Die postdemokratische Stadt zwischen Politisierung und Kontinuität. Oder ist die Stadt jemals demokratisch gewesen?

Daniel Mullis, Sebastian Schipper

1. Einleitung

Die These einer zunehmend postdemokratischen Regierungsweise wird in den letzten Jahren breit rezipiert und findet längst nicht nur in wissenschaftlichen Debatten Anklang (Böhnke 2011, MacLeod 2011, Schulze 2012, Schümer 2012, Wagner 2011). Angesprochen werden dabei primär Prozesse der Ökonomisierung, Finanzialisierung, Prekarisierung und schwindender demokratischer Aushandlungsmöglichkeiten sowie die Refeudalisierung von Entscheidungsprozessen. So richtig diese Gegenwartsbeschreibung auch sein mag, deutet das Präfix ‚post’ in Postdemokratie oftmals zumindest implizit darauf hin, dass es vor der Neoliberalisierung eine demokratischere und damit gleichgesetzt eine egalitärere Form des Regierens gegeben hätte. Ein sehr prominenter Vertreter dieser These – auf den auch immer wieder verwiesen wird – ist der Politikwissenschaftler Colin Crouch, der in seinem Buch Postdemokratie an unzähligen Stellen die fordistisch-demokratische Ordnung der Nachkriegszeit preist (Crouch 2008: 14f., 37, 53f., 58, 61, 134, 156) und darauf verweist, dass es damals in den westlichen Industrienationen gelungen sei, über einen breiten demokratisch hergestellten sozialen Kompromiss den Kapitalismus zum Wohle aller zu bändigen. Die Eliten genossen Stabilität und die breite Masse konnte auf einen stetigen sozialen Aufstieg hoffen (ebd.: 14f.).

Warum uns diese glorifizierende Rhetorik problematisch erscheint, möchten wir am Beispiel der Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung in Frankfurt am Main aufzeigen. Zwar lässt sich die kommunale Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert mit Crouch eindeutig als prädemokratisch charakterisieren, da grundlegende Strukturen formal-demokratischer Konstitution, wie etwa ein allgemeines Wahlrecht, schlicht nicht gewährleistet waren. Ob es aber zeitlich vor dem Neoliberalismus überhaupt eine ‚demokratische‘ Phase städtischer Politik im Sinne einer egalitären und inklusiven politischen Form der Aushandlung gegeben hat, hängt stark von dem gesetzten Referenzrahmen ab. Uns erscheint dies eher fraglich.

Zur präzisen Formulierung der Kritik an der Crouch’schen Position greifen wir auf Jacques Rancière und dessen divergierende Konzeption des Postdemokratischen zurück, die er bereits vor Crouch ausgearbeitet hat (Rancière 1997). Rancière vertritt dabei einen Begriff von Postdemokratie, der wesentlich auf einer Konzeption von Demokratie aufbaut, die er als eine Bewegung des fortlaufenden politischen Austausches und Konflikts versteht. Damit hebt er sich deutlich von dem in den Politikwissenschaften gebräuchlichen Verständnis von Demokratie als Staatsform oder Gemenge von Institutionen ab (Bensaïd 2012: 29). Demokratie ist demnach ein fragiles Gefüge, das in der sozialen Interaktion entsteht und eher als momenthaftes Auflodern und weniger als ein statisches Gefüge gefasst werden kann. Er spricht mit seiner Konzeption, die im Kontext neuer Theorien des Politischen verortet werden kann (Marchart 2010a: 28, 178ff.), das komplexe Verhältnis von Herrschaft und dem immer vorhandenen Potenzial der Repolitisierung festgefahrener gesellschaftlicher Strukturen an. Seine maßgebliche Kritik postdemokratischer Konstellationen bezieht sich auf die Herausbildung von Herrschaftsstrukturen, in denen Widerspruch über das Herstellen von Konsens unmöglich wird und so weitgehende Exklusionen erzeugt werden. Im Vergleich zur Kritik der Postdemokratie in Crouch‘scher Tradition verweist Rancière mit seinem Begriff der Postdemokratie somit auf eine abstraktere Ebene der Einhegung von Politik und der Produktion von Einschlüssen.

Die unterschiedlichen Analysetiefen der beiden Konzepte aufgreifend, betrachten wir beispielhaft städtisches Regieren in Frankfurt am Main, das zu Recht als die „exemplarische fordistische Großstadt der BRD“ (Prigge 1988: 226) beschrieben wird.[1] Dabei werden wir argumentieren, dass städtisches Regieren in der Hochphase des Fordismus in den 1950er und 1960er Jahren gemäß der Begriffsbestimmung von Crouch womöglich als formal demokratischer, aber Rancière folgend keinesfalls als egalitärer, inklusiver oder politischer charakterisiert werden kann. Zwar hat es mit dem Aufbrechen gesellschaftlicher Widersprüche ab den 1970er Jahren und der gleichzeitigen Zunahme städtischer Unruhen sehr wohl Momente der massiven Infragestellung der gesellschaftlichen Ordnung, eine Vertiefung von politischen Aushandlungsmöglichkeiten und eine zumindest zaghafte Etablierung egalitär-demokratischer Strukturen gegeben. Allerdings spiegelt sich unserer Ansicht nach darin nicht eine strukturell angelegte Offenheit der fordistischen Ordnung wider. Vielmehr hat es sich dabei um Momente gehandelt, in denen die fordistische Stadt selbst infrage gestellt wurde. Derartige Momente des Politischen (Rancière 2011: 7), samt der Suche nach gesellschaftlichen Alternativen, wieder einzuhegen, war dann der zweifelhafte ‚Erfolg‘ des sich ab den 1980er Jahren durchsetzenden Neoliberalismus. Wir vertreten daher die übergreifende These, dass die fordistische Stadt der 1950er und 1960er Jahre zwar aus anderen Gründen, aber vom Grundsatz her nicht weniger postdemokratisch gewesen ist als die neoliberale der Gegenwart.

Plädieren möchten wir somit gegen eine Geschichtsvergessenheit, die zumindest implizit dazu tendiert, das „goldene kapitalistische Zeitalter“ des Fordismus als demokratischere und sozial gerechtere soziale Ordnung schönzufärben. Dabei ist unser Anliegen, ausgehend von einer fundierten Begriffsarbeit (Abschnitt 2) und einigen historischen Illustrationen (Abschnitt 3), die Trennschärfe der beiden Konzepte von Crouch und Rancière zu diskutieren und dabei gleichzeitig eine präzise Anerkennung von Geschichtlichkeit anzumahnen (Abschnitt 4).

2. Begriffe der Postdemokratie und was die Konzepte leisten

Als breit rezipiertes Schlagwort wurde Postdemokratie von dem Politikwissenschaftler Colin Crouch zu Beginn der 2000er geprägt (Öztürk 2011: 2), obgleich der Begriff bereits Mitte der 1990er von dem politischen Philosophen Jacques Rancière verwendet worden ist (Marchart 2010a: 335). Wenn die beiden Autoren auch auf den ersten Blick ähnliche Tendenzen einer breiten Entdemokratisierung westlicher Gesellschaften beschreiben, liegen den Konzeptionen unterschiedliche Annahmen zugrunde, was sich am deutlichsten in den unterschiedlichen Abstraktionsebenen zeigt. Während Crouch primär auf der Ebene des konkret Beobachtbaren verbleibt, versucht Rancière, grundlegende Problemfelder einer demokratischen Konstitution von Gesellschaft herauszuarbeiten. Im Folgenden wird auf diese Differenz innerhalb der Begriffe bei Crouch und Rancière eingegangen und dabei versucht, die dahinterliegenden Konzepte zu verorten.

