Das Buch The commodification gap ist die Veröffentlichung von Matthias Bernts Habilitationsschrift. Sie greift bereits veröffentlichte empirische Studien (Bernt/Holm 2002), theoretische Argumente (Bernt/Holm 2020) und Diagnosen zum Forschungsstand (Bernt 2020) von Bernt erneut auf und erweitert sie um internationale Fallstudien. Die Studie entwickelt einen konzeptionellen Rahmen für die Erklärung von Gentrifizierung, die – wie der Untertitel bereits andeutet – Public Policy in den Fokus rückt. Um die zentralen Argumente des Buches verständlich zu machen, möchte ich zunächst die beiden Ausgangspunkte des Autors darlegen.
Gentrifizierung ist ein Prozess des Wandels von Wohngebieten, der den Austausch oder die Verdrängung einer statusniedrigeren durch eine statushöhere Wohnbevölkerung, ökonomische Investitionen in den Wohnungsbestand (also Sanierungen und Modernisierungen) sowie Miet- und Kaufpreissteigerungen umfasst. In den meisten Fällen wird darunter also eine Kombination aus sozialstrukturellem und ökonomischem Wandel von Wohngebieten gefasst. Erklärungen für die Ursachen von Gentrifizierung erfolgen entlang eines Marktmodells (Hamnett 1991) von zwei Seiten: Nachfrageseitige Erklärungen argumentieren, dass bestimmte demografische, sozioökonomische und soziokulturelle Veränderungen in der Bevölkerung dazu führen, dass einkommensstärkere Gruppen Wohnraum in bestimmten Lagen nachfragen und dadurch in bestimmten Gebieten den Aufwertungsprozess in Gang setzen. Angebotsseitige Erklärungen sehen die Ursache für Aufwertung dagegen in Investitionen in den Wohnungsbestand. Dieser sei dann aufgrund von Miet- und Kaufpreissteigerungen nur noch für einkommensstärkere Gruppen zugänglich. Ein zentraler theoretischer Baustein angebotsseitiger Erklärungen ist die sogenannte Rent-Gap-Theorie (Smith 1979). Sie geht davon aus, dass Investitionen dann erfolgen, wenn die Lücke zwischen kapitalisierter Grundrente und potenzielle Grundrente ausreichend groß ist. Die Rent-Gap-Theorie ist auch der erste argumentative Ausgangspunkt von Bernts Studie.
Der zweite Ausgangspunkt ist das Problem der schwierigen internationalen Vergleichbarkeit von Gentrification-Prozessen. Seitdem Ruth Glass den Begriff gentrification 1964 erstmals prägte, hat dieser in Wissenschaft und Öffentlichkeit eine beeindruckende Karriere durchlaufen. Inzwischen gilt Gentrifizierung als globales Phänomen, das in vielen Städten der Welt beobachtet und erforscht wird (Lees et al. 2016). Dabei entwickelte sich eine Debatte darüber, ob und inwieweit der im angloamerikanischen Raum geprägte Begriff und die theoretischen Erklärungen eine universelle Gültigkeit besitzen. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob die in den USA entwickelte Rent-Gap-Theorie als ursächliche Erklärung für Gentrifizierung in Stadtteilen im Globalen Osten oder Süden erstens als Erklärungsansatz herangezogen werden kann und ob zweitens ein empirischer Zusammenhang zwischen Renditelücken, Investitionstätigkeit und dem Austausch und einer Statusaufwertung der Wohnbevölkerung nachweisbar ist. Der erste Punkt ist sehr grundsätzlich und setzt voraus, dass die Wohnungsversorgung in einer zu untersuchenden Stadt nach einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung organisiert ist. Das bedeutet, dass die grundlegenden Elemente der Rent-Gap-Theorie (Wert der Immobilie, Preis der Immobilie, kapitalisierte Grundrente und potenzielle Grundrente) erkennbar oder genauer gesagt operationalisierbar sein müssen. Ist das gegeben, kann das Fallbeispiel grundsätzlich mithilfe der Rent-Gap-Theorie empirisch untersucht und deren Gültigkeit überprüft werden. Das geschieht durch eine Unterscheidung von Entwicklungen, bei denen eine Schließung der Renditelücke zu Gentrifizierung führt, von jenen, wo dies nicht der Fall ist. Seine umfassende und sehr lesenswerte Aufarbeitung der Forschung zur Rent-Gap-Theorie schließt Bernt mit dem Urteil, dass die Theorie eine verkürzte Sichtweise auf die Funktionsweise von Märkten darstelle. Diese Kritik ist nicht neu und wurde insbesondere von Vertreter*innen nachfrageseitigen Erklärungen bereits früh formuliert. Leider finden diese bei Bernt nur in einer Fußnote Betrachtung (Bernt 2022: 22). Das Neue an Bernts Kritik ist, dass sie zu einem Lösungsangebot führt, das nicht etwa gegenüber der Angebotsseite steht, sondern als Erklärungsansatz zusätzlich zur Rent-Gap-Theorie platziert wird: die politische Einbettung wirtschaftlichen Handelns.
