur Kritischen Kartographie eine Vielfalt dieser Kartierungen, ihrer Produktionsprozesse und ihrer Produzent*innen dargestellt (Dammann/Michel 2022b; kollektiv orangotango+ 2018). Dazu gehört auch die dekoloniale Praxis der „counter-cartography as a political practice of mapping back“ (Halder/Michel 2018: 13). Die Methode des counter-mapping oder Gegenkartierens ist historisch eng mit antikolonialen Kämpfen und dekolonialer Politik verbunden (Mesquita 2018: 27). Die ersten Kartierungen dieser Art entstanden in den frühen 1970er Jahren in Alaska und Kanada, um indigene Ansprüche auf geraubtes Land sichtbar zu machen (Wood 2010: 129 ff.). Soziale Bewegungen haben hegemoniale Praktiken des Kartierens genutzt, um ihre territorialen Forderungen juristisch durchzusetzen (McGurk/Caquard 2020: 52). Zuvor hatten europäische Kartographen traditionelle Praktiken des Kartierens indigener Bevölkerungen ignoriert, zerstört und vergessen (Lucchesi 2018: 12). In den USA gibt es eine lange Tradition von Gegenkartierungsprojekten (Alderman et al. 2021). Diese reichen von Kartierungen zur Sichtbarmachung und öffentlichen Skandalisierung der historischen Verbrechen von Lynchjustiz und Sklaverei (Hanna 2012) bis zu Kartierungen aktueller rassistischer Polizeigewalt gegen die Schwarze Bevölkerung (Alderman et al. 2021: 69).

Durch das sogenannte Web 2.0 entstanden völlig neue digitale Möglichkeiten einer interaktiven Kartierung, die auch neue Möglich­keiten des Zugangs zu Kartengrundlagen und Kartengestaltung bieten (Bittner/Glasze 2018: 120). Seit der Veröffentlichung von OpenStreetMap (OSM) im Juli 2004 und GoogleMaps im Februar 2005 nutzen zahlreiche soziale Bewegungen weltweit digitale Kartengrundlagen zur Visualisierung territorialer Konflikte und der darin marginalisierten Positionen. Auf der Basis frei nutzbarer digitaler Geodaten ist eine geographische Informationsvermittlung mittlerweile auch ohne umfangreiche kartographische Expertise sowie ohne Kosten für Lizenz- und Verwendungsrechte realisierbar. Zudem sind erstellte Karten über das Internet weit verbreitet und leicht zugänglich (Dammann/Michel 2022b: 10). Nutzer*innen von Onlinekarten können gleichzeitig Subjekte des Kartierens werden, die marginalisiertes Wissen integrieren, und auch zu Produzent*innen von Karten, die öffentlich sichtbar werden (Schröder-Bergen et al. 2021; Dammann/Michel 2022a). Die durch entsprechende Software ermöglichte Öffnung der Kartographie wird daher auch als „Demokratisierung der Kartographie“ (Wood 2015: 226) oder „peoples’ cartography“ (Crampton/Krygier 2006: 18) beschrieben.

Jeremy Crampton und John Krygier (2006: 12) bezeichnen die Praxis des Onlinekartierens auch als Doppelschlag („one-two-punch“). Sie betonen damit sowohl das Potenzial einer „undisziplinierten Kartographie“ (ebd.) als demokratisierte Praxis als auch die produktiv gewendete Kritik an Karten als Macht- und Kontrollinstrument. Finn Dammann und Boris Michel (2002b: 11) argumentieren ähnlich, wenn sie die Kritische Kartographie als ein „heterogenes Feld akademischer, politischer, aktivistischer und künstlerischer Praktiken des Kartenmachens, Kartierens und der Kartennutzung“ beschreiben, „welches sich immer auch kritisch mit dem Medium Karte auseinandersetzt“.

Auch postkoloniale Netzwerke in zahlreichen Städten verstehen und produzieren Karten als Medium und Werkzeug für eine macht- beziehungsweise kolonialismuskritische Wahrnehmung kolonialer Spuren. Sie nutzen die Macht von Karten als Repräsentationsmedium sozialräumlicher Wirklichkeiten, um alternative Repräsentationsangebote einer postkolonialen Stadtwahrnehmung zu schaffen. Diese Kartierungsprojekte verfolgen damit gleichzeitig den Anspruch der Vermittlung gegenhegemonialen Wissens und einer dekolonialen Intervention im Stadtraum. Es geht ihnen um eine Dekolonisierung auf diskursiver Ebene mit dem Ziel, koloniale und rassistische Weltanschauungen, Denkweisen, Praktiken und Privilegien, die den (urbanen) Alltag prägen, abzulegen. Außerdem geht es um eine Dekolonisierung auf materieller Ebene, die zur Umgestaltung des kolonial geprägten öffentlichen (Stadt-)Raums beiträgt (Boatcă 2021; Finden 2023).

Postkoloniale Karten basieren in der Regel auf postkolonialen Stadt­rundgängen und sind damit auch Ergebnisse wiederholter sozialer und politischer Interventionen von Aktivist*innen im Stadtraum. Zu einer solchen aktivistischen Politik gehört einerseits die Betonung partizipativer Prozesse der Wissensvermittlung und andererseits ein Misstrauen gegenüber staatszentrierter, eurozentrischer Politik (Zwischenraum Kollektiv 2017: 11; Scheck 2022: 76).

Bei postkolonialen Karten ist die Autor*innenschaft besonders relevant. Eine Beteiligung von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen postkolonialer oder rassistischer Marginalisierung ermöglicht eine multiperspektivische Reflexion von weißer Vorherrschaft, Eurozentrismus und Rassismus. Im Rahmen eines dekolonialen Gegenkartierens können im Sinne von Walter Mignolo „zum Schweigen gebrachte und marginalisierte Stimmen ins Gespräch“ gebracht und Raum für „die Transformation des hegemonialen Imaginären“ geschaffen werden (zitiert nach Boatcă 2021: 250).

Die Methode des kollektiven, partizipativen Kartierens ist nicht nur eine Praxis zur Kartenproduktion. Sie kann für die Beteiligten auch einen Raum des aktiven Zuhörens und des Dialogs schaffen, in dem diese gemeinsam koloniale Wahrheiten untersuchen, alternative Formen der Wissensproduktion erkunden und damit dem Verleugnen von Kolonialität in einem kollektiven Prozess widersprechen (Finden 2023: 18). Auf diese Weise wird dekoloniales Gegenkartieren zu einem transformativen Instrument für Wissensproduzent*innen in einem breiteren Sinne, die sich kritisch mit kolonialen Spuren auseinandersetzen (ebd.: 19).

2.2. Dekoloniale Erinnerungsforschung

Der Stadtraum ist ein Archiv, in dem die Stadtbevölkerung Informa­tionen zur Stadtgeschichte selektiv wahrnimmt und in dem die Spuren privilegierter Gruppen größere Sichtbarkeit haben. Diese strukturelle Praxis wird aus intersektional-dominanzkritischer und afrofeministischer Perspektive als performative Machterhaltung bezeichnet (Auma et al. 2021: 107). Kolonialdenkmäler, oft an zentralen oder herausragenden Orten platziert, repräsentieren auf besondere Weise die hegemoniale Erinnerungskultur einer weißen postkolonialen Gesellschaft. Veränderte Wahrnehmungen, Bewertungen und Einordnungen des kolonialen Erbes einer Stadt können zu Diskursverschiebungen postkolonialer Politik führen. Der ursprünglichen Sinnstiftung durch koloniale Denkmäler stehen dann konkurrierende postkoloniale Narrative gegenüber. So errichtete beispielsweise die damalige Hamburger Stadtregierung 1922 ein Denkmal für Hermann von Wissmann, den ehemaligen Gouverneur der deutschen Kolonie in Ostafrika. Die Hannoveraner Stadtregierung schuf 1935 ein Denkmal für Carl Peters, den Begründer der Kolonie. Beide wurden damit für ihre Leistungen im deutschen Kolonialreich und als Afrikaforscher geehrt. Das Wissmann-Denkmal stürzten Studierende 1968. Wissmannstraßen gibt es in zahlreichen Städten noch heute. Das Petersdenkmal steht immer noch und wurde 1988 von der Stadt um eine Mahntafel ergänzt. Gegenwärtige postkoloniale Proteste bezeichnen beide Männer als Kolonialverbrecher und kämpfen für einen Abbau aller Denkmäler und für Straßenumbenennungen (Jokinen et al. 2022: 10).