2.1. Das Ende der Parabel: Postdemokratie bei Crouch

Für Crouch (2008; 2004) befindet sich die Demokratie, verstanden als Ensemble von staatlichen Prozessen und Institutionen, in denen formell das Volk der Souverän ist, zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer widersprüchlichen Situation: Einerseits seien historisch noch nie so viele Staaten auf der Welt demokratisch gewesen, anderseits würden sich aber gerade die alten westlichen Demokratien in einem schlechten Zustand befinden. So betont er, dass die westliche Welt in einen neuen historischen Abschnitt eingetreten ist, der als postdemokratisch zu bezeichnen sei (ebd.: 155). Crouch geht dabei von der Beobachtung aus, dass nicht jede zeitliche Epoche von einem gleichen demokratischen Engagement erfasst war (ebd.: 14). Momente des demokratischen Aufbegehrens – der demokratische Höhepunkt liegt für ihn je nach Staat kurz vor oder nach dem Zweiten Weltkrieg – würden von Phasen gefolgt, in denen sich „Langeweile, Frustration und Desillusionierung“ ausgebreitet hätten (ebd.: 30).

Daraus sei aber gemäß Crouch nicht zu schließen, „dass wir [heute] in einem nichtdemokratischen Staat leben“ (ebd.). Vielmehr fasse der Begriff der Postdemokratie eine Phase, „in der wir gleichsam am anderen Ende der Parabel der Demokratie angekommen sind“ (ebd.). Dem Bild der geometrischen Parabel politischer Ideen folgend, beschreibt Crouch die Entwicklung der Demokratie als Ablauf von Prä-, Blüte- und Post-Phasen (ebd.: 31). Auch wenn die Bedingungen und Erfahrungsstände zu Beginn des 21. Jahrhunderts grundsätzlich andere seien als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entwickle sich vieles wieder in eine prädemokratische Richtung. Da demokratische Institutionen und Verfahrensweisen aber nicht gänzlich verschwinden, sondern eine eigentümliche Präsenz bewahren würden, benennt er diese Phase mit dem Präfix ‚post’ (ebd.: 11).

Die zentrale These Crouchs lautet dabei, dass die Verfahren und Institutionen, die Demokratie formal ausmachen (freie Wahlen, ein Rechtsstaat, Beteiligungsmöglichkeiten etc.), zwar weiterhin intakt oder durch neue Möglichkeiten der Partizipation etwa in Bezug auf Planungsabläufe und die Haushaltsgestaltung (Böhnke 2011, Jörke 2011, Kamleithner 2009) teilweise gar weiterentwickelt worden seien. Der Einfluss von wirtschaftlichen bzw. sozioökonomisch privilegierten Eliten nehme jedoch zu, wodurch die Demokratie refeudalisiert werde und in vordemokratische Muster zurückfalle (Crouch 2008: 13). Die zentrale Triebfeder dieser „postdemokratischen Verschwörung“ (ebd.: 141) sieht Crouch in der Ausbreitung der Finanzwirtschaft (ebd.: 19) und dem entstandenen Ungleichgewicht zwischen den Interessen der global agierenden Unternehmen einerseits und jenen der übrigen gesellschaftlichen Gruppen andererseits. Politik sei so zu einer Angelegenheit „geschlossener Eliten“ geworden (ebd.: 133), während die „demokratische Ökonomie“ (ebd.: 19) im Zuge der Neoliberalisierung seit den 1980er Jahren zusammen mit dem demokratischen Gemeinwesen gezähmt worden sei.[2]

Konkret fasst Crouch eine Vielzahl von Prozessen und Entwicklungen unter den Begriff der Postdemokratie, so etwa den Abbau des Wohlfahrtsstaates (ebd.: 34f.), die Refeudalisierung von politischer Macht (ebd.: 35, 69f.), eine sinkende Wahlbeteiligung, das Agieren von Parteien als Marketingagenturen des Produktes ‚Parteiprogramm‘ und damit einhergehend eine wachsende Personalisierung von Politik (ebd.: 38), die Ausweitung von marktförmigem Verhalten (ebd.: 59), die Flexibilisierung der Arbeitswelt (ebd.: 87) sowie eine allgemeine Tendenz zur Kommerzialisierung und Kommodifizierung (ebd.: 103f.). Oftmals bleibt aber unklar, wie diese Entwicklungen miteinander in Beziehung stehen, wie sie hergestellt wurden und wie sie interagieren.

2.2. Die ‚Verunmöglichung‘ der Demokratie: Konsens und Herrschaft bei Rancière

Wenn Rancière hervorhebt, dass zum Ende des 20. Jahrhunderts von einem eigentlichen Siegeszug der ‚formellen Demokratie‘ gesprochen werden kann, zugleich aber das parlamentarische System zunehmend ausgehöhlt und Expert_innengremien immer öfter Exekutivgewalt erhalten würden, dann spricht er ähnliche Prozesse an wie Crouch (Rancière 2002: 106f.). Gleichzeitig betont Rancière aber entgegen Crouch, dass Demokratie weder als parlamentarische Herrschaftsform verstanden noch mit Rechtsstaatlichkeit gleichgesetzt werden sollte und dass sie auch keinen Zustand des Sozialen oder die Herrschaft des Individuums oder die der Massen definiere (ebd.: 108). Vielmehr sei Demokratie

„der Raum der Äußerung des Politischen als solches, das System der Subjektivierungsformen […], die jede hierarchische Ordnung der Verteilung von Körpern auf Funktionen, die ihrer ‚Natur‘ entsprechen, und auf Stellen, die wiederum diesen Funktionen entsprechen, in Frage stellt, ihre Kontingenz aussetzt. Jedes Politische ist in diesem Sinne demokratisch.“ (Rancière 1997: 102)