Ausgehend von diesen beiden Punkten setzt das zentrale Argument des Autors an: Gentrification wird nicht nur durch ökonomische Prozesse verursacht, sondern ist auch politisch bedingt. Durch Gesetze, Förderungen und Regulierungen auf der Angebots- und Nachfrageseite erzeugen Staaten einen Rahmen, der das Ausmaß der Kommodifizierung bzw. Dekommodifizierung von Wohnraum bedingt. Je kommodifizierter der Wohnraum in einem Wohnungsmarktsystem ist, so Bernt, desto lukrativer werden Investitionen und desto wahrscheinlicher wird gentrification. Da die Größe der Kommodifizierungslücke (commodification gap) durch staatliches Handeln bestimmt wird, so sein Argument weiter, muss notwendiger Bestandteil einer international vergleichenden Betrachtung von Gentrifizierung immer auch eine Analyse dieser policies sein. Wie genau sich die Kommodifizierungslücke entwickelt, sei jeweils historisch und räumlich bedingt. Deshalb umfasst die von Bernt vorgelegte Analyse einen sehr langen Betrachtungszeitraum und arbeitet ländervergleichend (Deutschland, Großbritannien und Russland). Leider verpasst der Autor dabei die einmalige Gelegenheit, die vermutlich am weitesten verbreitete Grafik der Gentrifizierungsforschung aufzugreifen und durch sein eigenes, überzeugend argumentiertes Konzept zu ergänzen: Es handelt sich um eine Abbildung zur Entwicklung der potenziellen und kapitalisierten Grundrente (Smith 1979: 544), die zur Entstehung der Rent Gap führt. Das ist schade, bezeichnete Bernt doch selbst beide Konzepte als „siamesische Zwillinge“. Eine grafische Illustration hätte sicher zum Verständnis des Zusammenhangs beigetragen.
Wer nun behauptet, das alles sei innerhalb der Gentrifizierungsforschung ja nichts Neues und die Rolle von Staat und Kommunen sei bereits in der Debatte um state-led gentrification (Davidson 2008) behandelt worden, hat die volle Bandbreite des Arguments nicht erfasst. Bernt geht es nicht um einzelne Instrumente der öffentlichen Hand, die etwa unter dem rhetorischen Deckmantel einer „sozialen Mischung“ letztlich zur Gentrifizierung einzelner Wohngebiete beitragen (Bridge et al. 2012) oder um die Folgen einer Wachstumskoalition aus Kommune und lokaler Wirtschaft (Molotch 1976). Seine Argumente setzen an der strukturellen Ebene der staatlichen Organisation des Wohnungsmarktsystems an. Sie sind damit anschlussfähig an Debatten über die Rolle der Wohnungsversorgung im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Typenbildung (Esping-Andersen 1990; Hoekstra 2003).