Die Kulturanthropologie versteht kulturelles Erbe als Vergegen­wärtigung von Vergangenheit (Maus/Petermann 2019: 4). Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Erbe ist jeweils in spezifische staatliche und kommunale Erinnerungspolitiken eingebunden. In Deutschland wird seit Jahren eine intensive Debatte über die Singularität des Holocaust, über den Stellenwert der Erinnerung an dieses Verbrechen, aber auch die Konkurrenz zur Erinnerung an Kolonialverbrechen geführt. Michael Rothberg (2021 [2009]) argumentiert dabei, dass Erinnerung an und Anerkennung für die Opfer eines Verbrechens nicht notwendigerweise zulasten der Erinnerung an und Anerkennung für Opfer anderer Verbrechen gehen muss. Als Alternative zu einer Hierarchisierung oder bloßen Addition verschiedener Erinnerungspolitiken schlägt Rothberg den Begriff „multidirektionale Erinnerung“ vor. Er betont die Bedeutung von Verbindungen und Überlagerungen des Erinnerns an Holocaust und Kolonialismus. Gerade in Städten treffen verschiedene Erinnerungskulturen und ein vielschichtiges Erbe von Gewalterfahrungen und Gewaltverantwortung der einheimischen und der Migrationsgesellschaften aufeinander, die Holocaust und Kolonialismus unterschiedlich betrachten.

Die Erinnerung an kolonialrassistische Herrschaft sowie die Verdrän­gung und Relativierung von Traumata kolonialer Ausbeutung einerseits und antisemitischer Ausgrenzung andererseits sind permanent nebeneinander wirksam. Daher nehmen diverse Stadtgesellschaften das im öffentlichen Raum repräsentierte Gedenken als vielfältig und teilweise widersprüchlich wahr. Eine Dekolonisierung des öffentlichen Raums setzt voraus, dass dessen historische Gewordenheit und dessen Vieldeutigkeit (an-)erkannt wird. Dazu tragen auch postkoloniale Kartierungen bei.

Staatliche Akteur*innen und Institutionen ehemaliger europäischer Kolonialmächte beziehen sich bis heute positiv auf einzelne Ereignisse aus der Kolonialzeit, ohne deren Gewaltkontext explizit zu benennen (Stoler 2011: 122). Auf diese Weise trennen sie die Kolonialgeschichte von nationaler und lokaler Geschichte. Die nationale Erinnerung(-spolitik) europäischer Staaten oder einzelner Städte in Europa ist von der Verdrängung der Erinnerung an koloniale Gewalt geprägt. Insbesondere in Hafenstädten wie Lissabon, Amsterdam, Glasgow, Liverpool, Kopenhagen oder Hamburg werden bis heute aus der Zeit des Kolonialismus stammende Ortsbezeichnungen wie „Westindienspeicher“ oder „Überseequartier“ verwendet. Bis heute werden Denkmäler gepflegt, die den Kolonialismus heroisieren und koloniale Infrastrukturen wie historische Hafenanlagen, Warenspeicher oder Kontorhäuser als touristische Attraktionen präsentiert, ohne deren Bedeutung in der Kolonialzeit zu benennen (Bauriedl/Jokinen 2019). Eine Geschichte der Ausbeutung wird so zur Erfolgsgeschichte umgedeutet. Sowohl koloniale Geschichte(n) als auch gegenwärtige imperiale Lebensweisen (Brand/Wissen 2017) bleiben in dieser hegemonialen Erzählung unbenannt. Die Beispiele zeigen, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte in weiten Teilen von einer kolonialen Amnesie und Aphasie geprägt ist, also von einem Verdrängen und Vergessen sowie der mangelnden Bereitschaft oder Unfähigkeit, sich kritisch mit der Geschichte auseinanderzusetzen (Stoler 2011: 130). Das Vergessen beziehungsweise das aktive Entinnern historischer Ereignisse (Ha 2017) durch eine weiße Mehrheitsgesellschaft ist ein machtvolles Mittel zur Etablierung und Fortschreibung dominanter Ungerechtigkeitsverhältnisse.

Diese Form des Erinnerns beziehungsweise Entinnerns bestimmt nicht nur lokale und globale Politik, sie schreibt auch Dingen, Artefakten oder Orten bestimmte Bedeutungen zu (Maus/Petermann 2019: 4). Der französische Historiker Pierre Nora prägte den Begriff der Erinnerungsorte (Nora 1990), an denen sich das nationale Gedächtnis in besonderem Maße kondensiert, verkörpert oder kristallisiert. Mit einem Erinnerungsort kann auch die Erinnerung an eine spezifische Persönlichkeit, mythische Gestalt oder ein Ritual gemeint sein, das eine hohe emotionale und symbolische Relevanz für das Selbstverständnis einer Gesellschaft besitzt. Als Kristallisationspunkte des kulturellen und kollektiven Gedächtnisses haben Erinnerungsorte eine identitätsstiftende Funktion (Assmann 1999). In diesem Verständnis können Erinnerungsorte sowohl physische, als auch symbolische und metaphorische Orte umfassen (Trzeciak/Peters 2022: 88). Kolonialismuskritische Kartierungen verfolgen daher das Ziel, koloniale Spuren als umkämpfte Erinnerungsorte zu etablieren und die mit ihnen verbundenen widersprüchlichen Narrative von nationaler oder lokaler Identität, von Traumatisierung und von Protest in die öffentliche Debatte zu tragen. Erinnerungsorte haben dabei nicht nur eine Bedeutung aufgrund ihrer historischen Bezüge, sondern auch aufgrund ihrer geographischen Bezüge (Bauriedl/Carstensen-Egwuom 2023): (Post-)koloniale Orte werden erst durch ihre globale Verflechtungsgeschichte begreifbar. Diese kann sich in materiellen, sozialen und diskursiven Verflechtungen kolonialer Geographien zeigen, etwa in Handelsströmen, im globalen Wissensaustausch oder in Praktiken kultureller Aneignung (Lossau 2019: 671).

3. Exemplarische kolonialismuskritische Kartierungen

Postkoloniale Initiativen, die öffentliche Debatten über koloniale und rassistische Kontinuitäten anregen wollen, nutzen Kartierungen als Methode der Visualisierung, um Leerstellen des öffentlichen Erinnerns an Kolonialverbrechen sichtbar zu machen. Wir haben bei unserer Analyse die Frage verfolgt, inwiefern diese Initiativen dabei auch kritisch mit der Macht von Karten und der Kartenproduktion umgehen. Zur Beantwortung dieser Frage haben wir insgesamt 35 Kartierungsprojekte aus verschiedenen europäischen Städten recherchiert und für diese jeweils die angewandten Prämissen des Kartierens (Informationsselektion, Informationsvermittlung und Kartengrundlage), die Praxis des Kartierens (partizipativer, kollektiver oder hierarchischer Prozess) sowie das Produkt des Kartierens (interaktive Onlinekarte oder statische analoge Karte) untersucht. Dabei interessierten uns insbesondere die Darstellungsweisen kolonialer Spuren und deren räumlichen und zeitlichen Relationen (Abschnitt 3.1.). Um die Auseinandersetzung mit Ansprüchen des kritischen Kartierens einordnen zu können, haben wir außerdem den Produktionskontext (Abschnitt 3.2.) und den Publikationskontext der Karten (Abschnitt 3.3.) untersucht.