Rancière fasst Demokratie als eine Bewegung des fortlaufenden politischen Austausches und Konflikts, womit er sich einem politikwissenschaftlichen Verständnis von Demokratie als Staatsform oder Gemenge von Verfahren, Institutionen und Rechtsnormen klar entgegenstellt (Bensaïd 2012: 29), was bereits auf die im Verhältnis zu Crouch abweichende Abstraktionsebene des Argumentes verweist (Bedorf 2010: 26). Demokratie steht bei Rancière für das Terrain der Artikulation von Politik und für eine Unterbrechung der Machtverhältnisse bzw. für die Infragestellung der normalisierten Herrschaftsdispositive an sich (Rancière 2008: 15). Politik stellt dabei eine soziale Praxis dar, die aus einem gegenüber der bestehenden Ordnung und deren Durchsetzung empfundenen Unrecht, also ausgehend von einer spezifischen Subjektivierung, entsteht (Rancière 2002: 46f.). Der Politik stellt Rancière den Begriff der Polizei gegenüber. Diese sei aber nicht als Institution oder „gesellschaftliche Funktion“ (Rancière 2008: 31) zu verstehen, sondern als „symbolische Konstitution des Sozialen“ (ebd.) und umfasse die eine gesellschaftliche Ordnung erhaltenden sozialen Kräfte, Strukturen und historischen Gegebenheiten (Rancière 2002: 33ff.). Zusammengefasst bedeutet dies, dass Rancière zwischen der Politik als der Praxis des Aufbrechens und der Polizei als der Praxis der Ordnung unterscheidet. Wichtig ist hierbei aber, dass Rancière nur Praktiken als Politik versteht, die auf Gleichheit abzielen, womit er die „Fähigkeit der Namenlosen“ anspricht, die radikale Kontingenz der Ausbeutungs- und Herrschaftssysteme zu erkennen „und die Fähigkeit eines jeden Beliebigen, am gemeinsamen Schicksal mitzuwirken“ (Rancière 2004: 156). Das Politische, dessen Raum der Äußerung die Demokratie ist, stellt dabei, das Terrain dar, „auf dem zwei heterogene Prozesse aufeinandertreffen: jener der Regierung im weiten, fast Foucault’schen Sinne des Begriffs der Regierungstechnologie [die Polizei] und jenem der Emanzipation [die Politik]“ (Marchart 2010a: 180). Demokratie ist in diesem Sinne das offene Terrain der Auseinandersetzung, das die Möglichkeit des Aufbrechens der Polizei durch die Politik anzeigt – eine Möglichkeit, die historisch in unterschiedlichem Maße vorhanden ist. Demokratie kann durch die Polizei also graduell bis hin zur praktischen Verunmöglichung eingeschränkt werden, was mit dem Begriff des Postdemokratischen angezeigt wird. Andererseits wird in den Ausführungen offenkundig, dass beide Sphären – Polizei und Politik – nie in Reinform losgelöst voneinander auftreten können, das Potenzial zur Veränderung folglich in jeder auch noch so starren Ordnung vorhanden bleibt (Bedorf 2010: 23ff.).

Wenn auch auf eine sehr spezifische Weise und in einer abweichenden Terminologie, kann Rancière mit seinen Arbeiten den Debatten zugeordnet werden, die unter dem Schlagwort neue Theorien des Politischen zusammengefasst werden (Marchart 2010a: 178ff.). Für Marchart haben alle diese Theorien gemein, dass sie die historische Gewordenheit von Gesellschaft und Subjekten betonen. Die Produktion von Gesellschaft wird also nicht über ihr äußerliche Strukturen, Gottheiten, Ontologien etc. begründet, sondern über gesellschaftliche Praktiken. Hervorgehoben wird dabei die grundsätzliche Kontingenz von Gesellschaft sowie das Potenzial, Strukturen, Normen und Werte zu verändern; nichts ist alternativlos. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass gesellschaftlich Wahrgemachtes einer politischen Fixierung bedarf und über diese Fixierung Materialität und Wirkmächtigkeit erlangt (ebd.: 59ff.). Um über das Verhältnis von kontingenten Bedingungen und der konkreten Ausprägung von Politik reflektieren zu können, wird in den Theorien jeweils eine ‚ontologische‘ Ebene – das Politische – und eine ‚ontische‘ Ebene von Politik – die Politik bzw. bei Rancière zusätzlich die Polizei – eingeführt (vgl. auch Marchart 2010b). Wobei die Politik, bei Rancière das Wechselspiel aus Polizei und Politik, das Möglichkeitsfeld des Politischen jeweils herstellt und begründet, das heißt, die ontologische Ebene somit selbst in der konkreten Praxis fundiert.

Dieses Anerkennen des unausschaltbaren Konfliktes zwischen Polizei und Politik und die so hergestellten Momente des Politischen spiegeln auch das komplexe Verhältnis zwischen konkreter Beschreibung real vorgefundener gesellschaftlicher Ordnungen wider, die sehr wohl nahe jener Crouchs liegen können, und der abstrakten Erklärungsversuche sowie der Verortung dieser innerhalb einer auf der quasi ontologischen Ebene angesiedelten Demokratietheorie. Insofern stellt die Kategorie der Postdemokratie bei Rancière zugleich eine konkrete, historisch klar verortete Gesellschaftsbeschreibung dar, in der die Polizei als strukturierendes Element so hergestellt wird, dass Politik bis zur Unkenntlichkeit eingeschränkt wird. Zudem fungiert die Kategorie als ein ahistorisches Analyseraster, mittels dem die Fixierung bzw. Starrheit gesellschaftlicher Ordnungen in Bezug auf die Ermöglichung von Politik beschrieben werden kann, was dann erlaubt, auch andere als die aktuelle Gesellschaft als postdemokratisch zu beschreiben.

Der Postdemokratie-Begriff Rancières ist also primär nicht die Bezeichnung für eine Demokratie „im postmodernen Zeitalter“ (Rancière 2002: 111) wie bei Crouch, sondern bezeichnet Tendenzen, wonach unter den formell existierenden kapitalistischen und klassenbasierten Demokratien über diverse Regierungstechniken Konflikte verhindert werden und ein vermeintlicher Konsens durchgesetzt wird, wodurch Demokratie im Sinne eines „Moments des Politischen“ (Rancière 2011: 7) verunmöglicht wird. Das Postdemokratische ist somit eine politische Praxis und Regierungsweise, die auf Konsens, Objektivierung und Fixierung von Wahrheiten beruht (Rancière 1997: 116) und die über eine kontinuierliche Produktion von Inklusion und Exklusion, aber auch handfeste Repression durch polizeiliche und militärische Staatsapparate aufrechterhalten wird. Die Art und Weise, wie Rancière diese politische Praxis der Produktion des Postdemokratischen versteht, ist eng verwoben mit dem, was Foucault (2006a; 2006b) als Gouvernementalität beschrieben hat. So verweist Rancière darauf, dass ein wesentlicher Prozess der Unterwanderung der Demokratie darin liege, dass ein System der permanenten Kontrolle, Berechnung, statistischen Erfassung und Normierung etabliert worden sei, bei dem das Individuum in den Hintergrund trete und nur noch als Teilmenge von Gesellschaft angesprochen werde, als zu einer bestimmten empirisch definierten Gruppe zugehörig oder eben nicht zugehörig (Rancière 1997: 109). Die postdemokratische Konstitution von Gesellschaft verläuft demnach entlang der Linie der konsensorientierten Inklusion derer, die sich inkludieren lassen und deren Inklusion aus einer systemerhaltenden Perspektive gewollt ist, und der drastischen Exklusion aller anderen.

Im Anschluss an Rancière und bezogen auf städtisches Regieren hat Eric Swyngedouw den Begriff der Postdemokratie operationalisiert (vgl. hierzu auch den Beitrag von Erik Swyngedouw in dieser Ausgabe). Demnach lässt sich eine historische Ordnung des Städtischen als postdemokratisch charakterisieren, wenn zwei Konstellationen gegeben sind: erstens wenn sich ein Arrangement durchgesetzt hat, „that has replaced debate, disagreement and dissensus with a series of technologies of governing that fuse around consensus, agreement, accountancy metrics and technocratic […] management“ (Swyngedouw 2009: 601). Konfligierende Interessen und Meinungen könnten innerhalb eines solchen Konsenses durchaus auftreten, jedoch herrsche unter den städtischen politischen Eliten ein Einvernehmen bezüglich grundlegender Fragen und Problemwahrnehmungen, welches zudem mit einer Passivierung der zu regierenden Bevölkerung einhergehe. Innerhalb einer derartigen „consensual vision of the urban“ (ebd.: 601) lässt sich als zweites Kriterium für eine postdemokratische Situation in Städten die Depolitisierung der Sphäre des Ökonomischen hervorheben, die insofern eintritt, wenn die Art und Weise der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung von Reichtum nicht mehr Gegenstand politischer Auseinandersetzungen sei (vgl. Swyngedouw 2011: 373).