Die bereits angedeutete Notwendigkeit einer Betrachtung mehrerer Fälle auf mehreren analytischen Ebenen spiegelt sich auch im Aufbau von Bernts Buch wider. Nachdem der Autor in Kapitel 2 eine umfassende und sehr lesenswerte Auseinandersetzung mit dem Forschungszweig der Rent-Gap-Theorie liefert, arbeitet Kapitel 3 die historische Genese der Wohnungsmarktsysteme der drei untersuchten Länder (Großbritannien, Deutschland und Russland) auf. Das Ergebnis der Analyse sind zwölf Kommodifizierungslücken, die der Autor in den drei Ländern identifiziert (Bernt 2022: S. 122f., Tabelle 3.6). Die nachfolgenden Kapitel widmen sich den drei Fallstudiengebiete: Barnsbury in London (Kapitel 4), Berlin-Prenzlauer Berg (Kapitel 5) und ein nicht näher definiertes Gebiet in der Innenstadt von St. Petersburg (Kapitel 6).
Bevor der Autor zur theoretischen Diskussion und den Fallstudien übergeht, klärt er im einleitenden Kapitel über seinen erkenntnistheoretischen Standpunkt (kritischer Realismus) auf. Das ermöglicht eine angemessene Einordnung seiner Vorgehensweise sowie der Aussagekraft seiner Befunde. Nach eigenen Angaben ist das Ziel des Vorgehens eine Theoriebildung aus dem empirischen Material (ebd.: 8), das dann später als ein Wechselspiel aus induktiver und deduktiver Logik geschildert wird (ebd.: 15). Was genau das empirische Material ist, welchen Umfang und welche Qualität es hat, bleibt jedoch intransparent. Das gilt nicht nur für die Fallstudie in Russland, deren Durchführung, wie der Autor schildert, von großen Schwierigkeiten geprägt war, sondern auch für die britische und die deutsche Fallstudie. Im Kapitel zum Forschungsdesign verweist Bernt auf verschiedene Methoden (Dokumentenanalyse, Interviews, teilnehmende Beobachtungen, amtliche Statistiken), doch finden sich leider keine konkreten Angaben zur Anzahl der Interviews, zu den Interviewpartner*innen, zur Aufenthaltsdauer im Feld und auch keine Übersicht der analysierten Dokumente. Auf seine Auswertungsmethoden geht der Autor nicht ein. Insofern ist der Schritt vom empirischen Material hin zur Theorie für Leser*innen nicht vollständig nachvollziehbar.
Ein wesentliches Ergebnis der Arbeit sind die bereits erwähnten zwölf Kommodifizierungslücken, die aus der vergleichenden Analyse der drei Wohnungsmarktsysteme hervorgehen (Kapitel 3). Für unterschiedliche Zeitpunkte identifiziert Bernt dabei fünf Lücken in Großbritannien, vier in Deutschland und drei in Russland. Jede dieser Lücken beschreibt das Potenzial einer Kommodifizierung von Wohnraum, durch die Investitionen lukrativer werden. Dabei handelt es sich um „alte Bekannte” wie zum Beispiel die value gap (Hamnett/Randolph 1984), die durch die gesetzliche Möglichkeit zur Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen entsteht, aber auch neue Lücken, wie die Modernisierungslücke, die in Deutschland die Anwendung der Modernisierungsumlage durch Vermieter*innen beschreibt. Löst man sich bei der Betrachtung stärker von den nationalen Kontexten, so fällt auf, dass einige der von Bernt beschriebenen Lücken ähnliche, wenn nicht gar gleiche Vorgänge beschreiben. Zum Beispiel findet die Aufteilung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen, die anschließend an einzelne Eigentümer*innen verkauft werden, sowohl in London (value gap) als auch in Berlin statt (tenure conversion gap). Ginge man noch einen Schritt weiter, so ließe sich auch die Zusammenlegung einzeln vermieteter Zimmer zu einer Wohnung in St. Petersburg (kommunalka gap) damit in eine Reihe stellen, allerdings mit dem Unterschied, dass die Marktfähigkeit des Wohnraums hier nicht durch die Aufteilung von Eigentum, sondern durch die Zusammenlegung vormals einzelner Wohneinheiten hergestellt wird.[1] Stellenweise wird auf solche Zusammenhänge und Verkettungen verschiedener Kommodifizierungslücken verwiesen, an andere Stelle fehlen mögliche Übertragungen in andere Länderkontexte oder theoretische Abstraktionen. Die für Großbritannien festgestellte Deregulierung der Miethöhen (rental deregulation gap) ließe sich beispielsweise auch auf Deutschland übertragen, wenn man zum Beispiel Anpassungen der Kappungsgrenzen, Änderungen im Berechnungsmechanismus lokaler Mietspiegel oder die Zulässigkeit von Indexmietverträgen bei Wohnungen so versteht, dass sie die Spielräume von Vermieter*innen bei der Anpassung von Mieten in bestehenden Mietverhältnissen erweitern können. Natürlich ist das Ausmaß der (De-)Kommodifizierung in Großbritannien und Deutschland nicht identisch, dennoch scheinen es unterschiedlich starke Ausprägungen entlang eines Kontinuums zwischen Kommodifizierung und Dekommodifizierung zu sein. Diese Abstraktion hätte das Konzept unmittelbar anschlussfähiger für empirische Analysen gemacht.