Tabelle 1 listet die 35 untersuchten Karten auf und enthält die Infor­mationen zu Kartengrundlagen, Kartierungsmethoden, Initiator*innen und Projektlaufzeit der einzelnen Karten. Die Recherche von Karten kolonialer Erinnerungsorte hatte bei den 26 deutschen Städten das Ziel einer Vollerhebung. Neun Karten weiterer europäischer Städte wurden exemplarisch recherchiert, mit Blick auf deren Bedeutung als Zentren des europäischen Kolonialismus. In die Untersuchung wurden analoge und digitale Karten aufgenommen.

Wir berücksichtigten nur Karten, die eine Visualisierung kolonialismuskritischer, post- oder dekolonialer Kartierungen vornehmen. Die Erhebung führten wir 2021 im Rahmen einer sechsmonatigen Studie zum dekolonialen Kartieren durch. Im Sommer 2023 prüften wir die Zugänglichkeit und Aktivität der Onlinekarten erneut und ergänzten zwei neue Karten. Unsere Zusammenstellung basiert auf einer Internetrecherche mit den Suchbegriffen „slave map“, „slave tour“, „colonial map“, „colonial tour“, „colonial memories“ und „slave memories“. Zusätzlich befragten wir Netzwerke in postkolonialen Städten sowie postkoloniale Stadtforscher*innen nach Hinweisen auf existierende Kartierungsprojekte. Da bei Onlinekarten oft nur schwer nachzuvollziehen ist, wann diese publiziert wurden und ob die Kartierung von Erinnerungsorten beziehungsweise die Überarbeitung von Wissens­beständen kontinuierlich fortgeführt wird, recherchierten wir diese Informationen ergänzend in Publikationen und sozialen Medien. Bei einzelnen Karten konnten wir keine Informationen zu den verwendeten Kartengrundlagen finden. Sofern Kartograph*innen namentlich benannt werden, sind sie in der Tabelle aufgeführt. Unsere Recherche konzentrierte sich auf Städte, da dort die Auseinandersetzung mit kolonialen Spuren am intensivsten geführt wird und weil dort potenziell Initiativen Schwarzer Menschen an Kartierungen beteiligt sind oder diese sogar initiieren (Kelly/Vassell 2023: 10). Damit ist in Städten eine größere Vielfalt an kolonialismuskritischen Karten und partizipativer Kartierungen zu erwarten.

Nr.

Kartenname

Kartengrundlage

Initiator*innen

Laufzeit

Statische Karten mit punktuellen Informationen

1

„Mapping Legacies of British Slavery“

Onlinekarte auf OSM-Basis

https://www.ucl.ac.uk/lbs/maps/britain

University College London, Centre for the Study of the Legacies of British Slavery

2009-laufend

2

„Hamburg Postkolonial“

Gedruckte Karte auf Basis eines Stadtplans (Kartographie Ulf Treger)

Hafengruppe Hamburg, Eine Welt Netzwerk Hamburg, Pharus Verlag

2010

3

„A Curious Person’s Guide to Oldenburg“

Gedruckte Karte auf Basis eines vereinfachten Stadtplans (Kartographie Andrea Dilzer)

European Master Migration and Intercultural Relations, Universität Oldenburg und Edith-Russ-Haus für MedienKunst

2013

4

„Auf postkolonialen Spuren in Leipzig“

Online-abrufbare Karte auf Basis einer Straßenbahnplans

https://leipzig-postkolonial.de/wp-content/uploads/2020/09/Post-koloniale-Spuren.pdf

AG Postkolonial, Verein Engagierte Wissenschaft, Universität Leipzig

2015

5

„Black History in St. Paul’s“, Bristol

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis

https://www.bristolmuseums.org.uk/blog/discover-st-pauls-black-history

Museum Shed Bristol, Tanja Aminata Bah

2017

6

„Kolonialismus und seinen Spuren in Jena“

Onlinekarte auf OSM-Basis

https://decolonize-jena.de/kolonialismus-in-jena/stadtrundgang

Netzwerk Decolonize jena!

2018

7

„Mapping a colony“, Denmark and Virgin Islands

Onlinekarte auf OSM-Basis

https://blogit.itu.dk/mappingacolonyen

Forschungsprojekt Mapping a Colony, ETHOS Lab der Universität Kopenhagen, Königliche Bibliothek

2018

8

„Sønderjylland-Schleswig Kolonial: Erinnerungsorte“

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis

https://www.sonderjylland-schleswig-kolonial.eu/de/erinnerungsorte.html

Dänische Zentralbibliothek Flensburg, Flensburger Schifffahrtsmuseum, Museum Sønderjylland

2018

9

„Postkoloniale Spuren in Bonn“

Downloadkarte auf Basis eines Stadtplanausschnitts (ohne Quelle)

https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Brosch%C3%BCre_Postkoloniale_Stadtfuehrung.pdf

Netzwerk Bonn Postkolonial, Lea Carstens, Moritz Heinrich

2019

10

„Dekolonialer Stadtrundgang Kolonialismus in Erfurt - 1503 bis heute“

Onlinekarte auf OSM-Basis, konzipiert als Stadtrundgang (ohne Quelle)

https://uploads.knightlab.com/storymapjs/fa1c8ffa72b8355c307d89cebab725c5/dekolonialer-stadtrundgang/index.html

Netzwerk Decolonize Erfurt

2019

11

„Frankfurt‘s Colonial Hangover“

Downloadkarte auf OSM-Basis

http://frankfurt.postkolonial.net/stadtrundgang

Netzwerk Frankfurt Postkolonial

2019

12

„Stadtrundgangskarte“, Gießen

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis

https://giessenpostkolonial.wordpress.com/stadtrundgangskarte

Netzwerk Gießen Postkolonial

2019

13

„Glasgow’s Historical Ties to Slavery & Atlantic Connections“

Onlinekarte auf ArcGis-Basis

https://storymaps.arcgis.com/stories/e9a3625c21fc4bfd9f4b214ee4643864

University of Glasgow, Netzwerk Black Lives Matter

2019-2022

14

„Koloniale Spuren in Hagen“

Gedruckte Karte auf Basis eines Stadtplans

Historiker*innen der Fernuniversität Hagen (Fabian Fechner, Barbara Schneider)

2019

15

„Voices in the Shadows of Monuments“, Kopenhagen

Onlinekarte auf Basis eines skizzierten Stadtteils

https://www.shadowsofmonuments.dk/map

Dänisch-karibische und grönländische Künstler*innen und Aktivist*innen

2020

16

„Mapping Slavery: Amsterdam“

Onlinekarte auf OSM-Basis

https://mappingslavery.nl/kaarten-2/kaarten-­nederland/amsterdam/

Black Heritage Amsterdam Tour (Jennifer Tosch)

2021

17

„Postkolonialer Stadtrundgang in Braunschweig“

Onlinekarte auf Basis eines Stadtplanausschnitts (ohne Quelle)

https://amobraunschweigpostkolonial.com/postkolonialer-stadtrundgang-in-braunschweig-digitaler-einblick/

Amo Braunschweig Postkolonial

2021

18

„Stadtrundgang durch Zürichs koloniale Vergangenheit“

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis

https://www.zh-kolonial.ch

Verein Zürich Kolonial (initiiert von Historiker*innen an der ETH Zürich)

2021-laufend

19

„Kassel postkolonial: Orte“

Onlinekarte auf Basis vereinfachter Gebietskarte der Region Kassel

http://kassel-postkolonial.de/orte/

Netzwerk Kassel Postkolonial

2022-laufend

20

„Hamburgs koloniales Erbe“

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis und historischer Karten, als App konzipiert

Via App Store oder Play Store

Universität Hamburg, Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung

2023-laufend

Interaktive Karten mit punktuellen Informationen

21

„Webmap Hamburg Global“

Onlinekarte auf OSM-Basis (Kartierung und Webdesign Tamer Fawzy, Ulf Treger)

https://www.hamburg-global.de/v1.0/

Bildungsbüro Hamburg

2012-laufend

22

„Lern und Erinnerungort Afrikanisches Viertel, Berlin“

Onlinekarte auf OSM-Basis

http://www.3plusx.de/leo-site

Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamts Berlin-Mitte

2014-laufend

23

„Berlin als postkoloniale Stadt kartieren“

Onlinekarte auf ArcGIS-Basis

https://www.arcgis.com/apps/MapSeries/index.html?appid=9fb2779479e44fe3918089636970029d