2.3. Zwischenfazit

Aus den Begriffsbestimmungen lässt sich das Zwischenfazit ziehen, dass das Postdemokratische bei Rancière zwar auch eine konkrete, historisch verortete Gesellschaftsanalyse beinhaltet, aber in der Referenzierung auf seinen Demokratiebegriff eine übergreifende Kategorie darstellt, die das Benennen von Einschränkungen der politischen Verhandelbarkeit von ‚Objektivitäten‘ innerhalb formal-demokratischer Ordnung erlaubt. Bei Crouch hingegen beschreibt der Begriff der Postdemokratie eine historische Epoche, da er auf einer zeitdiagnostischen Argumentation beruht. Zudem verweisen die beiden Begriffe durch die Vorsilbe ‚post’ jeweils auf das ‚Hintersichlassen‘ von unterschiedlichen Aspekten. Während Crouch mit Postdemokratie den Niedergang einer vermeintlich egalitäreren Demokratie des Fordismus beschreibt, spricht Rancière eine politisch hergestellte Konstellation an, in der Widerspruch über die Produktion von Konsens unterminiert und eine spezifische Realität als wahr und allgemeingültig erklärt wird, also Politik durch konkrete Praktiken der Polizei zum Erhalt der gegenwärtigen Ordnung ausgeschaltet wird. Insgesamt lässt sich daraus auf eine wesentliche Differenz in der Tiefe und Reichweite der beiden Konzepte schließen.

Jedoch fallen die beiden Begriffe insofern ineinander, als dass Crouch mit seiner Analyse der Postdemokratie die neoliberale Erscheinung eines postdemokratischen Spezialfalles im Sinne Rancières beschreibt. Dabei haftet Crouchs Ansatz aber stets die Problematik der Referenz an. Denn während das Politische bei Rancière eine nicht historisierende Komponente darstellt, fungiert die ‚Demokratie‘ des Fordismus bei Crouch als positiver Referenzrahmen. Dies scheint aus Rancière‘scher Perspektive jedoch nicht gerechtfertigt zu sein, da die von Crouch als demokratisch gefeierte Phase nach dem Zweiten Weltkrieg, wie noch zu zeigen ist, ebenso von postdemokratischen Arrangements und gesellschaftlichen Ausschlüssen (etwa von Migrant_innen oder Frauen) geprägt war (Böhnke 2011, Bürkner 2011, Jörke 2011, Künkel 2011). Diskriminierung und Ausgrenzung von marginalisierten Gruppen in ‚demokratischen‘ Prozessen stellen per se also kein postdemokratisches Phänomen der Gegenwart dar, so wie Crouch dies suggeriert. Vielmehr war der Gehalt von Demokratie immer schon eine höchst konflikthafte Verhandlungssache.

3. Historische Phasen städtischen Regierens zwischen Prä- und Postdemokratie. Oder ist die Stadt jemals demokratisch gewesen?

Nach den Begriffsbestimmungen von Postdemokratie bei Rancière und Crouch wollen wir nun zur Frage nach deren Analysegehalt für die Diskussion historischer Entwicklungen übergehen. Ausgehend von der Crouch’schen Epocheneinteilung in eine prädemokratisch Phase vor dem Zweiten Weltkrieg, eine demokratische Ära danach und eine postdemokratische Gegenwart im Neoliberalismus werden wir an die verschiedenen Formationen städtischen Regierens in Frankfurt am Main einen Referenzrahmen anlegen, welcher wiederum der Operationalisierung des Rancière’schen Begriffs des Postdemokratischen gemäß Swyngedouw folgt. Untersucht wird dabei, inwiefern die von Crouch als demokratisch bezeichnete fordistische Ära einer Überprüfung mittels des Demokratiebegriffs von Rancière standhält und inwiefern es überhaupt eine ‚demokratische‘ Phase städtischen Regierens in der Bundesrepublik gegeben hat. Unser Argument lautet dabei, dass sehr wohl eine prädemokratische Phase städtischer Politik identifiziert werden kann, dass die von Crouch als demokratisch gefeierte fordistische Epoche im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg zwar anders, aber im Sinne Rancières nicht weniger postdemokratisch gewesen ist als die neoliberale Gegenwart.[3]

Beziehen werden wir uns dazu zum einen auf einschlägige Literatur, die sich mit Stadtentwicklung und Kommunalpolitik in (West-)Deutschland und speziell in Frankfurt am Main auseinandersetzt. Ergänzt wird dieses Material um eine Analyse von Debatten in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung zwischen 1960 und 2008, um auf dem Feld der institutionalisierten Politik die Herstellung einer allgemein akzeptierten Wahrheit und Problemwahrnehmung einerseits sowie das Aufbrechen von politischen Differenzen andererseits in den Blick nehmen zu können. Als empirische Grundlage dienten konkret die sogenannten Kommunalpolitischen Situationsberichte, welche die jeweils amtierenden Oberbürgermeister_innen zwischen 1960 und 2008 im Abstand von meist zwei Jahren in der Stadtverordnetenversammlung gehalten haben, inklusive der anschließenden mehrstündigen Parlamentsdebatten. Diese Auseinandersetzungen bieten sich als empirische Ergänzung zur einschlägigen Literatur an, weil sie darüber Aufschluss geben, wie unter den politischen Eliten jeweils ein konsensuales Einvernehmen „over the conditions that exist and what needs to be done” (Swyngedouw 2011: 371) hergestellt oder wieder brüchig geworden ist.[4]

Da es uns in diesem Artikel primär um den theoretischen Gehalt der beiden Begriffsbestimmungen von Postdemokratie bei Crouch und Rancière in der konkreten historischen Analyse geht, ist angesichts des begrenzten Rahmens eine gewisse Komplexitätsreduktion in der Darstellung der Empirie nicht zu vermeiden. Für eine tiefere historische Auseinandersetzung mit den Spezifika der Stadtentwicklung in Frankfurt sei daher auf die zitierte Literatur verwiesen.

