Zum Inhalt springen

Stefan Höhne und Boris Michel stellen in ihrem Debattenaufschlag „Das Ende des Städtischen? Pandemie, Digitalisierung und planetarische Enturbanisierung“ acht Thesen zur Diskussion, wie Covid-19 und die damit einhergehenden beschleunigten Digitalisierungsprozesse „die Zukunft des Städtischen“ prägen werden. Sie fragen dabei nicht nur nach den Konsequenzen für Städte selbst, sondern auch nach den Implikationen für deren Beforschung und Konzeptualisierung. Neun Autor_innen antworten auf die aufgestellten Thesen.

Marcelo Lopes de Souza schlägt in seinem Kommentar vor, die Covid-19-Pandemie nicht als das Ende des Städtischen zu betrachten, sondern als möglichen Beginn eines besseren Verständnisses unserer Welt. Er argumentiert, dass es vor allem notwendig sei, die Perspektive des globalen Südens zu berücksichtigen. Sowohl die These von der planetarischen Urbanisierung als auch die These von der planetarischen Enturbanisierung, so kritisiert er, seien eurozentrische Vorstellungen. Matthias Naumann wirft die Frage auf, ob aktuell nicht nur ein „Ende des Städtischen“, sondern auch ein Ende des Ländlichen festzustellen ist. Dabei postuliert er, dass die diagnostizierte Krise der Städte auch eine Krise des Ländlichen sei, die bereits lange vor Ausbruch der Pandemie begann. Anke Strüver konzentriert sich auf die Verschaltung von kapitalistischer Krise und Carekrise, die durch die Pandemie besonders im städtischen Alltag sichtbar geworden ist. Entlang von fünf Thesen skizziert sie die Möglichkeiten einer Transformation vom „sorglosen Kapitalismus“ zur „sorgenden Urbanisierung“ und wirft die Frage auf, wie kritische Stadtforschung diese Transformation adressieren kann. Markus Kip diskutiert in seinem Beitrag, inwieweit solch eine düstere Prognose tatsächlich kritisch ist. Er fragt, aus wessen Perspektive und zu welchem Zweck eigentlich eine „Krise des Städtischen“ diagnostiziert wird. Zugleich argumentiert er für eine kritische Stadtforschung als konsequente Fortsetzung des Erbes der Frankfurter Schule. Hannah Schilling betrachtet in ihrem Kommentar anhand der Kontaktbeschränkungen und der arbeitsbezogenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie die Diskrepanz zwischen dem Alltag der Vielen und den Sichtweisen offizieller Politiken auf gesellschaftliches Zusammenleben. Überdies skizziert sie Zugänge, mit denen Stadtforschung eine Krisenerzählung vom Standpunkt der Vielen aus entwerfen könnte. Roger Keil beleuchtet die Beziehungen zwischen dem Städtischen bzw. der Stadtforschung und dem Thema Infektionskrankheiten. Er schließt mit der Hoffnung, dass strukturelle Verbesserungen der Lebensverhältnisse von Menschen, die am stärksten unter der Pandemie leiden, nun nicht mehr so leicht abgewehrt werden könnten. Christian Haid betrachtet die Covid-19-Krise aus einer historischen Perspektive. Er erinnert daran, dass Epidemien schon immer eine entscheidende Rolle in der Stadtplanung gespielt haben und sieht die Pandemie vor allem als Multiplikator für bestehende Problemlagen. Haid plädiert dafür, Ansätze zu stärken, die sich gegen aktuell zunehmende Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in den Städten richten. Anna-Lisa Müller stellt die These auf, dass wir es weniger mit einem „Ende des Städtischen“ als vielmehr mit dessen potenzieller Transformation zu tun haben. Dabei können soziale Interaktionen zunehmend durch digitalen Austausch ergänzt werden, wodurch auch der öffentliche Raum restrukturiert wird. Im letzten Kommentar argumentiert Nikolai Roskamm, dass die Pandemie zum Wiedererstarken zweier klassischer Themen der Stadtplanung im gesellschaftlichen und politischen Diskurs führe: Dichte und Biopolitik. In diesem Sinn sieht er kein „Ende des Städtischen“, wie von Höhne und Michel postuliert, sondern vielmehr Anzeichen einer voranschreitenden planetarischen Urbanisierung.

In seinem am 18.6.2021 vorabveröffentlichten Debattenbeitrag „Peripherien und Zentralitäten: Geographien von Covid-19“ nimmt Daniel Mullis Bezug auf den bei uns als Video veröffentlichten Vortrag von Roger Keil aus der translokalen Vorlesungsreihe „Geographien von Covid-19“ sowie auf die Debatte zum „Ende des Städtischen” und erweitert beide um einige wichtige Aspekte.

Diese Debatte ist am 23.04.2021 in Bd. 9, Nr. 1/2 (2021) erschienen.

Beiträge zur Debatte