Letztlich bleibt unklar, auf welcher analytischen Ebene das Konzept der Kommodifizierungslücke ansetzt. Beschreibt das Zusammenspiel verschiedener gesetzlicher Regelungen eine Kommodifizierungslücke auf staatlicher Ebene? Gibt es also für Großbritannien, Deutschland und Russland jeweils eine Lücke, die sich im Laufe der Zeit schließt oder öffnet? Oder handelt es sich tatsächlich um zwölf einzelne Lücken? Berücksichtigt man darüber hinaus, dass Wohnungspolitik in Deutschland auch auf Ebene der Länder und Kommunen gestaltet wird, so müsste auch deren Einfluss auf die (De-)Kommodifizierung von Wohnraum berücksichtig werden. Das wohl eindrucksvollste Beispiel eines solchen Vorgangs ist der Berliner Volksentscheid über die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. Nach Bernts Lesart würde dieser eine Dekommodifizierung eines bestimmten Wohnungsmarktsegments nach sich ziehen. Man könnte nun kritisieren, dass das Konzept noch recht vage bleibt. Man könnte aber auch sagen, dass der Autor seinen Rezipient*innen eine theoretisch-konzeptionelle „Lücke” lässt, die durch zukünftige empirische Untersuchungen gefüllt werden kann. Zentral für die weitere Anwendung des Konzepts ist, dass Kommodifizierung eine lokale Kontextbedingung ist, innerhalb derer sich die Rent Gap konstituiert und Gentrifizierung möglich wird.
In der Gesamtschau erweist sich Bernts Studie als ein bedeutsamer Beitrag für das Feld der international vergleichenden Gentrifizierungs- und Wohnungsforschung. Seine Empirie bietet hingegen gerade für die deutsche Gentrifizierungsforschung nur wenig Neues. Die Fallstudie Prenzlauer Berg ist hinreichend bekannt (u. a. durch Bernts vorherige Arbeiten) und auch die für Deutschland beschriebenen Kommodifizierungslücken wurden bereits in verschiedenen früheren Veröffentlichungen aufgegriffen (Blasius/Dangschat 1990). Positiv hervorzuheben ist die umfassende Aufarbeitung der Rent-Gap-Theorie und deren Einbettung in die Heuristik der Kommodifizierungslücke. Lesenswert ist auch die russische Fallstudie, die eine wertvolle Perspektive auf die Dynamiken städtischen Wandels jenseits angloamerikanischer und westeuropäischer Wohnungsmarktsysteme bietet und zu einer kritischen Reflexion vermeintlicher Normalitäten des Wohnens in Deutschland anregt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Buch eine wertvolle Ergänzung zur bestehenden Literatur darstellt. Es fordert Leser*innen auf, die Komplexität und Vielschichtigkeit von Gentrifizierungsprozessen aus der Perspektive der Public Policy zu denken und komplementäre Erklärungen zu angebots- und nachfrageseitigen Theorien zu entwickeln. Bernts Beitrag zum internationalen Diskurs ist unbestreitbar und verdient höchste Anerkennung.