Projektseminar des Masters „Historische Urbanistik“ an der TU Berlin (Noa K. Ha), Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, Berlin Postkolonial

2015-laufend

24

„Kolonialismus in Freiburg“

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis

https://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/orte.htm

Netzwerk Freiburg Postkolonial

2015-laufend

25

„Berlin-Mitte - Audioguidetour zu Unfreier Arbeit und Rassismus“

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis sowie App „Guidemate“

https://guidemate.com/guide/Berlin-Mitte-Audioguidetour-zu-Unfreier-Arbeit-und-Rassismus-59104bfae4b016539b02e323

Forschungsprojekt an der Alice Salomon Hochschule (Iman Attia)

2016-laufend

26

„Rostock Postkolonial: Kartenansicht“

Onlinekarte auf OSM-Basis

https://postkolonial.soziale-bildung.org/karte

Rostock Postkolonial

2017-laufend

27

„Postcolonial Italy. Mapping Colonial Heritage“

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis

https://postcolonialitaly.com

Universität Graz (Markus Wurzer), Europäisches Hochschulinstitut (Daphné Budasz)

2018-laufend

28

„Postcolonial Potsdam. Audio Guide & Karte“

Onlinekarte auf OSM-Basis (Kartographie, Webdesign Ulf Treger)

https://map.postcolonialpotsdam.org/main

Arbeitskreis Postcolonial Potsdam

2020-laufend

29

„Dekoloniale Karte und Stadtrundgänge Weimar“

Onlinekarte auf OSM-Basis

https://decolonize-weimar.org

Decolonize Weimar

2020-laufend

30

„Topple the Racists“, UK

Onlinekarte aus OSM-Basis

https://www.toppletheracists.org

Stop Trump Coalition

2020-laufend

31

„Tear this shit down“, Deutschland

Onlinekarte auf OSM-Basis

Internetseite deaktiviert

Künstlerkollektiv Peng!, Zoff Kollektiv, Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland

2020-2021

32

„Augsburgs koloniale (K)Erben“

Onlinekarte auf ArcGIS-Basis

https://storymaps.arcgis.com/stories/6b61d854839443eab3a9bb964479be7a

Geographie, Transformationsforschung, Universität Augsburg

2021-laufend

33

„Essen. Colonialtracks“

Onlinekarte auf GoogleMaps-Basis

https://essen.colonialtracks.de/stadtkarte/

EXILE-Kulturkoordination

2022-laufend

Interaktive Karten mit Informationen zu multiperspektivischen Verflechtungen

34

„Mapping Postkolonial“, München

Abstrakte Onlinekarte

https://mapping.postkolonial.net/mapping

[muc] München Postkolonial, Labor k3000, Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e. V.

2013-2014

35

„Dekoloniale Geschichte[n]“

Onlinekarte auf OSM-Basis

https://www.dekoloniale.de/de/map?kind=stories

Modellprojekt „Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt“, EOTO e. V., Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland

2020-laufend

3.1. Informations- und Vermittlungspraktiken post- und dekolonialer Kartierungen

Die untersuchten Kartierungsprojekte nutzen für die Erstellung ihrer Karten verschiedene Methoden und Medien. Zur Gestaltung der Karten haben die Initiator*innen und Autor*innen ein breites Spektrum an Expertisen der Kartographie und des Webdesigns angewandt. 20 der 35 untersuchten Karten nutzen frei zugängliche und interaktiv nutzbare Onlinekarten wie GoogleMaps oder OSM und verknüpfen diese mit Text-, Bild- oder Audiodaten. Zwei Karten sind als App nutzbar, drei Karten liegen ausschließlich in gedruckter Form vor.

Die untersuchten Karten ordneten wir drei Kartentypen zu: Erstens statische Karten mit punktuellen Informationen, zweitens interaktive Onlinekarten mit punktuellen Informationen und drittens interaktive Onlinekarten mit Informationen zu multiperspektivischen Verflechtungen. Die jeweiligen Besonderheiten dieser drei Kartentypen und insbesondere ihrer Informationsvermittlung verdeutlichen wir im Folgenden jeweils anhand einer Beispielkarte.

Statische Karten mit punktuellen Informationen

Die mit Abstand häufigste Darstellungsform bei den von uns untersuchten dekolonialen Kartierungen ist eine punktuelle Eintragung von Orten auf einer Grundkarte. Dabei geht es um Orte, die eine koloniale Verflechtungsgeschichte haben (wie Kolonialwarenläden, koloniale Denkmäler, Straßen mit kolonialen Namen, Universitäten oder auch Orte des antikolonialen oder antirassistischen Widerstands und Gedenkens). Die für die Karten jeweils verantwortlichen Gruppen und Initiativen nutzen verschiedene Kartengrundlagen. Das sind manchmal abstrakte oder künstlerische Darstellungsformen (Tab. 1, Nr. 15, 19, 34), Stadtpläne oder Straßenbahnkarten (Tab. 1, Nr. 2, 3, 4, 9, 14, 17), historische Karten (Tab. 1, Nr. 20), ansonsten Onlinekarten wie GoogleMaps oder OSM. Dabei handelt es sich zum einen um statische Karten, die online oder in gedruckter Form verfügbar sind, zum anderen um interaktive digitale Karten. Die Onlinekarten werden teilweise in Apps oder anderen Anwendungen weiterverwendet, beispielsweise für eine Stadtrallye in Freiburg in der App „Actionbound“[3] (Tab. 1, Nr. 24) oder zur Erstellung einer sogenannten Storymap (Tab. 1, Nr. 5, 29) mit subjektiven Erzählungen.

Die untersuchten Kartierungen mit ihren punktuellen Informationen markieren ausschließlich physische Erinnerungsorte. Dabei können fünf Typen unterschieden werden:

  1. Gebäude der Produktion (Zuckermanufakturen, Speicher, Werften o. ä.), des Konsums (Kolonialwarenläden), der Repräsentation (Kauf­mannsvillen) oder der Repression (Gefängnisse);
  2. Straßen, Plätzen und Parks sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen mit kolonialen Namen;
  3. Denkmäler für Ereignisse (koloniale Eroberungen oder Kriege) sowie Personen (Kolonialpolitiker, Kaufmänner, Kolonialgouverneure);
  4. Infrastrukturen des Warenumschlags (Hafenanlagen, Speicher für Kolonialwaren), der Organisationsstruktur (Tropenkranken­häuser, Handelskammern, Versicherungen, Kreditinstitute, Kolonial­warenbörsen), der Bildung und Propaganda (geographische Gesellschaften, Völkerkundemuseen, Zoologische Gärten, Kolonialinstitute);
  5. Denkmäler für antikolonialen Widerstand.

Exemplarisch für die punktuelle Eintragung von Orten mit kolonialem Bezug ist die Karte „A Curious Person’s Guide to Oldenburg“, die Studierende eines Masterstudiengangs der Universität Oldenburg produzierten (Abb. 1). Die gedruckte Karte von 2013 nutzt eine stark vereinfachte Kartographie: Auf der Karte sind Straßen eines vereinfachten Stadtplans mit zentralen Gebäude abgebildet sowie Nummern von insgesamt 26 Orten eingetragen, die jeweils auf Fotos, Bezeichnungen oder Adressen (post-)kolonialer Erinnerungsorte verweisen. Die eingezeichneten Orte sind vier Kategorien zugeordnet: (1) „The world in the city“ (Orte des Konsums von Kolonialwaren), (2) „Traces of the past“ (Erinnerungsorte der Verfolgung von Jüd*innen sowie Sinti*zze und Rom*nja während des Nationalsozialismus), (3) „Bordering the centre: Dancing to Alternatives“ (Orte mit antirassistischen Graffiti oder Street Art) und (4) „From the outside in: Refugee and Asylum Oldenburg“ (Orte der Erinnerung an Kämpfe von Geflüchteten und Asylsuchenden).