3.1. Die kommunale Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert als Modus prädemokratischen Regierens

Die kommunale Selbstverwaltung bis Anfang des 20. Jahrhunderts lässt sich im Sinne Crouchs als prädemokratisch charakterisieren, da in den Gemeindeparlamenten des Deutschen Kaiserreiches das männliche Bürgertum aufgrund des Dreiklassenwahlrechts, von dem Frauen ausgeschlossen waren, weitgehend unter sich blieb (Müller/Sträter 2011: 134ff.). Zwar erhielt die Stadt Frankfurt 1867 entgegen dem in Preußen üblichen Dreiklassenwahlrecht das allgemeine Wahlrecht, jedoch war auch dieses durch die Bindung an Besitz und Einkommen eingeschränkt. Wahlberechtigt waren daher nur etwa 8 Prozent der Bevölkerung (Maly 1992: 15ff.). Da unter den besitzenden und daher auch unmittelbar herrschenden Klassen die politische Rationalität des „klassisch-orthodoxen Liberalismus“ (Saldern 1979: 359) dominant war, fungierten fiskalische Austerität und niedrige Steuern sowie die Begrenzung des Zuzugs von Arbeiter_innenhaushalten als zentrale Grundsätze kommunaler Selbstverwaltung. Ebenso wurde jegliche über Almosen hinausgehende Form städtischer Sozialpolitik abgelehnt, da dies dem „Gedanken der Selbsthilfe“ (ebd.) widerspräche und die Motivation der Arbeiter_innen untergrübe, für sich selbst zu sorgen. Überzeugt von der „segensreichen Wirksamkeit kapitalistischer Marktgesetze“ (ebd.) einerseits und dem protokommunistischen Charakter staatlichen Wohnungsbaus andererseits blieben die Gemeinden auch auf dem Gebiet des öffentlichen Wohnungsbaus weitgehend untätig (vgl. Mohr 1992, Mümken 2006: 31ff., Niethammer 1979). Angesichts des Fehlens liberaldemokratischer Institutionen und der Dominanz repressiv-militärischer statt konsensualer Machtausübung fungierte der lokale Staat somit als reines Instrument der herrschenden Klassen. Innerhalb einer solchen prädemokratischen Konstellation konnten letztere zwar auf Formen der hegemonialen Einbindung sowie auf teure materielle Zugeständnisse verzichten. Wie jedoch mit den Revolutionen, Aufständen und egalitär-demokratischen Bewegungen insbesondere gegen Ende des Ersten Weltkrieges offensichtlich wurde, waren prädemokratische Regierungsformen stets mit einer fragilen und höchst prekären gesellschaftlichen Stabilität konfrontiert. Die Angst vor einer weiteren Radikalisierung der Arbeiter_innenschaft unterminierte daher im Anschluss an den Ersten Weltkrieg rasant die Überzeugungskraft, die bestehenden Machtverhältnisse ließen sich ohne Einbindung der besitzlosen Klassen aufrechterhalten.

Wie in Abschnitt 2 skizziert worden ist, verortet Crouch auf seiner Parabel der Demokratie als Kontrastpunkt sowohl zur prädemokratischen Epoche als auch zu seiner postdemokratischen Gegenwartsbeschreibung den Höhepunkt des demokratischen Aufbegehrens in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Mit der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts 1918, der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 und der Gründung der Bundesrepublik 1949 werden auch tatsächlich liberaldemokratische Institutionen geschaffen, dauerhaft etabliert und gesellschaftlich auch akzeptiert (im Gegensatz zur Weimarer Republik), was die Abgrenzung zur prädemokratischen Ära plausibel macht. Im Folgenden werden wir jedoch im Gegensatz zu Crouch argumentieren, dass städtisches Regieren im Hochfordismus der 1950er und 1960er Jahren gemäß dessen Begriffsbestimmung womöglich als formal demokratischer, aber Rancière folgend keinesfalls als politisch in dem Sinne charakterisiert werden kann, dass politische Praxis die Polizei grundsätzlich aufgebrochen hätte.

3.2. Die fordistische Stadt als demokratischer Modus städtischen Regierens?

Die hegemoniale politische Rationalität städtischen Regierens im Hochfordismus kann man insofern auf den Punkt bringen, dass der lokale Staat als Garant des modernen Fortschritts entgegen der liberalen Marktkonformität des 19. Jahrhunderts in zahlreichen gesellschaftlichen Lebensbereichen (Wohnen, Gesundheit, Bildung, Verkehr etc.) für die Bereitstellung öffentlicher Infrastrukturen bzw. kollektiver Konsumptionsmöglichkeiten verantwortlich gemacht wurde (Castells 1977). Damit verbunden war der Glaube, dass technische Rationalität, staatliche Planung und direkte Interventionen beispielsweise in den Wohnungsmarkt die Probleme der modernen Industriegesellschaft (Wohnraummangel, Gesundheitsversorgung, Bildungsnotstand, Verkehrschaos etc.) lösen können (Kreinz 1991, Schipper 2013: 127ff., Witt 1979), um so Wachstum und den materiellen Wohlstand des fordistischen Akkumulationsprozesses zu gewährleisten (Esser/Hirsch 1987).

Eine solche Rationalität städtischen Regierens konnte sich in Frankfurt im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg auf einen breiten Konsens stützen, da parteiübergreifend anerkannt und gefordert wurde, kapitalistisches Wachstum durch staatliche Planung zu lenken und zu ermöglichen. Im Gegensatz zur neoliberalen Stadt fungierten also statt Wettbewerb, interkommunaler Konkurrenz und der ‚Überlegenheit von Marktmechanismen’ die Bedürfnisse der modernen Industriegesellschaft sowie die Notwendigkeit von Fortschritt und ökonomischem Wachstum als Legitimationsinstanzen städtischer Politik. Um Letzteres zu ermöglichen und anzutreiben, hatte man sich aus Sicht der städtischen Eliten rücksichts- und kompromisslos den Anforderungen und Bedürfnissen des fordistischen Akkumulationsregimes zu unterwerfen. Wachstum und moderner Fortschritt galten als unhinterfragbare Entitäten, deren Widersprüche und negativen Folgen selbst wiederum durch rationale Planung und durch die Herrschaft scheinbar unpolitischer Technokraten lösbar schienen. Ein derartiger Konsens durchzog das gesamte parteipolitische Spektrum, sodass man sich zwar um Detailfragen bezüglich der Umsetzung stritt, aber nicht bezüglich der grundlegenden wachstumsfreundlichen Ausrichtung der Stadtentwicklung (Schipper 2013: 127ff.).

Demgemäß regierte in Frankfurt etwa bis 1972 eine große konsensgeprägte Römerkoalition aller Parteien (Tüffers 2011: 53ff.), die mit einer für die Nachkriegszeit typischen „Wachstumsethik“ und dem Anspruch, „Wirtschaftshauptstadt“ zu werden, die Stadt zu einer überregional bedeutsamen Finanz- und Dienstleistungsmetropole ausgebaut hat (Ronneberger/Keil 1995: 291f.). Nach Ansicht des damaligen Bürgermeisters Will Brundert (1968), der diesem Paradigma folgte, musste Frankfurt im Interesse einer „modernen Industriegesellschaft“ und „nach den Erkenntnissen moderner Stadt- und Verkehrsplanung weiterentwickel[t]“ werden (zit. in ebd.: 44). Bei Vernachlässigung dieser zentralen Aufgabe durch den lokalen Staat drohe „zwangsläufig“ eine Minderung der „Wirtschaftskraft unserer Stadt“ (ebd.). Auch ohne diskursive Artikulation mit dem neoliberalen Bild vom Wettbewerb der Städte stellen zu dieser Zeit ökonomisches Wachstum, der Ausbau zum Dienstleistungszentrum und das Ziel der Gewerbesteuermaximierung die „völlig unumstrittenen Prioritäten der Frankfurter Kommunalpolitik“ dar (Scholz 1989: 55). Diese „fast ausschließliche Orientierung der städtischen Administration an wirtschaftlichen Interessen“ (Beste 2000: 86) hat sich wohl am drastischsten im Kontext der stadtpolitisch vorangetriebenen Aufwertung des Frankfurter Westend zu einem Büro- und Bankenstandort und der damit einhergehenden Kämpfe gegen Kahlschlagsanierung und Wohnraumvernichtung offenbart (Ronneberger 2012, Stracke 1980). Erst eine solch kritik- und rücksichtslose Anwendung fordistischer Prinzipien hat Frankfurt zur fordistischen Musterstadt gemacht (Prigge 1988: 226).

