sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2024, 12(1), 7-10

doi.org/10.36900/suburban.v12i1/1.925

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Editorial

Liebe Leser_innen,

Unser 25. Heft ist als offene Ausgabe ohne Themenschwerpunkt konzipiert – und doch stellen gleich drei Aufsätze aktuelle Konflikte in ostdeutschen Städten ins Zentrum ihrer Analyse. Dies kann als Beleg für die Dringlichkeit dieses Themas gelten, das in der Stadtforschung bislang noch unzureichend behandelt wurde und wir freuen uns sehr, diese Beiträge veröffentlichen zu können.

Alle drei Aufsätze verbindet eine differenzierende und kritische Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus, dem Erstarken oder der Normalisierung radikaler Rechter sowie lokalen Dynamiken von Inklusion und Exklusion. Dabei distanzieren sie sich von der stereotypischen Zuschreibung eines per se ostdeutschen Raumes, der in diesem Narrativ meist gleich mit dem sprichwörtlichen braunen Osten assoziiert wird. Stattdessen betonen sie die kontextspezifischen lokalen Konstellationen und die historisch gewachsenen Strukturen, die in diesen Prozessen wirksam werden. Gerade nachdem in den letzten Monaten jene Bevölkerungsteile, die sich gegen rechts positionieren, auch in vielen ostdeutschen Klein- und Mittelstädten an Sichtbarkeit gewonnen haben, erscheint uns dies als besonders relevanter Aspekt.

In seinem Aufsatz „Rechte Refiguration“ geht Valentin Domann anhand einer qualitativen Längsschnittstudie zweier brandenburgischer Kleinstädte der Frage nach, wie es zur Normalisierung rechter Akteur_innen und Einstellungen kommt. Sowohl empirisch als auch theoretisch-konzeptionell ist dieser Beitrag eine wichtige Ergänzung zur hochaktuellen Debatte um die räumlichen Dimensionen des Rechtspopulismus. Er zeigt, dass lokalen Konstellationen von Akteur_innen zwar eine zentrale Bedeutung zukommt – allerdings nicht, weil es sich dabei um ländliche, kleinstädtische oder suburbane Räume handelt, sondern vor allem, weil die dort verorteten Akteur_innen in ihrem Alltag aufeinander angewiesen sind.

Leon Rosa Reichle, Janine Dieckmann und Axel Salheiser widmen sich in ihrem Aufsatz „Institutionelle Normalität oder ostdeutsche Peripherisierung?“ anhand einer ostdeutschen Mittelstadt dem hierzulande noch wenig erforschten Thema des institutionellen Rassismus. Mithilfe einer sogenannten Ethnographie um die Behörden herum zeigt der Beitrag, wie eine konfliktvermeidende Kultur und rechte politische Machtverhältnisse den behördlichen Umgang mit Rassismus beeinflussen.

In ihrem Aufsatz „Die Koproduktion sozialer Infrastrukturen in Ankunftsquartieren“ analysieren Madlen Pilz, Katja Friedrich und Stefanie Rößler die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteur_innen bei der Infrastrukturversorgung in zunehmend von Geflüchteten bewohnten ehemaligen sogenannten Rückbauquartieren. Am Beispiel der Schweriner Großwohnsiedlung Mueßer Holz zeigen sie, welche zentrale Bedeutung dabei Infrastrukturen des Ankommens für die Ausgestaltung lokaler Beteiligung und Inklusion zukommen.

Jenseits des Fokus auf Ostdeutschland untersuchen Sybille Bauriedl und Linda Pasch in ihrem Beitrag „Kartieren als Methode dekolonialer Erinnerungskultur in europäischen Städten“ kolonialismuskritische Kartierungsprojekte. Sie fragen, inwiefern sich diese kritisch mit dem Prozess der Kartenproduktion auseinandersetzen, wie sich dies in den jeweiligen Darstellungsformen ausdrückt und welche Potenziale und Herausforderungen dekoloniales Kartieren birgt.

In der Rubik Debatte plädiert Rivke Jaffe für einen methodischen Zugang, mit dem kritische Stadtforschung nicht nur soziotechnische Netzwerke wie Verkehrs-, oder Wasserinfrastrukturen, sondern auch sogenannte politische Tiere in eine Analyse urbaner Ungleichheiten miteinbeziehen kann. Anhand von Untersuchungen zu Hunden in Kingston und Ratten in Amsterdam zeigt sie, wie diese entscheidend zu sozialräumlichen Grenzziehungen in den Feldern urbane Sicherheit und Gesundheitsversorgung beitragen.