Abb. 1 „A Curious Person’s Guide to Oldenburg“ (Quelle: Tab. 1, Nr. 3)
Abb. 1 „A Curious Person’s Guide to Oldenburg“ (Quelle: Tab. 1, Nr. 3)

Auf der Rückseite der Karte befinden sich weitere Informationen zu den nummerierten Orten. Zum Ziel der Karte schreiben die Autor*innen, dass die Visualisierung dazu einlade, „Oldenburg als diverse und interessante Stadt zu entdecken“.

Interaktive Karten mit punktuellen Informationen

Die interaktiven Karten mit punktuellen Informationen unterscheiden sich von den statischen Karten dadurch, dass externe Nutzer*innen der Karten Standortsetzungen und damit verbundene Wissensbestände ergänzen und integrieren können. Bei einigen Karten moderieren die Karteninitiator*innen diese Ergänzungen. Die Kartengrundlage sind bei allen untersuchten Karten dieser Kategorie entweder vorhandene Karten wie GoogleMaps oder OSM oder eine Grundkarte, die mit der Geoinformation-Software ArcGIS erstellt wurde. Zu den interaktiven Karten (siehe Tab. 1) zählen wir auch Kartierungen, die Nutzer*innen diese zwar nicht mitgestalten können, die Kartenproduzent*innen die Karten jedoch als interaktiv bezeichnen, da Nutzer*innen digital verknüpfte Elemente aufrufen oder darin navigieren können.

Bei der punktuellen Darstellung kolonialer Erinnerungsorte werden die räumlichen Verflechtungen zwischen Orten im Stadtraum und überregionalen Standorten in der Regel nicht kartographisch abgebildet. Die Karte Webmap Hamburg Global (Abb. 2) ist daher ein besonderes Beispiel für eine interaktive Karte mit punktuellen Informationen: Zusätzlich zu einer Stadtkarte mit punktuellen Informationen kann die Weltkarte „global link“ aufgerufen werden. Auf ihr sind die Verbindungen und Abhängigkeiten zwischen Hamburg und anderen Orten im internationalen Maßstab eingezeichnet. In der grafischen Umsetzung führen aus Hamburg Linien in unterschiedlichen Farben zu verschiedenen Punkten in der Welt – zumeist in (de-)kolonisierte Länder des Globalen Südens. Die Farben stehen dabei für verschiedene Themen: blau für „hamburg multidimensional – Rassismus, Empowerment und Global Passports“, grün für „hamburg postkolonial – Kokosnüsse, Kaiserkult und Kolonialflair“, gelb für „hamburg commercial – Pfeffersäcke, Kaffeetüten und Bananenkisten“, orange für „hamburg energie – Kohle, Uran und der Wind“ sowie rot für „hamburg militaria – Panzer, Kanonen und die Fregatten“ (Tab. 1, Nr. 21). Jede angezeigte Verbindungslinie können Nutzer*innen anklicken. Dadurch öffnet sich jeweils ein Fenster mit einem Artikel, der die Verbindung von Hamburg zu diesem Ort und dessen postkoloniale Abhängigkeit erklärt. Zudem kann die Anzeigeoption „Die Perspektive wechseln“ aktiviert werden: Dabei dreht sich die Kartendarstellung um 180 Grad, womit die hegemoniale Sehgewohnheit herausgefordert wird.

Abb. 2 Webmap Hamburg Global (Quelle: Tab. 1, Nr. 21)
Abb. 2 Webmap Hamburg Global (Quelle: Tab. 1, Nr. 21)

Nutzer*innen können in die Karte hineinzoomen. Der Informations­gehalt der Grundkarte mit den angezeigten nationalstaatlichen Grenzen verändert sich dadurch nicht. Daneben gibt es auch eine Kartendarstellung der Stadt Hamburg, die die fünf genannten Themen an verschiedenen Punkten in der Stadt verortet und dazugehörige Informationen vermittelt. Das interaktive Kartierungsprojekt wurde 2012 gestartet, der letzte veröffentlichte Beitrag auf der Homepage wurde im Juli 2022 erstellt (Stand 1.4.2024).

Interaktive Karten mit Informationen zu multiperspektivischen Verflechtungen

Unter dieser Kategorie fassen wir Karten zusammen, bei denen geographisch verflochtene Informationen zusammengetragen und visualisiert werden. Diese multiperspektivische Darstellungsform (post-)kolonialer Erinnerungsorte setzte 2013 bis 2014 das Kartierungsprojekt „Mapping Postkolonial“ des Münchner Teams von [muc] münchen postkolonial, Labor k3000 und Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e. V. um (Abb. 3). An der Kartierung waren verschiedene Forscher*innen, Aktivist*innen und Software-Entwickler*innen beteiligt. Zudem erhielt das Projekt eine Förderung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (Bahl et al. 2018: 235). Die Darstellungsweise der Karte bettet die kolonialen Orte Münchens in größere Erzählungen und Zusammenhänge ein. Sie macht deutlich, dass die eingezeichneten Stationen nicht für sich stehen. Die Ausgangsdarstellung dieser interaktiven Karte ist ein weißer Hintergrund mit grauen und schwarzen Kreuzen. Durch einen Klick auf ein Kreuz öffnet sich ein Fenster mit Bild- und Textinformationen zu der jeweiligen „Spur“. Dargestellt sind Spuren zu „Völkerschauen auf dem Oktoberfest“, zum Widerstand der im Jahr 1890 dort ausgestellten Menschen sowie zum Münchener Hauptbahnhof als Ort rassistischer Kontrollen Schwarzer Menschen. Zusätzlich können in der Karte „Spuren“ die Dimensionen „Erzählungen“, „Schichten“ und „Gespenster“ aktiviert werden, zu denen jeweils Bild- und Textinformationen hinterlegt sind. Bei der Kartendimension „Erzählungen“ sind die Spuren durch Linien miteinander verbunden. Sie zeigt die inhaltlichen und räumlichen Verflechtungen einzelner Kategorien von Erinnerungsorten – etwa von Straßennamen, die koloniale Akteure oder Orte ehren oder gar explizit auf den Genozid an den Herero und Nama verweisen. Die Kartendimension „Schichten“ liefert Informationen zu strukturellen Kontexten, in die Spuren in München eingebettet sind. Diese gliedern sich in die Stichworte Wissensproduktion, Dekolonisierung, Positionialität und Rassismus. Bei der Kartendimension „Gespenster“ bewegt sich in unregelmäßigen Zeitabständen ein Schatten über die Karte (Abb. 3), begleitet von einem rauschenden oder knisternden Ton. Damit wollen die Kartenproduzent*innen das Fortbestehen kolonialer und rassistischer Denkweisen in der Gegenwart verdeutlichen: „Der Kolonialismus ist tot und lässt sich doch nicht tot kriegen [sic!]. Nach wie vor spuken Gespenster als Schatten der kolonialen Vergangenheit umher. Sie treiben ihr Unwesen in Möbelhäusern und Restaurants“ ([muc] münchen postkolonial et al. o. J.). Ein Gespenst trägt den Namen „Möbel Kolonie“ und macht darauf aufmerksam, dass Möbelhäuser bestimmte Produkte mit der Bezeichnung „Kolonialstilambiente“ bewerben. Die Karte von [muc] münchen postkolonial et al. verdeutlicht durch ihre multidimensionale Darstellung, dass koloniale Spuren sowohl als singuläre Standorte als auch eingebettet in kolonialen Strukturen zu erkennen und verstehen sind. Diese bestehen bis heute fort – in der Materialität von Denkmälern, aber auch in kulturellen Erzählungen und sozialen Praktiken.