Folglich ging es auch im Fordismus nie darum, die Stadt ‚demokratisch‘ nach den (widersprüchlichen) Wünschen und Bedürfnissen der Bewohner_innen zu gestalten. Vielmehr waren in politischen Entscheidungen die Ansprüche des fordistischen Akkumulationsregimes, die wiederum von technokratischen Planer_innen identifiziert wurden, maßgeblich für die Art und Weise der Umgestaltung der Stadt.[5] Sozialräumlich manifestierte sich die fordistische Stadt etwa in der funktionalen Trennung des Stadtgebiets, in urbanen Agglomerationsprozessen, in der Verödung der Innenstädte, im Massenwohnungsbau am Stadtrand und in der Planung für die autogerechte Stadt:

„Das Bild der fordistischen Stadt war gekennzeichnet durch starke Agglomerationsprozesse, die Standardisierung und Industrialisierung des Bauens, Kleinfamiliarisierung und weitreichende soziale Desintegrationsprozesse mit der Folge der Erosion traditioneller sozio-kultureller Milieus (z. B. Arbeitersiedlungen). Gestützt auf die massenhafte Durchsetzung des Automobils (‚autogerechte Stadt‘) entwickelten sich extreme räumlich-funktionelle Differenzierung, gekennzeichnet durch Suburbanisierung, Satellitenstadtbildung, die Verödung der Innenstädte, das Aussterben kleiner Produktions- und Handelsbetriebe bei gleichzeitigem Aufblühen innerstädtischer Warenhäuser und von Discountmärkten auf der ‚grünen Wiese‘. Kleinfamiliares Wohnen, standardisierte Lohnarbeit, Fernsehen und Automobil wurden zur Basis eines neuen Lebens- und Konsummodells und strukturierten den städtischen Raum.“ (Esser/Hirsch 1987: 39f.).

Der dahinterstehende Konsens zerbricht jedoch ab Ende der 1960er Jahre, indem sich gesellschaftliche Kräfte konstituieren, die die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Mitscherlich 1965) beklagen sowie anprangern, dass die fordistische Rationalität eine Stadt hervorgebracht habe, welche „unbewohnbar“ sei „wie der Mond“ (Zwerenz 1973). Am sichtbarsten manifestiert sich diese Kritik, die eine bis dahin scheinbar unhinterfragbare Objektivität infrage stellt, in Gestalt von neuen (städtischen) sozialen Protesten wie etwa den Häuserkämpfen, Mietstreiks und Nulltarifkampagnen in Frankfurt (Mümken 2006: 228ff., Stracke 1980) oder gesamtgesellschaftlich in Form der Umwelt- und Frauenbewegung sowie einer grundlegenden Wachstumsskepsis (vgl. Castells 1983, Mayer 2011). Ausdruck für die Konflikthaftigkeit und grundlegende Kritik an der damals vorherrschenden politischen Rationalität, die als bürokratisch und als jede freie gesellschaftliche Entfaltung im Keim erstickend (Lefebvre 1991 [1974]: 396f.) wahrgenommen wurde, sind neben den konkreten Kämpfen auch die große Zahl an kritischen Auseinandersetzungen mit Stadt und Urbanisierungsprozessen, die in ganz Europa und im Zuge der urbanen Unruhen auch in den USA aufgetreten sind (vgl. Castells 1977, Harvey 1973, Jacobs 1961, Lefebvre 1968, Lotta Continua 1972, Mitscherlich 1965).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Vorherrschaft und Dominanz der fordistischen Stadt bis in die späten 1960er Jahre hinein auf einem allgegenwärtigen postdemokratischen Konsens von Wachstum und Fortschritt beruht haben, der u. a. auf der Depolitisierung des fordistischen Wachstumsmodells und der modernen Industriegesellschaft fußte. Diese Depolitisierung konnte letztlich erst durch Interventionen von sozialen Bewegungen aufgebrochen werden, ein selbstreflexives Moment über die eigenen Wahrheitsnarrative war auch innerhalb des Fordismus nicht angelegt. Daher ist die fordistische Stadt vor dem Hintergrund eines Rancière’schen Demokratiebegriffs auch nicht, so wie Crouch dies vorschlägt, als das demokratische Spiegelbild zur neoliberalen Stadt der Gegenwart zu interpretieren, sondern als dessen genauso postdemokratisches Pendant. Anzuerkennen gilt es dabei, dass das neoliberale Mantra von Wettbewerb und von der Überlegenheit von Marktmechanismen lediglich den während des Fordismus vorherrschenden Wachstumsfetischismus und den Glauben an den modernen Fortschritt ersetzt hat und dass anstatt der heutigen unternehmerisch subjektivierten städtischen Manager_innen damals technokratische Planer_innen als professionelle Experten_innen herrschten, die in kleinen Zirkeln und hinter meist verschlossenen Türen nicht selten genauso autoritär und unter Ausschluss der Bevölkerung über Wohl und Wehe der Stadt entschieden. Dieses Fazit soll aber die Unterschiede der fordistischen und neoliberalen Akkumulationsregime gerade hinsichtlich deren Produktion von sozialen Ungleichheiten, die im Neoliberalismus durchaus gravierender sind, keineswegs negieren.

3.3. Die Erschütterung des postdemokratischen Konsenses der fordistischen Stadt und die Herausbildung eines neuen Konsenses im neoliberalen Gewand

Die Erschütterung des postdemokratischen Konsenses der fordistischen Stadt erfolgte Mitte der 1970er Jahre (Esser/Hirsch 1989). Über die ökonomischen Krisenerscheinungen hinaus sind es insbesondere die patriarchalen und autoritären gesellschaftlichen Normen sowie das Wachstumsparadigma selbst, die nun von sozialen Bewegungen infrage gestellt und somit im Rancièr’schen Sinne politisiert und von einer demokratischen Praxis erfasst werden. Die dem Wachstumsparadigma geschuldeten und immer deutlicher zutage tretenden negativen sozialen und ökologischen Folgen – beispielsweise in Gestalt der Vernichtung von innerstädtischem Wohnraum durch die Ausweitung von Büronutzungen, zunehmenden ökologischen Belastungen oder der funktionalen Ödnis – stärken das Mobilisierungspotenzial urbaner Protestbewegungen mit z. T. revolutionärem Anspruch (vgl. Mümken 2006: 228ff.). Letzteren gelingt es dabei, gegen die fordistische und modernistische Version eines fortschreitenden Wachstums eine „Utopie von der Großstadt als öffentliche[m] Raum“ und Ort „sozialer Demokratie“ (Prigge 1988: 226) zu entwerfen und diese zumindest als ernst zu nehmende Bedrohung der bestehenden Machtverhältnisse im gesellschaftlichen Diskurs zu positionieren. Sichtbar werden diese Konflikte beispielsweise in der Verkehrs-, Bildungs- sowie Wohnungs- und Planungspolitik. Der autogerechten Stadt etwa wird in Nulltarifkampagnen der kostenlose Nahverkehr entgegengesetzt. Gegen die konservativ-bürgerlichen Bildungsideale und -privilegien werden antiautoritäre Kinderläden und das Modell der Gesamtschule aufgeboten (Schipper 2013: 141ff.). Auf Wohnungsnot, Mietpreissteigerungen und die Erweiterung der City reagieren soziale Bewegungen mit Hausbesetzungen und Mietstreiks (Häuserrat 1974, Roth 1975, Stracke 1980).