Die Rubrik Magazin umfasst diesmal drei Beiträge. In ihrer Aus­einandersetzung mit der Architektin Alice Constance Austin zeigt Theresa Klingler, dass ein politischer Blick auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen* in patriarchalen Gesellschaften im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auch für feministische Architekt_innen noch keineswegs selbstverständlich war. Diese stützten oftmals binäre Geschlechterbilder eher, als sie zu durchkreuzen. Klinglers Gegenüberstellung mit den egalitären Errungenschaften eines sozialistischen Siedlungsprojekts im kalifornischen Llano del Rio macht jedoch deutlich, dass es im frühen 20. Jahrhundert durchaus schon feministisch geprägte Projekte gab, die emanzipatorische Ziele in Architektur und Zusammenleben praktisch miteinander verbanden.

Im Magazinbeitrag „Neue Konjunkturen des Widerstandes?“ beschreibt das Worker Center Berlin den politischen Organisierungsprozess von Aktivist_innen, Arbeiter_innen und Wissenschaftler_innen, die auf unterschiedliche Weise in Kämpfe um die Berliner Gig-Economy involviert sind. Dabei betont es die zentrale Rolle, die das besetzte Büro des Gorillas-Betriebsrats als Ort der Begegnung und des Austauschs dabei gespielt hat.

In ihrem Beitrag zur Diversität in der Planungsprofession diskutiert Lisa Vollmer mit Fokus auf die Bauhaus-Universität Weimar die geringe Repräsentation marginalisierter und diskriminierter Gruppen unter Planungsstudierenden. Sie plädiert für eine breite Debatte darüber, wie eine diversitätssensible Planung gestärkt werden kann, was auch mit mehr Diversität unter Planer:innen einhergeht.

Zuletzt widmen sich vier Rezensionen besonders interessanten Neuerscheinungen aus der Stadtforschung: Jan Üblacker erläutert in seiner Rezension „Eine Lücke in der Theorie?” zu Matthias Bernts The commodification gap. Gentrification and public policy in London, Berlin and St. Petersburg, wie Bernt ein auf Public Policy fokussiertes Erklärungsmodell entwickelt und damit die international vergleichende Gentrifizierungsforschung zu bereichern vermag.

Christine Neubert bespricht Julia Mendes’ Monografie Zwischen Küche und Stadt und sieht sie als gelungenen Beleg dafür, dass der Blick auf Essen als urbane Alltagspraktik auch für die kritische Stadtforschung lohnenswert ist.

Johanna Richter schaut mit kritischem Blick auf die digitale Publi­kations- und Veranstaltungsreihe gemeine stadt: berlin gemeinsam gestalten von Sabrina Dittus, Stephan Lanz und Kathrin Wildner, die sich dem Gemeinen im Kontext von zunehmenden Verteilungskämpfen um Daseinsvorsorge und dem Gemeinsam-Sein in der Stadt widmet.

In ihrer Besprechung von Neuordnung der Küchen. Materialistisch-feministische Entwürfe eines besseren Zusammenlebens, des mittlerweile fünften Bands des Kollektivs Kitchen Politics diskutiert Eva Kuschinski, wie das Buch utopische Momente und Fallstricke historischer feministischer Entwürfe für eine Neuorganisation der sozialen Reproduktion beleuchtet. Dabei betont sie, welche Relevanz diese Einsichten für heutige Kämpfe um die Stadt und das Wohnen haben.

Zuletzt noch ein Kommentar zum Titelbild dieser Ausgabe: Der 2013 erfolgte Abriss eines von Oswald Mathias Ungers geplanten Wohngebäudes am Lützowplatz in Berlin war ein erstes Anzeichen für einen Trend, der sich mittlerweile durchgesetzt hat: Zwischen 2014 und 2022 wurden allein in Berlin über 4.000 Wohnungen abgerissen. Wenn in Politik und Öffentlichkeit wiederholt „bauen, bauen, bauen“ gefordert wird, wird dabei verschwiegen, wie viel bezahlbarer Wohnraum andererseits vernichtet wird. Die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1987 errichteten Sozialwohnungen am Lützowplatz standen für den längst aufgegebenen Anspruch, auch für einkommensschwache Klassen Wohnraum in den Innenstädten zu schaffen.

Wir wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre!

Herzliche Grüße,

die Redaktion von n

Kristine Beurskens, Laura Calbet i Elias, Nihad El-Kayed, Nina Gribat, Stefan Höhne, Johanna Hoerning, Jan Hutta, Michael Keizers, Yuca Meubrink, Boris Michel, Gala Nettelbladt, Lucas Pohl, Nikolai Roskamm, Nina Schuster und Lisa Vollmer