Abb. 3 Mapping Postkolonial, München (Quelle: Tab. 1, Nr. 34)
Abb. 3 Mapping Postkolonial, München (Quelle: Tab. 1, Nr. 34)

Diese Visualisierung kann als dekonstruktivistische Karte bezeichnet werden, da sie von konventionellen kartographischen Darstellungsweisen abstrahiert und keinen Ausschnitt der Stadt München mit georeferenziert verorteten Straßen und Gebäuden abbildet. Lea Bauer und Eva Nöthen (2022: 161 ff.) beschreiben die Karte von [muc] münchen postkolonial et al. als eine künstlerisch-kartographische Forschungsarbeit. Sie zeigen, dass die Präsentation vielfältiger sich überlagernder Perspektiven eine Fokussierung auf unabgeschlossene Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse ermöglicht.

3.2. Produzent*innen und Anlässe kolonialismuskritischer Kartierungen

Die Vielfalt unterschiedlicher Produzent*innen ist bei den untersuchten Karten groß. Das entspricht dem Verständnis der Kritischen Kartographie, eine geteilte Autor*innenschaft als zentral für eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Macht von Karten anzusehen und davon auszugehen, dass nur mit kollektiver Wissens- und Kartenproduktion gerechte Räume entstehen können (Pelger 2023: 3). Manche der untersuchten Karten erstellten professionelle (Web-)Designer*innen (vgl. Potsdam), andere setzten zivilgesellschaftliche Initiativen oder Studierendengruppen um (vgl. Jena).

Tabelle 1 zeigt, dass über ein Drittel der untersuchten Kartierungen im Rahmen von Hochschulseminaren (z. B. Technische Universität Berlin, Universität Bonn) oder Forschungsprojekten (z. B. Universität Kopenhagen, Fernuniversität Hagen, Universität Hamburg) entstanden oder auf Personen mit universitärer Anbindung zurückgehen (z. B. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Universität Graz). Die entsprechenden Projekte blieben oft temporär begrenzt und werden nicht weiterverfolgt oder aktualisiert. Damit vermitteln sie den kolonialismuskritischen Wissensbestand zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ein weiteres Drittel der Kartierungen entwickelten Soziale Bewegungen – meist postkoloniale Netzwerke – die ihre Rechercheergebnisse über das Medium Karte vermitteln. Solche postkolonialen Netzwerke überschneiden sich teilweise mit universitären Strukturen (z. B. Potsdam und Bonn), teilweise gründeten sich auch aktivistische Netzwerke im Anschluss an universitäre Veranstaltungen. Andere postkoloniale Gruppen kommen aus der politischen Bildungsarbeit (Amo – Braunschweig Postkolonial), beschreiben sich als autonome politische Gruppe (Decolonize Jena!) oder sind an überregionale bildungs- und entwicklungspolitische Organisationen angebunden (Informationszentrum 3. Welt bei Freiburg Postkolonial).

Bei drei untersuchten interaktiven Onlineprojekten können die Nutzer*innen zu Produzent*innen der (post-)kolonialen Karten werden („Topple the Racists“, „Tear this Down“, „Webmap Hamburg”), indem sie ihr Wissen über koloniale Orte mittels eines Onlineformulars teilen.

3.3. Adressat*innen des Kartierens dekolonialer Wissensproduktion

Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen und Institutionen hat häufig das Jubiläum eines historischen Ereignisses zum Anlass. So wurde die Onlinekarte der Region Sønderjylland-Schleswig 2017, zum 100-jährigen Jahrestag des Verkaufs der dänischen Kolonien in der Karibik – dem sogenannten Dänisch Westindien, veröffentlicht – zusammen mit umfangreichen wissenschaftlichen Recherchen und einem Sammelband. Einige Kartierungen entstanden begleitend zu Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema Kolonialismus (z. B. „Sankofa – Altona in der Karibik“ im Altonaer Museum Hamburg 2017; „Rum, Schweiß und Tränen“ im Schifffahrtsmuseum Flensburg 2017; „Dekoloniale“ Stadtmuseum Berlin 2020-2024, für eine Übersicht siehe Fechner/Schneider 2023) oder ergänzend zu postkolonialen Stadtführungen. Die Karten ergänzen damit ein Bildungsangebot für eine weiße Mehrheitsgesellschaft, die bisher wenig vom Erbe kolonialer Strukturen berührt war. Die postkolonialen Karten setzen an dieser kolonialen Amnesie beziehungsweise Aphasie an und dienen als Aufklärungs- und Kommunikationsmedium, um auf die (post-)koloniale Vergangenheit und Gegenwart aufmerksam zu machen. Sie machen die im Stadtraum vorhandenen und von der Mehrheit der Stadtbevölkerung meist unbemerkten kolonial geprägten Orte sichtbar. Rassifizierte Menschen werden in kolonial geprägten europäischen Städten permanent daran erinnert, nicht zur Stadtgesellschaft zu gehören und von der Erinnerungskultur ausgeschlossen zu sein (Zwischenraum Kollektiv 2017: 8). Postkoloniale Kartierungen stehen somit in der Tradition eines mapping back, das einer weiß dominierten Erinnerungskultur eine Erinnerung an rassistische Unterdrückung, koloniale Genozide und Landraub entgegenstellt (Alderman et al. 2021; Lucchesi 2018).

Viele kolonialismuskritische Initiativen formulieren in ihren Publikationen eine freundliche Einladung, sich mit der Kolonialgeschichte der eigenen Stadt auseinanderzusetzen. Vor dem Hintergrund des Verdrängens und Vergessens der Kolonialgeschichte in Deutschland und Europa zeigt dies eine große Offenheit gegenüber einer in (post-)kolonialen Fragen unreflektierten Mehrheitsgesellschaft. Es zeigt zudem ein vernunftoptimistisches Verständnis von Bildungsarbeit, das mit der Hoffnung verbunden ist, dass (post-)kolonialer Ignoranz mit Wissen und Bewusstseinsbildung begegnet werden kann. Diese Zielsetzung vollzieht sich jedoch sehr langsam. Dies zeigt der Blick etwa auf langwierige Prozesse der Umbenennung von Straßen, die vielfach noch immer Kolonialverbrecher ehren oder auf die bis heute fehlende Kontextualisierung von Kolonialdenkmälern.

Postkoloniale Karten bieten – ob in analoger oder digitaler Form – die Option einer selbstständigen Erkundung kolonial geprägter Orte in der Stadt (Tab. 1, Nr. 22, 25, beide in Berlin). Wie gut dieses Angebot angenommen wird, können wir an dieser Stelle nicht beurteilen. Die Nutzung postkolonialer Karten hängt auch davon ab, wie gut die jeweiligen Kartenproduzent*innen mit öffentlichen Institutionen vernetzt sind, die zu deren Verbreitung beitragen und Zugang zu unterschiedlichen Zielgruppen schaffen können (z. B. in kommunalen Tourismusbüros, Stadtbibliotheken oder Landeszentralen für politische Bildung). Postkoloniale Karten richten sind nicht ausschließlich zum Zweck der Aufklärung an eine weiße Mehrheitsgesellschaft, sondern auch explizit an Antirassist*innen und dekoloniale Aktivist*innen als Wissensträger*innen und -produzent*innen, die auf Standorte und Verflechtungen kolonialer Erinnerung aufmerksam machen.