Da die mit diesen sozialen Kämpfen einhergehenden Forderungen weit über das bisherige fordistische Spiel der Interessen auf Basis konsensual geteilter Objektivitäten hinausgehen, kommt in ihnen so etwas wie ein Moment des Politischen zum Vorschein, da tatsächlich die zuvor fixierten Entitäten fordistischer Urbanität ins Wanken geraten und politisiert werden. Politik kann plötzlich nicht mehr einfach und unmittelbar „mit dem ununterbrochenen Gang der Regierungsgeschäfte oder mit Machtkämpfen“ (Rancière 2011: 7) gleichgesetzt werden, da nun „die gewöhnliche Verwaltung ihrer Gegenstände unterbrochen und die Frage aufgeworfen wird, was Politik selbst ist, welchen Typus von Gemeinschaft sie betrifft, wer an dieser Gemeinschaft teilhat und mit welchem Recht“ (ebd.: 7). Politisch, im Sinne Rancières, war städtisches Regieren daher unserer Ansicht nach in der Nachkriegszeit tendenziell nur im Zuge und im Anschluss an die Krise des Fordismus zwischen den späten 1960er und frühen 1990er Jahren, wobei einige Momente teilweise auch eine gewisse Kontinuität erzeugten und bis heute nachwirken. In diesem Zeitraum konnte der bestehende fordistische Konsens einerseits durch soziale Bewegungen und revolutionäre Bestrebungen der außerparlamentarischen Linken herausgefordert sowie Essenzen demokratischer Strukturen in Gestalt von Partizipationsverfahren und Ortsbeiräten auf Stadtteilebene etabliert werden. Andererseits wurden in dieser Zeit aber die neoliberalen Angriffe stärker, die letztlich, die produktiven Kräfte der linken Kritik nutzend, zur Überwindung des Fordismus beitrugen (Harvey 2007, Heeg/Rosol 2007, Mayer 2007, Peck 2008).

Die breite Politisierung von grundsätzlichen Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hat zudem ein Spannungsverhältnis erzeugt, das auch vor der offiziellen Politik in Frankfurt nicht haltmachte, insofern erstmalig grundlegende Debatten über die richtige Regierung der Stadt auch innerhalb der politischen Eliten und nicht nur in gesellschaftlichen Nischen geführt wurden (Schipper 2013: 141ff.). Mit dem damit einhergehenden Aufbrechen zahlreicher grundsätzlicher Konflikte und Widersprüche zerfällt schließlich 1972 die jahrzehntelange ‚Einheits-Römerkoalition’ von SPD, CDU und FDP. Ohne auf den fordistischen Konsens zurückgreifen zu können, bröckelt auch die Kohärenz der lokalen Staatsapparate, da für die politischen Eliten nun nicht mehr zweifelsfrei klar ist, wie die Stadt ‚richtig‘ zu regieren ist. Vielmehr konkurrieren nun sozialdemokratische Diskurse, die mittels Chancengleichheit und aufgeklärter Kulturpolitik die soziale Kohäsion der Stadtgesellschaft retten wollen (Schipper 2013: 144ff.), mit konservativen Vorstellungen, die die Großstadt als Organismus durch lokale Identitätskonstruktionen zu bewahren trachten (ebd.: 152ff.). Ergänzt wird diese parlamentarische Konstellation ab den frühen 1980er Jahren durch die noch radikalökologisch ausgerichteten Grünen, die in ihrer antiurbanen „Utopie einer Verwaldung Frankfurts“ (Prigge 1986: 111) „die Stadt als Garten“ (ebd.) fordern. Eine solch politisierte Phase städtischer Politik reicht in ihren letzten Ausläufern bis in die frühen 1990er Jahre hinein, da noch bis zu diesem Zeitpunkt das in den 1980er Jahren entstandene neoliberale Hegemonieprojekt mit gesellschaftlichen Alternativen, wie etwa der Vorstellung einer nachhaltigen und sozial gerechten Stadt ringt (Ronneberger/Keil 1993, Schipper 2013: 181ff.). Ein neuer Konsens bildet sich erst wieder mit der erfolgreichen Durchsetzung des neoliberalen Projekts ab Mitte der 1990er Jahre heraus und leitet damit den Übergang zu dem ein, was Crouch als Postdemokratie bezeichnet.

Die Etablierung des neuen Konsenses gelingt dabei u. a. durch die selektive Einbindung vieler Kritiker_innen fordistischen Regierens aus den sozialen Bewegungen und der grünen Partei, während der radikalere Teil jeweils marginalisiert und ausgeschlossen wird (Ronneberger 2012; Schipper 2013: 191ff.). Angesichts der nationalstaatlichen und europäischen Durchsetzung von Deregulierungs- und Liberalisierungspolitiken, Austeritätsmaßnahmen und der Reskalierung von Entscheidungsprozessen (Brenner 2004) erfährt das neoliberale Projekt auf städtischer Ebene eine Verstetigung und Stabilisierung. Resultat ist schließlich, dass gegenwärtig auf dem Feld der offiziellen Frankfurter Stadtpolitik kaum jemand Wettbewerb und Ökonomisierung infrage stellt, dass also ein erneuter postdemokratischer Konsens erzeugt worden ist (Keil 2011, Schipper 2013: 212ff.).[6] Der Repolitisierung gesamtgesellschaftlicher Fragen durch emanzipatorische soziale Bewegungen eine erneute Depolitisierung entgegengesetzt zu haben, ist demnach der zweifelhafte Erfolg des Neoliberalismus. Den Kampf um eine Alternative zum krisenhaften Fordismus, so kann rückblickend konstatiert werden, hat die konservativ-liberale Seite für sich entschieden. Als neuer postdemokratischer Konsens weht selbiger nun nur nicht mehr unter dem Banner von Wachstum, Fortschritt, Rationalisierung und Industriegesellschaft, sondern beruht auf der konsensualen und fast kritiklosen Akzeptanz von Wettbewerb, Ökonomisierung und konkurrenzbasierten Subjektivierungsweisen. In der Sprache Rancières könnte geschlussfolgert werden, dass die Politik wieder von der Polizei eingeholt worden ist. Allerdings vermag die Polizei die Politik nie gänzlich auszuschalten und so besteht auch aktuell stets das Potenzial, diese polizeiliche Ordnung anzufechten. Zu beobachten ist dies gegenwärtig in Frankfurt etwa im Rahmen der Bewegung für ein ‚Recht auf Stadt’ (Dzudzek 2013) oder im Kontext der jährlichen Blockupy-Proteste (Petzold/Pichl 2013).

Trotz der Politisierung des fordistischen Konsenses ab den 1970er Jahren bleiben also letztendlich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen hin zu einer postkapitalistischen oder radikaldemokratischen Stadt und dem damit einhergehenden Moment des Politischen aus. Auch wenn sich somit die Gestalt postdemokratischer Konstellationen historisch gewandelt hat, scheint uns die Existenz eines postdemokratischen Konsenses selbst notwendig und der Normalfall zu sein, um unter kapitalistischen Verhältnissen soziale Kohäsion zu gewährleisten und Widersprüche prozessierbar zu machen. Ohne den ausschließenden postdemokratischen Konsens, ohne eine deutliche und umfassende Vorherrschaft der Polizei über die Politik, so ließe sich im Lichte der vorherigen Betrachtungen vermuten, wird die kapitalistische Stadt ‚unregierbar‘, da weder der Staat dauerhaft die Ansprüche an kollektive Infrastrukturen befriedigen kann, ohne die eigene Steuerbasis zu überfordern, noch etwa das Immobilienkapital die Politisierung der Wohnraumversorgung zu tolerieren vermag, ohne dass die eigenen Profitmöglichkeiten untergraben werden. Die institutionalisierte Stadtpolitik konstituiert sich demnach in einer starken Polizei, um die auf Ungleichheit basierende soziale und ökomische Ausbeutung aufrechtzuerhalten. Zu diskutieren wäre daher, ob eine Demokratisierung städtischer Politiken im Sinne Rancières überhaupt dauerhaft mit einer kapitalistischen Vergesellschaftung vereinbar ist – uns zumindest erscheint dies als eher unwahrscheinlich.

