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Liebe Leser_innen,

der Großteil der Menschheit lebt nicht nur in Städten, sondern stirbt dort auch. Die Orte und Praktiken des Sterbens, des Todes und Gedenkens in Städten sind dabei sehr vielfältig. Bezeichnet „Nekropolis“ ursprünglich die im altertümlichen Mittelmeerraum oft abseits von Wohngegenden liegende Stätte des Todes, so gibt es heute eine Vielzahl an städtischen deathscapes. Dabei spielen religiöse Vorschriften und kulturelle Praktiken weiterhin eine tragende Rolle und sind in einer sich zugleich globalisierenden und segmentierenden Welt nicht selten umkämpft. Aber auch die typisch moderne Tendenz, den Tod zu verbergen und dennoch zugleich zu kommodifizieren – von Krankenhäusern und Bestattungsunternehmen über Organhandel bis Hollywood – prägt die Art und Weise, wie er in Städten in Erscheinung tritt (oder nicht).

Neben diesen Fragen rund um städtische Orte und Praktiken, Ausdrucks- und Aushandlungsformen von Tod und Sterben verweist Nekropolis auch auf deren politische Dimensionen. Denn obschon der Tod einen unumgänglichen und in erster Linie sehr individuellen Endpunkt des Lebens markiert, so unterliegt die Sterblichkeit zugleich vielfältigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, die aus dem Sterben ein sozial stark überformtes „natürliches“ Ereignis machen. So ist das Sterben über das Alter hinaus durch eine Reihe sozialer, ökonomischer und politischer Faktoren bedingt, die zu einer auf lokalen wie globalen Ebenen ungleichen Verteilung von Lebens- und Überlebenschancen führen. Mehr noch: Wurde lange Zeit das biopolitische Produktiv-Machen des Lebens der Bevölkerung als Charakteristikum westlicher Moderne verstanden, so werden zunehmend die nekro-politischen Formen des Tötens und Sterbenlassens thematisiert – von ihren historischen Manifestationen in kolonialen und NS Konzentrationslagern bis hin zu Abschiebeanstalten, rassistischer Polizeigewalt oder der Vernachlässigung armer und obdachloser Menschen. Darüber hinaus verursachen Kriege, Umweltkatastrophen und Pandemien frühzeitige Tode, denen gerade in dicht besiedelten Gebieten gravierende Ausmaße annehmen können und die städtische Gefüge und Alltagspraktiken nachhaltig verändern.

Ziel dieser Schwerpunktausgabe ist es, die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Stadt, städtischem Leben, Sterblichkeit und Tod in den Blick zu nehmen. Ausdrücklich möchten wir hierfür eine Bandbreite disziplinärer Perspektiven einladen: Das Verhältnis von Stadt und Tod hat unter anderem bauliche, planerische, historische, soziale, kulturelle, ökonomische, ökologische und politische Dimensionen, lässt sich aber genauso mit dem Blick auf nicht-menschliche Konfigurationen verbinden.

Beiträge können einer Vielzahl an Themen und Fragestellungen nachgehen, darunter:

  • Orte der Trauer, des Abschieds und Erinnerns: Welche Rolle spielen Gedenkstätten, Friedhöfe und weitere formelle oder informelle deathscapes für Städte? Wessen Tod schreibt sich in den Stadtraum ein und wessen Tod nicht? Wie wirken sich die Gestaltung, Planung und andere Praktiken auf die Nutzung oder Aneignung von Räumen aus, die der Trauer und des Erinnerns an Verstorbene(s) gewidmet werden? Wie prägen bestimmte Orte Prozesse der Trauer und kollektiver Erinnerung?
  • Städtische Ökonomien des Sterbens: In welchem Verhältnis stehen die Inwertsetzung städtischer Räume und Infrastrukturen des Lebens mit denen des Sterbens? Welchen ökonomischen Logiken unterliegen etwa Krankenhäuser, Hospize, Krematorien und Friedhöfe? Wie stehen diese im Verhältnis zu kulturellen und sozialen Vorstellungen?
  • Diskurse und Repräsentationen des Ablebens: Wie sind Darstellungen des Todes in städtischen Räumen diskursiv gerahmt? Wie verknüpfen sich dabei physische und symbolische Dimensionen? Wie werden Imaginationen städtischen Sterbens in Literatur, Film oder Theater verarbeitet? In welchem Verhältnis stehen unterschiedliche religiöse und soziokulturelle Vorstellungen, Vorschriften und Praktiken vom städtischen Sterben zueinander?
  • Tod und soziale Gerechtigkeit: Wie hängen unterschiedliche Bedingungen des Sterbens mit sozialen Differenzen zusammen? Wie schreibt sich die ungleiche Bewertung des Sterbens in städtische Räume ein? Welche Körper sind besonders gefährdet? Wie hängt die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Sterbens mit Dimensionen sozialer, ökologischer etc. Ungleichheit zusammen? Welche materiellen und sozialen Aspekte (re)produzieren ungleiche Sterblichkeitsraten in Städten? Wie werden diese Ungleichheiten auf individuellen und kollektiven Ebenen angefochten?
  • Städtische Nekropolitik: Welche Rolle spielen staatlicher Terror, Völkermorde oder die strukturelle Unterdrückung bestimmter Bevölkerungsgruppen für das Sterben in Städten? Wie beeinflussen gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsstrukturen „frühzeitigen“ oder „langsamen“ Tod oder den Umgang mit körperlichen Überresten? Wie erleben Menschen, die dem Tod anheimgestellt sind, städtische deathworlds? Wie werden Gewaltakte und gezielte Tötungen im öffentlichen und privaten Raum legitimiert? Welche Räume des Todes und Verschwindens produziert die urbane Nekropolitik?
  • Tod, Stadt und Mensch-Natur-Verhältnisse: Wie stehen soziale mit nicht-menschlichen Sterblichkeiten im Zusammenhang, sowohl materiell als auch symbolisch? Wie ist das Verhältnis zwischen Mensch und Natur in punkto Sterben und Tod räumlich organisiert?

Beiträge zu diesen oder verwandten Themen können sich sowohl auf theoretisch-konzeptioneller Ebene mit dem Verhältnis von Stadt und Tod befassen als auch empirische Beispiele beleuchten oder auf besondere methodische Herausforderungen zur Beforschung der Thematik eingehen. Als interdisziplinäre Zeitschrift interessieren wir uns insbesondere für Beiträge, die sich aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven mit dem Verhältnis von Stadt und Tod befassen.

Wir freuen uns über Vorschläge zu Aufsätzen ebenso wie zu Debatten- und Magazinbeiträgen oder Rezensionen (mehr zu den Rubriken hier). Dazu bitten wir um die Einreichung von Abstracts im Umfang von 300-500 Wörtern bis zum 31.07. Vollständige Beiträge bitten wir nach Einladung bis zum 15.11. einzureichen; Aufsätze durchlaufen ein Peer-Review-Verfahren. Wir bitten um die Beachtung der Richtlinien für Autor_innen. Einreichungen von Vorschlägen bitte als Word- oder RTF-Datei an info@zeitschrift-suburban.de

Herzliche Grüße
die Redaktion von sub\urban

Kristine Beurskens, Laura Calbet i Elias, Nihad El-Kayed, Nina Gribat, Stefan Höhne, Johanna Hoerning, Jan Hutta, Michael Keizers, Yuca Meubrink, Boris Michel, Gala Nettelbladt, Lucas Pohl, Nikolai Roskamm, Nina Schuster, Lisa Vollmer