4. Kartierung als Protestform gegen unreflektierte koloniale Spuren

Eine Onlinekarte, die beispielhaft partizipatives Kartieren mit kolonialismuskritischem Protest und einer konkreten Dekolonialisierung des öffentlichen Raums verbindet, veröffentlichten das Künstler*innenkollektiv Peng!, das Zoff Kollektiv und die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland im Juni 2020. Ihre interaktive Deutschlandkarte mit dem Titel „Tear down this shit – Deutschlandweite Karte von kolonialen Spuren im öffentlichen Raum“ verzeichnet über 100 Straßen, Plätze und Denkmäler, die Personen ehren, die während der deutschen Kolonialzeit rassistische Verbrechen verübt oder politisch ermöglicht haben. In die partizipative und interaktive Karte konnten Nutzer*innen zusätzliche koloniale Erinnerungsorte und Informationen zum Standort eintragen. Nutzer*innen wurden dazu aufgerufen, über ein Meldeformular zusätzliche Erinnerungsorte zu identifizieren. Die Administrator*innen nahmen diese dann nach einer Prüfung in die Karte auf. Mitinitiiert wurde dieses Kartierungsprojekt von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) als Reaktion auf die weltweiten Black-Lives-Matter-Proteste nach dem rassistischen Mord an Georg Floyd am 25. Mai 2020, in deren Rahmen in vielen Ländern Denkmäler und Statuen mit rassistischem und kolonialistischem Hintergrund beschädigt, umgestaltet oder gestürzt wurden (z. B. die Statuen von Cecil Rhodes in Kapstadt, von Edward Milligan in London oder von Christoph Kolumbus in Baltimore).

Die Initiator*innen des Projekts wollten mit dem Instrument einer Kartierung gewaltverherrlichender kolonialer Erinnerungsorte eine kritische Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Rassismus in Deutschland voranbringen. Erinnerungsorte sollten als Protestorte markiert werden und Platz für ein postkoloniales Erinnern schaffen. ISD-Mitglied Simone Dede Ayivi sagte zur Veröffentlichung der Kartierung:

„Wenn wir eine antirassistische Gesellschaft wollen, müssen wir fragen, wer sind die Opfer, die wir ehren wollen? Ein leerer Sockel ist ein guter Schritt, um das herauszufinden. Über diese Leerstellen sollen breite Diskussionen geführt werden. Dann kann man etwa Künstler*innen vom afrikanischen Kontinent einladen, die Plätze, auf denen bislang Kolonialisten gedacht wurde, neu zu gestalten.“

(Ayivi 2020)

Die Gegenkartierung hat hier eine doppelte Materialisierung zum Ziel: das Produkt der Karte und die Umgestaltung des physischen Erinnerungsraums. Die Website TearThisDown.com mit der interaktiven Karte kolonial geprägter Orte war nur wenige Monate lang abrufbar. Nachdem die Staatsanwaltschaft Berlin im Begleittext zur Aktion eine Aufforderung zu Straftaten sah und am 15. Juli 2021 Privatwohnungen und Büroräume des Künstlerkollektivs Peng! durchsuchen ließ, nahmen die Initiator*innen ihre Website vom Netz. Die Staatsanwaltschaft hielt folgende Passage auf der Website für strafrechtlich relevant: „Wer wird da eigentlich wofür geehrt? Verbrecher für Verbrechen, das geht nicht! Kopf ab, Runter vom Sockel, Farbe drauf, Schild drüber – die Möglichkeiten sind vielfältig. Aber markieren reicht nicht, wir suchen andere Formen. Vieles kann ein Denkmal sein und im Zweifelsfall macht es sich im Wasser treibend auch ganz gut.“ (Reuter 2021) Die Staatsanwaltschaft brachte die interaktive Karte in Zusammenhang mit Sachbeschädigungen an sieben Denkmälern in Berlin und sah die Initiator*innen der website „Tear down this shit“ in der Verantwortung. Die unbekannten Täter*innen hätten teilweise auf die Website verwiesen. Der Vorgang zeigt, dass kolonialismuskritisches Kartieren als eine soziale und politische Praxis verstanden werden kann. Das Medium der (Online-)Karte ist Teil einer vernetzten agency, die Wissensproduktion und Wissensvermittlung mit einer Auseinandersetzung mit konkreten Räumen sowie deren Gestaltung verbindet.

Diese Verbindung fordert ein weiteres Kartierungsprojekt mit seinem Namen explizit heraus: „Topple the racist. A crowdsourced map of UK statues and monuments that celebrate slavery and racism”. Die Onlinekarte wurde ebenfalls im Juni 2020 veröffentlicht und ist immer noch nutzbar. Die partizipative und interaktive Kartierung fordert Nutzer*innen direkt auf der Startseite auf, ein Meldeformular für weitere koloniale Statuen auszufüllen. Die Kartierung wurde inspiriert durch eine direkte Aktion gegen das Gedenken an den Sklavenhändler Edward Colston in Bristol. Diese führte am 7. Juni 2020 zum Sturz und Versenken der Colston-Statue im historischen Hafenbecken.

Rassismuskritische Wissenschaftler*innen beschreiben seit einigen Jahren, dass Europas ehemalige koloniale Zentren mittlerweile zu Orten der öffentlichen Auseinandersetzung mit Kolonialität geworden sind (vgl. Zwischenraum Kollektiv 2017; Ha/Picker 2022) und dass diese Erinnerungspolitik nicht mehr nur in den kolonisierten Ländern stattfindet. Postkoloniale Kartierungsprojekte in europäischen Städten leisten dazu einen wesentlichen Beitrag. Sie verbinden den Widerstand gegen koloniale Ausbeutung in der Vergangenheit mit den Kämpfen gegen koloniales Erinnern in der Gegenwart.

5. Schlussfolgerungen zu kritischem und dekolonialem (Gegen-)Kartieren

Koloniale Erinnerungsorte und ihre Geographien in ihrem historischen und gegenwärtigen Kontext zu verstehen und in Form von Karten zu vermitteln, ist eine komplexe Aufgabe. Alle hier genannten Kartierungsprojekte gehen diese Aufgabe mit Gegenerzählungen an und tragen so zu einer herrschaftskritischen Diskursverschiebung der Kolonialgeschichte bei. Sie alle sind eingebettet in Diskussionen um Erinnern, Verdrängen und Protest, unterscheiden sich jedoch durch verschiedene Formen der Praxis des kritischen Kartierens.

Erinnerungsorte sind keineswegs nur physisch lokalisiert und manifest, sondern immer auch immateriell. Für ihre Darstellbarkeit in Karten ist das ein Dilemma. In den meisten Kartierungen werden Erinnerungsorte mit einem georeferenzierten Punkt lokalisiert und mit statischen Informationen verbunden. Auch multiperspektivische Karten formulieren mehrheitlich ortsbezogene Gegenerzählungen und nutzen diese als konkrete Ausgangspunkte für globale Bezüge lokaler Spuren.

Die Kartierung kolonialer und antikolonialer Erinnerungsorte ist in der Regel eine Praxis des historisierenden Kartierens. Der Ansatz des kritischen Kartierens versucht jedoch zu verdeutlichen, wie Raum und Ort im Rahmen symbolischer Verortungsleistungen bedeutungsvoll (re-)produziert werden. Doreen Massey (1991) beschreibt die Aufgabe einer Geographie historischer Orte als historisch informierten global sense of place. Im diesem Sinne sollte eine herrschaftskritische Gegenerzählung nicht zu erneutem Lokalismus mit antikolonialem Anspruch führen, der die besondere Bedeutung einzelner Erinnerungsorte herausstellt. Massey versteht Orte als konstruiert durch globale sozialer Verhältnisse sowie eine lange Geschichte der Verflechtungen mit anderen Orten im globalen Maßstab (1995: 183). Aus dieser Perspektive sind dekoloniale Kartierungsprojekte in einzelnen Städten nicht nur als Protest gegen lokale Erinnerungspolitiken zu verstehen, sondern immer auch als Protest gegen globale Ungleichheitsverhältnisse.

Karten als Medien können jedoch nur schwerlich als räumliche Vernetzung unterschiedlicher Maßstabsebenen gestaltet werden. Zudem erschweren die Lesegewohnheiten von Karten die Vermittlung einer Kritik globaler Machtverhältnisse zusätzlich. Auch wenn die meisten der von uns untersuchten Karten koloniale Spuren nur statisch verzeichnen und damit Mulitdirektionalität und Relationalität nicht erkennbar werden, setzen die verorteten Gegenerzählungen Impulse für eine Dekolonisierung des öffentlichen Raums und der Stadtgeschichte. Die Überführung der Theorie eines global sense of place in eine neue mediale Praxis, die von einer Stadtöffentlichkeit gelesen werden kann, ist damit zumindest auf den Weg gebracht.