Daran anknüpfend stellt sich die Frage, wie denn im Anschluss an Rancière eine demokratische Stadt überhaupt denkbar wäre, zumal seine Konzeption von Demokratie, wie gezeigt, eng mit Politik verbunden ist, die wiederum etwas stark Momenthaftes aufweist. Hinzu kommt, dass, Rancière folgend, Politik immer in der Konstitution von Ordnung bzw. Polizei münden muss, reine Politik es demnach nicht geben kann und auch jede Emanzipation an ihre Grenzen stoßen wird.[7] So betont Rancière, dass die Geschichte der Emanzipation in erster Linie die Geschichte von emanzipatorischen bzw. kommunistischen Momenten war. Hier ist nun aber nicht das blitzhafte Aufleuchten von Ereignissen im Laufe der Zeit gemeint, sondern es sind Momente angesprochen, in denen der Lauf der Zeit und die Räumlichkeit selbst verschoben werden. „Eine kommunistischer/s Moment ist eine neue Gestaltung dessen, was das ‚Gemeinsame‘ bedeutet, eine Neugestaltung des Universums der Möglichkeiten“ (Rancière 2009: 215). Emanzipation zur Demokratie kann, Rancière folgend, also nur über das Erkämpfen einer zeitlichen Form erreicht werden, die es erlaubt Momente zu verbinden und zu einem Gefüge werden zu lassen (ebd.: 215). Was dies für die konkrete Praxis heißen könnte, formuliert Rancière nicht aus, aber es müsste wohl eine Form von kommunalem Gemeinwesen geschaffen werden, das sich politisch konstituiert, auf soziale wie politische Gleichheit abzielt und möglichst viele Konflikte zulässt und einen Rahmen bereitstellt, um diese auch auszutragen und Lösungen auszuhandeln. Unserer Ansicht nach wären hierbei konkrete Utopien wie etwa Henri Lefebvres (2009) Idee der autogestion, operaistische Traditionen der Autonomia oder Konzepte der Rätebewegungen durchaus als praktische bzw. konkreter gefasste Beispiele heranzuziehen.[8]

4. Fazit

Im ersten Abschnitt haben wir argumentiert, dass die Begriffe der Postdemokratie bei Crouch und bei Rancière bezüglich Abstraktionsniveau und Analysetiefe erheblich divergieren. So bezieht sich Crouch auf den historischen Niedergang der fordistischen Demokratie, die er im Vergleich zu heute als egalitärer und demokratischer interpretiert. Postdemokratie bezeichnet in diesem Sinne eine historisch klar festzumachende Epoche, die oftmals auch als neoliberal bezeichnet wird. Rancière bezieht sich dagegen in seiner allgemeineren Auslegung von Postdemokratie auf politisch hergestellte Konstellationen, in denen Widerspruch durch eine gouvernementale Produktion von Konsens unterminiert und eine gesellschaftlich produzierte Realität als allgemeingültig und alternativlos erklärt wird. Die strukturierende Polizei wird also in einem Maße gestärkt, dass über weitgehende Ausschlüsse und eine partielle Inklusion von gesellschaftlichen Akteur_innen die Politik als Element des Aufbrechens praktisch verunmöglicht wird. Letztlich liegt bei Rancière die Quintessenz darin, dass Politik durch konkrete Praktiken ausgeschaltet wird, Momente des Politischen also unterminiert werden. Insofern ist sein Zugang weniger als Benennung einer historischen Epoche, sondern als Maßstab zu verstehen, um innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnung die politische Verhandelbarkeit von Objektivitäten und des die Gesellschaft definierenden Sets an Regeln zu bewerten. Dies anzuerkennen ist relevant, um mit den Begriffen empirisch arbeiten und sie als Analysewerkzeug verwenden zu können.

Dementsprechend konnten wir im zweiten Teil am Beispiel Frankfurts aufzeigen, dass zur Beschreibung der Momente der Neoliberalisierung des Städtischen die Arbeiten von Crouch wichtige Hinweise auf aktuelle Verschiebungen im Bereich der konkreten Politik zu geben vermögen. Als problematisch erachten wir aber erstens die positive Referenz auf die fordistische Demokratie, zweitens die simple Fokussierung der Kritik auf gesellschaftliche Eliten als abgehobene und manipulierende Herrschaftskaste im Gegensatz zur breiten Masse der Bevölkerung sowie drittens sein mechanisches Parabelbild, mit dem er die Entwicklung politischer Ideen zeichnet. Unserer Ansicht nach verkennt Crouch aufgrund der beiden letztgenannten Aspekte die Komplexität der politischen Produziertheit der aktuellen postdemokratischen Situation und negiert, dass die Herstellung einer solchen Ordnung auf einem vielschichtigen Machtgefüge, bestehend aus gesamtgesellschaftlicher Hegemonieproduktion und ökonomischen Subjektivierungsweisen, basiert.

Was den erstgenannten Aspekt der positiven Referenz von Crouch auf die fordistische Demokratie betrifft, gibt es keinen Anlass, die fordistische Stadt (zumindest in ihrer westdeutschen Prägung) im Vergleich zur Gegenwart als demokratischer zu charakterisieren. Vielmehr war jene zwar aus anderen Gründen, aber angesichts des breiten Konsenses um Wachstum und Fortschritt sowie der allgemeinen Depolitisierung des fordistischen Akkumulationsregimes genauso postdemokratisch wie ihr neoliberales Pendant der Gegenwart. Allerdings haben zwischen den 1970er und 1990er Jahren gesellschaftliche Auseinandersetzungen stattgefunden, in denen das fordistische Projekt von linksemanzipatorischen sowie rechtskonservativen Kräften hinterfragt und attackiert worden ist, was neue Aushandlungsebenen eröffnet hat. Darin ist aber weniger eine Qualität der fordistischen Demokratie zu sehen, als vielmehr ein starkes Moment der Konfrontation zwischen Politik und Polizei, das durch die Politisierung gesellschaftlicher Lebensbereiche erkämpft worden ist. Begrifflich bietet unserer Ansicht nach daher die Rancière’sche Bestimmung des Postdemokratischen die konsequentere Analysekategorie, da das Politische als Analyserahmen dazu in der Lage ist, gesellschaftliche Verhältnisse auf ihre Aushandelbarkeit bzw. Schließung hin zu befragen.

Endnoten

Autor_innen

Daniel Mullis Interessen liegen im Bereich Raumproduktionen, neue Theorien des Politischen und ‚Recht auf die Stadt’. Er arbeitet am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt a. M.

Kontakt: mullis@em.uni-frankfurt.de

 

Sebastian Schippers Forschungsschwerpunkte beinhalten Stadtpolitik, politische Ökonomie des Wohnens und städtische soziale Bewegungen. Er arbeitet am Institut für europäische Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar.

Kontakt: sebastian.schipper@uni-weimar.de

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