Auch bei der Nutzung von GoogleMaps können gegenhegemoniale Kartierungen entstehen, etwa indem Karteninhalten mit kolonialen Bezeichnungen (z. B. „Westindienspeicher“) kolonialismuskritische und antirassistische Bezeichnungen entgegengestellt werden. Auch wenn dadurch nicht die Darstellungsweise oder die Quellen der Karte kritisiert werden, zeigt sich hier eine kritische Auseinandersetzung mit dem transportierten Wissen und den (rassistischen) Normalisierungen europäischer Weltaneignung durch das Medium Karte.

Dekoloniales Kartieren ist ein heterogenes Feld akademischer, politischer, aktivistischer und künstlerischer Praktiken des Karten­produzierens. Die meisten postkolonialen Kartierungen konzentrieren sich auf die Wissensvermittlung zu (post-)kolonialen Standorten. Sie nutzen dafür die ihnen am einfachsten zugängliche Kartengrundlage, die sie ohne kartographische Vorkenntnisse bearbeiten und lesen können. Dabei fällt auf, dass Kartierungen, die Schwarze Bewegungen mitinitiierten, keine Karten auf der Grundlage proprietärer Onlineplattformen nutzen, sondern kreative Formen des Kartierens entwickeln und dabei auch die Lesegewohnheiten von Karten verändern. Sie gehen über punktuelle Verortungen von Kolonialismuskritik hinaus und machen Verflechtungen kolonialer Verhältnisse und global verankerter Biografien nachvollziehbar (Tab. 1, Nr. 35). Andere Kartierungen entwerfen abstrakte und künstlerische Darstellungsformen (Tab. 1, Nr. Nr. 15, 19, 34) und wenden sich damit auch ab von einer hegemonial szientistisch geprägten Kartographie, die von Nüchternheit und geometrischer Visualisierung gekennzeichnet ist (Michel 2021: 146).

Die hier vorgestellten Initiativen nutzen das Medium der Karte, um dekoloniale Wissensbestände sichtbar zu machen. Sie eignen sich dieses machtvolle Medium an, um eigene politische Forderungen (etwa nach Straßenumbenennungen) zu untermauern. Sie nutzen die Vorstellung von Karten als neutrale Abbildungen der Wirklichkeit auf strategische Weise für ihre oppositionelle Praxis. Dekoloniale Kartierungen zeigen, dass europäische Städte tief in koloniale Verflechtungen eingebunden sind. Bei aufmerksamer Betrachtung gibt es überall Spuren des Kolonialismus und daran geknüpfte rassistische Weltbilder zu erkennen. Allerdings gibt es auch postkoloniale Karten (vgl. Hagen; Sønderjylland-Schleswig), die zwar auf koloniale Spuren hinweisen, dabei aber teilweise genau den hegemonialen Diskurs reproduzieren. Dies ist etwa der Fall, wenn sie Bezeichnungen wie „Entdeckung“ (anstelle von „Eroberung“) oder „Dreieckshandel“ (anstelle von „Versklavungsökonomie“) verwenden. Hier zeigt sich ein Widerspruch in der Kritik an Herrschaftswissen: Die Kartenproduzent*innen nutzen eine gegenhegemoniale Praxis und reproduzieren damit gleichzeitig hegemoniale Narrative. Nicht jede Kartierung (post-)kolonialer Verhältnisse ist somit per se ein anti-rassistisches Projekt. Koloniale Denkmuster können sich auch in diesen Karten widerspiegeln.

Zusammenfassend können wir mit Blick auf die von uns untersuchten Karten fünf Herausforderungen identifizieren für den Anspruch, dekoloniales und kritisches Kartieren zu verbinden:

  1. Dekoloniales Kartieren als kollektiver Prozess: Trotz der technischen Möglichkeiten einer partizipativen Einbindung externer Nutzer*innen bieten nur wenige Initiativen die Möglichkeit einer aktiven Beteiligung an der Kartierung. Ausnahmen bilden die Karten „Webmap Hamburg Global“ und „Topple the racist“. Eine solche Beteiligung setzt voraus, dass die Karteninitiator*innen das Projekt langfristig und kontinuierlich pflegen. Das Beispiel „Tear this shit down“ zeigt, dass die Möglichkeit zur Partizipation abrupt enden kann, sobald die entsprechende Website nicht mehr abrufbar ist.
  2. Dekoloniales Kartieren mit vielstimmigen und vielperspektivischen Erzählungen des Kolonialismus: Die produzierten und vermittelten Gegenerzählungen schaffen nicht automatisch eine multidirektionale Erinnerung, die auf die Wechselwirkungen zwischen Kolonialismus, Rassismus, Nationalsozialismus, Orientalismus und Antisemitismus Bezug nimmt. In den untersuchten Karten finden sich sowohl additive als auch multidirektionale Darstellungen. Bei vielen Karten bleibt es jedoch bei einer unidirektionalen Gegenerzählung zu kolonialen Spuren.
  3. Dekoloniales Kartieren multipler Verflechtungen: Statische postkoloniale Karten mit punktuellen Informationen können nur begrenzt zusammenhängende Infrastrukturen, translokale Verflechtungen oder Spuren unterschiedlicher Phasen des Kolonialismus sichtbar machen. Anstelle einer Verortung einzelner Gebäude oder Objekte könnten auch ganze Stadträume wie historische Hafenanlagen oder Kontorhausviertel als koloniale Siedlungs- und Transportinfrastrukturen kartiert werden, um das Ausmaß kolonialer Raumstrukturen zu verdeutlichen.
  4. Dekoloniales Kartieren dynamischer Raumstrukturen: Statische Markierungen vermitteln die Vorstellung eines Containerraums, in dem physisch-materielle Sachverhalte einer Stadtlandschaft als Ergebnis historischer Prozesse zu finden sind. Um geographische Verflechtungen (post-)kolonialer Verhältnisse zu vermitteln, müssten die Karten die relationale Räumlichkeit kolonialer Erfahrungen oder zumindest Lagebeziehungen und Distanzen materieller Objekte abbilden. Mit Onlinekarten wie GoogleMaps oder OSM könnten Nutzer*innen von lokalen Spuren auf die Ebene globaler Verflechtungen zoomen, was ihren Seh- und Bedienungsgewohnheiten anspricht. Für solche Onlinekartierungen sind allerdings umfassendere Kartographie- und Programmierkenntnisse notwendig.
  5. Dekoloniales Kartieren mit gegenhegemonialen Kartengrundlagen: Zur Verortung kolonialer Spuren nutzen viele postkoloniale Netzwerke Kartengrundlagen, die eine hegemoniale, westliche und imperiale Kartographie reproduzieren. Sie übertragen so emanzipatorische und herrschaftskritische Inhalte in ein vermachtetes Medium. Hier stößt der dekoloniale Anspruch auch auf ein Darstellungs- und Anwendungsproblem: Karten ohne georeferenzierte Informationen erschweren für Nutzer*innen die Orientierung und machen koloniale Spuren schwerer auffindbar.

Die untersuchten postkolonialen Karten zeigen vielfältige Möglichkeiten der Produktion und Vermittlung kolonialismuskritischen Wissens sowie kollaborativer Praktiken. Diese führen die Expertisen Kritischer Kartographie, aktivistisch-künstlerischer Initiativen und postkolonialer Forschung zusammen. Sie zeigen jedoch auch die Herausforderungen bei der Erarbeitung der notwendigen Expertisen des kritischen Kartierens und der postkolonialen Reflexion. Aus unserer Sicht sind kritische, dekoloniale Kartierungen eine geeignete Form der Auseinandersetzung mit dem Vergessen, Verdrängen und Verklären kolonialer Spuren und Verhältnisse in europäischen Städten. Sie können einen Impuls setzen für eine Diskursverschiebung oder gar eine gesellschaftliche Transformation postkolonialer Ignoranz in der Erinnerungspolitik, die es weiterzuentwickeln gilt.